Posts Tagged '1. FC Saarbrücken'

Aus neu wird alt – Die unerwartete Kontinuität

Das Entsetzen nach dem Auswärtsspiel in Saarbrücken ist allgegenwärtig. Welch ein Glück! 2:0 nur hat der MSV verloren. Die Mannschaft hätte untergehen können, wären die Saarbrücker abschlussstärker gewesen. Freie Schüsse aus 20 Metern, die über das Tor gingen, haben den MSV vor dem Schlimmsten bewahrt. Hinzu kamen mehrere noch nicht perfekt vollendete Spielzüge, bei denen die zentralen Spieler frei vor dem Tor knapp verfehlten.

Man brauchte kein Hellseher zu sein, um in den Anfangsminuten sehr offensive Saarbrücker zu erwarten. Die erste Großchance ergab sich nach zwei Minuten? Oder waren es doch schon vier Minuten? Die Hoffnung, nach diesem zu erwartenden Angriffsdruck könnte sich das Spiel beruhigen, machte ab der 20 Minute etwa meiner neuen Hoffnung Platz, mit viel Glück vielleicht torlos in die Halbzeitpause zu gehen. Dem war nicht so. Das Führungstor der Saarbrücker fiel, und es war nahezu sicher, dass dem ein weiteres Tor folgen würde.

Die Defensive der Zebras war kaum vorhanden. Vor allem auf der linken Seite schien es so, als wolle man dem Gegner ein Labyrinthspiel für Kleinkinder aufstellen. Die Abstände zwischen den Spielern waren möglichst so groß gewählt, dass die Gegner im Dribbling mit ein paar gemütlichen Richtungsänderungen plus Dopelpassspiel hindurchspazieren konnten. Die jeweiligen Gegenspieler dort liefen in gebührendem Abstand mit – wie Eltern, die fürsorglich und stolz die Ballführung ihrer Kinder beobachten. Zum abrundenden Bild hat nur noch so ein typisches Aufmuntern von Eltern beim Mitlaufen gefehlt.

Als Moritz Stoppelkamp eine Ecke verhindern wollte und den Ball von der Grundlinie kratzte, war auf dieser linken Seite weit und breit niemand, der um diesen freien Ball hat kämpfen können. Diese Szene vor dem zweiten Tor ist das Symbolbild für das gesamte Spiel. Wenn dann noch Ballverluste in der eigenen Hälfte hinzu kommen, sowohl beim Passspiel als auch beim Versuch den heranlaufenden Stürmer auszuspielen, dürfen wir alle mit der überschaubaren Höhe der Niederlage zufrieden sein.

Natürlich ist das ein Spiel nur, wie jenes gegen Havelse auch nur ein Spiel war. Dennoch beunruhigt mich die atmosphärische Kontinuität zur letzten Saison. Eine Mannschaft, die zu mehr als der Hälfte aus neuen Spielern besteht, tritt genauso auf wie beim Aus im Niederrheinpokal in der letzten Saison.

Nach diesem katastrophalen Auftreten der Mannschaft erweist sich nun, wie befürchtet, Pavel Dotchevs offene Komunikation mit der Öffentlichkeit als ein Problem. Nach dem Spiel zeigte auch er sich überrascht von dem Versagen seiner Mannschaft. Er versteckt sich nicht hinter einer glatten Oberfläche, die Kontrolle der Situation vorgibt. Mich überrascht nicht, dass der Ärger vieler Fans über dieses Auftreten der Mannschaft sein Ventil jetzt schon im Schimpfen über den Trainer findet. Sein Engagement auf der Trainerbank während des Spiels wurde zudem vermisst.

Wie groß so ein Einfluss während des Spiels ist, steht allerdings keinesfalls fest. Denn auch in dem Fall zählt, ob jeder Spieler unter Druck im laufenden Spiel überhaupt Anweisungen umsetzen kann. Je niedriger die Liga, desto niedriger das Niveau. Geändert wurde und zwar in der Pause. Ein wenig war davon im Spiel zu sehen. Folgen für das Ergebnis gab es keine.

Das Spiel macht keine Hoffnung für den Mittwoch in Osnabrück. Der MSV trifft auf eine wütende Mannschaft, die in letzter Minute noch verlor. Der VfL wird wie Saarbrücken etwas gut machen wollen. Morgen aber werde ich wieder meine Grundzuversicht gefunden haben. Für einen Teil von euch da draußen hoffe ich auch auf die Rückkehr der Geduld mit Pavel Dotchev.

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Nach Niederlagen auf Duisburgs Fußballjugend von 1965 sehen

Ich werde über dieses Spiel des MSV gegen Saarbrücken gestern nichts schreiben. Denn schon mit diesen wenigen ersten Worten beginne ich mich wieder über den Schiedsrichter zu ärgern. Das ist dieses verdammte „Denken-Sie-jetzt-nicht-an-einen-weißen-Bären-Phänomen“  . Schon durch diese wenigen Worte hole ich mir an der Wand der Wirklichkeit eine Beule, weil ich diese Wand umrennen möchte. Ich will diese Last-Minute-Niederlage immer noch nicht wahrhaben. Zu diesem Fußball der Corona-Zeit bekomme ich kein erträgliches Verhältnis hin.

Wie entspannend wirkt stattdessen ein WDR-Beitrag, wenn er im Dezember 1965 zum ersten Mal ausgestrahlt wurde. Der ‚kleine‘ Fußball“ heißt diese knapp 30-minütige Reportage über Schwierigkeiten und Möglichkeiten von Duisburger Kindern und Jugendlichen, die in ihrer Freizeit Fußball spielen wollen. Im Laufe des Beitrags wird durch O-Töne von Vereinsvertretern aus ganz NRW deutlich, Duisburg steht als Beispiel für die Situation im ganzen Bundesland. Das kommt etwas überraschend, weil mit einem Mal Männer in breitestem rheinischen Singsang sprechen und man sich fragt, ob die jetzt alle im Pott wegen der Arbeit gelandet sind. Doch nach und nach wird klar, die sprechen für ihre jeweiligen Heimatstädte.

Überhaupt werden die anderen Sehgewohnheiten jener Zeit deutlich. Welch anderer Ton wird im begleitenden Kommentar angeschlagen. Zum einen soll der Beitrag Schwierigkeiten auf allen möglichen Ebenen zeigen. Zum anderen trägt ihn aber auch ein deutlich spürbares erzieherisches Anliegen, indem er die TV-Zuschauer animiert sich im Ehrenamt bei Sportvereinen zu engagieren und ihre Kinder dort zum Fußball anzumelden.

