„Tradition ist nicht das Anbeten der Asche“ – Wildberg und Jaratz im Gespräch – Teil 1

„Tradition ist nicht das Anbeten der Asche“ . Das Zitat von Thomas Morus greift Michael Wildberg  auf in seinem Vorwort zu „Der Kapitän der Zebras“, den Erinnerungen von Günter Preuß. Während der Fanaktionen nach der Lizenzverweigerung hörte ich das erste Mal von dem Projekt, dieses Buch neu aufzulegen. Ich wollte darüber schreiben und  fragte Michael Wildberg nach dem geplanten Veröffentlichungsdatum. Daraufhin schlug er mir statt einer der üblichen Besprechungen ein Gespräch vor. Der Vorschlag gefiel mir. Wir sprachen also über das Buch, die 64er Vizemeister und  die Bedeutung der viel gerühmten Tradition. Wir kamen auf so viele Dinge zu sprechen, dass ich dieses Gespräch in zwei Teilen veröffentliche. Heute geht es vor allem um das Buch und die Zebras der ersten Bundesligasaison, morgen steht die Tradition im Mittelpunkt.

Kees Jaratz: Nachdem die DFL dem MSV Duisburg die Lizenz für die 2. Liga verweigert hatte, kamen neben den Fans des MSV Duisburg auch ehemalige Spieler der Zebras zum Stadion. Als einer der ersten stand der Kapitän der 1960er Jahre Günter Preuß auf dem Stadionvorplatz. Ein Videoclip mit einem Interview mit ihm machte schnell die Runde. Vor Trauer und Sorge um den Verein kämpfte er mit den Tränen. Wäre der MSV Duisburg dahingesiecht, wäre auch ein Teil von Günter Preuß gestorben. Seine Geschichte mit dem MSV Duisburg hatte er bereits in seinem 2002 im Selbstverlag erschienenem Buch „Der Kapitän der Zebras“ geschildert. Lange Zeit war es vergriffen, nun ist es dank der Initiative mehrerer Fans und der Zebraherde e.V. bald wieder erhältlich. Geplant war es sicher nicht, das Buch just in der Zeit neu aufzulegen, in der alte Werte von Vereinstreue und Gemeinschaftlichkeit dazu beigetragen haben, dem MSV Duisburg eine Zukunft zu ermöglichen. Wie kam es zu dem Plan der Neuveröffentlichung und was war dafür notwendig?

 

Michael Wildberg: Der Plan schwelte schon seit zwei Jahren. Von meiner Seite aus und um mal meine Intention zu schildern: Ich hatte mir seinerzeit – kurz nach der Veröffentlichung von „So Lonely“ – vorgenommen, all die alten Helden aufzusuchen und mir ihre Geschichten anzuhören, also Bella, Preuß und so weiter. Mir war es immer suspekt, dass der MSV sich als Traditionsverein ausgab, wir aber im Gegensatz zu anderen Vereinen offenkundig unter einem Mangel an Folklore und Oral History litten, was auch kein Wunder war, der Verein hatte schließlich all jene verjagt, die hätten persönlich Zeugnis ablegen können. Es gab auch keine Literatur oder Filme, die Zeitdokumente waren sehr rar, übrig blieb die gähnende Leere der Geschichtslosigkeit. Ich wollte die Spieler der Vergangenheit aufsuchen, um für mich diese Leere mit Leben zu füllen. Als ich Preuß dann das erste Mal in Meiderich traf, merkte man sehr schnell, dass er persönlich verletzt war aufgrund der Ignoranz, die ihm seitens des Vereins entgegenschlug. Er hatte insgesamt dreißig Jahre für den MSV in unterschiedlichen Funktionen gearbeitet, hatte 1985 in Zeiten höchster Not ein Benefizspiel auf die Beine gestellt, war Kapitän der Vizemeistermannschaft gewesen, zwischendrin Trainer, Manager und Mädchen für alles in Personalunion und war von Kindesbeinen an ein Zebra. Das Ende vom Lied war, dass zu jener Zeit, als ich ihn besuchte, keine 10% der Stadionbesucher was mit seinem Namen anfangen konnten, obwohl er eigentlich – wenn alles glatt gelaufen wäre – unser Franz Beckenbauer hätte sein müssen. Schon bei unserem ersten Treffen gab mir Preuß sein Buch und erzählte mir alle Geschichten daraus, sagte aber, dass das Buch nicht mehr erhältlich sei. Nachdem Preuß dann beim Lese-Talk Anfang 2013  wieder mehr in die MSV-Öffentlichkeit rückte, taten wir uns mit dem Zebraherde e.V. – der mittlerweile auch mit der Idee einer Neuauflage schwanger ging – zusammen und fassten den Plan, seine Erinnerungen neu aufzulegen, um ihm und der damaligen Mannschaft für ihre Erfolge zu danken und gleichzeitig den Fans ein Zeitdokument zugänglich zu machen. Insgesamt haben wir mit sechs bis acht Leuten an die sechs Monate an dem Buch gearbeitet, aber dass die Neuveröffentlichung just in diese verrückte Zeit fällt und er dann mit seinen Tränen eines der vielen Sinnbilder des Lizenzentzugs wurde, ist natürlich ein äußerst gemeiner Treppenwitz des Fußballgottes. Es zeigt aber auch, dass er wieder im Verein angekommen ist. Er konnte stellvertretend für viele andere weinen, weil er wahrgenommen und in seiner Bedeutung für den Verein anerkannt wurde. Das war – bei aller Trauer und allem Mitgefühl in diesem Moment – eine sehr schöne Nachricht.

