Der MSV Duisburg und die Unterhaltungsindustrie

Heute morgen formulieren sich drei verschiedene Texte in meinem Kopf. Mir ist noch nicht klar, ob sich diese drei Texte vereinen lassen. Versuchen wir es, vielleicht gibt es morgen eine Fortsetzung mit eigenem Auftritt für eines der drei Themen. Drei Identitäten in mir haben sich nämlich bemerkbar gemacht, während ich mir die Pressekonferenz zur Vorstellung von Pavel Dotchev und ein paar Reaktionen darauf angesehen habe.

Als MSV-Fan gab mir der Auftritt von Pavel Dotchev leise Hoffnung auf den Klassenerhalt. Weil ich von ihm und Ingo Wald zusammen mit allen, denen der MSV etwas bedeutete, in die Pflicht genommen wurde, nun nach vorne zu sehen, begann ich zu überlegen, ob dennoch eine Anmerkung zu Ivo Grlics einleitenden Worten der Entschuldigung angemessen ist. Denn dieser Versuch der Entschuldigung wirft trotz der auch von mir für nötig gehalten Beruhigung im Umfeld Fragen auf.

In dem Moment machte sich zudem ein unabhängiger Betrachter des Gegenwartsfußballs mit seinen Gedanken in mir bemerkbar, welche Positition der MSV in diesem Sport-Segment der Unterhaltungsindustrie einnimmt.

Und schließlich meldete sich auch noch der Soziologe in mir, der die Pressekonferenz als ein hervorragendes Beispiel für Entschuldigungsrituale dieser Gesellschaft ansah. These: Durch die sozialen Medien erhält die Glaubwürdigkeit der Entschuldigungs-Darstellung eine größere Bedeutung als Aufklärung und Verstehen. Gegenthese: Das war immer schon so.

Schauen wir also zuerst nach vorne. Pavel Dotchev lässt für mich keinen Zweifel daran, dass er die Situation einer Mannschaft im Abstiegskampf kennt. Anders als Gino Lettieri besitzt er damit die Grundqualifikation für seine Arbeit. Er weiß, was angesichts der weniger werdenden Spiele an Einfluss durch ihn möglich ist. Zudem bin ich sicher, die Spieler werden zu ihm mehr Vertrauen entwickeln als zu Gino Lettieri und damit auch auf dem Spielfeld freier im Kopf sein. Mehrmals zeigte sich seine besondere soziale Kompetenz auf der Pressekonferenz. Nicht nur band er in vielen Antworten Beteiligte des Vereins mit ein. Zudem musste er sich als erstes anhören, wie Ivo Grlic gefragt wurde, ob mit Uwe Schubert bis zum Saisonende nicht mehr Zeit für einen Neuaufbau geblieben wäre. Mehr Zeit, das ließ sich so verstehen, es könnte bessere Lösungen als Pavel Dotchev geben. Natürlich hätte jeder neue Trainer zu dieser Frage gute Miene gemacht. Mir geht es darum, wie entspannt Pavel Dotchev im Verlauf der PK die Frage noch einmal erwähnt. Damit lässt er sowohl sein Standing erkennen als auch sein Verständnis für den Journalisten. Gute Voraussetzungen, um die Einheit der Mannschaft zu erreichen. Was den Fußball selbst angeht, müssen wir abwarten. Mit meinem grundsätzlichen Optimismus kitzelt da eine – zugegeben – leicht übertriebene Fantasie. Mir gefiele eine Uwe-Neuhaus-Geschichte für Pavel Dotchev mit dem MSV. Späte Aufstiegserfolge für jemanden, den man bislang fast nur in einer Liga gesehen hat. Und nun: Für alle die nur nach vorne blicken wollen, wir lesen uns später wieder.

Denn Spoiler-Alarm: Ein vorläufig letzter Blick zurück.

