Posts Tagged 'Björn Schlicke'

Langsam wieder mehr Worte über Fußball schreiben

Vorgestern Abend hat der MSV Duisburg mit dem Pokalspiel beim VfB Lübeck sein erstes Pflichtspiel der Saison 2010/2011 erfolgreich bestritten. Die zweite Halbzeit habe ich beim Nachbarn recht entspannt und nur halb aufmerksam mitbekommen. Der MSV Duisburg kontrollierte mit einer Ausnahme das Spiel und zeigte im Abschluss bekannte Schwächen. Es gab keinen Grund für überschwänglichen Jubel und große Freude, und wenn es hier nur um Fußball ginge, wäre spätestens nun den Zeitpunkt gekommen, sich ein paar Gedanken über den MSV in den nächsten Wochen zu machen.

Hier geht es nicht nur um Fußball. In den Worten über Fußball geht es immer auch um mich. Das soll heißen, Worte über Fußball und all die Nebensächlichkeiten ergeben sich deshalb, weil Quelle und Antrieb dieses Schreibens nichts anderes ist als der Versuch, mich mit meiner ganzen Wahrheit öffentlich zu machen. Diese ganze Wahrheit aber machte in den letzten Tagen jedes meiner Worte über Fußball in meinen eigenen Ohren zu einem Missklang. Deshalb schwieg ich hier länger, als von mir selbst gewünscht. Das ist keine philosophische Spinnerei, sondern das Ergebnis von zu viel Erleben. Alltag und Normalität hatten sich für mich aufgelöst, die Dinge waren kräftig ins Schwanken geraten. Sobald ich etwa an die Saisonvorbereitung und dieses erste Pflichtspiel der Saison 2010/2011 des MSV Duisburg beim VfB Lübeck dachte, schob sich deshalb zu viel in und von mir in diese Fußballworte. Dieses Etwas durchdrang sie und zerfraß den Fußball bis zur Durchsichtigkeit. Nur noch dieses Etwas wäre im Text übrig geblieben. Wäre ich Sportjournalist hätte der Arbeitsauftrag geholfen. The show must go on, wäre das professionelle Credo gewesen. Doch hier bin ich auf mich selbst zurück geworfen, und deshalb hätte jedes Wort über Fußball falsch geklungen.

Fürs erste wird das Schwanken weniger. Es ist immer noch schwierig genug,  sich mit Worten über Fußball zu dieser ganzen eigenen Wahrheit zu bekennen und die Nabelschau zu vermeiden. Doch nach mehreren Anläufen verflüchtigt sich nun dieses Gefühl von Falschheit der Worte, und ich kann zweifelsfrei schreiben: Wenn man sich einen Theaterbetrieb in der Situation des MSV Duisburg und noch vieler anderer Mannschaften des Profi-Fußballs vorstellte, müsste die erste Klassikerpremiere der Spielzeit als sehr moderne  Inszenierung verkauft werden. Werktreue wird zwar angestrebt, doch den Umständen gemäß muss das Publikum in Teilen mit einer sehr freien Fasssung Vorlieb nehmen. Im Programmheft wäre das „N.N.“ als Besetzung von Rollen keine Seltenheit, und während das Publikum zur Premiere in den Zuschauerraum käme, probten die Schauspieler immer noch ihre Gänge in den einzelnen Szenen. Man sähe, den einen Gang mal vom ehrgeizigen Schauspielschüler ausgeführt und im nächsten Moment vom Veteran des Ensembles. Scheinwerfer erhellten Teile des Bühnenraums, wo niemand sich im Verlauf der Aufführung aufhielte, Kulissen aus anderen Stücken ständen noch im Weg und Schauspieler sprächen in Erwartung eines Auftritts des Kollegen nach links, unterdessen er ihnen von hinten auf die Schulter tippt. Wir stehen eben vor der Saison nach einer Fußballweltmeisterschaft. Da dauert es ein wenig länger, bis alle Schauspieler wissen, ob das renommierte Off-Theater in der Großstadt besser für ihre Karriere ist oder die ambitionierte Landesbühne auf Tour durch die Provinz oder gar das geruhsame Boulevardtheater in der Kleinstadt. Und den kleineren Theatern ist zwar klar, welche Rollen sie noch besetzen müssen, doch die größeren Theater wissen noch nicht alle, ob für die rauschende Inszenierung nicht noch der eine große Name in der Besetzung fehlt. Da dauert es etwas länger, bis sich die Ensembles von oben nach unten neu sortiert haben.

Nur gut für den MSV Duisburg, dass Julian Koch schon früh wusste, wie er sich weiter entwickeln will. Von meinem flüchtigen Lesen der Berichterstattung über die Saisonvorbereitung blieben vor allem die Sätze über ihn haften. Da gibt es anscheinend einen sehr jungen Spieler, der sofort beim MSV Duisburg eine Präsenz beweist, wie wir sie uns von allen Neulingen erhoffen und die von keinem Beobachter – ob Journalisten oder Zuschauer – übersehen werden konnte. Seit vorgestern kann nun auch das offensive Mittelfeld mit der Ausleihe von Filip Trojan als besetzt gelten und vielleicht nähern wir uns der Werktreue des Fußballspiels vom MSV Duisburg bereits im September. Spätestens aber, wenn im Oktober die Verletzung von Adam Bodzek ausgeheilt ist, sollte dem nichts mehr entgegen stehen. Das Publikum weiß jedenfalls um die jugendlichen Vorzüge des Ensembles und die daraus sich ergebenden Grenzen ihres Könnens. Wobei Entwicklungen von jungen Menschen ja manchmal auch sehr sprunghaft geschehen. Wir werden sehen.

Vom Spiel vorgestern bleibt mir weniger der Sieg selbst als die ausgelassene Freude bei den Toren im Gedächtnis. Anscheinend ist da bereits ein guter Zusammenhalt entstanden, was für den Alltag der 2. Liga keine schlechte Voraussetzung ist.

Nach der Pause hier, habe ich auch etwas für die Ablage. Ich hefte es mal weg, und ihr könnt selbst entscheiden, ob ihr da noch mal drüber schauen wollt: Wenn der der SC Freiburg, für aufstiegsorientierte Spieler des MSV Duisburg anscheinend eine erste Adresse ist, scheint der FSV Frankfurt jener Verein zu sein, der gerne bei Spielern zugreift, die beim MSV Duisburg für nicht gut genug befunden werden. Björn Schlicke hat es dort sofort zum Mannschaftskapitän gebracht, und Sascha Mölders, der schon ein paar Monate länger beim Verein ist, liefert den Frankfurtern eine bunte Geschichte über die Schwierigkeit die richten Entscheidungen im Leben zu treffen.

