Vor der WM war mit Klaus Hansen ein alter Bekannter aus der MSV-Welt mit seiner WM-Prognose hier zu Gast. Schon mehrere Male waren in diesen Räumen Beiträge von ihm zu lesen. Der 1948 geborene Sozialwissenschaftler Klaus Hansen besucht seit der ersten Bundesliga-Saison bis heute die Spiele des MSV. Der Fußball ist ihm immer wieder Anlass zu Essays und literarischer Kunst, so auch in dem Fall die Weltmeisterschaft. „Der Scheich tritt auf“ hat er seine „WM-Notizen November / Dezember 2022“ genannt. Dankenswerter Weise hat er sie mir zur Veröffentlichung geschickt. In mehreren Folgen könnt ihr sie nun lesen.
Bitte schön!
5. 12. 22
Beim Umschlagen des Wochenkalenders fällt der Blick auf einen berühmten Satz von Jean-Paul Sartre: „Beim Fußballspiel verkompliziert sich alles durch die Anwesenheit der gegnerischen Mannschaft.“
Zu viele Kopfbälle abbekommen, Meister? Ein beknackter Satz! Mit der Anwesenheit der gegnerischen Mannschaft fängt das Fußballspiel überhaupt erst an. Natürlich nicht aus der Sicht des kleinen Jungen, der für sich und mit dem Garagentor spielt. Aber der spielt ja auch kein Fußball.
Maßgeblich is auf’m Platz?
Gefragt, wo sich das Spiel entscheidet, antworten wir wie selbstverständlich: Auf dem Platz! Einen anderen Ort kennen wir nicht. Bei dieser WM konnten wir lernen, dass es da sehr wohl noch einen anderen Ort gibt: die Kabine. Nach dem kurzfristigen Ausfall seines Weltklasse-Spielers Benzema, verzichtete der französische Trainer darauf, einen Spieler nachzunominieren, was möglich gewesen wäre. Lieber fuhr er mit reduziertem Kader statt mit voller Kapelle zur WM. Beobachter fanden, die Chancen der Franzosen seien damit erheblich gesunken. In Wahrheit waren die Chancen gestiegen. Denn in der Kabine herrschte plötzlich eine andere, positive Stimmung. Benzema galt intern als „schwierig“ und „Stinkstiefel“. Befreit von diesem Kameraden, entstand einer neuer Geist des Zusammenhalts, den der Trainer nicht durch die Nachnominierung eines Ersatzspielers gefährden wollte. – Wer hätte das vorher in dieser Klarheit gedacht: Die Kabine ist ein nicht minder wichtiger Ort als der Platz!
Sinnfragen
Marokkos Spieler, die allermeisten im Ausland geboren und aufgewachsen, sind bereit, „für Marokko zu sterben“, sagen sie. Es ist immer leichter zu sterben, wenn man weiß, wofür. Vom deutschen Spieler Gnabry weiß man nicht, wofür er zu sterben bereit ist. Vielleicht eher für seinen Friseur als für Deutschland? Denn zu jedem seiner drei Spiele trat er mit einer neuen Frisur an. Dann durfte er nach Hause fahren.
9. 12. 22
Der Fußball stellt immer wieder die Verhältnisse auf den Kopf. Der Schwächere (8 Torschüsse, 1 Tor) besiegt den Stärkeren (20 Torschüsse, 1 Tor). Aber nicht im Spiel, sondern im Elfmeterschießen, was ein eigener Wettbewerb ist. Plötzlich wird der einzige Handballer unter den Fußballern, der Torwart, zum Held und sichert das Weiterkommen in einem Sport, der immer noch Fußball heißt. „Fußball ist auch das, was er nicht ist“, hat Giovanni Arpino geschrieben. Die Partie Kroatien gegen Brasilien hat es bewiesen.
Sauberman’s World
Und immer wieder das viele Geld im Profitfußball.
„Geld stinkt!“, rufen besonders gern die Deutschen.
„Aber wenn der Geruch nicht stört?“, fragt die Welt.
10. 12. 22
Ronaldo weint. Neymar weint. Messi lacht. Modric schweigt.
13. 12. 22
Messi lacht noch immer. Jetzt weint auch Modric.
Mama
Wie man hört, leben im Quartier der marokkanischen Mannschaft auch die Mütter der Spieler. Nach dem Weiterkommen gegen Portugal herzten und küssten einige Spieler ihre mit dem Hidschap bekleideten Mamas sogar auf dem Platz. Was für ein Kontrast zu den deutschen Spielern, die sich mit ihren Designer-Freundinnen ablichten ließen, junge Frauen, die sich als Influencerinnen betätigen und Hunderttausende von Followern haben, die sie liken und dissen. Dagegen ist ein Kuss deiner Mama ein Vogelschiss!
14. 12 22
Die Kolonialmacht ist im Finale. Die Kolonie ist nicht weniger stolz. Frankreich will noch Weltmeister werden, Marokko ist es schon. Weltmeister der Herzen. Und noch ein Sieger steht schon fest: Katar: Die Stars beider Final-Teams, Messi und Mbappé, spielen bei Paris St. Germain, dem Club des Emirs.
1 Antwort to “Gastbeitrag: Klaus Hansen mit seinem WM-Tagebuch – IV – Zwischenrunden”