Eins ist gewiss, Peter Neururer kannte schon früh den Nutzen eines guten Netzwerks. Boulevardjournalisten gehörten selbstverständlich dazu. Wahrscheinlich lässt BILD ihn aus dieser alten Verbundenheit heraus per Umweg Werbung für seine Biografie machen. Der Umweg heißt „Neururers Rettungsplan“ für den VfL Bochum und den MSV Duisburg. Dieser aber gibt uns schon jetzt einen Ausblick auf Peter Neururers zukünftige dritte Karriere als Horoskop-Autor. Wenn es nach ihm ginge, müssten die Zebras nämlich zur Verbesserung der Tabellensituation „Tacheles reden und an den richtigen Schrauben drehen“. Das sind mal Maßnahmen, auf die ich so gar nicht gekommen wäre. Und was dann, wenn die Zebras mit dem Schraubendrehen fertig sind? Die Sterne raten meiner Meinung nach zur Vorsicht vor falschen Freunden, zu vermehrter Aufmerksamkeit im Beruf und zum handfesten Zupacken, wenn sich die Möglichkeit des Erfolgs abzeichnet.
Der „Rettungsplan“ in der BILD endet schließlich beim Verweis auf Peter Neururers Biografie, über die hier heute nur mit dem Schwerpunkt MSV Duisburg die Rede sein soll. Ein „Special“ zu deren vorletztem Kapitel, das da heißt „Eine Dreiecksbeziehung“. Diese Dreiecksbeziehung fand Peter Neururers bei seiner letzten Station als Trainer beim MSV Duisburg vor. Wer sich die Biografie bis dahin zu Gemüte geführt hat, weiß schon, auch in Duisburg bewies Peter Neururer, dass er immer zu seinem Wort steht und bei allem was er tut, gut wegkommt. Ein paar wertende Worte über das anekdotenhafte Buch werde ich in den nächsten Tagen schreiben. Schon mal so viel: Angesichts des Berufs von Peter Neururer staunt man doch, wie wenig über das Fußballspiel selbst in diesem Buch die Rede ist.
Hier aber nun zu dem, was Peter Neururer dem Autor Thomas Lötz über seine Zeit in Duisburg erzählt hat. Wir erinnern uns, Rudi Bommer wurde im November 2008 entlassen und wenig später Peter Neururer im heute journal als dessen Nachfolger auf Schalke vorgestellt. Wir in Duisburg wussten es besser, wo er den Aufstieg in die Bundesliga schaffen sollte. Walter Hellmich selbst hatte Peter Neururer kontaktiert. Danach kam es zu einem ersten Gespräch mit Bruno Hübner, mit dem Peter Neururer auf einer Wellenlänge gelegen haben will, so dass sie zu Walter Hellmich für die Vertragsverhandlungen fahren konnten. Selbstlos nahm Neururer „ordentliche Einbußen“ beim Gehalt hin und unterschrieb den Vertrag.
Am ersten Trainingstag erhielt er von Walter Hellmich den Auftrag von den 32 Profis mit Vertrag neun bis zur Winterpause an andere Vereine abzugeben. Christian Tiffert sollte auch dabei sein, doch Peter Neururer holte ihn zurück in den Kader und machte ihn zum „Leistungsträger“ der Mannschaft. Wir erinnern uns auch an den Wechsel im Tor, von Marcel Herzog zurück zu Tom Starke, der damals noch einen schweren Stand beim Publikum hatte. Marcel Herzog hatte ihn ersetzt, gut gespielt und besaß bei vielen Zuschauern große Sympathien. Thomas Lötz beschreibt Neururers schwere Wahl: „Neururer kennt Starke. Herzog kennt er nicht. Im Training bieten sich beide durch gute Leistung an, sind etwa gleich stark. Neururer geht zu Herzog, um ihm seine Entscheidung für Starke zu erklären. ‚Ich versuche, objektiv zu bleiben‘, sagt er dem Schweizer, ‚und ich hab eigentlich keine Meinung zu dir, weil ich dich nie hab spielen sehen. Aber Tom kenne ich, und er ist für mich ab sofort wieder die Nummer eins.'“
Wenn das tatsächlich so geschehen ist, muss ich Marcel Herzog einen Großmeister des Gleichmuts und der Beherrschung nennen. Ich hätte ihn verstanden, wenn er nach so einer Begründung vor Wut das Trainingsgelände zerlegt hätte. Der „objektive“ Peter Neururer, der zu Marcel Herzog keine Meinung hat und deshalb ganz „objektiv“ Starke für den besseren Torwart hält. Großartig, wie sich Menschen ihr Leben zurecht erzählen.
Peter Neururer hat auch Bruno Hübner den Arbeitsplatz gerettet. Walter Hellmich soll ihm nämlich angeboten haben, die alten Zeiten mit Norbert Meier als Vorbild zu nehmen, den Verein zu zweit ohne Sportdirektor zu führen. Neururer lehnte entschieden ab. Schließlich hätte Bruno Hübner ihn verpflichtet.
