Manchmal geben mir Interviews wie das in der Süddeutschen Zeiung am 1. Dezember mit dem Standardtrainer des DFB, Mads Buttgereit, Anlass zur Kulturbetrachtung. Diese Betrachtung heute ist zugegebenermaßen sehr spekulativ. Dennoch lässt sich durch den Zwang zur zugepitzten Antwort im Interview eine Denkweise erkennen, mit der sich auf die Kultur rückschließen lässt.
Vordergründung macht sich durch das Interview die Verwissenschaftlichung des Fußballs und seine veränderten Grundlagen der Bewertung durch gesammelte Daten bemerkbar. Allein die besondere Aufmerksamkeit für diesen spezialisierten Trainer über zwei Drittel der Seite illustriert die Gegenwartskultur im Fußball mit seiner immer differenzierten arbeitsteiligen Trainingsstruktur aufgrund von Statistiken. Einerseits führt das zu immer besseren Leistungen in den jeweiligen Teilaspekten des Fußballs, andererseits müssen solche Veränderungen Nebenwirkungen mit sich bringen. Das ist immer so in Systemen. Nebenwirkungen sind allerdings schwieriger zu fassen als das angestrebte Ziel der Veränderung.
Und nun folgt mir zur Spekulation mit folgender Antwort, die mich an eine Wesensbeschreibung des Kölners durch Jürgen Becker erinnerte. Sinngemäß hat der mal über die Kölner gesagt, sie seien tief in ihrem Herzen Perfektionisten, man würde es ihnen nur nicht anmerken. Alles in der Stadt sei in gewisser Weise unfertig, aber der Kölner wisse immer, wie es im besten Fall auszusehen hätte. Mads Buttgereit geht es beim Blick auf die Standards genauso:

Natürlich reduziert diese Antwort den komplexen Sinnzusammenhang eines Trainings. Auf zur Spekulation: Für mich lauert im „Eigentlich passt der Plan, aber der Ball kommt nicht an“ eine unerwartete Nebenwirkung von spezialisiertem Training und Datenabgleich mit der Wirklichkeit. Neben dem einzig zählbaren Erfolg des Siegs in einem einzigen Spiel gibt es in dieser Fußballgegenwart weitere kleinere Erfolge, deren Beiträge zum angestrebten Erfolg Tor statistisch begründet ist, also emotional nicht erfahrbar sind.
Das wirft für mich die Frage auf, ob dieser Blick auf die Stastik und auf den Plan, die Intuition der Spieler für den Moment auf dem Platz einschränkt? Hier macht sich auch das ewige menschliche Ringen um den Weg zwischen Grenzen und Freiheit bemerkbar. Das führt tief in die Philosophie. Ohne Freiheit sind Zufälle des Lebens nicht zu bewältigen. Zugleich führt das aber auch zum Wesen des Fußballs. Ohne Zufall lässt sich der Fußball nicht denken für mich. Ohne Zufall verliert er seine Attraktivität.
Wer den Erfolg wie Mads Buttgereit definiert, lenkt zwangsläufig den Blick weg vom Torerfolg auf den Prozess, wie sich Spieler bei einem Eckstoß verhalten. Der Zufall gehört dann nicht zum Fußball, sondern stört in solchen Plänen. Die Sprechweise deutet das an. Zufriedenheit stellt sich auch dann ein, wenn kein Tor fällt. Verändern sich deshalb auch Einstellungen der Spieler? Verändert sich deren Erfolgsorientierung? Verändert sich deren Flexibiltät mit dem Zufall im Spiel umzugehen? Kultur entwickelt sich immer weiter. Nichts bleibt, wie es war.
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