Schon in den heute als rosig scheinenden Zeiten des Vereinsengagements gab es zu wenige Betreuer für die Jugendmannschaften. Kurios muten die gestellten Szenen an, in denen der Jugendobmann des TuS Duisburg 48/99 sich mit einem Vater unterhält.

Duisburg in den 1960er Jahren (siehe den Zweifel am Datum der Ausstrahlung unten im UPDATE) war immer noch eine Stadt im Wiederaufbau. Kriegsschäden sind in den Straßen weiterhin überall zu sehen. Leerflächen sind voll von Steinen und Glas. Der Verkehr nimmt zu. Straßenfußball ist gefährlich, lautet die Botschaft zu Beginn. Sport im Verein ist die Lösung. Vorbildhaft wird die Sportanlage von TuS Duisburg 48/99 und das Vereinsleben dort gezeigt. Alles wäre gut, wenn es nur noch mehr Betreuer und mehr Plätze gäbe. Dagegen steht Duisburg 08 vor Schwierigkeiten. Den Sportplatz des Vereins beanspruchte in jener Zeit das benachbarte Industriewerk. Der Verein musste umziehen und der Vorstand arbeitete daran, ein neues Gelände zu finden.  Das alte Wedaustadion ist bei einem Meisterschaftsspiel der Senioren von 48/99 ebenfalls zu sehen. Der Meidericher SV spielte damals dort bei Auswärtsspielen. Im Beitrag steckt viel historische Lebenswirklichkeit der Stadt und des Sports. Der Zebrastreifenblog empfiehlt bei Niederlagenärger und Schiri-Wut den Klick zur Retro-Seite der Mediathek.

UPDATE: Bei Facebook merkte Sven Webers m. E. zurecht an, der Bericht könne nicht aus dem Jahr 1965 sein. Ich zitiere ihn: „Der Bericht kann auch nicht von Ende 1965 sein, weil der TuS schon im Sommer 1964 aufgehört hat zu existieren (fusioniert mit DSV zu Eintracht Duisburg) und von der großen Haupttribüne am Wedaustadion, die 1964 eingeweiht wurde noch nicht mal die Baustelle zu sehen ist, und der TuS nach 1963 auch nicht mehr da gespielt hat, sondern 1963/64 erst in Krefeld und dann nach der Fusion als Eintracht im kleinen Stadion (Fugmann-Kampfbahn) nebenan. Der Bericht wird wohl eher von Ende der 1950er Jahre sein (Olympia 1956 wird ja im Film als bereits gewesen erwähnt).“ Womöglich gab es bei der  Jahreszahl des WDR einen Zahlendreher? Intuitiv hatte auch ich zunächst von den 1950er Jahren in meinem letzten Absatz geschrieben, um es nach dem Blick auf das Sendedatum zu korrigieren.

Von unsinninger Droll-Frage hin zum Podcast-Fest für Fußballromantiker mit Hans-Günter Bruns

Was für eine unsinnige Droll-Frage war das wieder auf der Pressekonferenz vor dem Nachholspiel heute gegen Saarbrücken. Irgendwas mit Sieg und Anschluss ans Mittelfeld der Tabelle. Als ob wir in normalen Zeiten lebten und der Tabellenstand die Mannschaft sorgen müsste. Torsten Lieberknecht machte das einzig richtige. Er sprach der Tabelle nicht nur für den Moment sondern sofort für den weiteren Saisonverlauf die Bedeutung ab angesichts von erwartbaren coronabedingten Spielausfällen. Das ist wichtig, um Folgen von solchen Tabellenbilder zu begrenzen. Ohne Spiele sind zu wenig Punkte die selbstverständliche Folge. Da braucht es etwas anderes als den üblichen Blick von Sportjounalisten auf Tabellenstände.

Lasst mich zu den schönen Dingen des Tages kommen, die wir mehr in der Hand haben als den erhofften Erfolg gegen Saarbrücken. Ich feiere gerade Hans Günter Bruns mit seinem Auftritt im Sechszehner-Podcast. Momentan ist der ehemalige Spieler von Borussia Mönchengladbach Hans-Günter Bruns Sportlicher Leiter bei Hamborn 07. Als Trainer oder Sportlicher Leiter arbeitete er im westlichen Ruhrgebiet seit 2003 vor allem im Amateurbereich. Bei Rot-Weiß Oberhausen war es für fünf Jahre von 2006 bis 2011 auch das Profi-Geschäft.

Mir war nicht klar, wie gut er und all diese Vereine im Ruhrgebietswesten zusammen passen. Nach dem Podcast-Gespräch von Hans-Günter „Bruno“ Bruns mit seinem ehemaligen Mannschaftskameraden Ewald Lienen und dem Sportjournalisten Michael Born weiß ich es besser. Diese knappe Stunde vom Podcast Der Sechszehner ist ein Fest für Fußballromantiker und eine Feier der Ruhrpottmentalität dazu.

Anekdote auf Anekdote erzählt „Bruno“. Ob das nun ein nächtlicher Ausflug mit Lothar Matthäus während einer Länderspielvorbereitung war oder sein Verhältnis zu Jupp Heynkes als Trainer. Er brauchte kurz, um etwas aufzutauen, aber dann redete er wie unter Freunden. Vor allem Ewald Lienen regte ihn durchs eigene Erinnern an gemeinsame Zeit zum Erzählen an. Auch wenn „Bruno“ den größten Teil seiner Karriere als Spieler in Mönchengladbach verbrachte, kann er den Pott in seinem Wesen nicht verleugnen. So klingt das Ruhrgebiet an der Basis heute immer noch, wenn über Fußball gesprochen wird.

Den Sechszehner gibt es auf sämtlichen Podcast-Plattformen. Hier kommt ihr mit einem Klick zu Soundcloud, wo man ihn auch ohne Podcastplayer hören kann.

Haßloch, Velbert und die Lieberknecht-Kindheit

Haßloch ist ja nun auch nichts anderes als eine Art kleineres Velbert in der Pfalz. Da ist es doch besser über Haßloch zu schreiben als über Velbert. Das hat den Vorteil nichts zum MSV sagen zu müssen. Meinetwegen gebe ich noch ein wenig Stimme dem Lamento-Chor, aber dann ist auch gut.

Was geschieht da mit der Mannschaft seit zwei Wochen? Das dritte Spiel in Folge verloren. Nicht dass mich der Niederrhein-Pokal in irgendeiner Weise bewegt. Es geht alleine um die Leistung im Spiel gegen Velbert, die ratlos macht und für das Spiel gegen Kaiserslautern wahrscheinlich nicht nur uns Zuschauer verunsichert. Solch eine anfällige Defensive bleibt doch als Bedrohung in den Köpfen auch der Spieler. Momentan ist es anscheinend egal, wer da auf dem Platz steht.