Im weiteren erzählt Thomas Lötz das Geschehen in Duisburg als Daily-Soap, in der die Beteiligten immer etwas im Schilde führen, was sie dem anderen gerade nicht erzählen. Walter Hellmich verkündete die vorzeitige Verlängerung des Vertrags mit Peter Neururer in der entscheidenden Phase der Saison und ohne es mit ihm abzusprechen. Peter Neururer wollte hinschmeißen, Bruno Hübner redete ihm gut zu, und so verlängerte er schließlich doch. Die Hoffnung auf den Aufstieg gab es noch, der war erst nach der „unglücklichen Niederlage“ gegen Mainz 05 „verdaddelt“. Welches Resumée daraufhin von Thomas Lötz im Namen von Peter Neururer gezogen wird, lässt mich wieder schmunzeln. Welche Chuzpe dieser Peter Neururer besitzt: „Das ausgegebene Ziel ist verfehlt, dennoch hat der MSV Duisburg eine gute Saison gespielt, der Zuschauerzuspruch ist gestiegen, manch einer in Duisburg spricht gar von Aufbruchsstimmung.“ Liebe Leute, den möchte ich kennenlernen, der damals diese Gefühl hatte. Wird ein interessanter Kerl sein, mit eigenwilligem Blick auf die Welt.
Neururer verlängerte übrigens unter einer „ungewöhnlichen“ Voraussetzung. Er wollte keine neuen Spieler für die nächste Saison verpflichtet wissen. Er werde den Aufstieg mit der Mannschaft schaffen, die so gut zueinander gefunden habe. Es kam dann anders. Walter Hellmich meldete sich zu Beginn der neuen Saison, fragte nach dem teuersten Spieler und bedauerte, dass man ihn verkaufen müsse. Dorge Kouemahas Verkauf nach Brügge rettete die Lizenz für den MSV Duisburg. Dennoch lief es „in die richtige Richtung, Richtung Aufstiegsplatz.“ Wieo dann plötzlich alles doch nicht so gut ist, dazu schweigen Thomas Lötz und Peter Neururer. Stattdessen befinden wir uns sofort im Auge des Orkans: die 0:5-Klatsche im Pokal beim FC Augsburg. Doch Peter Neururer hat noch alles im Griff. Er „beruhigt die Anhänger, entschuldigt sich für die peinliche Darbietung – von Präsident Hellmich und von Manager Hübner ist in dieser unangenehmen Situation nichts zu sehen.“
Dennoch erhielt Peter Neururer am Tag drauf einen Anruf von Bruno Hübner, Walter Hellmich wolle ihn entlassen. Im Ton der folgenden Zeilen dürfen wir die große Enttäuschung Peter Neururers mitlesen. So schlecht ist die Welt: Hellmich nicht Manns genug, die Nachricht selbst zu überbringen, Hübner nicht so loyal wie Neururer noch wenige Wochen zuvor. Und dann fragt ihn Bruno Hübner sogar noch einige Zeit später, ob er nicht bis zum Saisonende auf sein Gehalt verzichten könne, als eine Art Anleihe, damit der MSV Duisburg von diesem Geld drei neue Spieler verpflichten könne. Neururer lehnte empört ab. Ich höre gleichsam: was für ein unanständiges Angebot. Dabei hätte er, seine Einwilligung vorausgesetzt, vielleicht noch ein Jahr länger Geld verdienen können. Schließlich hätte sich sein Vertrag bei einem Aufstieg automatisch verlängert.
Es kam wieder anders, sein Nachfolger Milan Sasic stieg mit der Mannschaft nicht auf, redet aber schlecht über die Arbeit seines Vorgängers. Nur deshalb, so Peter Neururer, brach er mit einem seiner Prinzipien. Von da an kritisierte er zurück und urteilte, Milan Sasic sei „ein ganz mieser Kollege.“ Es war das letzte Geplänkel, das Peter Neururer noch eng an den MSV Duisburg band. Danach begegnete er dem Verein nur noch als TV-Experte. Dieses Sportfernsehen ist wahrscheinlich Peter Neururers Zukunft. Der MSV Duisburg wäre damit die letzte Trainerstation für ihn gewesen. Neulich ging es ja schon durch die Presse: Wenn er in dieser Saison nicht noch einmal als Cheftrainer oder Sportdirektor arbeitet, sei ihn für ihn Schluss. Im Buch steht noch: Dann werde er sich zu „100 Prozent“ als Experte oder „wie auch immer“ im Fernsehen engagieren.
Dem ein oder anderen meiner Sätze merkt man es wahrscheinlich schon an. Diese Biografie sollte nur kaufen, wer zwanghafter Sammler von Fußballliteratur ist. Die ausführlicherere Begründung dazu reiche ich nach. Die Zitate aber, so denke ich, geben schon einen ersten Hinweis für meine Meinung.
Thomas Lötz: Peter Neururer. Aus dem Leben eines Bundesliga-Trainers. Delius Verlag, Bielefeld 2012. 192 Seiten. 19,90 €
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