Vorgestern Abend hat der MSV Duisburg mit dem Pokalspiel beim VfB Lübeck sein erstes Pflichtspiel der Saison 2010/2011 erfolgreich bestritten. Die zweite Halbzeit habe ich beim Nachbarn recht entspannt und nur halb aufmerksam mitbekommen. Der MSV Duisburg kontrollierte mit einer Ausnahme das Spiel und zeigte im Abschluss bekannte Schwächen. Es gab keinen Grund für überschwänglichen Jubel und große Freude, und wenn es hier nur um Fußball ginge, wäre spätestens nun den Zeitpunkt gekommen, sich ein paar Gedanken über den MSV in den nächsten Wochen zu machen.
Hier geht es nicht nur um Fußball. In den Worten über Fußball geht es immer auch um mich. Das soll heißen, Worte über Fußball und all die Nebensächlichkeiten ergeben sich deshalb, weil Quelle und Antrieb dieses Schreibens nichts anderes ist als der Versuch, mich mit meiner ganzen Wahrheit öffentlich zu machen. Diese ganze Wahrheit aber machte in den letzten Tagen jedes meiner Worte über Fußball in meinen eigenen Ohren zu einem Missklang. Deshalb schwieg ich hier länger, als von mir selbst gewünscht. Das ist keine philosophische Spinnerei, sondern das Ergebnis von zu viel Erleben. Alltag und Normalität hatten sich für mich aufgelöst, die Dinge waren kräftig ins Schwanken geraten. Sobald ich etwa an die Saisonvorbereitung und dieses erste Pflichtspiel der Saison 2010/2011 des MSV Duisburg beim VfB Lübeck dachte, schob sich deshalb zu viel in und von mir in diese Fußballworte. Dieses Etwas durchdrang sie und zerfraß den Fußball bis zur Durchsichtigkeit. Nur noch dieses Etwas wäre im Text übrig geblieben. Wäre ich Sportjournalist hätte der Arbeitsauftrag geholfen. The show must go on, wäre das professionelle Credo gewesen. Doch hier bin ich auf mich selbst zurück geworfen, und deshalb hätte jedes Wort über Fußball falsch geklungen.
Fürs erste wird das Schwanken weniger. Es ist immer noch schwierig genug, sich mit Worten über Fußball zu dieser ganzen eigenen Wahrheit zu bekennen und die Nabelschau zu vermeiden. Doch nach mehreren Anläufen verflüchtigt sich nun dieses Gefühl von Falschheit der Worte, und ich kann zweifelsfrei schreiben: Wenn man sich einen Theaterbetrieb in der Situation des MSV Duisburg und noch vieler anderer Mannschaften des Profi-Fußballs vorstellte, müsste die erste Klassikerpremiere der Spielzeit als sehr moderne Inszenierung verkauft werden. Werktreue wird zwar angestrebt, doch den Umständen gemäß muss das Publikum in Teilen mit einer sehr freien Fasssung Vorlieb nehmen. Im Programmheft wäre das „N.N.“ als Besetzung von Rollen keine Seltenheit, und während das Publikum zur Premiere in den Zuschauerraum käme, probten die Schauspieler immer noch ihre Gänge in den einzelnen Szenen. Man sähe, den einen Gang mal vom ehrgeizigen Schauspielschüler ausgeführt und im nächsten Moment vom Veteran des Ensembles. Scheinwerfer erhellten Teile des Bühnenraums, wo niemand sich im Verlauf der Aufführung aufhielte, Kulissen aus anderen Stücken ständen noch im Weg und Schauspieler sprächen in Erwartung eines Auftritts des Kollegen nach links, unterdessen er ihnen von hinten auf die Schulter tippt. Wir stehen eben vor der Saison nach einer Fußballweltmeisterschaft. Da dauert es ein wenig länger, bis alle Schauspieler wissen, ob das renommierte Off-Theater in der Großstadt besser für ihre Karriere ist oder die ambitionierte Landesbühne auf Tour durch die Provinz oder gar das geruhsame Boulevardtheater in der Kleinstadt. Und den kleineren Theatern ist zwar klar, welche Rollen sie noch besetzen müssen, doch die größeren Theater wissen noch nicht alle, ob für die rauschende Inszenierung nicht noch der eine große Name in der Besetzung fehlt. Da dauert es etwas länger, bis sich die Ensembles von oben nach unten neu sortiert haben.
Nur gut für den MSV Duisburg, dass Julian Koch schon früh wusste, wie er sich weiter entwickeln will. Von meinem flüchtigen Lesen der Berichterstattung über die Saisonvorbereitung blieben vor allem die Sätze über ihn haften. Da gibt es anscheinend einen sehr jungen Spieler, der sofort beim MSV Duisburg eine Präsenz beweist, wie wir sie uns von allen Neulingen erhoffen und die von keinem Beobachter – ob Journalisten oder Zuschauer – übersehen werden konnte. Seit vorgestern kann nun auch das offensive Mittelfeld mit der Ausleihe von Filip Trojan als besetzt gelten und vielleicht nähern wir uns der Werktreue des Fußballspiels vom MSV Duisburg bereits im September. Spätestens aber, wenn im Oktober die Verletzung von Adam Bodzek ausgeheilt ist, sollte dem nichts mehr entgegen stehen. Das Publikum weiß jedenfalls um die jugendlichen Vorzüge des Ensembles und die daraus sich ergebenden Grenzen ihres Könnens. Wobei Entwicklungen von jungen Menschen ja manchmal auch sehr sprunghaft geschehen. Wir werden sehen.
Vom Spiel vorgestern bleibt mir weniger der Sieg selbst als die ausgelassene Freude bei den Toren im Gedächtnis. Anscheinend ist da bereits ein guter Zusammenhalt entstanden, was für den Alltag der 2. Liga keine schlechte Voraussetzung ist.
Nach der Pause hier, habe ich auch etwas für die Ablage. Ich hefte es mal weg, und ihr könnt selbst entscheiden, ob ihr da noch mal drüber schauen wollt: Wenn der der SC Freiburg, für aufstiegsorientierte Spieler des MSV Duisburg anscheinend eine erste Adresse ist, scheint der FSV Frankfurt jener Verein zu sein, der gerne bei Spielern zugreift, die beim MSV Duisburg für nicht gut genug befunden werden. Björn Schlicke hat es dort sofort zum Mannschaftskapitän gebracht, und Sascha Mölders, der schon ein paar Monate länger beim Verein ist, liefert den Frankfurtern eine bunte Geschichte über die Schwierigkeit die richten Entscheidungen im Leben zu treffen.
Keineswegs etwas für die Ablage ist der Bericht eines weiblichen MSV-Fans, „wie sie zum MSV kam“ für das Fan-Gedächtnis. Auch ihre Erzählung stellt einen Gegenbeweis dar für meine Lieblingsthese des irreversiblen Lernens von Fan-Zugehörigkeit in jungen Jahren durch Prägung. Allerdings, so werden ihr sehen, hat sie für meine These ein Hintertürchen geöffnet. Man müsste in einem Fragebogen nämlich eine Unterscheidung einführen zwischen dem ersten Erleben eines durch Medien vermittelten Fußballspiels und dem ersten Erleben eines Fußballspiels in einem Stadion. Vielleicht lässt sich meine These noch retten.
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