Nachspielzeit-Entscheidungen in Liga 2 und 3 genügend gewürdigt? Die mangelnde Demut vor dem letzten Spieltag der Bundesliga in der lokalen Berichterstattung und bei manchen Dortmunder Institutionen reichlich bestaunt? Magen nach der klassischen Zebra-Achterbahn-Fahrt wieder an der richtigen Stelle? Zeit fürs entspannte Amusement, bei dem es um nichts mehr geht, allenfalls um ein wenig Optimismus. Zeit fürs Schaulaufen mit dem Tabellenrechner.
Ich wiederhole mich: Nie war der Tabellenrechner wirksamer als in dieser Saison. Vor vier Spieltagen war schon alles in trockenen Tüchern. Womöglich hätte ich auch den SV Meppen retten können, wenn ich einen Spieltag früher begonnen hätte. Allerdings kann ich ja nur sportliche Umstände in Betracht ziehen. Solche Randeinflüsse wie wutentbrannte Zwickauer Sponsoren, die einen vollen Bierbecher in der Hand haben und am falschen Platz im Stadion stehen, kann ich auch in Zukunft nicht berücksichtigen.
Dennoch lasst mich etwas ernsthafter hinzufügen. Ich selbst hielt den Tabellenrechner in dieser Saison nicht für nötig. Erst die um sich greifende Abstiegssorge von vielen Anhängern des MSV bewog mich zu seinem Einsatz. Ich wollte beruhigend wirken. Ihr kennt das Prinzip: MSV-Ergebnisse so schlecht wie möglich bei Erreichen des Saisonziels. Die anderen Vereine so gut wie möglich bei Erreichen des MSV-Saisonziels. Nun hat der MSV sieben Punkte mehr als die Prognose vorsieht. Die anderen Vereine bis auf Meppen hielten sich in etwa an die Prognose. Für mich ist das ein weiterer Hinweis auf Entwicklung beim MSV.
Hinter diesen sieben Punkten versteckt sich mit gewisser Wahrscheinlichkeit, dass die Zebras nicht wie in den zwei Jahren zuvor vom Zitterfuß in den erkämpften Klassenerhaltsmund leben mussten. Diese Mannschaft in ihren unterschiedlichen Besetzungen besitzt am Ende der Saison mehr Struktur und Substanz als die Mannschaften nach der Entlassung von Torsten Lieberknecht. Wir dürfen berechtigt darauf hoffen, von einem höheren Niveau aus in die nächste Saison zu starten. Auf dass die Sommerpause schnell vorübergeht.
Vor der Klammer stehen die erreichten Punkte. In der Klammer stehen prognostizierte Platzierung und Punkte am Ende der Saison. Nach der Klammer die Differenz zwischen Ergebnis und Prognose.
Manchmal begegnet einem die Schönheit dieses Lebens in einem unerwarteten Moment. Zur Erfüllung gesellt sich dann unweigerlich das Staunen. So brauchen wir die Menschen um uns herum, um uns zu vergewissern, dass tatsächlich wider aller Erwartungen geschieht, was wir erleben. Wir starren ungläubig auf jedes Geschehen vor uns und egal, wie der Tag endet, unsere Begeisterung und unser Glück kann uns niemand nehmen. Wir leben den Moment und fühlen uns ewig.
All das geschah am Sonntag bei einem Fußballspiel. Die Mannschaft des MSV Duisburg erinnerte uns daran, was diesen Sport in seinem Wesen ausmacht. Sie erinnerte uns allerdings ebenso daran, worauf wir seit gefühlten Ewigkeiten verzichten mussten: die sich gegenseitig befeuernde Einheit des gesamten (!) Stadions – ausschließlich der Gästekurve – mit der Mannschaft auf dem Platz.
Zwei Mannschaften standen sich gegenüber in diesem Spiel und beide Mannschaften setzten alles daran erfolgreich zu sein. Unsere Überraschung über diese schlichte Tatsache, die eigentlich selbstverständlich sein sollte, ist ein erster Hinweis darauf, wie korrumpiert wir diesen Fußball sonst auch oft wahrnehmen. Der zweite noch deutlichere Hinweis sind Reaktionen von enttäuschten Saarbrücker Fans. Sie fassen es nicht, dass eine Mannschaft auch am Ende der Saison nicht verlieren will. Sie empören sich darüber, dass wir Anhänger des MSV uns über dieses Unentschieden einer durch zwei rote Karten dezimierten Mannschaft so freuen, als hätten wir eine Meisterschaft gewonnen oder die Bayern besiegt. Anscheinend sind einige der Saarbrücker Fans ebenso korrumpiert wie Teile des Fußball. Es ginge für den MSV doch um nichts mehr. Wer so einen Satz nur denkt, wird durch keine Enttäuschung entschuldigt. Wer das schreibt, hat niemals den Sport geliebt. Wer so etwas schreibt, kennt den Fußball nur als Geschäft.