Ich sehe uns schon demnächst mit den RWE-Anhängern eine städteübergreifende Selbsthilfegruppe gründen. Thomas Lieberknecht sollte sich sofort mit Christian Titz zum Erfahrungsaustausch zusammensetzen. Das parallele Geschehen in Essen und Duisburg ist  verblüffend. Was für ein Saisonstart für beide Vereine. Welche frische Begeisterung unter den Anhängern in beiden Städten. Welche Entgeisterung nun nach drei Niederlagen in Folge von beiden Vereinen. Ich lese in beiden Städten dasselbe. Plötzlich bekommen die Mannschaften keinen Zugriff mehr aufs Spiel. Blutleer wirken die Auftritte. Einmal mehr hoch und runter, und es ist nicht absehbar, ob die Niederlage gegen Velbert für den MSV tatsächlich ein TiefPUNKT gewesen ist oder ob sie sich als kleine Stelle einer Fläche erweist.

Wieviel schöner ist es deshalb über Haßloch zu schreiben. Ich bin notorisch neugierig. Wenn ich Menschen begegne, möchte ich wissen, wieso die leben, wie sie leben. Ich komme also ins Gespräch, und manchmal ergeben sich kuriose Zusammenhänge bei dem, was ich erfahre. Mancheiner macht aus solchen Zufällen Romane, die uns dann wiederum eine Anleitung zu sinnvollen Geschichten über das wirkliche Leben sind. Ihr müsst selbst sehen, was ihr damit macht, was ich euch jetzt erzähle.

Neulich sprach ich jedenfalls mit einer Museumsangestellten in Saarbrücken. Sie lebte gerne in der Stadt, obwohl sie vom Dorf kam, und zwar aus der Pfalz. Das betonte sie deshalb, weil es zwischen den Saarländern und Pfälzern eine alte Rivalität gibt, eine lieb gewordene ehemalige Abneigung, die man heute folkloristisch hochleben lässt, wenn es passt. Kölner und Düsseldorfer wissen, wovon die dort unten sprechen. Sie kam aus Haßloch.

Wir in Duisburg haben bei solchen Rivalitäten kaum Karten im Spiel. Manchmal wird ja unter uns Anhängern des MSV versucht, nachbarschaftliche Spannungen als Derbygefühl mit Leben zu füllen. Selbstverständlich ist das nicht. So was braucht eine lange Geschichte der Konkurrenz, die es zwischen Duisburg und Düsseldorf oder Oberhausen in Sachen Fußball vielleicht über kürzere Zeiten gibt. Das führt aber nicht über den Fußball hinaus. Zudem ist es so flüchtig, wenn die Vereine ständig in unterschiedlichen Ligen spielen. Das kommt mir jedenfalls so vor.

Über Fußball haben jene Museumsangestellte und ich dann auch gesprochen, weil ich natürlich sofort auch an Milan Sasics Engangement beim 1. FC Saarbrücken dachte. Bevor sie selbst zu Sasic was sagte, sprach die Dame noch einmal mit besonderem Nachdruck. Sie gehöre natürlich zu den Blauen. Als ob ich ganz selbstverständlich etwas anderes gedacht hätte. Dabei hatte ich gar keine Idee, welcher Verein sonst noch in Frage kam. Aber schon klärte sie mich auf. Nein, niemals hätte es sie zu den Roten ziehen können. Das wäre nie in Frage gekommen. Natürlich, die Pfalz. Der 1. FC Kaiserslautern hätte es sein können. Aber sie zog es zum niederklassigeren 1. FC Saarbrücken. Wie sympathisch, dachte ich. Und dann sprach sie im Plural, sie seien aber froh gewesen, als Sasic endlich wieder weg war. Der Mann kann nicht aus seiner Haut. Er erlebt überall dieselbe Geschichte. Wahrscheinlich hat er in Duisburg noch den besten Ruf. Im Süden hat er jedenfalls sowohl in Kaiserslautern und in Saarbrücken verbrannte Erde hinterlassen und alle Welt gegen sich aufgebracht.

So weit der Fußball. Zunächst. Mir ging aber Haßloch nicht aus dem Kopf, weil ich irgendwas über ihr Heimatdorf schon mal gelesen hatte. Ich wusste aber nicht mehr was. Also habe ich später bei Wikipedia reingeschaut und erinnerte mich dann wieder an die deutsche Durchschnittsgemeinde, die Haßloch für die Marktforschung darstellt. Bei Wikipedia nun waren die Haßloch-Autoren sichtlich darum bemüht, der Gemeinde auch noch mit dem kleinsten Vorkommnis Bedeutung zu verleihen.

Was Haßloch schließlich an diesem Tag so viel amüsanter macht als Velbert. Denn in Velbert mag es vielleicht einen Fußballverein geben, der höherklassige Gegner aus dem Niederrheinpokal wirft, Haßloch aber kennt bedeutende Personen, die vor Ort gewirkt haben, und sei es auch dadurch, dass sie Haßloch für immer verließen.

 

Wenige Zeilen später schließt sich aber der Kreis heute. Denn selbst mit Haßloch ist dem MSV nicht zu entkommen. Zum Wirken der bedeutenden Personen gehört es auch, in jungen Jahren auf grünem Rasen Ballsport zu treiben. Welche Spuren Torsten Lieberknecht als ganz junger Mensch in der Fußballgeschichte des Orts hinterlassen hat, werden wir ihn selbst fragen müssen. Die Haßloch-Wikipedia-Autoren wissen jedenfalls, dass Trommeln zum Handwerk gehört.

 

 

 

MSV-Sieg auch ohne Glück möglich

Chronistenpflicht. So lautet heute das Motto, wenn ich mich noch einmal dem Auswärtsspiel des MSV Duisburg beim 1. FC Saarbrücken zuwende. So viel gibt es nämlich über den MSV Duisburg nach diesem Wochenende zu schreiben. Der Schuldenschnitt ist zu feiern, die Premiere des wunderbaren Dokumentarfilms über die „Meidericher Vizemeister“ stand an und dennoch darf das Spiel in diesen Räumen hier nicht fehlen, sonst zieht schon in ein paar Jahren jemand den Zebrastreifenblog als Beleg dafür heran, dieses Spiel habe nicht stattgefunden. Sonst gäbe es über jedes Spiel wenigstens ein paar Worte, nur über dieses nicht. Alle Spielberichte in anderen Medien müssten demzufolge erfunden sein. So macht sich mancher mit Hilfe vom Netz die Wirklichkeit, und schon klebt am DFB der Zukunft jene Verschwörungstheorie, in der der 1. FC Saarbrücken in der Saison 2013/14 im Kampf gegen den Abstieg maßgeblich benachteiligt wurde.