Kees Jaratz: Nur um „Der Kapitän der Zebras“ noch etwas einzuordnen: Günter Preuß’ Buch ist eine Art verschriftlichte Oral History, erzählte persönliche Geschichte. Es geht um Erinnerungen, um die eigene Wahrheit. In einem einfachen Stil ist es geschrieben. Günter Preuß erzählt seine um den Fußball zentrierten Erlebnisse von den Kindheitstagen kurz nach dem Krieg, vom Straßenfußball rund um den Gerhardsplatz bis hin zu seinem Abschied vom MSV Duisburg als Manager und Trainer im Jahr 1986. Vor allem für die 1960er Jahre deutet er aber auch den Fußball beim MSV Duisburg innerhalb der Geschichte von Oberliga West und Bundesliga. Lass mich auch noch erwähnen, für die Neuausgabe hast du ein Vorwort geschrieben. Du hast es am Stadion während einer der Fan-Aktionen gelesen. Mit dem Vorwort hast du nicht nur Günter Preuß gewürdigt sondern dieser gesamten Mannschaft der ersten Bundesligasaison ein Denkmal gesetzt. Wo wird das Buch denn erhältlich sein und wie teuer wird es?

Michael Wildberg: Dazu muss ich etwas ausholen und erklären, wie die Nummer funktioniert. Vorneweg: Es ist Günter Preuß ausdrücklicher Wunsch, dass der Gesamterlös des Werkes dem MSV Duisburg zur Verfügung gestellt wird, die Ursprungsidee war eine Spende an das Nachwuchsleistungszentrum. Auch keiner der Leute, die an dem Buch gearbeitet haben, wollte nur einen Cent für seine Arbeit sehen. Als wir unseren Plan in die Tat umsetzen wollten, traten die ersten Fragen auf: Kriegen wir einen Verlag, wie viel Erlös könnte erzielt werden, wie soll die Nummer generell ablaufen und so weiter. Das Verlags-Problem war schnell gelöst, da die Herausgabe von Büchern mit dem digitalen „Book-on-demand“-Verfahren mittlerweile ziemlich einfach und zugleich billig geworden ist, sofern man bescheuert genug ist, die ganzen Nebenkriegsschauplätze zu übernehmen, also Layout, Cover, Textkorrektur etc. Dazu braucht man dann eine Menge ehrenamtliches Engagement gepaart mit Fachwissen, aber glücklicherweise wurden diese Schauplätze dann von ein paar Zebras beackert, die verrückt genug waren, sich an dieser Odyssee zu beteiligen. Dr. Sabine Freyling tippte das komplette Manuskript ab, Harald Steffen setzte den Text und Yvonne Dörfer gestaltete das Cover. Bei der Frage, wie wir das Buch dann an den Mann bringen, wird ein Aspekt wichtig: Am meisten Geld macht man, wenn man das Buch selber als Autor oder Herausgeber ankauft und anschließend zum Buchhandelspreis auch selber verkauft. Die Zebraherde erklärte sich dann umgehend bereit, das Geld für eine Auflage von 200 Stück vorzustrecken und das finanzielle Risiko auf sich zu nehmen, gleichzeitig konnten im MSV-Portal Vorbestellungen abgegeben werden. Daraus ergibt sich jetzt folgender Ablauf: In einer ersten Phase werden die 200 vorbestellten Exemplare verteilt, daran anschließend wird das Buch für den Buchhandel und Online-Versandhandel freigeschaltet, so dass man es wie jedes andere Buch auch über den örtlichen Buchhändler oder Amazon beziehen kann. Wann das genau sein wird, weiß ich nicht, aber ich denke, dass wir spätestens im Herbst und auf jeden Fall vor Weihnachten das Buch jedem zugänglich machen werden. Das Hardcover-Buch hat insgesamt 164 Seiten und wird 20 Euro kosten.

Kees Jaratz: Dann werde ich also nochmals gesondert drauf hinweisen. Um aber auf das Werk an sich zurückzukommen: Die Erinnerungen von Günter Preuß sind ja nicht einfach nur ein Zeitdokument. Sie sind ja in Teilen auch ein Gegenbild zu klischierten Bildern über den MSV Duisburg. In diesen Teilen waren die Erinnerungen für mich besonders eindrucksvoll.  Für den MSV der ersten Bundesliga-Saison wurde ja Rudi Gutendorf als Trainer zu einer Art Sinnbild und zwar deshalb, weil sein Spitzname Riegel-Rudi auch die Spielweise des MSV Duisburg damals beschreiben sollte. Es setzte sich das Bild einer defensiv ausgerichteten Duisburger Mannschaft fest. Dabei stellte der Riegel nichts anderes dar als eine frühe Form der Raumverteidigung. Diese Mannschaft besaß eine unglaublich starke Offensive.

