Egal wie solche Spiele wie das des MSV Duisburg gegen die U23 von Borussia Dortmund ausgehen, sie erschöpfen mich auf eine Weise, die mich nach dem Spiel in tiefes Schweigen fallen lässt. Natürlich freue ich mich über das 2:1, aber diese Kombination aus erwartetem Sieg, zäher erster Halbzeit mit allmählich wachsenden Zweifeln, wie ein Tor je fallen soll, über die dann einsetzende Erleichterung gepaart mit Hoffnung auf ein entspannendes Restspiel und dem Zittern und Bangen danach, das alles ist eine emotionale Achterbahnfahrt, die mich sprachlos macht. Wenn ich dann genau überlege, entsteht diese Sprachlosigkeit vor allem durch die Zweifel.
Wenn ich Gino Lettieri in der Pressekonferenz höre, ist er dabei ganz auf meiner Seite. Er sieht noch einen langen Weg für seine Mannschaft. Allerdings bezieht er sich nur auf das Durcheinander in der Defensive nach dem Anschlusstreffer. Ich denke aber auch an die erste Halbzeit, als die Zebras zu risikoscheu waren, um die sichere Dortmunder Defensive in Gefahr zu bringen. Gegen so eine starke Defensive braucht es beim langsamen Aufbau das Zusammenspiel von zwei, drei Spielern. Es genügt nicht, wenn ein Spieler eine offensive Bewegung macht, er braucht Unterstützung und er muss bereit sein, dieser Unterstützung zu vertrauen. Dieses Vertrauen fehlt noch zu oft. Immer wieder machten einzelne Spieler risikovolle Bewegungen nach vorne, nur um danach wieder den Rückzug anzutreten, anstatt den Pass zu spielen, der natürlich wiederum risikovoll gewesen wäre.
In dieser Spielphase lähmte es mich geradezu, so deutlich zu erkennen, dass die Dortmunder viel zu oft einen Moment schneller im Kopf waren als die Zebras. Gleichzeitig beruhigte es mich zu sehen, dass sie daraus keine Vorteil gewannen und derart harmlos blieben, dass nichts auf eine mögliche Torgefahr durch diese Mannschaft hindeutete. Vielleicht waren die Spieler des MSV deshalb auch in den letzten zehn Minuten des Spiels derart orientierungslos in der Defensive. Auch sie waren über den Dauersturmlauf überrascht. Der Trainer der Dortmunder David Wagner muss von diesen letzten Minuten derart beeindruckt gewesen sein, dass er die Realität auf der Pressekonferenz ein wenig aus den Augen verlor. Wieso seine Mannchaft vielleicht sogar den Sieg verdient hätte, müsste er mir noch einmal genauer erklären. Das Unentschieden als Verdienst dagegen, keine Frage.
Ein Kopfballspieler wird Zlatko Janjic in dieser Saison wohl nicht mehr. Einige Zeit sorgte ich mich um sein Selbstvertrauen, nachdem er die vermeintliche Großchance des MSV in der ersten Halbzeit so harmlos abschloss. Nico Klotz hatte sich beeindruckend am linken Flügel durchgesetzt, flankte von der Grundlinie aus, mit Glück kam der Ball zum freistehenden Janjic im Fünfmeterraum am hinteren Pfosten. Das war kein einfach zu spielender Kopfball. Das sah mehr nach Großchance aus, als dass sie eine war, aber nachdem er den Kopfball so harmlos zum Torwart genickt hatte, wirkte er für einige Zeit niedergeschlagen. Vielleicht sind seine selbstkritischen Stellungnahmen nach dem Spiel ein Hinweis, wie genau er auch die eigene Spielweise in den Blick nimmt. Gott sei Dank, war von Selbstzweifeln in der zweiten Halbzeit nichts mehr zu merken.
Die Einwechslung von Kingsley Onuegbu intensivierte das Pressing. so dass die Dortmunder zweimal kurz hintereinander den Ball in der eigenen Hälfte verloren. Beim ersten Mal zog Zlatko Janjic auf und davon, ohne dass die Torgefahr zwangsläufig hätte folgen müssen. Beeindruckend spielte er sich durch die verbliebene Dortmunder Defensive, um den Ball flach am Torwart vorbei aus halblinker Position einzuschieben. Viel wuchtiger setzte sich Kevin Scheidhauer beim zweiten Tor durch. Sein Sprint mit Ball war das klare Zeichen, ich will das zweite Tor machen. Ihr haltet mich dabei nicht auf. Doch statt danach den Sieg souverän nach Hause zu bringen, begann nicht allzu viel später das große Zittern. Andererseits denke ich auch, eine Mannschaft die solche Spiele gewinnt – ihr wisst schon, was ich meine.
Lasst mich zum Ende auch noch ein paar Worte über einen Moment vor dem Spiel verlieren. Es ist noch gar nicht so lange her, da warb ich in diesen Räumen dafür, das Steigerlied nicht den Schalkern zu überlassen. Damals schrieb ich: „Eigentlich müsste das Steigerlied zum Standardrepertoire von jedem Pott-Verein gehören, gab es in Gelsenkirchen doch keinen anderen Bergbau als in Duisburg, Dortmund, Bochum, Oberhausen oder Herne. Schließlich ist das “Glück auf” des Grußes im Lied nichts anderes als die gesungene Hoffnung eines jeden im Pott wohlbehalten und heil wieder heimzukommen“. Als ein großer Teil der Nordkurve den Chor vor dem Spiel beim Singen des Steigerlieds auspfiff, zeigte sich, dafür ist noch viel Reden und Erzählen notwendig.
Symbole und kulturelle Ausdrucksformen werden durch den Gebrauch in einer Gesellschaft bestimmt, und natürlich ist das Steigerlied als Stadionlied der Schalker sehr wirkmächtig und deshalb nicht problemlos in einem anderen Stadion dieser Region vor einem Fußballspiel zu singen. Kultur ist machmal sehr kompliziert, weil Identität mit ihr ausgedrückt wird. Das Steigerlied lässt sich aber auch vor einem Spiel des MSV Duisburg singen, wenn es auf eine andere Weise eingeführt wird. So etwas braucht Erklärung und leider ist so eine komplizierte Identitätsfrage nicht das Tagesgeschäft des MSV Duisburg. Die Verantwortlichen haben was Gutes gewollt und den Chor ins offene Messer hineinlaufen lassen. Daraus muss gelernt werden.
Eine Vorrede wäre notwenig geworden, in der der Bezug des Steigerlieds zum Ruhrgebiet hätte deutlich ausgesprochen werden müssen. Mehr noch, man hätte Stefan Leiwen genau diesen Satz mit auf den Weg geben müssen: Wir überlassen den Schalker doch nicht das Steigerlied. Es ist genausogut unser Lied wie das der Schalker. Die Zeche Westende hat der Straße den Namen gegeben, an der die Zebras ihre Heimat haben. Auch wenn der MSV Duisburg kein Zechenverein gewesen ist, so arbeiteten doch die Zuschauer der Zebras bis in die Gegenwart hinein auch im Bergbau. Noch einmal: das Steigerlied ist ein Lied des Bergbaus, und die Schalker haben es zum Teil ihrer Vereinsfolklore gemacht. Sie haben das Lied zumindest für den Fußball okkupiert. Das muss nicht so bleiben. Dazu müssen Fußballfans in Duisburg, Dortmund oder Essen aber nicht pfeifen sondern mitsingen. Das Steigerlied gehört dem Ruhrgebiet.
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