Beim FCSBlog 2.0 sieht Carsten Pilger hingegen momentan noch den 1. FC Saarbrücken selbst in der Verantwortung. Er zeigt sich enttäuscht vom „Angsthasenfuatsball“ der Mannschaft. Eine harmlose Duisburger Mannschaft hatte er gesehen, und nicht ganz klar wird, ob er damit nur das Spiel in der zweiten Halbzeit meint. Schließlich vermerkt auch er die Chancen der Zebras in der ersten Hälfte, die der 1:0-Führung durch das Tor von Michael Gardawski vorangingen. Den freien Weg aufs Tor hatte ihm Pierre De Wit mit einem steilen feinen Pass in den Lauf eröffnet. Harmlos konnte Carsten Pilger den MSV Duisburg nur deshalb nennen, weil er nicht die Spiele vom MSV gegen Holstein Kiel und die Durststrecke gegen den SV Elversberg gesehen hat. Wir kennen uns besser aus, und ich denke, die meisten von uns waren grundsätzlich zufrieden mit der Spielweise des Vereins unserer Zuneigung.

Zumindest war ich das ab der zehnten Minute ungefähr, als mein Bildschirm nicht mehr nur schwarz war und der Stream endlich ins Laufen kam. Ich habe also die zwei großen Chancen der Saarbrücker in den Anfangsminuten verpasst, von denen der Kommentator des Streams noch bedauernd schwärmte.  Von meinem Anfang an sah ich eine Duisburger Mannschaft, der die Saarbrücker das Spiel überließ und die dieses Mal die Verantwortung für die Spielgestaltung in solider Weise übernahm. Die Mannschaft kombinierte auf engem Raum, um die Chance auf den öffnenden Pass zu suchen. Die Spieler bewegten sich viel, waren präsent und wollten jederzeit ein weiteres Tor. Sicherheit konnten die Zebras auch entwickeln, weil den Saarbrückern selbst nach Balleroberung in für den MSV gefährlichen Zonen des Spielfelds offensiv kaum etwas gelang. Auf die fehlerhafte Ballverarbeitung der Saarbrücker durfte die Mannschaft des MSV Duisburg zählen. Zwei, drei Abspielfehler in der Defensive hätten wirklich gefährlich werden können, doch den Saarbrücker Spielern versprang der Ball oder sie legten ihn sich zu weit vor.

In der zweiten Halbzeit hielten sowohl MSV als auch der 1. FC Saarbrücken ihr jeweiliges spielerische Niveau, und Sorgen machte ich mir nur vor einem immer möglichen glücklichen Tor des Gegners. Dem MSV half dagegen ein  Schiedsrichterpfiff. So ein Handspiel im Strafraum wie das des Saarbrückers Taku Ishihara wird zuweilen gepfiffen und dann wieder auch nicht. Branimir Bajic verwandelte den Elfmeter sicher. Das Spiel war entschieden. Der Sieg fügte der Nachricht vom erfolgreichen Schuldenschnitt  das entsprechende sportliche Resultat zur weiteren Stimmungsaufhellung bei. Allerdings wird auch der dritte Erfolg in dieser Woche keinen Baumann-Kritiker grundsätzlich in seiner Meinung beirren. Dazu müsste die Mannschaft im nächsten Heimspiel nachlegen – mit einer Spielweise, die Anhänger des Gegners harmlos nennen und die wir im Wissen über den Saisonverlauf überaus wertschätzen können.

 

 

 

Die Pressekonferenz nach dem Spiel sowie die O-Töne von Pierre De Wit und Michael Ratajczak.

 

Ein Auswärtsspiel als Unmutspause

Wahrscheinlich werden die Spieler des MSV Duisburg angesichts der vorherrschenden Stimmung in der MSV-Arena über das Auswärtsspiel am Wochenende erleichtert sein. Ich stelle mir das so vor, weil ich selbst beim öffentlichen Auftreten vor größeren Gruppen immer sehr viel angespannter bin, wenn ich davon ausgehe, im Raum ist man mir nicht unbedingt wohlgesonnen.  Ich bin dann erst einmal kontrollierter, greife auf Routinen zurück und muss für die Leichtigkeit des Auftritts arbeiten. Wir Menschen haben sehr unterschiedliche Persönlichkeiten, deshalb wird es nicht jedem Spieler des MSV Duisburg so gehen. Es reicht aber schon, wenn es bei einigen so ist, um die Leistung der Mannschaft zu gefährden. Ein Heimspiel ist momentan nicht mehr unbedingt ein Vorteil für den MSV.

Der MSV hat zum Ende der Saison hin ein Problem, das wir alle, auch die wütendsten Baumann-raus-Rufer, vor dem ersten Spieltag uns gewünscht hätten. Eine wunderbare Paradoxie. Die Mannschaft hat weiterhin Chancen, den vierten Tabellenplatz zu erreichen. Das ist schön. Dennoch spielt die Mannschaft nicht kontinuierlich gut. Das ist schlecht. Sollen wir nun mehr den Blick auf das eine oder andere werfen? Wer mehr auf die Spielweise schaut, steht dann immer noch vor der Frage, warum diese Mannschaft nicht kontinuierlich gut spielt. Darauf gibt es eine vielfältige Antwort, die schon zweimal im Stadion auf die Kurzformel „Baumann raus“ gebracht wurde.

Deutlich gesagt, ich teile den Ärger, schimpfe über Fehler der Mannschaft und denke doch, „Baumann raus“ zu rufen bei jeder schlechten Mannschaftsleistung hilft dem Verein nicht weiter.  Die Botschaft ist mit Sicherheit angekommen. Ivo Grlic wird die Stimmung rund um den MSV bei seiner Entscheidung sicher mitbedenken. Nun reicht es auch mit der schlechten Stimmung bis zum Ende der Saison.  Fußball ist eine emotionale Angelegenheit und rationale Entscheidungen können nicht immer getroffen werden. Dennoch möchte ich anregen, die schlechten Spiele der Mannschaft und damit zugleich die Trainerfrage auch aus einer anderen Perspektive zu sehen.

