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Was kann die Mehrheit für die idiotische Minderheit?

Mit meiner Wut direkt nach dem Abpfiff war ich nicht alleine. Wie idiotisch sich Duisburger vor der Kieler Kurve aufführten, war nicht zu übersehen. Ihnen war nicht nach Feiern sondern nach Gewalt. Zu einer Schlägerei kam es nicht. Die Polizeikette war schnell genug aufgezogen. Der Abschuss zweier Signalraketen aber konnte nicht verhindert werden. Was muss im Kopf von demjenigen vorgegangen sein, der die Signalrakete auf Menschen gerichtet hat? Verbrennungen, die damit verbundenen Schmerzen und dauerhaften Folgen hat der Mann anscheinend weder erlebt noch sie sich jemals vorgestellt. Die Vorbilder zu solchen Aktionen gab es schon in mehreren Stadien. In Duisburg wurde nun eine junge Polizistin durch eine dieser Raketen verletzt. Körperlich geht es ihr inzwischen besser. Die psychischen Folgen werden vermutlich länger anhalten. Diese Verletzung gibt dem Aufstieg einen bitteren Beigeschmack. Der Täter wurde identifiziert und heute verhaftet. Die Tat wird dadurch nicht ungeschehen. Vielleicht hilft die Verhaftung dem Opfer bei der Bewältigung ihres Leids. Vielleicht beginnt beim Täter das Nachdenken über seine Tat.

Es gibt nichts zu relativieren an diesem Vorfall. Es gibt keine Entlastung von Verantwortung durch einen Verweis auf irgendein Fehlverhalten der Kieler oder der Polizei in anderen Zusammenhängen. Es gibt keine Entlastung von Verantwortung durch einen Verweis auf soziale Ursachen in Duisburg, die vielleicht zu Aggression und Gewalt führen bei den Bewohnern Duisburgs. Dabei habe ich vor allem den Täter im Blick. Es gibt aber auch keine Entlastung von Verantwortung beim Verein und uns anderen Zuschauern des MSV Duisburg durch den Verweis auf eine Minderheit von Idioten im Stadion, die keine wirklichen Fans sind. Und es gibt keine Entlastung von Verantwortung durch den Verweis auf gesamtgesellschaftliche Entwicklungen, bei denen der Fußball offenbar die Bühne bietet für eine ritualhafte Abfuhr von Aggression.

Ich will mich nicht billig empören über diese Typen, die in die Kurve gerannt sind. Diese Empörung fiele leicht, schwerer fällt es, den Einfluss zu sehen, den der Verein oder auch wir anderen Zuschauer auf diese kleine Gruppe haben können. Wenn schon nicht Fanprojekte solche Fußballzuschauer erreichen, wer dann? Unmöglich kommt es einem vor, und doch träume ich davon, wie wir alle etwas für die Stadionatmosphäre tun, wie wir alle, jeder in seinem kleinen Kreis, so viel Anstand durchsetzen, dass es zu solchen Vorfällen nicht kommt. Ich träume davon, dass die Verbundenheit mit dem MSV Duisburg so viel Wert an sich besitzt, dass niemand mit Interesse am MSV es mehr nötig hat, Anhänger eines kleineren anderen Vereins anzugreifen. Das verstehe ich unter gesundem Selbstbewusstsein, für das es als Duisburger gute Gründe gibt.

Vermutlich werden vor der Kieler Kurve die sieben, acht Typen dabei gewesen sein, die sich bei uns in Block G kurz vor Spielende zwischen uns Stehplatzbesuchern durchgerammt haben. Etwa Mitte 20 waren sie, einer war sofort bereit, jemandem „eine aufs Maul zu hauen“, der nach dem plötzlichen Stoß von hinten sich beschwerte. Ein Mann im Stadion mit Aggressionsstau aus welchen Gründen auch immer möchte sich mit einem Zebra-Fan kurz vor dem Aufstieg prügeln, was für eine Welt. Der junge Mann wirkte nicht betrunken. Er hatte einfach Bock auf Randale, schon in der eigenen Kurve. Warum gab es diese Randale nicht? Weil bei uns in der Ecke viele ziemlich normale Menschen, die eigentlich nicht nach Randale aussehen, nach der ersten Drohung von diesem Typen an der Seite dessen waren, der nichts anderes gemacht hat als sich berechtigt zu beschweren.

Es geht also um Standards im Stadion, für die wir einstehen. Ich werde diese Duisburger vor der Kieler Kurve mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht erreichen. Aber ich erreiche vielleicht jemanden, der jemanden kennt, der jemanden kennt am Rand dieser Gruppe. Es geht darum, was im Stadion geht und was nicht geht. Was nicht geht, beginnt für mich lange vor dem Abschießen einer Signalrakete. Am Samstag gehörten für mich etwa die Schmähgesänge auf den Kieler Anhang während des Spiels schon dazu. Einen Grund dafür hat es nicht gegeben. Man muss nicht jedes Facebook-Bashing zur großen Feindschaft stilisieren.