Keineswegs etwas für die Ablage ist der Bericht eines weiblichen MSV-Fans, „wie sie zum MSV kam“ für das Fan-Gedächtnis. Auch ihre Erzählung stellt einen Gegenbeweis dar für meine Lieblingsthese des irreversiblen Lernens von Fan-Zugehörigkeit in jungen Jahren durch Prägung. Allerdings, so werden ihr sehen, hat sie für meine These ein Hintertürchen geöffnet. Man müsste in einem Fragebogen nämlich eine Unterscheidung einführen zwischen dem ersten Erleben eines durch Medien vermittelten Fußballspiels und dem ersten Erleben eines Fußballspiels in einem Stadion. Vielleicht lässt sich meine These noch retten.

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Klinsmann für Klose und Bajic für Fahrenhorst

„Klinsmann für Klose“ las ich heute morgen als Überschrift einer kurzen Meldung im Kölner Stadt-Anzeiger. Seufzend bedauerte ich Mario Gomez, und dachte, nun wird es noch mehr Ärger mit den Engländern geben. Wenn Jürgen Klinsmann statt Miroslav Klose gegen Serbien stürmt, muss die FIFA dem DFB die Sondererlaubnis gegeben haben, einen Spieler nachzunominieren. Dieser gute Draht des DFB zur FIFA gibt den Engländern zwar einen ganzen Stall voll Sündenböcke für ihr Ausscheiden, aber Mario Gomez wird auf seinem Zimmer heimlich fluchen, wenn Jürgen Joachim Löw ihm so einen Michael Schumacher des Fußballs vorzieht. Was haben wir überlegt, wieviel der so herrlich anzusehende und überlegen erspielte Sieg gegen Australien Wert ist. Nach der Meldung von Klinsmanns Aufstellung wissen wir es immer noch ebenso wenig wie die Antwort auf die Frage, warum Miroslav Klose nicht spielen kann. Im ersten Moment erschreckt man vielleicht, wenn Löws Kumpel aus alten Sommermärchen-Tagen der Mannschaft weiterhelfen soll. Aber vielleicht ist es genau andersrum, die Mannschaft spielt so gut, dass sie als eine Art Jungbrunnen dem Kumpel aus alten Tagen durch seine Schaffenskrise als Trainer bringen wird. Im Fußball ist es Gott sei Dank häufig entweder so oder doch ganz anders, wahrscheinlich nur deshalb, damit wir immer was zu reden haben.

In Duisburg bietet dazu eine Spielerverpflichtung die Gelegenheit. Branimir Bajic scheint so eine Art Frank Fahrenhorst von Milan Sasic zu sein, auch wenn er ihn in Koblenz nicht mehr trainiert hat. Da verlasse ich mich mal auf die statistischen Daten bei fussballdaten.de. Wir wissen aber, in der Region seines ehemaligen Arbeitgebers kennt sich Milan Sasic noch immer bestens aus. Wie viel besser muss es also früher gewesen sein, als er die meiste Zeit seines Tages noch im direkten Einzugsgebiet verbracht hat. So wirkt diese Spielerverpflichtung wie eine Maßnahme zur Basissicherung. Grundnahrungsmittel müssen eben auch im Haus sein. Wenn man am Supermarkt mit der einen Buttermarke nicht mehr vorbeikommt, geht man zu dem anderen, der nun auf dem Weg liegt und greift zur anderen Buttermarke.

Die Planungen für die Abwehr sind nach der RevierSport-Kürzestmeldung jedenfalls abgeschlossen, bleibt die offene Frage, wie lange noch sich Fahrenhorst und Schlicke demnächst auf Meidericher Nebenplätzen fit halten werden. Überraschend wäre die Entwicklung nur noch dann, wenn wenigstens einer von beiden plötzlich doch wieder im regulären Vereinsbetrieb auftauchen würde. Bis dahin unterhalten wir uns über die Perspektiven von Bruno Soares.

Gefühlter Heimspielverzicht vom MSV Duisburg bei veränderter Taktik?

Ihr kennt noch eine der Anfangsszenen aus „Das Wunder von Bern„? Mattes, der Sohn des Kriegsgefangenen Richard, schickt zusammen mit seinen Freunden eine Brieftaube los, um das Ergebnis eines Fußballspiels zu übermitteln. So eine Brieftaube im Anflug hätte mich gestern sehr gefreut. Bei einer Geburtstagsfeier war ich nämlich abgetrennt von jeglichen modernen Kommunikationsmitteln. Wie es zu dieser Selbsterfahrung kommen konnte, ist eine andere Geschichte. Aber trotz des intensiven Verdrängens aller Aufstiegsgedanken wurde ich ab 13 Uhr zunehmend nervös. Den Tischgesprächen konnte ich von da an nur noch unzulänglich folgen, geschweige denn dass ich selbst viel zu den Themen hätte beitragen können.

In so einem Fall hält man sich am besten an eine der Grundregeln gelingender Kommunikation: Störung zuerst. Wenn ich dann aber halb im Scherz seufzend mein Leid klagen wollte, blieb mir für Sätze über den MSV Duisburg nicht allzu viel Zeit. Wenn mein Tischnachbar neben dem geseufzten „Ergebnisse der Fußballspiele heute“ noch „Zweite Liga“ hörte, lauerte er bereits nur noch auf ein passendes Überleitungswort in meinem Reden zum eigenen Herzensthema des Wochenendes: die zwei Tore von Lukas Podolski. „Was für eine Befreiung beim ersten Tor“; und: „Hätte Podolski beim zweiten Mal doch nur nicht selbst geschossen und den Ball Freis überlassen. Der stand nicht im Abseits“. Wir lernen also daraus, Störung zuerst, schön und gut. Wenn ein Gespräch aber aus nichts mehr als Störung besteht, wird es ganz schön kompliziert.