Einerseits stimmt es ja, es gibt kaum kontinuierliche Entwicklung der Spielkultur. Dennoch steht die Mannschaft auf dem sechsten Tabellenplatz. Irgendeinen Anteil wird Karsten Bauman daran haben. Wer ihn stark kritisiert, hält diesen Anteil für gering und die Spieler eigentlich zu noch besserer Leistung fähig. Mich wiederum erinnert dieses Sprechen über die grundsätzlichen Möglichkeiten der Spieler immer an die Schule, wo es inzwischen Legionen von Eltern gibt, die den Lehrern erzählen, eigentlich seien ihre Kinder besser als es die Lehrer sehen. Sie hätten es nur gerade beim letzten Mal nicht richtig zeigen können, und zwar weil der Lehrer so unverständliche Fragen gestellt hätte. Wenn ich sehe, welch individuelle Fehler die Spieler des MSV Duisburg immer wieder machen, dann steht Karsten Baumann vielleicht vor der Frage, wie kriege ich Stabiliät in dieser Mannschaft hin? Und dann heißt es als erstes, sich um die Defensive kümmern.

Nun zu der Vermutung, es gibt bessere Trainer als Karsten Baumann. Das mag ja stimmen, doch unter welchen Voraussetzungen müsste dieser Trainer beim MSV Duisburg arbeiten. Er müsste in der nächsten Saison sofort funktionieren. Er muss mit der Mannschaft aufsteigen. Stellen wir uns diesen Idealtyp vor. Er muss Spieler, die er nicht unbedingt kennt, zu einer Mannschaft formen. Er sollte bewiesen haben, dass er das irgendwo schon einmal gemacht hat. Am besten sollte er schon einmal einer Mannschaft zu einem Aufstieg verholfen haben. Er sollte in professionellen Zusammenhängen schon gearbeitet haben. Er muss bezahlbar sein. All das ist nötig, um das Risiko kalkulierbar zu machen. Ich kenne den Markt nicht gut. Wo ist dieser Trainer?

Ein Trainer, den wir jetzt noch nicht kennen, wird das Risiko erhöhen. Ein Kosta Runjaic käme heute wahrscheinlich nicht mehr zum MSV Duisburg. Wenn wir das Runjaic-Modell noch einmal umsetzen wollten, suchten wir in Liga 4 nach einem ambitionierten Trainer. Ich möchte keinen Trainer hier sehen, der gerade entlassen wurde, also gescheitert ist.  Der Trainerwechsel bleibt also ebenso mit einem Risiko verbunden wie der Verbleib von Karsten Baumann, letzteres ist aber kalkulierbar, wenn die Mannschaft verstärkt wird. Was unbedingt notwendig ist, auch wenn ein anderer Trainer käme. Ohnehin setze ich auf das Urteil von Ivo Grlic. Er ist nah an der Mannschaft. Er sieht, was geschieht, setzt die Spiele dazu in ein Verhältnis. Ein Nebensatz von Tanju Öztürk im Interview nach dem Spiel sollte ebenfalls zu Denken geben. Sinngemäß sagte er, die erste Halbzeit sei es in der Defensive schlecht gelaufen, doch in der Pause hätte es taktische Hinweise gegeben und danach hätte es besser geklappt. So viel zum Thema, Karsten Baumann nimmt keinen Einfluss auf das laufende Spiel.

Noch einmal, es kann sicher besser gehen, bei der realistischen Suche nach Alternativen sehe ich momentan aber keine. Sollte Ivo Grlic aber Karsten Baumanns Vertrag tatsächlich verlängern wollen, ist eines klar. Diese Vertragsverlängerung braucht sehr viele erklärende Worte. Es war absehbar, dass die Hochstimmung und der Zusammenhalt vom Sommer letzten Jahres nicht dauerhaft anhalten wird. Sportlicher Erfolg ist im Fußball letztlich das, worum es geht. Damals hatte ich die Hoffnung, der Verein könne mit offensiver Kommunikation in schwierigen sportlichen Phasen den Zusammenhalt weitestgehend erhalten. Diese offensive Kommunikation wäre spätestens beim Vertragsabschluss mit Baumann gefordert. Besser wäre es, jetzt schon zu beginnen. Es sind ja immer wieder dieselben Fragen, die Fans bewegen. Die Frage, warum Wegkamp und nicht Onuegbu ausgewechselt wurde, wäre so eine zu beantwortende Frage zum Beispiel.

Ich hoffe sehr, dass Karsten Baumann, andere Verantwortliche und auch die Spieler nicht den Konflikt mit dem Publikum suchen. Ansätze dazu muss es beim Spiel gegen SV Elversberg gegeben haben. Gerade wenn sie ihre Leistung nicht in dem Maße gewürdigt sehen, wie sie es sich wünschen, sollten sie sehr konkret auf Vorwürfe reagieren. Suchen sie den Konflikt, werden sie gegenüber den lauten Rängen verlieren. Sportlicher Erfolg ist natürlich eine andere Möglichkeit, sich aus der Affäre zu ziehen. Denken wir also an das Spiel in Saarbrücken, das nicht einfach wird, weil die Veränderungen in der Mannschaft dort nun zu Siegen führen. Die Saarbrücker haben ihr Selbstbewusstsein zurückgewonnen.    Im FCSBlog 2.0 findet sich vor jedem Spieltag die unterhaltsame Rubrik „Die fünf wichtigsten Duelle“, mit der auch vor dem Spiel des 1. FC Saarbrücken gegen den MSV Duisburg beide Vereine mit besagten fünf wichtigen Themen miteinander verglichen werden. Ich hoffe jedenfalls auf weitere Beruhigung der Stimmung, auf dass der Vorteil eines Heimspiels bis zum Ende der Saison dauerhaft gewahrt bleibt.

 

Noch die Pressekonferenz vor dem Spiel gegen den 1. FC Saarbrücken. Patrick Zoundi begleitete Karsten Baumann.

Und damit in frischer Erinnerung bleibt, wie Tore erzielt werden, noch einmal die drei Tore gegen SV Elversberg.

Keine Politik wird manchmal doch zur Politik

Wir wünschen uns das Leben so einfach wie möglich, und stets kommt uns dieses Leben schon kurz nach dem Wünschen dazwischen. Ich zum Beispiel will seit Jahren beim MSV Duisburg im Stadion eigentlich nur über Fußball reden. Aber was ist? Ständig beschäftigen mich so sportferne Dinge wie ein Schuldenschnitt und seit kurzer Zeit auch noch  die gewaltvoll gewordene Auseinandersetzung in der eigenen Kurve, um deren Deutung in der Duisburger Fanszene verständlicher Weise mehr gerungen wurde als in der Öffentlichkeit. Für Fußballdeutschland steht der Überfall der „Division Duisburg“ auf die „Kohorte“ in einer Reihe mit einigen Versuchen der rechten Szene, in den Fankurven Einfluss zu gewinnen.