Ich spiele seit fast 50 Jahren Basketball und immer noch will ich jedes Spiel, das ich beginne, gewinnen. Und zwar mit aller Macht. Mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln. Das ist leicht zu verstehen, meine ich. Warum sonst sollte ich einen Ball in die Hand nehmen? Dass Saarbrücker Fans dennoch mit Bitterkeit über den Einsatzwillen der Zebras schreiben, erinnert an unser eigenes Misstrauen in anderen Spielen, ob diese Fußballer unten auf dem Rasen tatsächlich alles geben, was sie können. Es erinnert daran, dass diese Sportler ein monatliches Gehalt bekommen wie andere Arbeitnehmer auch. Und es erinnert daran, dass dieses Gehalt die ausgeübte Tätigkeit im Wesen verändert. Der Sinn der Tätigkeit wird ein anderer, wenn man dafür bezahlt wird. Mit dem Geld werden Kosten und Nutzen vergleichbarer.
Diese mit dem Geld verbundenen Einflüsse verschwanden am Sonntag. Zurück blieb der reine Fußball. Die Romantik dieses Sports hatte das Geschäft aus den Räumen geschmissen und feierte eine ausgelassene Party. Lasst uns diese zweite Halbzeit in ihrer Reinheit des Spiels in Erinnerung halten. Bewahrt sie euch. Es war ein seltenes Erleben. Dieses Fußballspiel war besonders. Insofern waren die dummen Fouls von Tobias Fleckstein und Marlon Frey gleichsam Opfer auf dem Altar der Fußballromantik. Seien wir beiden dankbar. Betrachten wir sie als selbstlose Gabe, um uns eine in der jüngsten Vergangenheit seltene Erfahrung zu ermöglichen.
Der MSV hat an jenem Spieltag übrigens den VfL Wolfsburg mit 6:1 besiegt. Zwei Tore erzielte Uwe Spies, der Lieblingsspieler für Fan-Unmut und gnadenlose Pfiffe jener Zeit, wenn es mal in der gesamten Mannschaft nicht gut lief. Drei Tore machte Markus Beierle und eines Slobodan Komljenovic. In der Abschlusstabelle belegte der MSV den 8. Platz.
Bevor ich jetzt völlig nostalgisch werde, muss ich aber nun sofort an das souveräne 3:0 vom Freitag denken. Rein rechnerisch ergibt sich dadurch eine Aufstiegswahrscheinlichkeit in der nächsten Saison von 37,74 Prozent. Einblick in die komplizierte Formel zur Errechnung gebe ich bei der Liveanpassung der Wahrscheinlichkeit am letzten Spieltag in Mannheim.
Und nun auf zur Tabellenrechner-Kür! Nie war der Tabellenrechner wirksamer als in dieser Saison. Womöglich wird mir sogar der SV Meppen am Ende auf ewig dankbar sein.
Vor der Klammer stehen die aktuell erreichten Punkte. In der Klammer stehen prognostizierte Platzierung und Punkte am Ende der Saison. Hinter der Klammer steht jene Punktezahl, die bislang von meiner Prognose abweicht und die mit der weiteren Prognose sich dann ergebende Platzierung.Das Spiel von Zwickau gegen Essen ist nach dem DFB-Urteil nun mitberechnet.