Dann reden wir im besten Fall halbherzig über Dinge, die uns nur am Rande interessieren und freuen uns darauf, wieder zu Hause zu sein. Dort erfuhr ich es dann endlich. Auswärtssieg! Wieder! Ich kenne den 1:0-Sieg gegen den 1. FC Union Berlin also nur aus zweiter Hand. Einstimmig wird von Presse und Fans Tom Starke als Garant für den Sieg gefeiert. Auch er selbst schätzt das im Interview nach dem Spiel mit Sky so ein (Der Spielbericht ist übrigens ab heute nur eine Woche online). Die Überraschung des Spiels war die Aufstellung von Björn Schlicke als rechtem Außenverteidiger. Dass er zudem das Siegtor schoss, hob seine Laune sicher noch mehr. Nicht nur als ich vorhin die Großchance von Srjdan Baljak in der ersten Halbzeit sah, war ich im Nachhinein froh diese Bilder nicht live gesehen zu haben. Auch die Chancen vom 1. FC Union Berlin zum Ende des Spiels hätten meine Nerven beim Zuschauen am Fernsehen oder PC-Bildschirm überfordert.

Wenn ich sämtliche Stimmen und die Bilder der Sky-Zusammenfassung resümiere, komme ich zum Schluss, die Auswärtssiege des MSV Duisburg gleichen sich sehr. Die kompakte Abwehr lässt wenig zu. Die Konter werden aber nicht genau genug ausgespielt, um das Spiel sicher zu gewinnen. Abschlussschwäche kommt hinzu. Deshalb braucht die Mannschaft für ihre Siege einen Torwart wie Tom Starke in der derzeitigen Form.

Ich denke nicht an Aufstieg. Zumal ich den Eindruck habe, dass bei allem Reden unter Fans über Platz 3 zwar alle die Ausscheidungsspiele gegen den Erstligisten irgendwie schon im Kopf haben, aber es längst noch nicht wirklich fühlen. Gewonnen ist auf Platz 3 noch nichts. Platz 3 ist nur das Andauern der Möglichkeit zum Aufstieg. Während ich nicht an den Aufstieg denke, mache ich mir natürlich über den Aufstieg dennoch Gedanken. So balanciere ich mühsam meine Gefühle aus. Denn ich gehöre nicht zu den Anhängern des MSV Duisburg, die die Mannschaft lieber in der 2. Liga sehen als chancenlos in der Bundesliga.

Eine Prüfung für den Aufstiegswillen der Fans könnte eine veränderte Heimspieltaktik sein. Milan Sasic deutet sie an. Wenn die Mannschaft zu Hause versucht, ähnlich kompakt wie bei Auswärtsspielen zu verteidigen und der Gegner ebenso defensiv spielt, wird das nicht sehr ansehlich werden. Dann müssen Fans sich geduldig zeigen. Dann muss so ein Heimspiel vielleicht von Seiten des Verein im Vorfeld erklärt werden. Ansonsten höre ich schon jetzt die lauter werdende Unzufriedenheit. Heimspielverzicht sehen die Statuten des DFB ja nicht vor. Was tun?

Besser als der Eindruck

„Die Abwehr – wie ein Hühnerhaufen“, ruft der WDR-Reporter in das Mikro. Durch den nächsten herrlichen Konter fällt das dritte Tor. In der achtzehnten Minute. Jetzt sagt ihr, Moment, es sind doch nur zwei Tore gefallen. Richtig. Das war auch gestern. Wir haben aber Samstagnachmittag, ich komme spät zum Schreiben, und ich höre „Sport und Musik“.  In Mönchengladbach erleben die Zuschauer gerade das, was wir gestern auch gesehen haben. Mit dem Unterschied, dort kontert die Heimmannschaft und die Gäste versuchen sich am Spielaufbau.

Relativieren die Bremer Erfahrungen die erste Halbzeit des gestrigen Spiels vom MSV Duisburg gegen den FC St. Pauli schon etwas? Manchmal ist es ein Vorteil, wenn ein wenig Zeit verstreicht, ehe ein Urteil gefällt und Enttäuschung in Worte gefasst wird. Was soll ich all das wiederholen, was fast überall schon geschrieben wurde? Natürlich offenbarte sich ein Klassenunterschied in der ersten Halbzeit. Natürlich hätte es fünf oder sechs Tore für St. Pauli geben können – gerade steht es in Mönchengladbach übrigens 4:1. Und natürlich hielt Tom Starke überragend. Für seine Stärken war das Spiel perfekt geeignet. Natürlich wirkt eine Abwehr bei solchen Kontern überfordert. Wie das Mittelfeld, das beim Spielaufbau jene Fehler machte, die der Abwehr erst das Unmögliche abverlangte. Mal abgesehen vom ersten Tor, bei dem die Abwehrspieler die Stürmer St. Paulis zur freien Kombination einluden. Soll ich also auch schreiben, dass man mit der zweiten Halbzeit halbwegs zufrieden sein konnte? All das ist allerorten schon geschrieben worden.

Wäre es da nicht zumindest unterhaltsamer, provokativ zu sagen, der MSV Duisburg hätte das Spiel gewinnen können. Den Klassenunterschied hat es nur deshalb gegeben, weil der Verein aller Vereine mit seiner für eine Heimmannschaft typischen Spielweise die Stärken des FC St. Pauli nur besonders zur Geltung gebracht hat. Soll ich provokant fragen, ob das Heimpublikum es ausgehalten hätte, einen nach dem frühen Gegentor abwartenden MSV Duisburg zu sehen, eine Heimmannschaft, die sich erst einmal zurück zieht, um sich zu besinnen und aus der verstärkten Abwehr heraus zunächst nicht mehr als das Unentschieden zu wollen? Es waren noch 83 Minuten zu spielen. Im Fußball gibt es solch einen Wechsel der Taktik mitten im Spiel kaum. Es fehlen die Auszeiten, um die Mannschaft kollektiv während einer Ruhephase in eine andere Richtung zu schicken. Dennoch sollte man dieses Gedankenspiel einmal vornehmen. Dann lässt sich die Leistung des FC St. Pauli in der zweiten Halbzeit auch noch einmal gesondert bewerten. Denn bei einem ruhigen Spielaufbau gelingt dieser Mannschaft auch nicht allzu viel.

