Seit sieben Jahren schreibe ich hier in diesen Räumen über den MSV Duisburg. In dieser Vergangenheit wollte ich mich nie nur auf das sportliche Ereignis Fußballspiel beschränken. Vielleicht fiel mir nach einem Spiel der Zebras nichts Originelles ein. Vielleicht sah ich nach einem Spieltag nicht sofort eine Verbindung meines Erlebens dieses einen Spiels zum richtigen Leben. Immer aber ging es mir beim Schreiben um mehr als den Sport. Mir ging es um schöne Worte, um überraschende Deutungen, um interessante Perspektiven auf diesen Fußball des MSV Duisburg. Dieser Fußball war mir immer auch Medium für ein literarisch inspiriertes Schreiben. Der 2:0-Auswärtssieg der Zebras bei der SG Dynamo Dresden macht damit für diese Saison zunächst ein Ende.
Denn all dieses Schreiben in den letzten sieben Jahren wurde durch einen MSV Duisburg bestimmt, der seine Saisonziele nicht oder nur mit Mühe erreichte. Es ging also darum, der Enttäuschung im Sport wenigstens etwas in einem anderen Zusammenhang abzugewinnen. Worte schafften mir Freude, die ich mit dem MSV alleine nicht hatte. Wie oft wollte ich Hoffnungen so lange wie möglich erhalten. Nach dem Auswärtssieg des MSV Duisburg gehört für mich zum ersten Mal in dieser ganzen Zeit ein Spiel des MSV Duisburg alleine dem Sport. Dieses Spiel trägt nichts anderes in sich als das immer klarer erkennbare Ziel des Aufstiegs.
Der Fußball des MSV Duisburg steht für sich selbst. Der Sieg lässt jubeln und schafft eine Freude, die ausgekostet werden will. Worte lenken mich davon nur ab. Es gibt nichts zu deuten. Wenn überhaupt, ist nur zu erzählen von einem unfassbar lauten Stadion, in dem der MSV Duisburg sich im Spiel gegen die SG Dynamo Dresden behaupten musste. In dieser Dredner Stadionatmosphäre ist alles möglich. Was peitscht dieses Publikum die eigene Mannschaft fast das gesamte Spiel über in die Offensive. Dieses Publikum macht ein Höllenspektakel und lässt keine Gelegenheit aus, in jeder erdenklichen Weise auf das Spiel Einfluss zu nehmen. Jeder Sturz eigener Spieler in Gegnernähe entfacht eine Empörung, die in anderen Stadien nach Tätlichkeiten und Schienbeinbruchgrätschen zu erleben ist. Jeder Schiedsrichterpfiff gegen die eigene Mannschaft angesichts einer drohenden Niederlage lässt dieses Publikum in Tobsucht verfallen. In diesem Stadion schützt von Anpfiff an ein Ordner mit Regenschirm den Gästespieler bei Eckstößen. Wie später, in der zweiten Halbzeit, erkennbar wird, ist das ein doch putziger Versuch, das Sperrfeuer von Getränkebechern, Feuerzeugen und diversen Flüssigkeiten abzuhalten. Als die Wut auf den Rängen nach einer Eckballentscheidung zur Raserei wurde, zog Zlatko Janjic es jedenfalls vor, erst einmal diesen Spielfeldbereich an der Ecke wieder zu verlassen. Der Linienrichter blieb und wird das ein oder andere abbekommen haben.
Von dieser Wut war in der ersten Halbzeit noch nichts zu sehen. Zu gut spielte Dynamo, zu groß war die Hoffnung auf Erfolg. Aus dem sicheren Ballbesitz heraus wollte der MSV die Lücken in der Dynamo-Defensive finden. Kontrolliert beginnen, das war anscheinend der Plan, um dieses Spiel zu gewinnen. Doch aus dem Versuch der Spielkontrolle wurde allmählich große Vorsicht, als Dynamo immer mehr Laufarbeit in das Spiel investierte. Die Spieler Dynamos hetzten den zweiten Bällen hinterher. Es erwies sich in der ersten Halbzeit als Schwäche des MSV, den eroberten Ball nicht sicher in den eigenen Reihen halten zu können. Augenblicklich wurde er wieder verloren. Statt Ballkontrolle waren hilflose weite Bälle ins Nichts oder zum Gegner zu sehen. Hauptsache, der Ball war weg aus der eigenen Hälfte. Vielleicht hatten zwei Fehlpässe von Enis Hajri bei Vorwärtsbewegung den Dresdnern Rückenwind gegeben? Vielleicht ließ eine sehr frühe gelbe Karte Martin Dausch etwas zurückhaltender spielen? Immer weniger gelang. Immer mehr kurze Pässe wurden ebenfalls unpräziser. Immer schneller eroberten die Dresdner den Ball zurück.