Im Stadion nervt dieses Fußballferne. So verstehe ich die vielen Anhänger des MSV Duisburg, die sich etwa ein besseres, politikfreies Leben im Stadion erhoffen. Aber mit diesen Politik genannten Themen  ist es wie mit dem Aufräumen und Putzen. Man kann es sich einige Zeit sparen, aber irgendwann kommt der Zeitpunkt, da musst du dich drum kümmern. Sonst hast du bald ein Zuhause, in dem sich nicht mehr jeder wohl fühlen kann.

„Keine Politik in der Kurve“  ist deshalb allenfalls ein hoffnungsvolles Ziel, das nur erreicht werden kann über eine Haltung, bei der viele schnell die Augen verdrehen und sie politisch nennen. Das ist paradox, aber unvermeidlich. Denn was heißt Politik im Stadion überhaupt? Wird etwa der vom DFB unterstützte Anti-Rassismus in seiner unverbindlichen Spruchband-Botschaft genau dann zur nervigen Politik, wenn konkret rassistische Gruppen Rassisten genannt werden? Oder ist es nicht gerade Politik, wenn eine einzelne Fangruppe bestimmen will, welches Spruchband im Stadion eine politische Botschaft darstellt. Es ist ganz schön kompliziert mit der Losung „Keine Politik in der Kurve“.

Rechtextremistische Gruppen – und davon rede ich heute nur, weil dieses „die anderen haben aber auch“ mich zu sehr an Kindergarten und Schule erinnert, rechtsextremistische Gruppen, also, haben ein großes Interesse an einer vermeintlich politikfreien Zone, dem Stadion. Wo sonst können Mitglieder extremistischer Zusammenschlüsse in breiter Öffentlichkeit sich wirksam fühlen? Bei der Frage, was in der Kurve geschieht, geht es schließlich um Macht. So können extremistische Gruppen ausprobieren, wieviel Durchsetzungskraft sie besitzen, wie weit sie beim Einsatz für die eigene Meinung gehen können. Und das muss sogar nicht unbedingt mit politischen Inhalten verbunden sein. In dem Fall verschwimmen also die vermeintlich so klar getrennten Sphären von Stadionwelt und restlichem Leben. Dann muss man letztlich fragen, welches Interesse sich hinter der Losung „Keine Politik in der Kurve“ verbirgt? Was in Duisburg anscheinend bei einer Art rundem Tisch der Fangruppen geschah, sind zumindest vorpolitische Prozesse, und dementsprechend können die Aktivitäten einer dieser Gruppen von jetzt auf gleich in Politik umschlagen. Nur deshalb  kann die Fanszene Duisburgs auch darüber streiten, was dieser Vorfall nach dem Spiel gegen Saarbrücken überhaupt gewesen ist.

Der Fußball ist in dem Fall Zauberstab. Weil die Mitglieder der „Division Duisburg“natürlich auch als Fußballfans im Stadion sind und sie sich auf dem Terrain des Fußballs über Regeln streiten, lässt sich trefflich jeglicher politischer Hintergrund zum Verschwinden bringen. Unschuldig wird von normalen Zuständen im Stadion gesprochen, wo immer mal wieder Konflikte mit harter Hand gelöst werden. Stimmt, ja. Es stimmt aber nur AUCH! Politik ist in dem Moment untrennbar mit dem Fußball verknüpft. Schließlich geht es um die Deutungshoheit über diesen Begriff. Eine Gruppe möchte bestimmen, was Politik im Stadion bedeutet.

Wem es nach ein wenig argumentativer Unterfütterung durch die Theorie verlangt, dem sei Paul Watzlawicks kommunikationstheoretisches Diktum noch ans Herz gelegt, man könne niemals nicht kommunizieren. Sobald jemand einem anderen gegenüber steht, beginnt Kommunikation, selbst wenn der eine schweigt. Daraus lässt sich eine Einsicht zur Forderung „Keine Politik in der Kurve“ ableiten. Sobald diese Forderung als Teil einer Diskussion zwischen Gruppen erhoben wird, die sich in Teilen auch politisch definieren, ist diese Forderung selbst ein politisches Statement und das Aushandeln, wie dem Rechnung getragen wird, ist auch eine politische Diskussion. Man entkommt der politischen Stellungnahme in dem Fall nicht.

Vor ein paar Wochen schon fand Michael Welling, der Präsident von Rot-Weiss Essen, in einem Interview im Reviersport zu solch einer Entwicklung in der Kurve die passenden Worte:

Kommen wir mal zum Nicht-Sportlichen. Für die Allermeisten kam der Vorfall beim Fanprojekt am Mittwoch doch ziemlich überraschend, da sich in der Kurve bislang niemand abgezeichnet hat, dass Rot-Weiss Essen ein Problem mit rechten Fans hat. Zumindest dem Fanprojekt waren die Leute aber bekannt, oder?
Wenn das Fanprojekt die nicht kennen würde, würde es seine Arbeit nicht machen. Es ist tatsächlich so, dass die sich durch pure körperliche Präsenz als Chef der Kurve positionieren. Das ist ja auch im Grunde das, was am Mittwoch passiert ist. Das ist nicht akzeptabel, das ist doch völlig klar. Da geht es im ersten Schritt tatsächlich gar nicht darum, was da für ein Film gezeigt wird, was der Rahmen ist, wer Veranstalter ist, wer nicht Veranstalter ist. Es ist einfach nicht zu respektieren, dass irgendwelche selbsternannten Leute definieren, was hier passiert und mit körperlicher Präsenz ihre Auffassung durchdrücken wollen. Das ist nicht akzeptabel.

Und etwas später noch einmal Michael Welling:

Was hier die neue Dimension ist: Dass sich einzelne Leute positionieren, um sich so massiv durch Präsenz zu positionieren, das ist nicht zu akzeptieren. Dabei ist es dann ehrlicherweise auch egal, ob diese Leute aus einem linken oder einem rechten extremen Spektrum kommen. Es geht nicht, dass sich Leute als Sheriffs der Kurve positionieren und glauben, weil sie größere Arme haben, andere einzuschüchtern.