11. MSV Duisburg 45 (16. mit 39 P) +6; 14. mit 45
12. Erzgebirge Aue 43 (13. mit 44 P) +2; 13. mit 46
13. Borussia Dortmund II 41 (11. mit 45 P) +3; 12. mit 48
14. FC Ingolstadt 41 (12. mit 44) +2; 12. mit 46
15. Rot-Weiss Essen 40 (14. mit 42 P) +1; 15. mit 43
16. Hallescher FC 38 (15. mit 41 P) -1 ; 16. mit 40
17. SV Meppen 33 (20. mit 25 P) +8; 18. mit 33
18. VfB Oldenburg 32 (17. mit 35 P) +/- 0; 17. mit 35
19. FSV Zwickau 31 (19. mit 31 P) +2; 19. mit 33
20.SpVgg Bayreuth 31 (18. mit 34 P) – 1; 20. mit 33
Das ging in diese Saison so schnell wie in keinem Jahr zuvor. Zwei Spieltage plus Nachholspiel und schon hat der Tabellenrechner seinen Dienst getan.
Die fußballsprichwörtliche „rechnerische Möglichkeit“ eines Abstiegs ignoriere ich guten Gewissens. Ist dieser Möglichkeit eigentlich jemals eine Verwandlung in Wirklichkeit gefolgt? Fußballhistoriker helft!
Dass der Tabellenrechner so schnell wirkte, mag daran liegen, dass mein Grundgefühl die ganze Saison über vielleicht doch mehr der Wirklichkeit entsprach als die um sich greifende Abstiegssorge. Das „Gesicherte-Mittelfeld-Gefühl“ entsprach dem Kräfteverhältnis, das beim 4:0-Sieg gegen Bayreuth zu sehen war.
Eigentlich beschäftigt mich schon seit ein paar Wochen mehr die Frage, wie aus meinem momentanen Gefühl das eines Aufstiegsanwärters werden soll. Trotz der sichtbaren Entwicklung der Mannschaft spüre ich in dieser Hinsicht noch nichts. Mal schauen, ob die Sommerpause daran was ändert. Und nun der entspannt zufriedene Blick auf die Vergleichszahlen im Wissen, dass jeder weitere Spieltagsblick nur noch ein lustiger Zeitvertreib wird.
Vor der Klammer stehen die aktuell erreichten Punkte. In der Klammer stehen prognostizierte Platzierung und Punkte am Ende der Saison. Hinter der Klammer steht jene Punktezahl, die bislang von meiner Prognose abweicht und die mit der weiteren Prognose sich dann ergebende Platzierung.Das Spiel von Zwickau gegen Essen ist ohne das DFB-Urteil noch nicht mitberechnet.
11. Erzgebirge Aue 43 (13. mit 44 P) +3; 11. mit 47
12. MSV Duisburg 42 (16. mit 39 P) +4; 14. mit 43
13. FC Ingolstadt 41 (12. mit 44) +2; 13. mit 46
14. Borussia Dortmund II 40 (11. mit 45 P) +1; 12. mit 46
15. Rot-Weiss Essen 37 (14. mit 42 P) +/- 0; 15. mit 42
16. Hallescher FC 35 (15. mit 41 P) -1 ; 16. mit 40
17. VfB Oldenburg 32 (17. mit 35 P) +/- 0; 17. mit 35
18. SpVgg Bayreuth 31 (18. mit 34 P) – 1; 18. mit 33
Auf Auswärtstouren erlebe ich immer wieder Überraschungen. So kann ich seit gestern ein neues Zitat aufnehmen in meiner Reihe „Schriftsteller, die Fußball lieben“.
Denn Bayreuths bester Nebendarsteller Jean Paul findet schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu abschließenden Erkenntnissen nach einer langen Fußballfunktionärskarriere. Viele Gespräche mit Fans brachten ihn zu der Überzeugung.
Das Zitat las ich übrigens in dem empfehlenswerten Manns Bräu in der Friedrichstraße. Falls jemand länger in Franken bleibt.
Meine Tabellenrechnertherapie gegen Abstiegsangst wirkt in diesem Jahr besonders schnell, weil die Ergebnisse gegen die beiden erstplatzierten Vereine der Tabelle am Anfang der Therapie standen. Es konnte auf jeden Fall besser werden als die beiden eingerechneten Niederlagen. Zwei Unentschieden stehen zu Buche. Schon sind es zwei Punkte mehr als in meiner Rechnung nötig.
