Vielleicht müssen wir uns diesen Druck auf andere Weise vorstellen, jener Druck, der in Liga 3 auf den Gegner ausgeübt werden muss, um erfolgreich zu sein. Dieser Druck gehört im Fußball der Gegenwart zu den gängigen Versatzstücken in den Absichtserklärungen von Spielern und Trainern. Das Wort wirkt positiv und ist so unbestimmt, dass sich jeder Zuschauer eines Fußballspiels für den konkreten Spielverlauf etwas darunter vorstellen kann. Wie dieser Druck entstehen wird, davon wird erst einmal nicht geredet. Das ist wie immer im Leben. Denn dann ginge es um anstrengende alltägliche Arbeit. Die Fußballerrede über Druck enthält davon meist nie etwas. Dieses Reden gehört zu den Gesellschaftsutopien. Wir setzen den Gegner unter Druck und die beste aller Welten wird wirklich. Das glückliche Leben nimmt seinen Lauf, in dem wir tatsächlich diese Welt so kontrollieren, wie wir sie uns in unseren Allmachtsfantasien vorstellen.
Ich etwa denke beim Gegner-unter-Druck-setzen sofort an den Ballbesitz meiner Mannschaft. Ich sehe Spieler, die schnell und präzise passen. Ich sehe einen Gegner, der sich vorwiegend in der eigenen Häfte aufhalten muss. Ich sehe Strafraumszenen, freie Schüsse, schnelles Umschaltspiel und Außenspieler, die Verteidiger überlaufen. So ähnlich erdachte ich mir das Spiel des MSV Duisburg gegen Rot-Weiß Erfurt, als Tim Albutat vor dem Spiel davon sprach, den Gegner unter Druck zu setzen, damit diese Fehler machten, die „wir“ natürlich ausnutzen. Sehen wir den Saisonverlauf bei allen Mannschaften gleicht die Wirklichkeit so gut wie nie den Bildern, die mir bei dem Wort „Druck“ sofort kommen. Am ehesten gehört der Ballbesitz noch dazu. Betrachten wir diesen Druck also anders. Ich übe ja auch schon Druck aus, wenn ich einen Gegenstand fest in der Hand halte. Vielleicht müssen wir in Liga 3 uns in dieser Saison den Druck auf den Gegner eher auf diese Weise vorstellen. Das reicht, damit beim Gegner Fehler geschehen. Die Mannschaften dieser Liga können nur ausnahmsweise Fehler des Gegners auf spielerische Weise erzwingen. Es geht für die Spieler mehr darum, an der richtigen Stelle zu sein, wenn die unweigerlichen Fehler in der Defensive geschehen. Vielleicht ist das der Druck in Liga 3 zumindest in dieser Saison.
So jedenfalls kam mir das Spiel des MSV Duisburg bis etwa zur 60. Minute vor. Hatte es in den ersten Minuten des Spiels noch so ausgehen, als wolle Rot-Weiß Erfurt auch ein Tor erzielen, so war davon schnell nichts mehr zu sehen. Der MSV übernahm die Kontrolle des Spiels. Die Defensive war souverän. Ballbesitz war also vorhanden, von allen meinen anderen Vorstellungen eines druckvollen Spiels war aber nichts zu sehen. Schnelle Aktionen gab es nur im eins gegen eins. Diese Dribblings wiederum wurden zwar im Mittelfeld gewonnen, je näher die Spieler dem Strafraum aber kamen, desto schlechter sah die Ballbehauptung aus, geschweige denn dass die Außenspieler sich einmal durchsetzen konnten. Die Erfurter allerdings machten aus ihren Ballgewinnen nichts. Dafür sahen wir Fehlpässe und konnten zufrieden sein, wenn nach unpräzisen Zuspielen der MSV doch noch in Ballbesitz blieb. Zwei Kleinstchancen gab es durch einen Kopfball von Enis Hajri nach einer Ecke und durch Nico Klotz, der an der Strafraumgrenze einen Ball schön mit der Brust annahm und sofort schoss. Beide Male ging der Ball über das Tor, nicht weit aber auch nicht nah genug, um wirklich gefährlich zu wirken.
Der Sieg in diesem Spiel aber war so wichtig wie noch nicht zuvor in dieser Saison. Entsprechend sank meine Stimmung. Denn es entstand kein Spiel zum Mitfiebern. Dazu fehlte die Schnelligkeit. Die Mannschaft arbeitete etwas ab, was nicht sehr deutlich zu erkennen war. Die einzig erkennbare Idee war das stets scheiternde Flügelspiel. Zlatko Janjic konnte sich bei Dribblings nicht durchsetzen, aller Einsatz von Kevin Scheidhauer war vergebens. Wie sollte dieses Spiel gewonnen werden? Hoffnung machte mir erst Fabian Schnellhardt, der in der 63. Minute eingewechselt wurde. Ich setzte auf dessen technischen Fähigkeiten und ließ seine manchmal plötzlich verschwindende Durchsetzungskraft außer Acht. Tatsächlich gab es nun Spielszenen, die meinen ursprünglichen Bildern vom Druck entsprachen. Angriffe wurden schneller vorgetragen. Die Defensive der Erfurter wurde unruhiger, Mittelfeldaktionen führten zu freien Spielern auf den Flügeln. Die erste Ahnung einer Chance hatte Fabian Schnellhardt nach einer Flanke von Zlatko Janjic. Doch für einen präzisen Kopfball kam die Flanke zu ungenau. Vor dem ersten Tor war es genau umgekehrt. Der Ball wurde von Fabian Schnellhardt durch die Mitte vorgetragen. Zlatko Janjic stand auf Höhe der Strafraumgrenze, halblinks frei und schoss nach dem Zuspiel direkt. Im Stadion sah es so aus, als machte der Erfurter Torwart jenen Fehler, der durch Druck hatte erzeugt werden sollen. Sieht man die TV-Bilder, ist dieser Schuss aber auch sehr schnell und präzise. So leicht zu halten war er also nicht.
Bis zu diesem Tor war dieses Spiel für mich auch als Zuschauer immer mehr Arbeit geworden. Ich hatte etwas zu erledigen, eine Pflicht zu erfüllen. Entsprechend verhalten fiel mein Beifall aus. Ich war erleichtert, ohne zu jubeln. Immer deutlicher spüre ich Druck. Das ist der andere Druck des Fußballs, der nicht gestaltet wird, der von alleine da ist. Ich will aufsteigen. Ich möchte, dass der MSV Duisburg so früh wie möglich in dieser Saison auf einem der ersten beiden Tabellenplätze steht mit genügend Abstand zu Platz 4. Gejubelt habe ich dann über das zweite Tor, das alle Zweifel beseitigte. Denn wir in Duisburg wissen, Glückstore zum Ausgleich können jederzeit fallen. Selbst wenn die Zebras in der etwas mehr als zehn Minuten noch verbleibenden Spielzeit zeigten, dass sie sich das Spiel nicht mehr nehmen lassen wollten. Sie blieben spielbestimmend, sie attackierten die Erfurter schon früh immer weiter. Endlich entsprach dieses Spiel meinem Bild von einer Mannschaft, die auf den Gegner Druck ausübt und ihn zu Fehlern zwingt. Nun stand die Erfurter Defensive nicht mehr sicher, konnte Rolf Feltscher mit dem Hinterkopf einen Ball in der Angriffshälfte in den freien Raum weiterleiten. Michael Gardawski erlief ihn sich, umkurvte den Erfurter Torwart und schoss zum 2:0 ein.
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