Letztlich braucht jedes Engagement gegen Rassismus, Intoleranz und Gewalt die Unterstützung des Vereins MSV Duisburg. Deshalb war das erste Interview nach dem Überfall mit Sicherheits-Manager Michael Meier und Fanbeauftragtem Christian Ellmann nicht mehr als ein hilfloser Versuch mit dem Lippenbekenntnis, der MSV sei „keine Kuschelecke für Neonazis“, der Geschichte Herr zu werden. Die Losung „Keine Politik“ wurde als Fallstrick überhaupt nicht wahrgenommen. Einmal mehr ist es erst Jürgen Marbach gewesen, der das Problem in seinem Ausmaß erkannte. Nicht nur dass er den Verein mit deutlichen Worten gegen Rechtsextremismus positionierte, er erkannte zudem, dass Michael Meier und Christian Ellmann, die Deutungshoheit für das Geschehen den Gewalttätern in Teilen überlassen hatten. Bei Spiegel online korrigierte er die naiven Aussagen der Mitarbeiter des MSV Duisburg. Wichtiger aber noch ist die dort in Aussicht gestellte Absicht, Hilfe durch Wissenschaft in Anspruch nehmen zu wollen.

Denn wie im Alltag der Saison mit dem Konflikt in der Kurve weiter umgegangen werden soll, bleibt eine offene Frage. Absichtserklärungen geben dabei nur die Richtschnur für das Handeln. Im Grunde geht es um die Haltung der schweigenden Mehrheit im Stadion. Es geht um alle, die immer wieder genervt sind von Auseinandersetzungen, die zunächst nichts mit eigentlichem Support und Fußball zu tun haben. Es geht um die paradoxe Einsicht, um die Politik aus der Kurve zu halten, ist die Losung „Keine Politik in der Kurve“ in ihrem politischen Kern zu benennen. Es geht um die öffentliche Meinung, in der der Einsatz gegen Rassismus, Gewalt und Intoleranz ihren selbstverständlichen Platz finden können muss.

Der Saisonverlauf in einem Spiel

Ein Dokumentarfilmer braucht normalerweise viel Zeit, um jene Bilder zusammen zu bekommen, die das Thema seines Films mit allen gewünschten Facetten zeigen. Ein Dokumentarfilmer aber, der am MSV Duisburg der Gegenwart interessiert ist, wäre am Samstagnachmittag freudestrahlend nach Hause gefahren. An einem einzigen Nachmittag hätte er seine Arbeit erledigt gehabt, wenn er das so schwankende Leistungsvermögen der Zebras hätte bebildern wollen. Am Samstag im Heimspiel gegen den 1. FC Saarbrücken war die bisherige Saison im Schnelldurchlauf zu sehen. Das 3:3-Unentschieden war das folgerichtige Ergebnis.

Da die meisten von uns aber gerade an keinem Dokumentarfilm über den MSV Duisburg der Gegenwart arbeiten, ärger ich mich wie so viele von uns über den unfassbaren Leistungsabfall der Mannschaft in der zweiten Halbzeit. Sicher, schon in der ersten Hälfte hatte Saarbrücken große Konterchancen, die Michael Ratajczak mit hervorragenden Reaktionen im eins gegen eins zunichte machte. Die Diskussion über solche Art Chancen war aber schon in den Tagen zuvor mit dem Beispiel Nationalmannschaft geführt worden. Das Spiel nach vorne klappte hervorragend, meist gelang das Pressing und das frühe Wiedererobern des Balles. Schöne Kombinationen schlossen sich an. Natürlich liegt das eigene Spielfeld bei so frühem gemeinschaftlichen Agieren in der Häfte des Gegners weit offen. Das Risiko aber schien beherrschbar. Chance um Chance wurde sich erspielt. Zwei Tore von Kingsley Onuegbu waren das Ergebnis. Das erste fiel nach schöner Vorarbeit durch Michael Gardawski, der einen langen Pass von Branimir Bajic erhalten hatte. Die Vorarbeit für das zweite Tor machte Sascha Dum nach schnellem Umschaltspiel. Die Saarbrücker Mannschaft schien hilflos zu sein und übernervös. Die Spieler machten Fehler auf Fehler, und die Zebras zu wenig Tore für die vielen Chancen. Kurz und knapp, die Mannschaft vom MSV war in der ersten Hälfte auf eine Weise überlegen, dass ich entspannt wie schon lange nicht mehr der zweiten Hälfte entgegen sah.

Mit den ersten Pässen auf dem Feld nach Wiederanpfiff wurde diese Entspannung weggeweht. Anscheinend war die Mannschaft in der ersten Halbzeit zu überlegen gewesen. Da standen nun zu viele Spieler in blau-weißen Trikots auf dem Platz, die davon überrascht wurden, dass die Saarbrücker in der zweiten Halbzeit weiter Fußball spielen wollten. Sie waren nicht darauf eingestellt, weiterhin um freie Bälle kämpfen zu müssen. Sie konnten ihre Einstellung zum Spiel zunächst nicht ändern. Jeder, der selbst schon einmal Wettkampfsport erlebt hat, kennt dieses Gefühl, ein Ziel ist erreicht. Die innere Anspannung fällt ab, und wenn dann jemand kommt und dir sagt, es geht noch weiter, wird jeder Schritt, der eben noch so leicht fiel, fast schon zur Qual. Die Spieler des MSV Duisburg glaubten vielleicht nicht, das Ziel sei erreicht, sie dachten zumindest aber, zwei Drittel Strecke wären längst geschafft. Die Ansage der Saarbrücker war dagegen, die Hälfte liegt noch vor euch. Was der Wirktlichkeit eher entsprach.

In der Kabine sollen sich die Spieler des MSV sogar der Gefahr zu früher Sicherheit bewusst gewesen sein. Das berichtete der sichtlich missmutige Karsten Baumann auf der Pressekonferenz. Doch Worte sind das eine, Taten das andere. Und so wurden die Saarbrücker vor ihren beiden schnellen Toren nach Wiederanpfiff nur noch halbherzig angegriffen. Die sichere Führung war verloren und alles begann wieder von vorne. Dennoch kämpfte sich die Mannschaft wieder ins Spiel zurück, versuchte sie ansatzweise an die aus der ersten Hälfte bekannten Qualitäten anzuknüpfen. Die Spieler waren noch einmal zur Anstrengung bereit, auch wenn der Druck auf die Saarbrücker Defensive nicht sonderlich groß wurde. Viele Torchancen gab es nicht mehr. Dennoch gelang Kevin Wolze die erneute Führung. Doch die Mannschaft spielte defensiv nicht sicher genug, um diese Führung konsequent zu verteidigen. Die Saarbrücker hatten ihre Chance gesehen und glaubten weiterhin an diese Chance. Dagegen fürchteten sich die Spieler des MSV Duisburg vor dem nächsten Fehler. Gute Voraussetzungen für den nochmaligen Ausgleich des 1. FC Saarbrücken.