Allerdings berichteten mir mehrere Leserinnen und Leser des Zebrastreifenblogs schon beim Spiel gegen Wiesbaden von heftigen Nebenwirkungen meiner Abstiegsangsttherapie. Das war neu für mich. Jahrelang konnte ich mich als gottesgleicher Herr der Tabellenentwicklung einem einzigen Ziel meiner Arbeit widmen. Es ging nur um das Erreichen des Saisonziels. Nun sammel ich diese Berichte von heftigen Ausbrüchen der Derbyrivalenunterlegenheitsdepression. Zwar verhindert meine Tabellenrechnung den Abstieg locker, doch am Ende steht RWE vor dem MSV. Das hat bei manchen Folgen.
Ich habe die veränderten Bedingungen in der 3. Liga nicht genug berücksichtigt. Das saisonbedingte Vorkommen von RWE verlangt nach einer Anpassung meiner Angsttherapie. Ich werde sie also weiterentwickeln und hoffe, dass die Nebenwirkungen in diesem Jahre von anderen medizinischen Abteilungen gelindert werden können. Auch die Mannschaft kann in Bayreuth mit dafür sorgen, die unangenehmen Nebenwirkungen der diesjährigen Tabellenrechner-Therapie bald völlig zu beseitigen. Nun zum Stand der Dinge.
Vor der Klammer stehen die aktuell erreichten Punkte. In der Klammer stehen prognostizierte Platzierung und Punkte am Ende der Saison. Hinter der Klammer steht jene Punktezahl, die bislang von meiner Prognose abweicht und die mit der weiteren Prognose sich dann ergebende Platzierung.Das Spiel von Zwickau gegen Essen ist ohne das DFB-Urteil noch nicht mitberechnet.
11. Erzgebirge Aue 42 (13. mit 44 P) +3; 11. mit 47
12. MSV Duisburg 39 (16. mit 39 P) +2; 15. mit 41
13. FC Ingolstadt 38 (12. mit 44) +/- 0; 13. mit 44
14. Borussia Dortmund II 37 (11. mit 45 P) -1; 12. mit 44
15. Rot-Weiss Essen 36 (14. mit 42 P) +/- 0; 14. mit 42
16. Hallescher FC 35 (15. mit 41 P) -1 ; 16. mit 40
17. VfB Oldenburg 31 (17. mit 35 P) +/- 0; 17. mit 35
18. SpVgg Bayreuth 31 (18. mit 34 P) +/– 0; 18. mit 34
19. FSV Zwickau 28 (19. mit 31 P) +/-0; 19. mit 31
Trotz Ergebniskrise beim MSV in den letzten Spielen hätte ich in dieser Saison eigentlich nicht zum Tabellenrechner gegriffen. Ich denke nämlich, die Mannschaft braucht diese Form meiner Unterstützung in dieser Saison nicht. An Abstieg denke ich nicht. Langjährige Leser des Zebrastreifenblogs kennen meine gottgleichen Versuche, die Wirklichkeit von Saisonzielen herbeizurechnen. Ich darf unbescheiden sagen, nur in Ausnahmefällen schwand auf mir unerklärbare Weise meine Allmacht. Wüsste ich die Gründe, besäße der MSV in dieser Saison nach langen Jahren wieder eine Chance zum Bundesligaaufstieg.
Stattdessen Alltag in der 3. Liga, und die Pessimisten unter uns Anhängern sprechen nach den letzten Wochen über Abstiegsgefahr. Wahrscheinlich wisst ihr, ich gehöre, was den MSV betrifft, zu den Optimisten. Deshalb beunruhigt mich die Oberfläche des Geschehenes in der 3. Liga nicht. Schon die ganze Saison bin ich im Zuschauergefühl „Gesichertes Mittelfeld“ unterwegs. Ich bin damit vielleicht nicht alleine, doch wenn ich mit Freunden spreche oder im Netz rumlese, nimmt die Nervosität bei vielen doch zu. Besorgte Stimmen höre und lese ich Woche für Woche immer mehr. Abhilfe schafft in solchen Fällen nur der Tabellenrechner.
Ihr kennt das: Der Einfachheit halber prognostiziere ich nur 1:0-Siege oder torlose Unentschieden. Außerdem wähle ich die Ergebnisse des MSV so schlecht wie möglich und so gut wie nötig, um in dem Fall den Abstieg zu verhindern. Entsprechend umgekehrt mache ich es bei den Konkurrenten im unteren Tabellendrittel. Die gewinnen im Zweifel oder spielen Unentschieden, so oft es geht.