Zugespitzt ließe sich über den Auftakt der Pressekonferenz sagen, das Volk der Fans hat die Demutsgeste laut gefordert. Das Volk der Fans hat sie erhalten. Ivo Grlic sagte, er habe einen Fehler gemacht und entschuldigte sich bei den Fans. Lassen wir mal die sprachlichen Feinheiten und die Frage nach der Authentizität beiseite. Wer hier länger liest, wird wissen, dass mir der Gedanke, Ivo Grlic müsse sich entschuldigen, sehr fremd ist. Er hat einen grundlegenden Fehler bei seiner Arbeit gemacht. Die Verpflichtung von Gino Lettieri ist aber nur der sichtbare Teil des Fehlers. Wenn Ivo Grlic sagt, die Verpflichtung sei ein Fehler gewesen, ist das banal. Die Entlassung machte den Fehler deutlich genug. Entscheidend bei der Selbsteinschätzung von Ivo Grlic sind also alleine die Überlegungen, die zur Verpflichtung geführt haben. Ohne Erklärung für Gründe der Verpflichtung können wir nicht einschätzen, ob solche Fehler nicht wieder passieren.

Wahrscheinlich aber kann derart offen in der Öffentlichkeit nicht gesprochen werden. Es wird also schwierig bleiben mit dem Vertrauen in Ivo Grlics Arbeit. Deshalb muss ein Teil des Vertrauens durch Ingo Walds Ausführungen über den geplanten Sportvorstand entstehen. Diese Ausführungen führen tief in eine Strukturdebatte, bei der sich der Verein, also seine Mitglieder, darüber klar werden muss, wo er sich im Unterhaltungsbetrieb Profifußball verortet.

Für Ingo Wald ist die Frage nicht beantwortet, ob ein Vorstand Sport im Verein MSV oder in der KGaA angesiedelt sein soll. Die Entscheidung hat Konsequenzen für die Position des MSV im Unterhaltungsbetrieb. Neulich schon habe ich auf die zwangsläufig sich ergebenden Widersprüche zwischen Vereinskultur und Unternehmenspraxis der Spielbetriebsgesellschaften hingewiesen. Immer wieder kommt es bei den größeren Vereinen zu Konflikten zwischen beiden Ebenen. Das beiden Einheiten gemeinsame Ziel Erfolg verdeckt nur die grundsätzlichen Unterschiede bei den jeweiligen Handlungsgrundlagen. Dabei gilt für mich die Faustregel, je kleiner der Verein und je niederklassiger, desto mehr rücken die Einheiten zusammen und entscheiden gemeinsam.

Momentan lässt sich beim VfB Stuttgart der in der Struktur angelegte Interessenkonflikt zwischen beiden Einheiten in Idealform erkennen. Auf der einen Seite gibt es das Unternehmen Fußball mit seinen Bedürfnissen nach Entscheidungshoheit und schnellen Prozessabläufen, auf der anderen Seite gibt es den Verein des Fußballs mit seinen Bedürfnissen nach Mitbestimmung und Einfluss auf die Fußball-Kultur im weitesten Sinn.

Die Frage nach der Zukunft von Ivo Grlic ist deshalb zugleich die Frage nach der Zukunft des MSV in diesem Profifußball, und zwar nicht, weil sportlicher Erfolg damit verbunden ist. Sehr viel grundsätzlicher geht es um die Zukunft. Es geht um die Bewertung, wieviel unternehmerische Unabhängigkeit ist für die Spielbetriebsgesellschaft realistisch. Dass solche Bewertung wiederum Auswirkungen auf die Vereinskultur und die Arbeit der Ehrenamtler im Vorstand hat, versteht sich von selbst.

Wegen solcher langfristigen Auswirkungen bei der Anstellung eines Vorstands Sport, scheint es mir sinnvoll, die Frage nach der Besetzung momentan zurück zu stellen. Denn ohne den Klassenerhalt wird sie hinfällig. Ich glaube nicht, dass Ingo Wald die Frage aus den Augen verliert.

Falls jemand die PK noch nicht gesehen hat.

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