Ich vermute deshalb in diesem Spiel das Wirken des Unsicherheitserhaltungsatzes. Nach diesem fußballphysikalischen Gesetz bleibt die Gesamtunsicherheit während eines Fußballspiels konstant. Die Saarbrücker Spieler hatten einen Teil der eigenen Unsicherheit auf die Spieler des MSV Duisburg übertragen. Momentan rätselt die gesamte Forschungsgruppe MSV Duisburg – Trainer, Spieler wie Zuschauer – noch über die zugrunde liegenden Mechanismen.

Die Pressekonferenz nach dem Spiel sowie die Stimmen nach dem Spiel von Kevin Wolze und Sascha Dum.

Nostalgie mit Milan Sasic

Wenn ich mir die Pressekonferenz des 1. FC Saarbrücken ansehe, beschleicht mich ein nostalgisches Gefühl. Da spricht Milan Sasic mit Worten, die wir nur zu gut auch in Duisburg kennen. Die Leidenschaft ist für ihn ja immer ein zentrales Motiv seines Redens. Die Widersprüche dieses Mannes rufen auch bei mir widersprüchliche Gefühle hervor. Es war dringend notwendig geworden, ihn seinerzeit zu entlassen. Dennoch sind die guten Gefühle mit ihm nicht verschwunden. Wenn WAZ/NRZ schreibt, er kehre ohne Groll zurück, so gilt diese Haltung auch für mich und seinen Empfang.

Ich habe mir zudem die Pressekonferenzen mit Milan Sasic gerne angesehen. Ich mag den Sound seiner Sprache und seinen Witz. Doch in Saarbrücken ist Milan Sasic noch nicht lange genug Trainer. Angesichts der Situation in der Saarbrücker Mannschaft wirkt er wenig entspannt. Bei der Pressekonferenz seines Vereins vor dem Auswärtsspiel gegen den MSV Duisburg verzichtet er auf jenen in Duisburg so häufig gezeigten Witz. Er würzt sein Reden nur mit  grundsätzlichen Einsichten über das Leben. Die können wir ebenfalls immer wieder von ihm erwarten. Er wirkt ernsthaft besorgt und betont mehrmals, dass die Mannschaft im Trainingslager gut gearbeitet habe, aber bei weitem noch nicht da sei, wo sie sein müsste, um in der Liga zu bestehen. Klingt gut, wenn ich an die Aussichten der Zebras denke.

Nachrichten aus dem Zentrum der Wahrsagung

Wir dürfen uns Branimir Bajic nicht nur als Fußballspieler vorstellen. Andere wissen das längst. Sie sehen in ihm mehr. Sie sehen in ihm einen Mann, der die Zukunft deuten kann. Letztens brauchte dazu eine Frau noch Karten. Branimir Bajic genügt sein Kopf und seine Bekanntschaft mit Milan Sasic. Das vermutet jedenfalls die Rheinische Post, wenn sie sich für den MSV Duisburg im Spiel gegen den 1. FC Saarbrücken einen Vorteil erhofft durch Branimir Bajics besondere Fähigkeit: „Einige taktische Finessen des gebürtigen Jugoslawen [Milan Sasic nämlich], der heute 55 Jahre alt wird, könnte sein Ex-Spieler [Branimir Bajic nämlich] schon im Vorfeld durchschauen.“

Zukunft voraussagen scheint also ein neuer Trend in Duisburg zu sein. Dem will ich mich nicht verschließen, und weil im Vorbericht die Geburtstage beider Männer eine große Rolle spielen, mache ich das klassisch mit dem Horoskop. Branimir Bajic hat also morgen, am Spieltag, Geburtstag, Milan Sasic heute. Was sagen nun die Sterne, was Milan Sasic und Branimir Bajic von diesem Spieltag erwarten dürfen?  Allen, die in der Astrologie nicht so bewandert sind wie ich, verrate ich, beide sind im Sternzeichen der Waage geboren. Ihr wisst aber hoffentlich, dass diese Information keinesfalls ausreicht, um ein Horoskop zu erstellen. Ich musste wirklich etwas mehr Arbeit reinstecken, aber was macht man nicht alles für die Zukunftsgewissheit.

So sagen mir die Sterne zu Branimir Bajic folgendes: Bewahren Sie auch in brenzligen Lagen die Ruhe. Sie können Ihren Freunden und Mitarbeitern dieses Mal völlig vertrauen. Der Mond im Stier verspricht Freude über ein unerwartetes, persönliches Glück, das vielen Menschen zu Gute kommt. Tätigen Sie risikoreiche Unternehmungen nur auf sicherem Terrain. Nehmen Sie sich Zeit, ihre Freude auch einmal zu genießen.

Für Milan Sasic heißt es: Seien Sie geduldig mit sich selbst und ihren Mitmenschen.  Sie können ein Geschehen selten ändern, wenn Sie nur am Rand mit dabei sind. Vertrauen Sie darauf, dass ihre Freunde und Mitarbeiter ihr Bestes geben, auch wenn nicht immer alles so gelingt, wie Sie es sich vorstellen. Unvermeidbare Rückschläge werfen Planungen über den Haufen. Nehmen Sie sich Zeit, Ihren Ärger ganz loszuwerden. Dann geht es auch wieder bergauf.

Das ist doch verblüffend, wie unterschiedlich so Horoskope ausfallen können, obwohl zwei Menschen dasselbe Sternzeichen haben. Das muss wohl am Aszendenten liegen. Anders kann ich es mir nicht erklären. Oder sollte es daran liegen, dass Milan Sasic in Saarbrücken macht, was er immer macht, wenn er Mannschaften übernimmt? Trainingslager in der Länderspielpause. Spieler einschwören auf die Mannschaft. Einheit herstellen mit den Fans. Letzte Kräfte rauskitzeln. Die Konterspieler in der Mannschaft suchen. Hinten dicht machen. Wenn´s nicht anders geht, lange Bälle auf Stefan Maierhofer, der aber noch verpflichtet werden muss. Deshalb gehen lange Bälle ins Nichts. Es wird ein schwieriges Spiel für den MSV Duisburg, doch ich bin guter Hoffnung.

Im FCS Blog 2.0 gibt es übrigens  eine Art Frage-und-Antwort-Vorbericht. Der ist knapp gehalten. Neben den uns bekannten Informationen wird  auch angedeutet, wie der MSV im Saarland wahrgenommen wird.  Beim flüchtigen Querlesen im Blog habe ich zudem den Eindruck gewonnen, auch ohne einen Bauunternehmer als Ex-Präsidenten beschäftigen sich die am 1. FC Saarbrücken sehr interessierten Menschen mit ähnlichen Fragen wie wir in Duisburg.


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