Das Nachholspiel des MSV gegen Elversberg habe ich selbstverständlich als Niederlage eingerechnet, getreu meinem ewigen Tabellenrechnergesetz „Schlimmer geht immer“. Die weitere Prognosewahrheit bringt es mit sich, dass der MSV nur noch zwei Unentschieden erzielt – gegen Bayreuth und gegen Aue – und dennoch bleibt der Abstieg fern. Denn der zweite Teil dieses ewigen Tabellenrechnergesetztes lautet, „für den MSV geht es gut aus.“ In dieser Saison vor allem eine Botschaft für die Pessimisten.
Abendstimmung Ruhrgebiet. Leben hinterm Kiosk. Meiderich. Nur der MSV! Es wird. Symbolfoto–
Außerdem in dieser Woche eine der beliebtesten Rubriken im Zebrastreifenblog: Tabellenrechnerzeit zur Beruhigung für die Hardcore-Pessimisten und meine Lieblingsfrage diese Woche: Wer kennt noch Kölken?
Ihr seht, mich interessieren an der Causa MSV und Schauinsland Reisen, vertreten durch Andreas Rüttgers, keine Details, über die geredet wird – also all das, was uns Anhänger des MSV sonst im Erleben einer Saison Sorgen oder Freude macht, worüber man sich aufregt. Im Podcast geht es an der Oberfläche um die Ankündigung von Schauinsland Reisen, sich als Sponsor zurückzuziehen. Was mit der Stundung der Kredite geschieht, ist daneben nicht ganz so klar kommuniziert. Worauf ich noch zu sprechen komme.
Immer wieder geht es um einzelnes Handeln, sei es vom MSV in kritikwürdiger oder lobenswerter Weise aus Sicht von Andreas Rüttgers, sei es von Andreas Rüttgers selbst, der sich von Nils Halberscheidt mit Vorwürfen aus der Anhängerschaft konfrontiert sieht und sich rechtfertigt. Solche Details, wer was und wie auf welche Weise in der Vergangenheit genacht hat, führen zu keinem konstruktiven Sprechen, wenn man aus der Vergangenheit etwas lernen möchte. Und nur das interessiert mich heute. Daneben vielleicht noch, warum ich mir die Zusammenarbeit mit Andreas Rüttgers sehr schwierig vorstelle.
Fragt mal Paartherapeuten, wie es aus ihren Klienten ersteinmal herausflutet, was der jeweils andere wieder nicht oder unfassbarer Weise doch getan hat, obwohl er oder sie genau wissen, dass man sich darüber so ärgert. So ein Sprechen führt zu nichts, wenn nicht über Strukturen geredet wird. So klärt der Podcast letztlich keine Fragen der Verantwortung. Alle Kritiker der MSV-Verantwortlichen werden sich ebenso bestätigt fühlen wie alle Kritiker von Andreas Rüttgers.
Im Podcast beharrt Andreas Rüttgers sehr darauf, dass er immer als Sponsor-Vertreter aufgetreten ist. Wenn man sich anhört, welche Nähe es zum täglichen Handeln beim MSV nach dem Zwangsabstieg bis zur Entlassung von Ivo Grlic gegeben haben muss, mag das im Selbstverständnis so gewesen sein. Wer aber für den MSV und seine finanziellen Angelegenheiten spricht, wer gegenüber Spielern auf Bitte von Ivo über Vereinswerte spricht, der bleibt nicht Sponsor-Vertreter. Nicht in der Außenwirkung und auch das eigene Rollenverständnis erweitert sich. Mit diesem blinden Fleck lebt Andreas Rüttgers offensichtlich von Beginn an seines Engagements für den MSV.
Schon 2014 hatte ich mir das erste Mal über diesen blinden Fleck von Andreas Rüttgers Gedanken gemacht. Schon damals ging es um öffentliches Nachdenken im MSVPortal über den Rückzug von Schauinsland Reisen. Schon damals deutete sich an, dass er sich nicht darüber im klaren ist, wie sich in seiner Person unterschiedliche Haltungen, letztlich Rollen zum MSV und der Öffentlichkeit vermischen.
