Ruhrpott! Ruhrpott! Ruhrpott! – Identität?

Andreas Rossmann schreibt für die Frankfurter Allgemeine Zeitung über das Ruhrgebiet und hat im Herbst 2012 eine Sammlung seiner Reportagen als Buch herausgebracht. „Der Rauch verbindet die Städte nicht mehr“, heißt es, und mit einem Klick weiter finden sich bei youtube mehrere Clips einer Lesung dieses Buchs.

Mit dem Buch rückte er in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit und wurde vorübergehend zum gefragten Pott-Experten, der in Interviews, hier bei Labkultur, etwa auch zur Identität der Region Stellung nahm. Zwei Dinge brachte er dabei zusammen, die mich ebenfalls umtreiben. Zum einen ist das der Fußball als Teil einer möglichen Ruhrgebietsidentität. Auch für die „111 Fußballorte im Ruhrgebiet, die man gesehen haben muss“ war das ja mein grundlegender Gedanke, Geschichten zum Fußball auch über Orte außerhalb der eigentliche Sportstätten zu erzählen, Geschichten, mit denen die Bedeutung des Fußballs im Alltag des Potts erfahrbar wird.

Für mich als kölschen Ruhrstädtler oder Pott-Kölner, wie man´s eben nimmt, entspricht salopp gesagt, der Fußball des Ruhrgebiets dem Karneval Kölns. Und daran ändern auch Fanfeindschaften und gern ausgelebter Vereinshass nichts. Wer sich in die Historie des Karnevals begibt, wird in etwas ferneren Zeiten Rivalitäten und Abneigungen zwischen den Traditionscorps finden, die ihm vom Fußball her bekannt vorkommen.

Manchmal ist diese besondere Bedeutung des Fußballs im Pott beim öffentlichen Erzählen auch erkennbar. Dieses öffentliche Erzählen über den Fußball ist allerdings erst selten mit jenem heimatlichen Ton verbunden, wie es ihn in Köln beim Erzählen über Karneval gibt. Dennoch gab es ja die Jahre 1997/98, als auch wir in Duisburg im Zuge der Pokalspielsiege uns von diesem Gemeinschaftsgefühl haben anstecken lassen. An diese Saison erinnerte sich auch Andreas Rossmann:

Einmal beschreiben Sie  anlässlich der „Ruhrpott, Ruhrpott“-Rufe von S04- und BVB-Anhängern 1997  Ansätze eines Wir-Gefühls  leider wieder nur beim Fußball, dem offenbar einzig verbindenden und Massen mobilisierenden Kultur-Ereignis.

Das schien mir damals, vielleicht stellt es sich heutiger Sicht anders dar, fast so etwas wie eine „Urszene“, als S04 und BVB 09 im gleichen Jahr den Europapokal – der Pokalsieger und der Landesmeister – gewannen und „Ruhrpott, Ruhrpott“ zum Schlachtruf wurde. Die Region wurde sichtbar(er), in der „Gazzetta dello sport“ wurde „Lo Schalke“ immer mit einem Pfeil zwischen „Colonia“ und „Amburgo“ verortet. Immerhin ein reales Gefühl und keine Kopfgeburt. Die Frage ist doch: Wie geht das weiter, was folgt daraus?

Die Antwort auf diese Frage wird immer wieder mit dem Überbau Kultur versucht.

Ist Politik möglicherweise falsch organisiert? Wie kann Straßenbau und Klima noch getrennt gedacht werden oder wie Stadtpolitik, Stadtplanung und Kultur?

Dass die Kultur die Identität der Städte ausmacht und in ihre Mitte gehört, ist in der Tat eine Wahrheit, die sich im Ruhrgebiet noch nicht so gründlich durchgesetzt hat wie in Städten mit bürgerlichen oder aus feudalen Strukturen gewachsenen Kunsttraditionen. Andererseits: Es gab im Ruhrgebiet Oberbürgermeister, die die ersten Kulturpolitiker ihrer Städte waren, denken Sie nur an Josef Krings in Duisburg.

Nun versteht es sich von selbst, solch eine Kultur darf nicht nur ein Konsumangebot der Sparte Hochkultur sein. Kultur, die identitätsstiftend wirken soll, muss an der Basis lebendig sein. Von dort her muss  ein Austausch mit den etablierten Kulturformen dieses Stadtraums Ruhrgebiet gelingen.

Mich treibt der Eindruck um, im Ruhrgebiet gibt es eine lebendige, sehr engagierte kulturelle Basis, die aber zu oft unvermittelt neben den subventionierten etablierten Kulturprojekten, das gewollte Mittel zum identitätsstiftenden Zweck, stehen gelassen wird. Es fehlen mir starke Stimmen im Ruhrgebiet, die Kultur auf allen Ebenen zusammengehörig erzählen und in die Öffentlichkeit bringen. Deshalb wirkt es häufig so, dass die Kultur dem Ruhrgebiet nur sinnstiftend übergepropft wird. Als Mittel zum Zweck aber wirkt sie nicht mehr sinnstiftend für die Allgemeinheit.

Im Kleinen, so meine ich, gelingt dieses gemeinsame Erzählen von allen Ebenen der Kultur übrigens in Duisburg-Ruhrort. Wahrscheinlich gibt es andere Orte im Ruhrgebiet, wo so etwas ebenfalls funktioniert. Hinweise sammel ich gerne. In Ruhrort funktioniert es, weil Menschen ihre Vorstellungen vom Stadtteil als lebenswerten Ort durch ein vielfältiges  Kulturangebot auf allen Ebenen erreichen wollen. Das bedeutet gleichzeitig, dass über Kultur nicht nur als Angebots für ein konsumierendes Publikum nachgedacht wird, sondern sie immer wieder in Gesprächen, bei Zusammentreffen als Teil des alltäglichen Daseins erlebbar wird. So fühlen sich Menschen angesprochen über eine engagierte Kulturszene hinaus. Erst dann wird Kultur tatsächlich zum identitätsstiftenden Moment eines Gemeinwesens.

Ob so etwas jemals für das gesamte Ruhrgebiet gelingen kann? Und wozu ist das überhaupt nötig? Ich denke nämlich, die These von Frank Rossmann stimmt nicht, im Ruhrgebiet zerfasere die Identität. Auch der „Rauch“ früher war ja keine übergreifende Institution, die etwas verbunden hat. Und so etwas wie den „Rauch“ als gemeinsame Erfahrung besitzt das Ruhrgebiet weiterhin,  wenn auch als Bezug auf die gemeinsame Geschichte, die nicht einfach vergeht. Man muss sich diesen Begriff Identität also genauer anschauen. Ich habe den Eindruck, es gibt diese Pott-Identität bei allem Beharren auf die „Stadtteil“-Zugehörigkeit besonders in den jüngeren Generationen längst.

Es gibt einen Pott-Stolz, der allerdings kaum als Quelle politischen Handelns wirksam wird und das ist das Entscheidende. Wir müssen gar nicht so sehr um die Identiät der Region ringen. Letztlich geht es weniger um ideelle Fragen als um Institutionen und Strukturen. Die Hemmnisse dazu sind aber nicht nur im Ruhrgebiet zu finden. Auf Landesebene ständen Institutionen vor Machtverlusten, Finanzfragen hängen daran. Die alten Sorgen vor einem zu starken Ruhrgebiet sind weiter groß.  Deshalb gerät die Pott-Identät häufig zur Folklore. Was nichts daran ändert, dass Menschen dieser Region ein Gefühl der Zusammengehörigkeit besitzen – auch wenn das, sobald es ums Geld geht, gerne bezweifelt wird.

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