Michael Wildberg: Das ist wirklich eine der größten Legenden rund um diese Mannschaft, also dieser deutsche Catenaccio, der dem Team immer unterstellt wird. Das Schlimme ist, dass – wie du sagst – genau das Gegenteil zutrifft. Das Erfolgsrezept war zum einen, dass die Meidericher die ersten offensiven Außenverteidiger ihrer Zeit hatten, die dazu auch noch ausgebildete Stürmer waren und sich – damals gegen jegliche Konvention – mit in die Offensive einschalteten. Das sorgte eine ganze Zeit lang in jedem gegnerischen Strafraum für Chaos und war der Vorläufer des Fußballs, der heute so viele moderne Mannschaften stark macht. Sobald einer der Außenverteidiger mit nach vorne ging, verschob sich dann das defensive Gefüge so, dass die Position auf den Außen wieder besetzt war, erst ein paar Jahre später sollte Rinus Michels dieses Verschieben im „total voetbal“ mit dem gesamten Team perfektionieren. So abwegig es klingt: Der Fußball der Duisburger damals war revolutionär. Dazu kam, dass man mit „Eia“ Krämer das größte Talent seiner Zeit auf dem Feld stehen hatte, dazu Helmut Rahn, den Helden von Bern, und mit Manglitz und Heidemann kommende Nationalspieler, da steckte eine Menge Talent im Kader. Ein weiterer großer Vorteil: Die Truppe war ein homogener Haufen, der sich größtenteils von Kindesbeinen an kannte, drei der Spieler wuchsen zum Beispiel auf derselben Straße auf und hatten schon als Kinder auf den Bolzplätzen und Kopfsteinpflastern Meiderichs miteinander gekickt.

Kees Jaratz: Aus Meiderich kamen zwar die meisten Spieler dieser ersten Bundesligasaison, dennoch gab es auch damals schon die Suche nach Verstärkung außerhalb der Stadtgrenzen. Manfred Manglitz und Heinz Höher von Bayer 04 Leverkusen wurden verpflichtet. Der Heinz Höher, der gerade sein mediales Comeback durch Ronald Rengs Buch „Spieltage“ feiert.

Michael Wildberg: Und Helmut Rahn, der vielleicht berühmteste deutsche Spieler zu  dieser Zeit. Wobei ich die „Zugezogenen“ nicht betonen würde. Das Alleinstellungsmerkmal dieser Mannschaft, etwas, was sie von allen anderen Teams unterschied, war die Tatsache, dass dort neun Meidericher auf dem Feld standen. Rudi Gutendorf, der ja ziemlich weit rumgekommen ist, hat so etwas nie wieder auf der Welt gesehen, selbst Athletic Bilbao hat mit dem Baskenland ein größeres Einzugsgebiet. Nirgendwo auf der Welt gab es eine Mannschaft, deren Spieler auf so engem Raum miteinander groß geworden waren und die gleichzeitig derart erfolgreich zu Werke ging.

Kees Jaratz: Wenn du diesen Erfolg der Vergangenheit ins Feld führst: Was drückt sich für dich in dieser Betonung der Tradition des Vereins aus? Stichwort Gegenmodell in der Fußballindustrie? Mal provokant gefragt: Ist die Betonung von Tradition nicht längst schon ein vom Unterhaltungsbetrieb gern genommener Werbeclaim, um die Kundenbindung zu erhöhen? Wo gibt es Trennschärfe zwischen dem, was wir Anhänger uns ersehnen und dem, was die Fußballunternehmen als leere Hülle anbieten?

Die Fortsetzung folgt morgen …

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6 Antworten to “„Tradition ist nicht das Anbeten der Asche“ – Wildberg und Jaratz im Gespräch – Teil 1”


  1. 1 Rene S 8. August 2013 um 10:35

    Jedes mal wenn ich das Video mit Günter Preuß sehe kommen mir die Tränen, wenn er anfängt zu weinen 😉

    Like


  1. 1 #Link11: Goethes Lob, Dopingdiskussionen und die Geldsorgen eines Mäzens | Fokus Fussball Trackback zu 8. August 2013 um 10:27
  2. 2 “Tradition ist nicht das Anbeten der Asche” – Wildberg und Jaratz im Gespräch – Teil 2 | Fakten und Gerüchte aus dem Stadionbus Trackback zu 9. August 2013 um 07:29
  3. 3 Der Kapitän der Zebras von Günter Preuß – Noch Subskription der Neuauflage möglich | Fakten und Gerüchte aus dem Stadionbus Trackback zu 13. August 2013 um 06:51
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