Dieses unklare Rollenverständnis wird zu einem mehr als persönlichen Problem von Andreas Rüttgers bei Unstimmigkeiten mit dem Gegenüber. Wie in einer Paarbeziehung sind diese Unstimmigkeiten dann nur ein Symptom für die darunter liegenden grundsätzlichen destruktiven Anteile dieser Beziehung. Dieses destruktive Potential aber wirkte immer schon. Nun wird es nur offenbar. Das heißt nicht, das Gegenüber, der MSV, hat alles richtig gemacht. Auf inhaltlicher Ebene lassen sich Kritikpunkte von Andreas Rüttgers nachvollziehen. Nur durch sein unklares Rollenverständnis hat er die Arbeit der Verantwortlichen beim MSV erschwert. Darum geht es mir heute.
Ich hoffte immer, dass das Selbstverständnis von Andreas Rüttgers beim MSV ohne direkten Einfluss auf das operative Geschäft zu bleiben, nicht einmal zum Problem werden kann. Denn mit etwas Abstand betrachtet, gab es diesen Einfluss. Das Sprechen darüber ist kompliziert, weil dieser Einfluss indirekt und unaufhebbar war bei gleichzeitigem Leugnen. Es gilt aber die alte Einsicht, man kann nicht nicht kommunizieren. Er selbst berichtet von seiner Präsenz in Geschäftsräumen, in den VIP-Räumen, auf dem Trainingsgelände. Da ist also jemand immerzu mit Meinungen da. Auch das berichtet er, man sei im Austausch gewesen. Andreas Rüttgers ist aber das Scharnier zu dem Unternehmen, dank dessen der MSV überlebte. Diese Rolle bringt Macht mit sich. Diese Rolle lässt sich nicht abstreifen. Und nun stellen wir uns vor, der Mann äußert Meinungen. Diese Meinungen wirken durch seine Rolle. Egal, ob Entscheidungen direkt beeinflusst werden oder nicht. Diese Meinungen sind im Hinterkopf von Verantwortlichen. Diese Meinungen hemmen oder beflügeln – je nachdem. Dennoch kann Andreas Rüttgers selbstverständlich sagen, er nimmt keinen Einfluss. Für die Oberfläche des Geschehens spricht er die Wahrheit. Deshalb ist dieser Podcast so interessant für Soziologen, Sozialpsychologen und Kommunikationswissenschaftler. Wirklichkeitskonstruktion offenbart sich hier.
Für den Psychologen wäre die Frage interessant, welche Eigenschaften des beruflichen Erfolgs verhindern den konstruktiven Blick auf diesen blinden Fleck. Einmal mehr wirkt es auf mich so, dass die Eigenschaften für den beruflichen Erfolg zugleich jene sind, die auf einem anderen sozialen Feld zur Hybris werden. Auf den ersten Blick fällt mir Unbeirrtheit auf, um den Weg nach oben zu schaffen. Da wird es mehr geben. Wenn Andreas Rüttgers seine Erfahrungen mit Gerald Kassner auf dem gemeinsamen Weg von einem Reisebüro in Hamborn hin zu einem großen Touristikunternehmen auf den MSV übertragen möchte, unterschätzt er den Anspruch von Anhängern des Fußballs an ihren Verein. Er spricht immer davon, bei den Anhängern ein Meinungsbild einholen zu wollen. Doch erreicht er in den sozialen Medien doch nur einen kleinen Ausschnitt dieser Anhängerwelt. Eines ist mir jedenfalls offensichtlich. Da brauche ich keine Gespräche, da blicke ich nur auf die Zuschauerzahlen. Den meisten Anhängern geht es um mehr als Identität und Nachhaltigkeit – all das, was in dem ominösen Konzept eine Rolle spielen soll. Am Ende geht es den meisten Zuschauern vom MSV um einen Erfolg, der zu den eigenen Vorstellung vom MSV passt.
So hätte es viel früher die Gelegenheit gegeben über diese Konzept inhaltlich zu sprechen. Denn in dem Moment, wenn der sportliche Erfolg fehlt, wird es mit jeden Konzept eng. Seit 2019 gibt es das Konzept. Wieviel früher hätte darauf gedrungen werden müssen, wenn man es für so wichtig hält. Es ist ja eine berechtigte Kritik an Ingo Wald, zu lange an Ivo Grlic festgehalten zu haben, ein Sportdirektor, der immer panischer agierte und Erfahrung – sowohl bei Spielern als auch Trainer – offensichtlich als geeignetes Mittel in der Not hielt. Die Abweichung von den uns bekannten Teilen des Konzepts braucht nicht betont zu werden. Damals wäre die Einflussnahme stimmig gewesen. Interessant ist das Ausbleiben deshalb, weil auch dort das Rollenverständnis ein möglicher Grund gewesen ist. Noch fühlte sich der Sponsor und Gläubiger Andreas Rüttgers mehr als Teil des MSV als heute. In jener Zeit gab es im Binnenklima mit Sicherheit noch die Erinnerung an die gemeinsam bewältigte große Krise der drohenden Insolvenz.