Das schreibe ich auch deshalb, weil in Duisburg das zu-Tode-betrübt-Sein ein Lieblingsgefühl des Publikums ist. Mich haben die Pfiffe zum Abpfiff der ersten Halbzeit auf dieselbe Weise geärgert wie die vergebenen Torchancen in der zweiten Spielhälfte. Da kann man dieses Mal die von den Ultras motivierten Fans kaum zu wenig loben, die dieses idiotische Pfeifen übertönen wollten. Was soll dieses Pfeifen? Hat diese Mannschaft in der ersten Halbzeit etwa nichts versucht? Das Können dieser Mannschaft reichte nicht aus, um diesen so früh und perfekt agierende Defensivverband St. Paulis zu überspielen. Prügelt ihr auf eure Kinder ein, wenn sie partout nicht aus dem Stand heraus partielle Differentialgleichungen lösen können? Was soll das: „Schlicke raus“? Darf man während des Spiels trotz aller Enttäuschung nicht auch einen Funken Verstand erwarten? Wer sitzt denn da zurzeit auf der Bank als Ersatz? Frank Fahrenhorst. Von ihm lese ich natürlich wegen seiner so überragenden Spielweise immer wieder als „Gefahrenhorst“.

Im Grunde haben wir es vorher gewusst. Es gibt die Schwächen dieser Mannschaft, und manchmal ist der Gegner dazu in der Lage, diese Schwächen auszunutzen. Diese  Schwächen werden in dieser Saison dauerhaft nicht abzustellen sein. Dennoch kann die Mannschaft um den Aufstieg weiter mitspielen. Eine Niederlage gegen einen starken Gegner hat es gegeben. Das nächste Spiel ist auswärts, normaler Weise liegt dem MSV das mehr. Im übrigen nicht nur dem MSV wie die große Zahl der Heimniederlagen in der Bundesliga während dieser Saison zeigt.

Wärmer als in Cottbus ist noch kalt genug

Die Siegesserie reißt nicht. Bereits drei von drei Auswärtsspielen gewann der MSV Duisburg, wenn ich mir den Verein aller Vereine  zusammen mit dem befreundeten Schalke-Fan vor einem Fernseher in Köln-Nippes angesehen habe. Mein unmittelbarer Kontakt mit der Schalke-Aura wird nicht jedem gefallen, doch wie ich uns Menschen kennen gelernt habe, können sorgsam gepflegte Feindschaften Grenzen überwindende Freundschaften normaler Weise gut vertragen.

Dieser 1:0-Sieg in letzter Minute gehört in die Klasse jener Spiele, um deren Bewertung im Nachhinein noch etwas gerungen wird. Nicht, weil das Tor so spät fiel, sondern weil beide Mannschaften ihre Chancen hatten und keine von beiden der anderen deutlich überlegen war. So können sich die Cottbusser ihren Ärger wegen des späten Tores von der Seele reden und sich dem tröstenden Glauben hingeben, sie hätten eigentlich mit drei oder vier Toren führen müssen. Aus so einer Perspektive ist der Sieg des MSV Duisburg natürlich glücklich gewesen.

Vergessen werden dabei nicht nur die zwei Großchancen des MSV durch Srdjan Baljak in der ersten Halbzeit und Anfang der zweiten Halbzeit sondern auch die gesamten letzten zehn Minuten. So etwas lindert natürlich unangenehme Gefühle. Verantwortung für das eigene Handeln übernimmt man so aber nicht. Abspaltung nennen das Psychotherapeuten. Wenn „Pele“ Wollitz da nicht aufpasst, verfestigt sich so etwas, und man wird für seine Umwelt ganz wunderlich.

Deshalb wehren sich zurecht gegen diese eindeutige Wertung sowohl Milan Sasic, „Das war kein Glück, sondern Können“, als auch Ivica Grlic im Interview mit Marco Röhling, „von unverdient oder glücklich zu reden? Nö, muss nicht sein.“ Doch warum spricht Tom Starke dann vom „Quentchen Glück“, das der MSV gehabt hatte? Natürlich richtet er als Torwart seinen Fokus mehr auf die Chancen des Gegners als Ivo. Doch noch etwas anderes spielt da hinein, und das gibt mir Gelegenheit auf zwei Bedeutungsdimensionen des Wortes Glück hinzuweisen.

Wir sprechen nun einmal nicht allzu oft von denselben Dingen, wenn wir dieselben Worte in den Mund nehmen. Sich verstehen grenzt oft entweder an ein Wunder oder ist ohnehin nichts weiter als ein Missverständnis. Es gibt dieses Glück, von dem die Cottbusser reden und das Milan Sasic und Ivo Grlic mit Recht bestreiten. Dieses Glück ist der Zufall, jener Lottogewinn, der über einen kommt, ohne dass man mehr dazu getan hat als den Schein abzugeben. Dann gibt es aber auch dieses Glück von dem Tom Starke spricht. Das ist weniger ein Ereignis als ein andauernder Zustand. Es ist die Gunst der Götter, eine unsichtbare Macht, die es gut mit einem meint. Dieses Glück ist die schützende  Energie, die die alltägliche Anstrengung eines jeden mal mehr mal weniger unterstützt. Dieses Glück muss man sich erarbeiten. In diesem Sinne nur war der Sieg des MSV Duisburg glücklich.

Und verdient war er deshalb auch. Denn die Mannschaft hat bis zur letzten Minute versucht, das Tor zu erzielen. Wobei mir auffiel, wie sehr der Druck zunahm, nachdem Nicky Adler eingewechselt wurde. Zugegeben, wieder vergab er eine Großchance, doch seine Leistung stabilisiert sich. Eine Aktion wie seinen Übersteiger im Strafraum mit torgefährlichem Abschluss habe ich noch vor wenigen Wochen von ihm nicht für möglich gehalten. Da war er der unermüdliche Sprinter, der notfalls auch durch den Gegner hindurchlaufen wollte und den Ball dabei immer wieder auch mal vergaß. Da hat sich was getan, keine Frage.

Vor seiner Einwechslung hatte ich jedenfalls nicht das Gefühl, der MSV könne noch einmal torgefährlich werden. Richtig zwingend wurde da nichts mehr nach den ersten Aktionen in der zweiten Halbzeit. Da fürchtete ich eher einen erneuten langen Pass auf Cottbussens Kweuke. Gleichzeitig war ich dennoch mit der Leistung in der Defensive  zufrieden. Beim Spiel nach vorne haperte es ein wenig, das war gestern nicht so präzise wie in den Spielen zuvor. Was aber an den eisigen Temperaturen gelegen haben mag.

