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Kalou und Verstraete bereiten Soziologen Freudenfeste

Der alte Soziologe in mir blickt in diesen Tagen aufgeregt von einer Ecke dieser Gesellschaft in die andere. Was gibt es nicht alles zu beobachten. Was bringt das Virus nicht alles an sozialen Mechanismen ans Licht, was sonst mühsam durch Umfragen und Statistiken nachgewiesen werden muss. Jetzt ist das in Echtzeit erlebbar. Es ist eine Hochzeit für qualitative Forschung. Beobachtung und Beschreibung sind in diesen Tagen mindestens ebenso gefragt wie die Erhebung statistischer Daten.

Habt ihr schon die Reaktion des 1. FC Köln auf das Verstraete-Interview neben die von Hertha BSC auf den Kalou-Clip gestellt, rufe ich den Kollegen laut zu? Auf jeden Fall was für eine Masterarbeit, die sich den Fußball als soziales Subsystem vornimmt. Bei beiden Profis ergibt sich dasselbe Problem für die Fußballwelt. Es gibt einen Konflikt  zwischen dem durch Corona notwendigen Bild des Fußballbetriebs für sein Weiterbestehen und dem wirklichen Verhalten der Teilnehmer in diesem Betrieb. Was bislang meist kulturkritisch betrachtet wurde und nur von einer Minderheit als Beschädigung des Fußballs als solchem wahrgenommen wurde, ist nun sofort ein Problem, das den Fußball in seiner Existenz angreift.

Fußballclubs sind Unternehmen, deren Angestellte natürlich keinesfalls sagen dürfen, was sie wirklich denken. Es lässt kein Unternehmen zu, dass Angestellte den Ruf des Unternehmens öffentlich diskreditieren. Zweifel am wirksamen Schutz der Angestellten durch den Fußballer Birger Verstraete schädigen also den Ruf des Unternehmens 1. FC Köln. Wenn ein Fußballer wie Birger Verstraete allerdings über Ängste spricht, die er momentan mit dem größten Teil der Menschheit teilt, wird es für das Unternehmen schwer, das Übertreten des Loyalitätsgebots so zu sanktionieren, wie es üblicherweise geschieht. Womöglich war sich Birger Verstraete nicht bewusst, dass er gegen das Loyalitätsgebot verstieß. Schließlich sprach er nur davon, was momentan alle bewegt. Der 1. FC Köln musste sich also lächerlich machen, indem er Übersetzungsfehler vorgab, um ein Missverständnis in den Raum zu stellen, das es nicht gegeben hat. Der gewohnte Umgang war nur an der Oberfläche in Kraft. In der Öffentlichkeit wurde diese Erklärung meiner Beobachtung nach nirgendwo hingenommen. Vor Corona wurden solche Maßregelungen auch schon wahrgenommen, aber heute stellen sie den Betrieb als Ganzes in Frage. Denn die Inhalte des Verstraete-Interviews werden von der Öffentlichkeit aufgenommen. Sie sind nicht als einzelne Fehlleistung isolierbar.

Auch beim Umgang mit dem Videoclip von Salomo Kalou sind die üblichen Maßstäbe nicht gültig. Sein Clip entstammt aus einer Zeit, in der die Fußballer als Ich-Unternehmen mit pseudoauthentischem Social-Media-Gedöns ihren Wert steigern. Vor Corona hätte er vielleicht mit dem Gehaltsgerede provoziert, aber eben auch eine Aufmerksamkeit bekommen, die seiner Ich-Marke zugute gekommen wäre. Nun gelten andere Regeln, weil der Überbau, der Fußballbetrieb, andere Regeln befolgen muss, um überhaupt noch eine Daseinsberechtigung zu haben. Das machte es für Hertha BSC notwendig, Kalou zu suspendieren. Salomon Kalou wird wahrscheinlich gar nicht vestehen, was er falsch gemacht hat. Schließlich hat er das gemacht, was Stars immer machen, nämlich sich selbst zu inszenieren. Alles distanzierende Gerede über Inhalte des Clips durch die Funktionäre des Betriebs ist unerheblich. Aus soziologischer Pespektive ist wichtig, was vor Corona dem Fußball als Unterhaltungsbetrieb diente, der pseudoauthentische Blick auf die Angestellten, das gefährdet den Betrieb als Ganzes heute. Was vor Corona allenfalls als isoliertes Fehlverhalten durch den Medienzirkus aufgenommen worden wäre und damit in den Unterhaltungsbetrieb integriert, steht heute außerhalb des Fußballbetriebs. Die Teilnehmer des Unterhaltungsbetriebs Fußball müssen einem gemeinschaftlichem Bild entsprechen, das es außerhalb des Unterhaltungsbetriebs in dieser Absolutheit nicht gibt.

Das Virus macht diese Gesellschaft zu einem Experiment, bei dem man nur die zu beobachtenden Parameter genau bestimmen muss und schon hat der nächste soziologische Vortrag oder Aufsatz seine Grundlage. Die Daten werden in den sozialen Medien frei Haus geliefert, und dann geht es nicht nur um den Fußball. Da geht es um wesentlich mehr, da geht es um die Demokratie in dieser Gesellschaft. Wo zeigen sich nun soziale Phänomene im Zentrum dieser Gesellschaft, die sonst in Randbereichen öffentlichkeitshungrig vor sich hindümpeln? Was hat dazu geführt? Welche Menschen verwerten Aufmerksamkeit ökonomisch? Welche Konzepte werden genutzt, um Wahrheit zu verbürgen? Welche Konzepte werden genutzt, um Authentizität herzustellen? Welcher Zusammenhang besteht zwischen beiden Kategorien?

Wer macht sich Skandalisierung für welche Zwecke zunutze? Wessen Werbeumsätze steigen mit welchen Methoden? Wo offenbart sich bei Grenzüberschreitungen das Regelwerk von Segmenten dieser Gesellschaft? Das sind alles interessante Fragen mit Blick auf die Verschwörungsfranktion mit Ken Jebsen & Co, mit Blick auf Politiker der kleinen Parteien, die bei der Krisenbewältigung zunächst von der Bildfläche verschwunden waren, mit Blick auf Unternehmen und Lobbyisten, die Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen wollen.

Gut, Politologen könnten sich da auch mal umschauen. Journalisten sowieso. Und nun an die Arbeit.

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