Das Spiel als Schleuder für Gefühle

Was für ein Wirbel der Gefühle, um mit so einem unbestimmten ich-weiß-nicht nach Hause zu gehen. Die Zufriedenheit mit dem Auftritt des MSV Duisburg in der zweiten Halbzeit wird immer wieder gestört durch die leise Enttäuschung über den Ausgleich zum 2:2. Manchmal pieckst sogar der Ärger, weil schon zuvor nach dem Vorpreschen von Dzemal Berberovic und der völlig offenen linken Seite für uns auf den Rängen so erkennbar war, dass da nur mit sehr viel Glück der zu erwartende Konter überstanden werden kann.

Bei diesem ständigen Anwehen  der Enttäuschung hilft auch der Rückblick auf die erste Halbzeit nicht. In der habe ich mir zum Ende nicht mehr vorstellen können, dass die Zebras ein Tor erzielen werden. So viel Einsatz wieder und so wenig Gefahr im Strafraum. Wie sollte ein Tor gelingen, wenn die  wenigen Gelegenheiten beim Eindringen im Strafraum ohne Druck zu Ende gespielt werden? Valeri Domochiyski wirkt im entscheidenden Moment schon wieder zu zögerlich. Der Strafraum scheint ein schwarzes Loch für sein Selbstvertrauen zu sein. Dort wird es weggesogen, so dass er schon wieder auf auf die Hilfe des Schiedsrichters hoffte.

Allerdings wirkte auch der Schiedsrichter in der ersten Halbzeit schwer gehandicapt, fehlte ihm doch kurz hintereinander die Hilfe seines Linienrichters bei Entscheidungen an der Torauslinie.  Zwei Eckstöße für den MSV Duisburg wurden nicht gegeben. Diese Eckstöße hätte der MSV aber für besagte Torgefahr unbedingt gebraucht. Deshalb waren diese Fehlentscheidungen besonders ärgerlich.

Zunächst zeigte die Hertha das reifere Spiel, dem der MSV Duisburg mit Kampf entgegen halten wollte. Die Berliner schlagen etwa Flanken jedes Mal scharf und relativ flach an die vordere Ecke des Fünfmeterraums. Dorthin kann der Torwart niemals kommen, zudem ist das Timing der Stürmer so aufeinander abgestimmt, dass aus dem Rückraum der Kopfballspieler noch hineinlaufen kann. In dieser Weise kann der MSV Duisburg keinen Angriff über Außen gestalten. Damit gilt es sich abzufinden. Die Flanken des MSV machen höhere Bögen, bleiben länger in der Luft, sind sehr viel ungenauer und bieten so den Abwehrspielern mehr Gelegenheit, sich auf sie einzustellen. Um so bemerkenswerter ist es, dass Goran Sukalo dennoch, nach einem Standard zwar, zum Kopfball kommt, so wie es dem Tor von Srjdan Baljak zum Ausgleich voranging.

In der zweiten Halbzeit aber entwickelte der MSV Duisburg seine eigenen Mittel um die Hertha unter Druck zu setzen. Das Kurzpassspiel mit dem überraschenden Pass in die Tiefe funktioniert inzwischen sehr gut. So schafft die Mannschaft ihre Chancen, und Sören Brandy seine Erfolgserlebnisse. Was ihm in der ersten Halbzeit alles misslang, klappte in Halbzeit zwei. Es war ein mitreißendes Spiel in dieser zweiten Hälfte, nachdem der Ausgleich gefallen war. Der MSV setzte die Hertha weiter unter Druck, und natürlich wuchs die Gefahr eines Konters durch die Berliner.  Doch zunächst gelang es dem MSV gut, diese Konter im Keim zu ersticken, oder sie endeten im Aus oder Abseits. Die 2:1-Führung entstand dann sogar aus dem Spiel heraus, was Hoffnung für die Zukunft gibt. Die Mannschaft erspielte sich nun auch Möglichkeiten. Standards blieben nicht ihr einziges Mittel.

Wenn dann noch endlich in der Defensive die Spieler hohe Bälle des Gegners nicht mehr per Kopf in die zentrale Position vor den 16-Meter-Raum abwehren, erzielen die Gegner auch mal weniger Tore. Der frühe Rückstand ist wieder die Konsequenz solch einer  Kopfballabwehr und auch später gab es noch zwei, drei unangenehme Situationen zu überstehen, weil der Ball zum Gegner dorthin gespielt wurde, wo die Hertha sofort wieder torgefährlich werden konnte.