Trotz des perfekten Zusammenspiels der beiden Winter-Neuzugänge bei dem Siegtor ist Dario Vidosic auf dem Platz längst nicht so präsent wie Srjdan Baljak. Allerdings kann ich mich auch an keinen neuen Spieler beim MSV Duisburg erinnern, der sich sofort derart gut in die Mannschaft eingefügt hat wie der Ex-Mainzer. Erneut waren sowohl seine Einzelaktionen als auch sein Zusammenspiel mit den Mitspielern auf einem Niveau, das die spielerische Leistung der Mannschaft mitträgt.

Als ich nach Hause fuhr, war es in Köln um die zehn Grad wärmer als in Cottbus. Bei aller guten Laune noch immer kalt genug. Doch der Gedanke an den Freitag hat da weiter geholfen. Da wurde mir sofort wärmer, wenn ich an die vier punktgleichen Mannschaften dachte und die Möglichkeit, dass auch die Kaiserslauterner und St. Pauli bald schon nicht mehr allzu weit von diesen vier Vereinen entfernt sein könnten. Das kann spannend werden. Wobei ich das nicht all zu lange brauche. Wärmer wird es in den nächsten Wochen ohnehin.

Wellness-Therapie zum Rückrundenauftakt

Den angestrengten Arbeitsalltag überwinden manche Zeitgenossen ja gerne auch mit dem Besuch von sich selbst so nennenden Wellness-Oasen, -Paradiesen und dergleichen. Bei Ayuverda-Massage und japanischer Kräuter-Sauna braucht es dann nur noch die entsprechend hohen Eintrittspreise und schon fühlt man sich unweigerlich so richtig well.

Die Spieler des MSV Duisburg versuchten es nach ihrem harten Trainingsalltag gestern einmal mit dem Wellness-Tempel MSV-Arena und ein wenig sportlicher Betätigung. Diese Spieler fühlten sich irgendwann so wohl, dass es ansteckend wirkte. Die Zuschauer des Spiels waren ja von vornherein gerne bereit, die Hochstimmung zu teilen. Aber dass auch ein Linienrichter gegen Ende des Spiels so guter Dinge war, dass er Bonus-Geschenke verteilte, erstaunt doch sehr. Schön für ihn und für Christian Tiffert, der nun auf die Reporterfrage nach dem kuriosesten Tor seiner Karriere endlich eine originelle Antwort besitzt: Jener Lattentreffer mit anschließendem Abprallen des Balles ein bis zwei Meter vor die Linie zum 5:0 des MSV Duisburg gegen den FSV  Frankfurt.

Schon die Aufstellung deutete an, das Spiel könnte ein Versuch des Trainergespanns sein, stimmungsaufhellend wirken zu wollen.  Caiuby stand von der ersten Minute an auf dem Platz, und vielleicht konnte ja dieses überraschende Vertrauen seine von irgendwem einmal wahrgenommenen Qualitäten wieder beleben. So richtig gut ist es für ihn trotz seiner Flanke zum 1:0 und einiger erkämpfter Bälle nicht geworden, aber so richtig schlecht, wie wir es von ihm gewohnt sind, war es auch nicht. Einen Stammplatz erspielen sieht aber anders aus.

Da sollte er sich Srdjan Baljak zum Vorbild nehmen. Was für ein starkes erstes Spiel für den MSV Duisburg! Nicht nur, weil er mit einem technisch anspruchsvollen Schuss nach einer glänzenden, ebenso anspruchsvollen Ballannahme das 1:0 erzielt hat. Er strahlt Gefahr aus, weil sein Spiel nicht leicht ausrechenbar ist. Er hat einen schnellen Antritt, ist dribbelstark und sieht dennoch die Abspielmöglichkeiten. Die Abstimmung mit den Mitspielern war natürlich noch nicht immer vorhanden, aber diese Zahl von Pässen ins Nichts gab es im Spiel des MSV auch schon mal in einer längst eingespielten Mannschaft. Bleibt also festzuhalten, mit Baljaks Verpflichtung hat Bruno Hübner doch sehr wahrscheinlich alles richtig gemacht.

Der MSV begann das Spiel gegen den FSV Frankfurt stark, druckvoll und ich war mir sicher, der Führungstreffer würde schnell fallen. Er fiel dann in der 13. Minute so früh, dass der Mannschaft genügend Zeit in der ersten Halbzeit blieb, die Zuschauer allmählich zu beunruhigen. Der MSV ließ in seinem Zug zum gegnerischen Tor nach und trotz der begrenzten spielerischen Möglichkeiten kam der FSV Frankfurt immer öfter in die Nähe des Tores von Tom Starke. Vielleicht aber wollte der Rest der Mannschaft  Tom Starke auch nur einmal das Gefühl gönnen, sich wohl zu fühlen, wenn er eine große Chance der Frankfurter verhindert. Die gab es, als nach einem steilen Pass der Frankfurter Sebastian Göbig alleine auf Starke zulief. Der Starke-Klassiker „Fußbabwehr auf der Linie“ verbreitet im Übrigen auch bei den Zuschauern besonders dann großes Wohlgefühl, wenn das mögliche Unheil für einige Zeit bei seiner Entwicklung beobachtet werden kann.

Dem Spiel des MSV Duisburg war deutlich die strenge taktische Anweisung anzumerken, den Ball kontrolliert aus der eigenen Hälfte nach vorne zu bringen. Das führte zu Kurzpassspiel auf Höhe des Elfmeterraums, was leicht gewöhnungsbedürftig ist in Duisburg, weil sich das Vertrauen in dieses kontrollierte Spiel erst entwickeln muss. Ich glaube außerdem, ich muss Björn Schlicke mal ein wenig zur Seite springen, der von vielen Fans ob seiner Leistungen angefeindet wird. Nun war er auch gestern nicht der sicherste Innenverteidiger, und dennoch gilt es festzustellen, dass er für den Erfolg der Mannschaft das spielerische Terrain zu verlassen versucht, auf dem er sich sicher fühlt.

Wir wissen, dass er in Bedrängnis sehr viel lieber den Ball wegschlagen würde und wir sahen aber auch, wie er dieses Mal immer wieder diesen befreienden Schlag vermieden hat. Das wirkte holprig und er schien manchmal überfordert, dennoch ist es ihm anzurechnen, dass er etwas versucht, was seinem ureigenen Spiel erst einmal nicht entspricht. Darüber hinaus war er nicht alleine mit diesen Schwierigkeiten. Der FSV Frankfurt war deshalb ein guter Übungspartner, um das kontrollierte Spiel zu verbessern. Es wurde nicht allzu gefährlich, wenn der Ball durch die Frankfurter schnell wieder dorthin zurück kam, wo er sich drei  kontrollierte Pässe vorher gerade noch befunden hatte.

