Reisejournalisten haben es bei uns im Haus schwer. Das ist nichts persönliches, sondern eine zeitsparende Tradition. Die Reiseseiten der Tages- und Wochenzeitungen in unserem Haus wandern ungelesen ins Altpapier. Da beschäftige ich mich lieber mit Bekanntschaftsanzeigen und beobachte wie Beziehungsmodelle sich wandeln. Über die Jahre habe ich mich auf die Nachfrage von Frauen im bürgerlichen Milieu spezialisiert und in meiner persönlichen Langzeitstudie stelle ich fest: Die Anpassungsfähigkeit als herausragende Persönlichkeitseigenschaft von Frauen ist vom Aussterben bedroht. Der Wunsch von jüngeren Frauen nach einer Versorgerehe mit einem älteren Partner bleibt uns aber auf zurückgegangenem Niveau noch längere Zeit stabil erhalten.
Bevor ich nun heute Morgen mit der Lektüre der Süddeutschen Zeitung meine Thesen weiter entwickeln konnte, war mir ein Stapel ungelesenen Papiers im Weg. Das Wegschmeißen schaffte ich nicht, ohne beim flüchtigen Durchblättern einen letzten Blick des Abschieds zu werfen. Welch Glück für mich und vielleicht auch für den Zeit-Journalisten Henning Sußebach, sollte er auf verschlungenen Wegen von meinem Beifall für seinen Text, jawohl, im Reise-Teil hören. Bevor die Reise-Seiten dieses Mal im Altpapier verschwanden, machten sie nämlich einen Zwischenstopp auf dem Frühstückstisch, weil mich auf dem Foto des Reise-Buchs der Zeitung Uwe Seeler ansah, eindeutig auf einem Schiffsdeck stehend vor offener See. Ich war ganz irritiert, weil es mir zunächst schien, als umfasse er die Statue einer nackten Torhüterin an der Hüfte. Bei genauerem Hinsehen blieb nackt zwar nackt, doch aus Torhüterin wurde Frau mit Trinkgefäß, vielleicht bei religiösem Ritus. Wahrscheinlich sind Statuen auf Schiffsdecks immer so, Modell Breker oder Riefenstahl. Aber Uwe Seeler ist nicht immer so. Vor der offenen See. Was machte der da?
Henning Sußebach erklärte es mir mit einer wunderbaren feuilletonistisch angehauchten Reportage, die unter dem Deckmantel des Reisejournalismus erschien. Uwe Seeler gehörte zum „Themenpaket Fußball“, mit dem eine Reederei ihre Standard-Ostsee-Kreuzfahrt aufpeppen wollte. Henning Sußebach erzählt, was es damit auf sich hat und wie die Fahrt verlief. Ihm gelingt das Kunststück, die skurrile Welt des Kreuzfahrtschiffs und der speziellen Reisegruppe „Themenpaket Fußball“ in seiner Komik zu erfassen, ohne diese Welt zu verraten. „Der Ehrenkapitän“ ist der Artikel betitelt, bei dem es so schade gewesen wäre, wenn sein Schicksal in unserem Haus nur Altpapier hätte geheißen.
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