Das Bangen um den Sieg dauerte nicht lange an, weil Sandro Wagner recht schnell den Ausgleich zum 2:2 erzielte. Mit den den Gefühlen ging es danach ebenso rauf und runter wie das Spiel hin und her. Sieg oder Niederlage, hieß die Devise für beide Mannschaften bis kurz vor Ende, so dass der Schlusspfiff in der Nachspielzeit von jeweils der Mannschaft ersehnt wurde, die gerade nicht den Ball hatte. Zum Spatz in der Hand seufzend gelugt, die verführerische Taube auf dem Dach sehnsüchtig angestarrt. So richtig wusste keiner mehr, ob er sich freuen sollte und wie gerade die Gefühlslage so war.

Nur einer wird da sicher keine Schwierigkeiten gehabt haben. Änis Ben-Hatira war mit Sicherheit mit sich selbst hoch zufrieden und wird wahrscheinlich selbst eine Umarmung von Maskottchen Hoppelhase als Bad in der Menge empfunden haben. Gesehen habe ich ihn am Ende nicht mehr, und schon wieder war es wie früher, als ich zu seinen Zeiten beim MSV keine Chance hatte, ihn so richtig als Publikumsliebling abzufeiern. Dabei musste ich ihm während des Spiels zu seiner Einschätzung seines Verhältnisses zu den Duisburger Fans gegenüber den Berliner Medien tatsächlich recht geben. In der zweiten Halbzeit wurde er von unserer Kurve so hochfrequent anhaltend bejubelt, dass es sogar wie Pfeifen klang. So einen tollen Publikumsliebling hatte der deutsche Fußball noch nie. Änis, wir wollen ein Kind von dir.  Den Spielbericht bei Sky gibt es mit einem Klick weiter.

7 Kommentare

  1. Für mich ist eine gewise Hartnäckigkeit, mit welcher die gleichen Fehler zum gleichen Ergebnis führen, ärgerlich. Immer wieder wird der über die Flügel anlaufende Gegner nicht attackiert und kann trotz Überzahl eine gefährliche Flanke vor das Tor bringen, wo immer wieder trotz Überzahl der zugeordnete Verteidiger pennt.
    Immer wieder auch das schlaffe Herausköpfen direkt vor die Füsse des Gegners aus dem Strafraumgewühl nach Standards, durch welches eine halb entschärfte Situation urplötzlich wieder hochbrisant wird.
    Manchmal wirkt das trostlos. Aber, wenn man sich umschaut, entdeckt man, dass alle anderen auch die gleichen Fehler machen.
    Am Ende wird es wohl, wenn man nicht völlig nur den Beton anrühren will, durch dieses eine Tor mehr entschieden, das man glücklich mal schiesst.

    Oder durch einen Typen wie Baljak, der an einem Montag abend solch einen Doppelpack hervorzaubert, vor dem man ebenso staunend sitzt wie die Kinder vor dem weissen Kaninchen. Für mich ein Genie des Alltags, wie es jeder Verein benötigt in Liga zwei. Kein Star im eigentlichen Sinne, sondern ein stiller, fleissiger Arbeiter, der sich herankämpft, durchbeisst, der die Linie hält, kein Titan und Grosssprecher, sondern einer, dem man im Interview anschliessend genau anmerkt, dass er lieber noch ein paar Runden um den Platz drehen oder ein paar Schusstechniken üben möchte.

    Kein Wunder, dass Runjaic auf diese setzt, Domo und Baki, schon halb durchgereicht gewesen zu den Amas. Aber ein Wunder, was hoffnungsfroh stimmt, wie schnell was geht, wenn einer erst mal richtig hinguckt, statt nur loszulegen wie zehn Feuerwehren.
    Coach Kosta hat es drauf, der sieht das, was funktionieren kann, und das, was nicht funktionieren kann, soviel ist bereits jetzt klargeworden. Für mich ist der Fussball zurückgekehrt in das Stadon an der Wedau.

    Kein Spektakel, wie es die Zampanos Neururer und Sasic aufboten, deren Truppen jedoch oft mehr nach den taktischen Kriterien von Rugbyteams funktioniert haben, keine Spektakelverweigerung mit Rudi Bommer und der Sicherung der Null bis mindestens zur Fünfundsechzigsten.

    Fussball als Laufsport mit hoher Dynamik sowohl in der Defensive als auch in der Offensive, technisch sauber, schnell, zweikampfstark, auf der Höhe der derzeit gegebenen Möglichkeiten, ohne Gelaber über Moral, Hymne, Herz, Typen und Familienbande. Schön, dass es das noch gibt! Und auch noch wieder hier, an der Wedau, wo diese Art, das Spiel zu interpretieren, mal erfunden wurde! Coach Kosta, kein Trainer der Herzen, sondern der leitende Angestellte unseres Vereines, ein kompetenter Krisenmanager und Analytiker, keiner, den man liebt, aber einer, den man bewundern wird. Und darf! Und dies nachhaltig und in hohem Masse! Die Gefühle werden wir Fans dann schon parat haben, wenn der Baki die Dinger macht!