Erst mit dem Auftreten des Sportdirektors Ralf Heskamp wurde für Andreas Rüttgers seine Rolle als Sponsor und Gläubiger in den Vordergrund geholt. Die Folgen sehen wir jetzt. In dieser Rolle wird nun auch ihm selbst das Interesse des Unternehmens wieder deutlich erkennbar, formulierbar.
Eins macht der Podcast auch deutlich: Andreas Rüttgers glaubt an eigene unmissverständliche Worte. Wenn es Missverständnisse gibt, werden sie durch andere verursacht. Hört man die Stelle des Podcast – ab 10.30 ungefähr, was die Ankündigung von Schauinsland Reisen sich zurückzuziehen bedeutet, weiß man am Ende der Passage nicht mehr, ob das nun endgültig war oder nicht. Im Zusammenhang wirkt das so, als sei die Kommunkation anderer dafür verantwortlich – im Zweifel sogar der MSV, der davon aber gar nichts wusste. Andreas Rüttgers sagt: „Das ist natürlich immer eine Sache, wie man die Dinge nach außen hin kommuniziert“. Meines Wissens hat Schauinsland Reisen selbst die Ankündigung der Presse mitgeteilt. Kurios wirkt dieser Podcast-Moment, so als spreche Andreas Rüttgers über andere. Dann folgen die vielen Sätze, die mich am Ende vor die Frage stellen, wollen sie jetzt doch vielleicht was anderes? Es ist schon auffällig, wie oft Andreas Rüttgers im öffentlichen Sprechen Verwirrung stiftet entgegen seiner Absicht Klarheit zu schaffen und Transparenz. Denn auch das gilt wieder: Öffentliches Sprechen folgt anderen Regeln als halbprivatem oder privatem Sprechen. Sämtliche Regeln aber werden gar ausgehebelt, wenn man bei jeglichem Sprechen die eigene Rolle gerade nicht kennt. Denn die bestimmt man nicht alleine. Der soziale Zusammenhang bestimmt mit. Im Zweifel ist der immer stärker als das eigene Rollenverständnis.
Für diesen Sound hat sich die Verpflichtung von Santiago „Santi“ Castaneda schon mal gelohnt. Eine Vision erhält ihren Soundtrack. Der MSV! Demnächst auch wieder international. Ich habe da mal was rausgeschnitten aus dem Vorstellungclip:
Ich rätsel, warum dieser Clip hier nicht eingebettet wird.
Für uns Ältere besitzt der Name ja einen sehr vertrauten, geradezu heimeligen Klang. Erinnert ihr euch an die Taschenbücher des Fischerverlages mit den pastellfarbenen Umschlägen und dem gezeichneten Mann in der Mitte? Überall bin ich ihnen ab Mitte der 1970er Jahre für lange Zeit begegnet. Die Bücher von Carlos Castaneda. In der deutschen Übersetzung sie den „Don Juan“ im Titel. Für einen Jugendlichen auf der Suche nach Lebenshilfe waren diese Titel eine Mogelpackung. Ich vermute heute eine auflagensteigernde Absicht des Verlages dahinter. Ließ es den irrenden Jugendlichen doch interessantes Wissen für den Umgang mit dem andren Geschlecht vermuten.
Als ich dann schnell erkannte, Herrn Castaneda ging es um das große Ganze, das Leben, den Sinn, Bewusstseinserweiterung und Spiritualität, war ich mit meinem vom „Don Juan“ befeuerten Spezialinteresse schnell gelangweilt von diesen Büchern. Ein weiterer Irrtum auf den unergründlichen Wegen eines Lebens, wie ich Jahre später erst feststellen konnte.
Wenn Carlos Castanedas Fußball spielender Namensvetter nun diese Erinnerungen allmählich verblassen ließe – diesem Gedanken kann ich einiges abgewinnen. Bis es so weit ist, höre ich mir immer wieder mal dieses „Em-Es-Wii“ von Santi an.
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