Wie im letzten Jahr begleite ich die 37. Duisburger Akzente mit einem inoffiziellen Programm. In diesem Jahr lautet das Akzente-Motto „Nah und Fern – 300 Jahre Duisburger Hafen“.
In diesem Jahr gehörte zum Akzente-Programm eine Lesung von Feridun Zaimoglu, zu der es in der Rheinischen Post einen kurzen Bericht gibt. Zaimoglu selbst hat anscheinend von „Heimkehr“ gesprochen, wohnte er zur Recherche seines Duisburg-Romans „Ruß“ doch einige Zeit in der Stadt. Dieser Duisburg-Roman hat mich schon mehrmals beschäftigt, weil die Rezeption gerade direkt nach der Veröffentlichung für mich viel über Selbstbild und Selbstbewusstsein der Ruhrstadt verrät.
In der Zeit während der Arbeit am Roman hatte ich ein Interview mit Feridun Zaimoglu gesehen. Er sprach davon, dass ihn “Revierkitsch” nicht interessierte, sondern “echte Menschengeschichten” in einer Stadt, in der die Epoche der Industriealisierung nicht vollends museal aufbereitet sei. Ihm ginge es um die Gegenwart. So hatte ich ihn verstanden. Er wollte nicht über eine hippe Szene schreiben, sondern eine „deutsche Arbeitersaga“.
Richtig nah ist er diesem „herben“ Arbeitermilieu aber nicht gekommen. Zum einen verknüpft er eine bemühte Kriminalhandlung mit dem Blick auf die Wirklichkeit des Ruhrgebiets. Zum anderen bekam ich bei der Lektüre das Gefühl, in eine Welt der 60er Jahre einzutauchen. Eigentlich waren seine Hauptfiguren Männer meiner Generation, doch wenn er sie sprechen ließ, hatte ich immer das Gefühl, meinen Großeltern zuzuhören.
Das mag für Leser und Kritiker ohne Anbindung ans Ruhrgebiet keine Rolle spielen. Für mich ist es eines von vielen Zeichen, dass Feridun Zaimoglu eine Kunstwelt geschaffen hat, mit der er seine eigenen formulierten Ansprüche sicher nicht eingelöst hat. Er nimmt seine Wirklichkeit des Ruhrgebiets als Material, um sich vom alltäglichen Sprechen zu entfernen und zu versuchen, eine Kunst-Sprache zum Klingen zu bringen. Das macht die Lektüre stellenweise anstrengend und die Geschichte verschwindet zudem immer wieder hinter dieser Sprache. Der Klang der Sätze schiebt sich in den Vordergrund. Eine bedrückende Atmosphäre gelingt ihm so. Eine Balance zwischen Handlung und einer notwendigen Sprachform entsteht für mich nicht.
Im Ohr hatte ich immer noch “echte Menschengeschichten” des Interviews, die er hat schreiben wollen. Was die Figuren erleben, wirkt zwar grundsätzlich gegenwärtig, doch gleichzeitig kommt mir die Handlung wie eine manieristische Anstrengung vor. Letztlich lese ich dort nichts über die „raue“ Gegenwartswirklichkeit Duisburgs. Zugespitzt formuliert sehe ich nur den Kunstwillen des Kulturbetriebs in einem Roman, der mir zudem zu oft zu sehr nach Vergangenheit klingt. Kurzum, ich erkenne all das nicht, worauf mich Feridun Zaimoglu neugierig gemacht hat.
Bezeichnenderweise lese ich im oben verlinkten RP-Bericht das klare Urteil vom misslungenen Roman zum ersten Mal. Die überregionalen Medien waren da sehr viel nachsichtiger. Mir geht es aber gar nicht unbedingt um ein klares Urteil. Mir geht es überhaupt um Debatte, die eben nicht stattgefunden hat. Eine Debatte, in der die literarische Wertung ohne den Blick auf die Ruhrstadtidentität nicht ausgekommen wäre. Denn Zaimoglu hatte ja den Anspruch formuliert einen Roman zu schreiben, in dem er sich einer zentralen Identitätsfrage der Region hatte annehmen wollen. Was wird aus der Arbeiterwirklichkeit dieser Region, aus der das Ruhrgebiet seinen Stolz gezogen hat? Wo findet die gegenwärtige Ruhrstadt Identität, wenn diese Arbeiterwirklichkeit untergeht, an den meisten Orten untergegangen ist?
Der Roman bekam seine Geschichte in den Medien des Ruhrgebiets ohne diese Fragen. Schließlich wird die Region nicht oft zum Thema in Romanen bundesweit renomierter Autoren. Es gab Rezension und reportageartige Berichte über den Aufenthalt Zaimoglus im Ruhrgebiet. Man durfte geschmeichelt sein, weil der Autor nicht mit Lob sparte über diese von ihm als untergehend wahrgenommene Arbeiterwirklichkeit. Ob die Imagebeobachter der Ruhrstadt grimmig die Augen gerollt haben? Was für eine Steilvorlage für eine Debatte zur Ruhrgebietsidentät. Sie wurde verpasst.
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