Björn Schlicke hatte übrigens großes Glück kurz vor der Pause nicht zumindest mit gelb-rot bedacht worden zu sein. Als der Schiedsrichter nach Schlickes zweitem Foul vor der Auswechselbank der Frankfurter dorthin eilte, war dessen Hand, so meine ich,  schon bei der Karte und dann erst erkannte er, dass da jener Spieler des MSV lag, dem er bereits gelb gezeigt hatte. Daraufhin beließ er es beim Freistoß.

Und dann ist da noch ein Ivo Grlic, dem ich die Ovationen nach seiner Auswechslung so sehr gönne. Er öffnete nicht nur immer wieder durch kluge Pässe das Spiel, sondern erneut schoss er zu einem wichtigen Zeitpunkt ein Tor. Dieses 2:0 kurz vor der Pause war der Sieg. Selbst wenn es die rote Karte gegen den Frankfurter Lagerblom nicht gegeben hätte, die Frankfurter waren nach dem Wiederanpfiff zu harmlos und nicht entschlossen genug. Da wurde in der zweiten Halbzeit nicht für einen Moment die Erinnerung an das Spiel gegen RW Ahlen geweckt.

Dem Klima des Wohlbefindens war es auch zuträglich, dass Olcay Sahan der Torschütze zum 3:0 wurde. Es war die Belohnung für eine immer besser werdende Leistung. Technisch beschlagen ist er ja ohnehin, doch seine Durchsetzungsfähigkeit hat sich sehr verbessert. Er braucht nicht mehr unbedingt viel Raum für sein Spiel. Auch wenn es eng wird, behauptet er den Ball in größter Bedrängnis – manchmal gegen drei Gegenspieler.

Außerdem war auch Nicky Adler eingewechselt worden, und er erhielt die Gelegenheit sein Karlsruher Torschusstrauma durch klassische Gegenkonditionierung zu verarbeiten. Wiederholte sich doch da eine Spielsituation, als er halbrechts den Ball im schnellen Lauf erhielt und ihn sich, so sah es fast aus, zu weit vorlegte und er daraufhin in eine etwas ungünstigere Schussposition leicht nach außen getragen wurde. Dieses Mal traff sein Schuss aber zum 4:0 ins Tor. So gehört es sich in einem Klima des Wohlbefindens auch.

Ich könnte mich mit der MSV-Arena als meinem persönlichen Wellness-Tempel gut anfreunden. Allerdings habe ich keine Illusionen darüber, dass es sich dabei um ein Wandergewerbe handelt. Auch wenn die Mannschaft gegen einen wirklich starken Gegner da weitermacht, wo sie gestern noch ein bisschen üben durfte, wird es solch entspannende Wohlfühlmomente in Duisburg-Wedau nicht allzu oft geben.

Veränderungen deuten

Da hat sich am Wochenende ja einiges in NRW nicht getan, worüber dennoch schon vorher mit eindrucksvollen Worten im tagesaktuellen Medienauswurf berichtet wurde. Wann soll man eigentlich glauben, was in diesen Medien erzählt wird? Was ist sachliche Information über ein mögliches Geschehen, und wann verkleidet sich das aufgeregte Gefühl von Journalisten einem sensationellen und den Alltag durchbrechenden Ereignis möglicherweise beiwohnen zu dürfen in der vermeintlich zur umfassenden Information notwendigen Frage nach den zu erwartenden Gefahren?

Was soll man glauben, wenn Bernd Bemmann in der Rheinischen Post die Veränderungen beim MSV Duisburg kurz vor und in der Winterpause als Vorboten von Unheil zu deuten beginnt und seinen Artikel mit der bedeutungsschwangeren Frage beendet: „Was kommt wohl noch?“ In der Summe und ohne einordnende Worte beschleicht einen beim Anblick der Veränderungen vielleicht ein komisches Gefühl. Doch für jede einzelne der von Bernd Bemmann aufgelisteten Veränderungen gibt es zufrieden stellende Erklärungen. Das wäre Alltag. Man kann aber sogar den Wechsel des Pressesprechers als ein Zeichen für Irgendwas deuten. Für Bernd Bemmann mag dieser Wechsel ein schlechtes Omen sein, mir gibt dieser Wechsel allerdings die Hoffnung auf eine Erreichbarkeit und erste Antwortbereitschaft der Presseabteilung, die in anderen Vereinen selbstverständlich ist. Oder man kann Chinedu Edes Weggang nach Berlin als Zeichen für Ungemach deuten, obwohl von Vereinsseite vorher bereits an ein Ausleihgeschäft gedacht wurde.

Ist Bernd Bemmanns Artikel  nun nur der Versuch einer feinsinnigeren Variante der Holzhammer-Bild-Worte? Dort  wird ja gemunkelt, unter Sasic verlieren die Spieler des MSV Duisburg den Spaß am Fußball. Gibt es für diese Angstlust vor der nahenden Katastrophe wirklich Gründe in der Gegenwart? Chavdar Yankovs Meinung zum Trainer einzuholen scheint mir ebenso erhellend zu sein wie den Ex-Frauen von Lothar Matthäus beim Erzählen über dessen wahren Charakter zuzuhören. Schließlich berichten auch diese ins Trainingslager nach Belek mitgereisten Fans im MSVportal von der gelösten Stimmung beim dortigen Training, andererseits wiederum passt der Kommentar Nr. 10 dieses Augenzeugens unter dem Artikel von Dirk Retzlaff bei Der Westen wiederum mehr zu dem, was von den Journalisten ausgemacht wurde.

In besagtem Artikel wirkt Dirk Retzlaff zudem sorgenvoll, wenn er von Björn Schlickes Abwahl als Mannschaftskapitän berichtet. In dem Fall, so glaube ich, sorgt er sich an falscher Stelle. Für Milan Sasic hat sich mit der Wahl Tom Starkes zum Mannschaftskapitän das Problem entschäft, den Mannschaftskapitän möglicherweise nicht spielen lassen zu können. Björn Schlicke spielte in dieser Saison nicht so viel besser als seine Konkurrenten um den Platz in der Innenverteidigung, und es ist eine offene Frage, wie diese Innenverteidigung besetzt sein wird, wenn alle verletzten Abwehrspieler wieder gesund sind.