Nur in den ersten zwanzig Minuten war ein ausgeglichenes Spiel zu sehen gewesen. Eine vage Kopfballchance durch Zlatko Janjic hatte es gegeben. Doch etwa ab der 20. Minute erspielte sich Dynamo eine leichte Überlegenheit. Die Spieler des MSV begannen, den Dresdner Pässen nur noch hinterher zu rennen. Fast immer kamen sie nun einen Schritt zu spät. Spätestens als fünf, sechs Spieler des MSV um die Ball führenden Dresdner herum für einen kurzen Moment das Spielen komplett einstellten, nachdem sie schon vier-, fünfmal diesen einen Schritt zu spät gekommen waren, spätestens von da an war mir sehr mulmig. Die Dresdner hatten dieses kurze Einfrieren der Zebras aber nicht bemerkt und schlossen überhastet ab. Auch wenn das Spiel kurz vor der Halbzeitpause etwas mehr zurück ins Gleichgewicht geriet, gab ich mich erst einmal wieder mit der Hoffnung auf ein Unentschieden zufrieden.
Der klare Sieg des MSV lässt vergessen, dass auch die ersten Minuten der zweiten Halbzeit noch nicht zufriedenstellend verliefen. Erneut drangen die Dresdner nach schnellem Umschaltspielt gefährlich in die Hälfte des MSV, ohne dass der letzter Pass in Tornähe gelang. So musste Gino Lettieri seine Pausenansprache verlängern. Für einige Zeit war er damit beschäftigt, seinen Spielern Anweisungen zuzuschreien und mit einigem Nachdruck zu verdeutlichen, was deren Aufgabe auf dem Feld war. Noch war er sichtlich unzufrieden.
Doch allmählich kam die Ballsicherheit der letzten Spiele beim MSV zurück. Mit schnellem Kurzpassspiel wurde die Dresdner Defensive zum ersten Mal auseinander genommen. Martin Dausch scheiterte am Torhüter mit einem Schuss von rechts im Strafraum. Dynamo fand nicht zum schnellen Spiel der ersten Halbzeit zurück. Das Führungstor des MSV kam allerdings überraschend. Kein schneller Spielzug war dafür nötig, sondern Durchsetzungsvermögen. Kevin Wolze flankte von halblinks. Der Ball war lange unterwegs bis an den langen Pfosten, wo Branimir Bajic stand. Für den davor ausgeführten Freistoß war er in den Strafraum gekommen. Bajic köpfte in den Fünfmeterraum. Kingsley Onuegbu, ein Dresdner Spieler und der Ball rutschen über die Torlinie. Ich wagte erst gar nicht zu jubeln, weil die Spieler Dynamos so heftig protestierten. Doch auch der rasende Zorn der Dresdner Fans änderte nichts an der Entscheidung des Schiedsrichters. Von dem Moment an blieb die Stimmung explosiv.
Meine Nerven dagegen beruhigte diese Führung sehr – und vielleicht auch die mancher Spieler. Von nun an wirkte die Defensive noch sicherer, auch wenn Dynamo sich gegen die drohende Niederlage zu stemmen versuchte. Der Raum für Konter war da. Bald folgte ein weiter Ball aus dem Strafraum auf Kingsley Onuegbu an der Mittellinie, der per Kopf in den Lauf von Zlatko Janjic weitergab und sofort steil lief. Er erhielt den Ball zurück und wurde vom Dresdner Torhüter im Strafraum von den Beinen geholt. Elfmeter, gelb-rote Karte und erneut rasender Zorn auf den Rängen hinter dem Tor waren die Folge. Zlatko Janjoc schoss flach in die Mitte, und der MSV führte 2:0. Dynamo gab nicht auf, und es hätte mir gut gefallen, wenn Zlatko Janjic einen weiteren Konter für ein drittes Tor genutzt hätte. Er war frei gespielt worden, der Torhüter war schon geschlagen, doch den technisch etwas anspruchsvoller zu spielenden Ball schoss er am Tor vorbei.
In dieser überhitzten Stadionatmosphäre gab Dynamo Dresden erst mit dem Schlusspfiff auf. Die Spieler rannten und rannten weiter. Sie kämpften, auch wenn der Mannschaft nun gegen den souverän agierenden MSV keine klaren Spielzüge mehr gelangen. Es blieb ein vergebliches Mühen, ein Zeichen für dieses Publikum. Der Auswärtssieg war allmählich gesichert. Zwei Punkte über dem Soll meines Tabellenrechners. Ich muss lange nachdenken, wann ich das letzte Mal jenem Klassiker des Fußballerstatements tatsächlich auch vertraute, das von Ivo Grlic nach dem Spiel der Presse gegenüber erneut zu hören war: „Wir haben es selbst in der Hand.“ Sonst habe ich bei solcher Botschaft von Seiten der sportlich Verantwortlichen vorsichtshalber dennoch auf für den MSV günstige Spielergebnisse der Konkurrenten gehofft. Jetzt kommt mir solch eine Hoffnung als ein lustiger Zeitvertreib vor. Das nehme ich nicht ernst. Tatsächlich denke ich nur, dann sollen sie mal kommen, die Kieler, diese Störche und wer sonst noch so auf dem Spielplan steht.
2 Antworten to “Auswärtssieg Teil 2 – Wir haben es in der eigenen Hand”