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    • Was du über Kosta Runjaics Wirken in den wenigen Wochen schreibst, spricht mir und vielen anderen um mich herum aus dem Herzen. Und was die so offensichtlichen Fehler angeht, sagt der Realist in mir, im Training Offensive und Defensive gleichermaßen in den Griff zu kriegen, ist verdammt schwierig.
      Aber dieses Absicherungsding der Außenbahnen sollte relativ schnell in die Köpfe der Spieler zu bringen sein. Das Wegköpfen ins Angriffzentrum des Gegners als individuelle Fehlleistung braucht da wohl sehr viel länger, wenn es überhaupt behebbar ist, weil es so sehr nur von den Fähigkeiten des einzelnen Spielers alleine abhängt. Da müssen wir tatsächlich hoffen, dass es möglichst wenige dieser Spielsituationen geben wird.
      Ansonsten denke ich auch, wenn die Enttäuschung nach dem ausbleibenden Lohn für den Einsatz gut bewältigt wird, stellt sich der Erfolg bald ein. Voller Zuversicht und bereit, beim Jubel alles zu geben.

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  2. …also was den Baki angeht, sehe ich das zu 100% genau so. Aber Domovchiyski? Das ist mir ein Rätsel…ebenso wie Berberovic, der allerdings noch im viel größeren Maße.
    Und Kosta Runjaic: Ich glaube auch, dass wir mit ihm den richtigen Trainer geholt haben und bin zuversichtlicht, allerdings als die erste Meldung von ihm rüberkam, dass er „Coach Kosta“ ist, hab ich mir auch nur an den Kopf gepackt.
    Also, wollen wir auf den ersten Dreier morgen trinken! Prost! lg sp
    Nur der MSV

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    • „Coach Kosta“ entspringt einem heimlichen Lyriker oder vielleicht auch dem ehemaligem Werbetexter. War er nicht mal in der Werbebrache unterwegs? 😉
      Und Domochiyski, so glaube ich, wird immer wieder bedroht von seinen Versagensängsten. Deshalb passieren ihm die Fehler. Wenn er keine Zeit hat nachzudenken, ist er groß, sobald er nur ein Moment des Überlegens erhält, wird es für ihn eng. Er braucht ungeheuer intensive Ansprache. Ich halte ihn für einen Spieler, den man permanent stark reden muss.

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  3. Mit diesem „Coach Kosta“, das hängt vielleicht auch mit seinem etwas komplizierten Nachnamen zusammen. Da wollte er vielleicht was griffiges haben. Dass einer seinen Spitznamen direkt selbst mitbringt, ist schon seltsam. Aber es kann sowohl eine nette Marotte sein als auch das Anzeichen für einen übertriebenen Selbstbezug. Vielleicht haben sie ihm den Namen ja auch in Darmstadt verpasst.
    Zu Domo: für mich absolut ein Spieler auf Niveau der Liga eins, was die individuellen Fähigkeiten angeht. Nur er kann das Spiel in der Offensive richtig schnell machen, solange Gjasula fehlt. Er braucht für mein Gefühl Konstanz und Kontinuität bezüglich seiner Spielpartner. Und die Sicherheit, die nur Erfolgserlebnisse bringen können.
    Oft wird er von den Verteidigern gedoppelt, oder es kümmern sich sogar drei Gegner um ihn. Wenn die Mitspieler hier besser antizipieren würden, wäre so etwas brandgefährlich auszunutzen. Ich glaube, Runjaic setzt hier seit Jahren erstmals auf grundsätzliche Entwicklung solcher Automatismen.

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    • Diese Sicherheit von Domo, anscheinend war er ja in Berlin schon sehr labil. Du hast natürlich recht, wenn man ihn alleine betrachtet – quasi spielunabhängig. Ich hoffe dann sehr, dass du recht hast und er mit dem immer besseren Verstehen mit den Mitspielern tatsächlich diese Sicherheit entwickelt. Dann wären vielleicht diese Situationen vorbei, in denen er so blöde aussieht. Die letzten beiden Spiele etwa, als er da in den Strafraum jeweils zog und sich fallen ließ als letzte Rettung. Man konnte es sehen, wie er eigentlich den Pass in die Mitte spielen will, wenn er in den Strafraum zieht und dabei nicht im Blick hat, dass der Weg Richtung Tor nicht frei, aber doch lückenhaft ist. Nach solchen Situationen mit Fehlern meine ich, für einen Moment wieder eine Last auf seinen Schultern zu erkennen. Aber es gibt Entwicklung. Letzte Saison und noch vor ein paar Wochen ist er dann vollends abgetaucht. Jetzt probiert er es kurz danach wieder, sich durchzusetzen. Aber diese Entwicklung muss sich beschleunigen, wenn ich die Stimmen um mich herum höre. Hoffen wir, dass es geschieht und er den Führungstreffer in Cottbus schon in der 32. Minute erzielt. 😉

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