So wird man als Zeitungsleser schnell ratlos angesichts der angeführten Belege für den sorgenvoll Blick in die Zukunft. Das reicht mir nicht für Sorgen, und dennoch gelingt es mir nicht, mich darauf zu verlassen, dass die Stimmung in der Mannschaft schon in Ordnung ist. Das hat mit der Persönlichkeit von Milan Sasic zu tun. Denn wenn das Geschehen in der Mannschaft gedeutet werden soll, dann müsste über die Art und Weise geredet werden, wie Milan Sasic diese Veränderungen moderiert. Ich muss zugeben, was von seiner Art Konflikte zu lösen nach draußen dringt, stimmt mich unruhig. Denn ich vermute, ein Trainer wie er braucht den Erfolg zum Überleben mehr als ein Trainer mit anderen Konfliktlösungsstrategien. Natürlich bewege auch ich mich nun längst nicht mehr auf dem Boden von Fakten, sondern erzähle von Stimmungen und Gefühlen. Mit dem Unterschied gegenüber den Journalisten, dass ich das benenne. Aber vielleicht ist diese von mir vermutete besondere Notwendigkeit des Erfolgs zugleich ja Milan Sasics Schlüssel zum selben.

Und da ich jetzt die ganze Zeit über Deutungen geschrieben habe: Der Gegner vom nächsten Sonntag, der FSV Frankfurt, deutet das 1:1-Unentschieden im Freundschaftsspiel gegen Hertha BSC Berlin als gelungenen Test, und im Kölner Stadt-Anzeiger wird von der Sportredaktion das Interesse der Leser am Unterhaltungskünstler Ailton als noch vorhanden gedeutet. In einer Kurzmeldung wird dessen pünktliches Erscheinen zum Trainingsauftakt des KFC Uerdingen angemerkt. Dass er im Moment aber überhaupt nicht Fußball spielen kann, interessierte dabei schon nicht mehr.

Schuhe aus vor Auswärtssieg

Es ist schon ein merkwürdiges Ding mit der Psyche. Ein Auswärtsspiel steht an. Einmal im Jahr kommen die Spieler dorthin – in dieses fremde Stadion. Viel rutschiger fühlt sich dort das Gras an, die Ränge bieten nicht die gewohnte Orientierung beim flüchtigen Blick nach links und rechts,  im Umkleideraum krümmen sich die Haken in einer anderen Bogenform als in Duisburg. Sie sind nicht zu Hause. Sie müssen vorsichtig sein.

Vielleicht sind es solche archaischen Gefühle, die der möglichen Anweisung zu Konzentration und sicherem Spielbeginn eine vom Trainer ungewollte Färbung der Einstellung geben. In der Entschossenheit beim Auftritt wird diese Färbung sichtbar. Wer sich nicht heimisch fühlt, hält sich erst einmal zurück. So begann das Spiel des MSV Duisburg in Paderborn. Vorsichtig und verhalten – von jedem Spieler, der in einen Zweikampf ging. Mit den ersten Ballkontakten war klar, auf diese Weise werden die Gastgeber nicht beeindruckt. Da fehlte die Entschiedenheit, sich von Anfang zu zeigen, wie es im letzten Heimspiel gegen den FC Augsburg der Fall gewesen ist. Solche Spielanfänge haben wir in dieser Saison schon häufiger erlebt. Und es macht die Faszination des Fußballs aus, dass so ein Spiel dann einen anderen Verlauf nehmen kann. Warum das so kommt, wissen manche dann mit Sicherheit zu sagen. Ich bin mir da nicht so sicher. Es hätte auch unangenehm werden können, wenn die Paderborner in der ersten halben Stunde ein zweites Tor nachgelegt hätten. Denn so schlecht, wie sie Dirk Retzlaff bei Der Westen gesehen hat, waren sie aus meiner Sicht in der ersten halben Stunde nicht. Vielmehr brachten sie mit schnellem Direktpassspiel den MSV in Verlegenheit, und die Verteidigung des MSV Duisburg hatte Glück, dass die Paderborner Stürmer trotz des Raums, der ihnen gelassen wurde, beim Abschluss nicht erfolgreich waren.

Das Tor der Paderborner wurde vor allem deshalb möglich, weil Björn Schlicke sich auf einfache Weise überspielen ließ, und die Innenverteidigung eine inzwischen zu deren Standardrepertoire gewordene Bewegung machte. Paar-Synchronverteidigen mag ja demnächst olympische Sportart werden, aber dieser Art im Fußballspiel ausgeübt, kann ein Stürmer dann leicht glänzen, weil er mit einer einfachen Körpertäuschung gleich zwei mit identischer Geschwindigkeit auf parallelen Laufbahnen heranrennende Gegenspieler ins Leere sprinten lassen kann. Täuscht der Stürmer im übrigen nicht, laufen beide Verteidiger gerne auch wieder synchron vom Stürmer weg und lassen ihm den Raum, noch ein paar Meter zu gehen. An der Abstimmung zwischen den Verteidigern muss also weiter intensiv gearbeitet werden.

Der Spielaufbau konnte nicht anders sein als das Auftreten insgesamt, eben vorsichtig. Das führte dazu, dass er nicht stattfand. Denn die Paderborner verteidigten gut und ohne etwas mutigere Pässe, verrannten sich die Duisburger beim Dribbling immer wieder in ihre Gegenspieler oder der Querpass landete beim Gegner. Erst nach etwas mehr als einer halben Stunde gelang der erste torgefährliche Angriff mit einem Direktpassspiel  über den rechten Flügel. Es war der Auftakt. Mit dem Ausgleich vor der Halbzeit konnte man zwar noch nicht sicher rechnen, aber von da an schien er endlich möglich zu werden.

Ich muss zugeben, ich bin ein großer Anhänger von Ivo Grlic. Nicht dass ich ihn in jedem Spiel dieser Saison auf dem Platz hatte sehen wollen, aber in einer hilflosen Mannschaft, wie sie es unter Neururer häufig gewesen ist,  wirkt er immer als rettender Fixpunkt für überforderte Mitspieler. Das heißt  in Duisburg einiges, weil das dazu führt, dass viele Zuschauer sein Spiel für schlechter halten als es eigentlich ist.  Ärger über die Spielweise der Mannschaft konzentriert sich auf denjenigen, der immer den Ball erhält und dann keine Anspielstationen findet. Das ist ungerecht, und es gehört zur Professionalität von Ivo Grlic damit auf eine souveräne Weise umzugehen. Auch deshalb gönne ich ihm die drei Tore gestern als Lohn für seinen Weg in dieser Saison.

