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Wie antirassistisches Engagement mehr als Symbolpolitik sein könnte

Die Aufarbeitung des abgebrochenen Spiels zwischen dem MSV und dem VfL Osnabrück ist kompliziert. Auch wenn viele MSV-Fans das anders sehen und dieses Thema Rassismus schnell wieder vergessen wollen. Dabei ließe sich an dem Geschehen viel darüber lernen, wie wir Menschen in dieser Gesellschaft besser miteinander auskommen.

Eines war ja schnell gewiss nach dem Spielabbruch, ein Rassist möchte niemand genannt werden. In den sozialen Netzwerken sprachen sich viele gegen Rassismus aus. Was das genau bedeutet, blieb aber unklar, oft überaus deutlich markiert durch ein „aber“. Dieses „aber“ interessiert nun hier vor allem. Denn dieses „aber“ verweist auf Konflikte beim Engagement gegen Rassismus, die mehr brauchen als Symbolpolitik, wie sie heute Abend im Stadion mit der von DFB, MSV und VfL gemeinsam formulierten Botschaft gegen Rassismus zu sehen sein wird, vielleicht auch zu hören, ich weiß das nicht. Zumal diesem „aber“ letzte Woche Genugtuung folgen konnte, weil die Ermittlungen der Polizei bestätigten, was bald nach dem Spiel schon die Runde machte. Die vom Linienrichter bekundeten Affenlaute hat es nicht gegeben. Außerdem meinte der Fan mit seiner Beschimpfung nicht den farbigen Spieler Aaron Opoku, sondern den weißen Spieler Florian Kleinhansl.

Naiv betrachtet ließe sich sagen, das Ganze war ein Missverständnis. Nur liegt so ein Missverständnis nahe, wenn ein farbiger Deutscher zeit seines Lebens Erfahrungen der Ausgrenzung und des Misstrauens erleben musste. Wir können uns mit diesem Geschehen also auch dem verdeckten, dem strukturellen Rassismus nähern, dem sehr viel schwieriger zu entgehen ist als nur durch das Vermeiden von bestimmten Wörtern. Wer sein Bekenntnis zum Anti-Rassismus ernst nehmen will, muss also versuchen, Menschen wie Aaron Opoku in ihrer Wahrnehmung zu verstehen. Dann könnten Missverständnisse weniger werden und auch rassistische Strukturen im eigenen Denken würden erkennbarer.

Das wäre aus diesem Geschehen in Duisburg zu lernen: Selbst wenn man es nicht beabsichtigt, kann man rassistischem Handeln nahe kommen, vielleicht sogar rassistisch sein. Mit dieser Einsicht könnte es dann auch leichter sein, nicht dem Gefühl zu folgen, ein ungerechter Vorwurf sei im Dezember einem von „uns“, der Stadt und dem MSV gemacht worden. Man könnte dann vielleicht sogar denken, das tut mir leid, dass Opoku dieses Wort „Affe“ auf sich bezieht. Dieser Satz drückt nichts anderes als Mitgefühl aus. Er ist kein Schuldbekenntnis, wie viele ihn vielleicht verstehen.

Aber auch Aaron Opoku und der VfL Osnabrück können etwas lernen. Denn so ein Missverständnis braucht den Versuch, sich gegenseitig zu verstehen. Gegenseitig! Mir missfällt an der Stellungnahme des VfL Osnabrück zum Spiel heute Abend folgender Satz sehr: „Die strafrechtliche Würdigung der Beleidigung spielt deshalb zwar für den Verursacher eine bedeutende Rolle, mit Blick auf die Reaktionen und das notwendige Engagement gegen Ausgrenzung ist das aber unbedeutend.“

Unbedeutend ist das Ermittlungsergebnis überhaupt nicht bei diesem Engagement gegen Rassismus. Erst das Ermittlungsergebnis gibt uns die Fakten, auf die wir uns bei unserem Engagement beziehen können. Jeder kann sich mit dem symbolpolitischen Antirassismus heute Abend auf der Seite der Guten fühlen, doch nur die Betrachtung des konkreten Falls wirkt aufklärerisch. Erst die Ermittlungsergebnisse machen darauf aufmerksam, wie schwierig es sein kann, rassistisches Verhalten zu identifizieren. Erst wenn diese Ergebnisse als bedeutsam wahrgenommen werden, entsteht jene gemeinsame Wirklichkeit von Aaron Opoku und Fan, in der ein umfassenderes Verstehen von Opokus Reaktion als strukturelles Problem dieser Gesellschaft möglich wäre. Werden sie nicht ernst genommen, bestärkt der VfL das „aber“ der MSV-Fans. Ein Bärendienst beim Engagement gegen Rassismus.

Übrigens bin ich nach wie vor der Meinung, am Spieltag haben die Verantwortlichen des MSV richtig gehandelt. Immer wieder lese ich, Ingo Wald und Martin Haltermann hätten vor ihren deutlichen Worten der Distanzierung die Untersuchung des Geschehens abwarten müssen. Es gab aber vermeintliche Fakten an diesem Abend, die vom Schiedsrichtergespann geschaffen wurden. Sie schufen eine Wirklichkeit, auf die reagiert wurde. Es gab zunächst kein unklares Geschehen. Auch die Zuschauer haben ja mehrheitlich auf diese Wirklichkeit reagiert. Meine damals in den sozialen Medien von einigen hart kritisierten Worte vertrete ich weiter.

Und damit auch das noch einmal geschrieben ist: Ein Makel bleibt für mich am MSV nicht hängen. Die Reaktionen in den überregionalen Medien direkt nach dem Spielabbruch waren positiv. Das ist Meinung, entscheiden lässt sich das nur durch Analyse. Andere meinen eben das Gegenteil. Beides steht nebeneinander. Die Argumente ohne Daten sind getauscht. Nun taucht aber der Rassismusgrund für den Spielabbruch in wenigen Kürzestmeldungen zur Neuansetzung wieder auf. Dabei denke ich, das versendet sich. Wirkkraft hat auch das nicht. Entscheidend ist, ob du selbst an den Makel glaubst oder nicht. Fragt mal Aaron Opoku, der kann euch das genau erklären.

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