Wie oft gibt uns der Fußball die Gelegenheit zu großen Gefühlen. Wie schnell wechseln sie sich für uns Zuschauer ab. Wem es wann immer auch gelingt, dieses gesamte Spektrum der Gefühle von grenzenloser Begeisterung zu abgrundtiefer Enttäuschung stets fließend ausklingen zu lassen, ist ein begnadenswerter Mensch. Erlebt er doch in einem Spielfeld seines Lebens zutiefst wahre Gefühle, ohne im eigentlichen Leben dauerhaft Schaden zu nehmen. Gestern aber fürchtete ich beim Lesen der Pressemeldung vom MSV Duisburg, dass da bei mir in der nächsten Zeit erst einmal nichts ausklingen würde. Dabei ging es nicht einmal um ein Spiel. Mein Gefühl der Enttäuschung blieb so ernst, dass ich im ersten Augenblick nichts anderes hier habe reinstellen wollen als den Clip mit der jüngsten Hymne der Enttäuschten. Es ist nicht die Hymne meiner Generation, aber schon vor fünf Jahren konnte ich mich bei jüngeren Freunden in ihr wiedererkennen. Und gestern dachte ich in einem ersten trotzigen Aufwallen bei allem, was ich über Bruno Hübner und sein Verhältnis zum MSV Duisburg in den nächsten Wochen las, irgendsowas ähnliches wie Scheiß auf Freunde bleiben.
Natürlich verstehe ich sofort die Gründe, warum es Bruno Hübner zu Eintracht Frankfurt zieht. Die Nähe zur Heimat, die besseren finanziellen Möglichkeiten für die Arbeit, die lokale Marktführerschaft der Eintracht, was weiß ich, alles spricht für den zukünftigen Konkurrenten des MSV Duisburg in der 2. Liga. Ich glaube auch gerne, dass ihm der Entschluss schwer gefallen ist. Dennoch verschwindet nicht das Gefühl, hintergangen worden zu sein. Ich weiß selbst, so ein Gefühl wirkt angesichts dieses Geschehens im Unterhaltungsbetrieb Fußball etwas lächerlich. Ich kann nichts dagegen tun.
Wenn ich lese, dass in der Zeit vor dem Pokalfinale die Verhandlungen zwischen Heribert Bruchhagen und Bruno Hübner geführt wurden, komme ich mir vor, als habe meine Freundin im Nebenzimmer mit nem Typen rumgemacht, während ich noch vom nächsten Sommerurlaub schwärme. Vielleicht ist das ungerecht, und normalerweise habe ich keine Schwierigkeiten damit, den Fußball als Wirtschaftszweig mit sehr eigenen Vertragsverhältnissen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern anzuerkennen. Doch wegen des Zeitpunkts und der Umstände der Kündigung von Bruno Hübner beim MSV Duisburg brauche ich noch etwas Zeit, meinen Sinn für Realismus wiederzufinden.
Nun muss sich der MSV Duisburg um einen Plan B kümmern, an den dort, laut Geschäftsführer Roland Kentsch, niemand gedacht hat. Mit unerwarteten Ereignissen rational umzugehen, das gehört zum Tagesgeschäft der MSV-Führung. Dafür wird sie bezahlt. Einmal mehr vertraue ich auf die Kontakte von Roland Kentsch. Es wird sich ein Sportdirektor finden. Dieser Sportdirektor wird andere, aber hoffentlich genauso gute Kontakte wie Bruno Hübner haben. In der Enttäuschung von so vielen am MSV Duisburg Interessierten drückt sich auch gar nicht die Sorge aus, Bruno Hübner liesse sich nicht ersetzen. In dieser Enttäuschung zeigt sich das Wissen, für den Erfolg eines Vereins wie dem MSV Duisburg ist mehr nötig als das Abarbeiten von Aufgaben auf sportlicher Ebene.
Für den Erfolg eines Vereins wie dem MSV Duisburg braucht es einen Geist des Zusammenhalts, der von Menschen im Verein gelebt und nach außen getragen wird. Diese Menschen müssen in realistischer Weise voranweisende Gedanken in die Öffentlichkeit bringen. Bruno Hübner hat für mich diesen Realismus und den Plan für die Zukunft verkörpert. Diesen Wert für den Verein hat er ungeachtet seiner Spielerverpflichtungen bewiesen. Bislang haben sich weder Dieter Steffen noch David Karpathy in der Öffentlichkeit als Stimme des MSV Duisburg sonderlich stark positioniert. Der MSV Duisburg braucht aber eine Stimme, die dem Unternehmen MSV Duisburg ein Bild seiner selbst vermittelt.
Der Zusammenhalt scheint nun auch wieder gefährdet. Es wird spekuliert, welche weitere Geschichte hinter der Geschichte der Kündigung steht. Bruno Hübner selbst deutet Schwierigkeiten zwischen „Verein und Gmbh“ an. Die Kräfte im MSV Duisburg scheinen sich zunächst einmal wieder nicht zu bündeln. Wenigstens beruhigt mich an der Situation der schon fortgeschrittene Aufbau des Spielerkaders für die neue Saison. Für den Erfolg des MSV Duisburg ist das gegenseitige Vertrauen der sportlich Verantwortlichen aber genauso wichtig. Ich hoffe sehr, wenn Milan Sasic den zukünftige Sportdirektor kennenlernt, wird die Phase mit dem „Freunde bleiben“ schnell vergessen sein. Das kennen wir doch alle, wenn die Chemie stimmt, verblasst die Vergangenheit. Dann können wir endgültig den Frankfurtern die Überlegung überlassen, ob sie nicht in Wahrheit Iggy Pop als Sportdirektor verpflichtet haben. Und ob der sich im deutschen Fußball gut auskennt?
Immer wieder bewundernswert, wie Du es schaffst, komplizierte Überlegungen und nicht zuletzt Gefühlswelten gleichzeitig ausführlich darzulegen und prägnant auf den Punkt zu bringen. Ohne Widerspruch.
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Ein Leben lang in Übung, damit es mir danach besser geht 😉
Danke!
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