Die ersten zwei Tore waren zudem das Ergebnis eines schnellen Zusammenspiels, bei dem Christian Tiffert als Initiator wirkte. Wieder einmal zeigte er sich als unermüdlicher Antreiber und trug neben Grlic die Hauptverantwortung für das in der zweiten Halbzeit erfolgreiche Spiel nach vorne. Beim zweiten Tor steckte Tiffert den Ball zwischen zwei Paderborner Gegenspieler punktgenau durch die Gasse auf Sahan, der präzise in den Rückraum spielte, wo Grlic zum freien Schuss kam. Das dritte Tor, direkt nach dem fast zum erneuten Ausgleich führenden Patzer von Tom Starke war dann doch sehr beruhigend. So ganz konnten wir der Führung nämlich trotz der so harmlos und vereinzelt gewordenen Paderborner Angriffe nicht trauen.

Hätte Änis Ben-Hatira einen besseren Tag gehabt, wäre diese Sicherheit vielleicht schon früher vorhanden gewesen. Doch Ben-Hatira kam erst zum Ende des Spiels an seinem Gegenspieler im Dribbling vorbei, und Passspiel zum rechten Zeitpunkt gehört einfach noch nicht zu seinen spielerischen Möglichkeiten. Dennoch zeigt sich auch bei ihm ein Wandel der Einstellung. Sein Einsatz ist kontinuierlich vorhanden, und seine Frustrationstoleranz hat zugenommen. So kommt es nicht mehr zu unnötigen Fouls nach Ballverlusten, sondern zum produktiven Versuch, den Ball zurück zu erobern. Sein Gemeckere den Mannschaftskollegen gegenüber hat er ebenfalls eingestellt.

Im Gefühl des Sieges lassen sich die drei Stunden Rückfahrt nach Köln natürlich angenehm verbringen. Dann bespricht man mit dem älteren, seit 1965 ebenfalls in Köln lebenden MSV-Fan noch einmal entscheidende Szenen des Spiels und gewinnt mit jedem Kilometer Abstand von Paderborn immer mehr Verständnis für die Stadion-Security, die bei der Kontrolle von MSV-Fans für größere Aufgaben übte. Anscheinend möchte das verantwortliche Sicherheits-Unternehmen expandieren und seine Dienstleistung in naher Zukunft auch bei Veranstaltungen von ganz anderem Gefährdungspotential anbieten. Allerdings müssen selbst die Mitarbeiter viel konsequenter noch davon überzeugt werden, dass Trockenübungen bei Fußballfans keine verschwendete Energie bedeuten. Sie wirkten jedenfalls immer wieder etwas beschämt, wenn sie die Duisburger Fans nach dem Abtasten darum baten, auch die Schuhe auszuziehen. Ob ich meine Mandarine nun als potentiellen Wurfgegenstand nicht mit hinein nehmen durfte oder als den Würstchenumsatz gefährdendes Nahrungsmittel ist mir nicht ganz ersichtlich.  Mit einem individuellen Getränke- und Speisenboykott habe ich jedenfalls sofort reagiert und hoffe, der Stadionbetreiber wird diesen Umsatzeinbruch schmerzlich bemerken und seine Schlüsse daraus ziehen. Wie ich den Werther-Effekt zum Schluss noch unterbringen soll, ist mir ein Rätsel. Alles Entscheidende ist gesagt. Es sei denn, die halbe Stunde Wartezeit im Hammer Bahnhof wegen der Streckensperrung nach Paderborn wäre von irgendeinem Interesse. Das glaube ich allerdings nicht. Denn niemand hatte sich vor einen Güterzug geworfen, wie es zunächst befürchtet worden war. Niemand, der Robert Enkes Selbstmord als Anstoß wahrnahm, ebenso zu handeln, nur Bahn-Bedienste, die im Wissen um den Werther-Effekt immer noch das Schlimmste annehmen, wenn sie Unregelmäßigkeiten auf der Strecke wahrnehmen. Es ist eben alles gut gegangen an diesem Tag. Solche Tage könnte es eigentlich bis zum Saisonende noch einige mehr geben.

Klagechor hat eine Stimme mehr

Der dreistimmige Klagegesang in der Besetzung Jochen, Tina und Thorsten wird ja bereits von einem vielstimmigen Hintergrundchor unterstützt. Da muss ich nur noch leise mitsummen. Es gibt also kein stabiles Leistungsvermögen dieser Mannschaft. Da bleibt nicht mehr als resigniertes Seufzen nach einem Sonntagnachmittag bei Kaffee, Kuchen und Duisburger Familienbesuch in Köln, während einmal mehr im Hintergrund Marco Röhling ununterbrochen um Worte rang, die schlechte MSV-Leistung erzählbar zu machen. Und dann: „Was für ein Graupentor! Aber egal…!“ So ganz egal war es mir nicht, weil so ein Tor dann immer wieder meine Hoffnung kitzelt, wenn ich nichts mit eigenen Augen sehe. Der Glaube versetzt dann schon mal den ein oder anderen Hügel auf dem inneren Weg zum Anschluss an die Spitzenplätze. Vielleicht sollte ich ja ohnehin demnächst eher die Spiele des Vereins aller Vereine imaginieren. Dann sind die Niederlagen wenigstens schön anzusehen. Ach, es war ja ein Unentschieden gegen TuS Koblenz. So etwas vergisst man angesichts der gehörten Worte und der im SWR gesehenen Bilder ganz. Andererseits, dieses Tor zum Ausgleich wird mir im Gedächtnis bleiben. Das hatte was vom choreografierten Chaos einer Slapstick-Komödie, als Mihai Tararache an die linke Eckfahne schoss, um ins Tor zu treffen, und Björn Schlicke da hineinrannte, flankte und in der Mitte Cedrick Makiadi einschoss.  Leider ist so was ja beim Verein aller Vereine eher selten wiederholbar. Denn im Gegensatz zur Slapstick-Komödie, in der dann das Spiel auf perfektem Timing beruht, scheint es sich beim MSV ja meist eher doch um Zufall zu handeln.


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