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Fangewalt und Extremismus – Eine Grundsatzerklärung vom MSV Duisburg

Auch wenn der MSV Duisburg die Erklärung zum „Vorgehen gegen Gewalt und Extremismus“ selbstverständlich auf seiner Seite veröffentlicht hat, möchte ich sie in diesen Räumen im gesamten Wortlaut ebenfalls online stellen.  Der MSV Duisburg ist grundsätzlich geworden, und das verdient starken Beifall und größt mögliche Verbreitung. Solch grundsätzliche Erklärung braucht mehr Worte, als wir sie sonst vom MSV Duisburg zu lesen bekommen, auch weil Fangewalt und Extremismus komplexe soziale Geschehen sind. Entsprechend vielfältig können sie beschrieben werden, vor allem aber entsprechend vielfältig sind die Mittel, mit denen auf Fangewalt und Extremismus reagiert werden kann.

Mir gefällt an dieser Erklärung sehr, wie sich der Verein auf die zurückliegenden Vorfälle in und um die Stadien bezieht. Auf diese Weise wird die Erklärung zu mehr als einer selbstverständlichen aber auch harmlosen Bekundung, zu den Guten in dieser Gesellschaft gehören zu wollen. Der MSV Duisburg zeigt auf diese Weise, es gibt Regeln und der Verein ist gewillt auf die Einhaltung der Regeln zu achten. Bislang mäanderte die Auseinandersetzung zum Extremismus zwischen Fans mit den häufig selben Argumenten hin und her. Nun zeigt sich der Verein als die Instanz, die entscheiden wird, was geht und was nicht geht. Er überlässt die Extremismus-Debatte nicht allein den Fans.

Für die Trennschärfe bei solchen Entscheidungen sucht der MSV Duisburg Unterstützung von vielen Institutionen, die sich mit dem Extremismus in unserer Gesellschaft beschäftigen. Zudem werden etwa mit der Koordinatiosstelle der Fanprojekte auch solche Institutionen mit eingebunden, die sich als Interessenvertreter der Fanszene verstehen. Nicht zu vergessen die Absicht, den Dialog mit den Fans vor Ort aus den unterschiedlichen Gruppierungen zu intensivieren. Miteinander Sprechen ist immer die erste Wahl bei Schwierigkeiten.

Nicht zuletzt ordnet der Verein die Vorfälle ein und setzt sie ins Verhältnis zu extremistischen Tendenzen in Duisburg außerhalb des Fußballs. Was zugleich überleitet zu der Verantwortung, die jeder Zuschauer als Bürger dieser Gesellschaft übernehmen kann. Alles richtig gemacht, MSV Duisburg! Nun heißt es, die Absichten bei den Anforderungen des Saison-Alltags nicht aus den Augen verlieren.

Die Erklärung des MSV Duisburg zum Vorgehen gegen Gewalt und Extremismus im Wortlaut:

Der MSV Duisburg nimmt die intensive Arbeit der vergangenen Wochen und Monate innerhalb des Vereins zum Anlass, zu informieren, wie und in welcher Form der Verein gegen Gewalt und extremistische Ausschreitungen vorgeht. Wir möchten Ihnen aber auch aufzeigen, was wir als Fußballklub nicht leisten können.

Der MSV Duisburg betont dabei erneut, dass bei uns Integration, Toleranz und Respekt gelebt werden.
In den letzten Monaten gab es rund um Liga- und Pokalspiele Vorfälle, die wir nicht tolerieren können und wollen.
• Während des DFB-Pokalspiels im Sommer 2012 beim Halleschen FC fielen mehrere Personen auf, die offensichtlich rechtsextrem motiviert waren. Unter anderem wurde eine Fahne mit der Aufschrift „Good night left side“ für einen kurzen Moment gezeigt.
• Nach dem Spiel gegen Regensburg im August 2013 skandierten die Fans ein lautstarkes „Sieg“ in Richtung Mannschaft, welches durch zwei Personen um den Ausruf „Heil“ verlängert wurde.
• Nach dem Spiel gegen den 1.FC Saarbrücken im Herbst 2013 kam es am Fancontainer auf dem Parkplatz vor der Schauinsland-Reisen-Arena zu einer handfesten Auseinandersetzung zwischen verschiedenen MSV Gruppierungen.
• Während des Spiels in Heidenheim im Dezember 2013 kam es zu einer handfesten Auseinandersetzung im Fanblock, als ein Transparent ausgerollt wurde.
• Rund um das Auswärtsspiel bei Borussia Dortmund II im Februar 2014 gab es verschieden gewalttätige Vorfälle, sowohl im Bahnhof in Essen auf dem Hinweg als auch im Gästeblock während der Begegnung, an der Bahnhaltestelle in Dortmund und bei der Rückkehr im Hauptbahnhof Duisburg.

Auf Basis des regelmäßigen Austauschs u.a. mit der Polizei und dem Staatsschutz, gehen wir davon aus, dass es unter den größtenteils aufgeschlossenen und friedlichen Fans, die regelmäßig die Spiele der Zebras besuchen, auch einige wenige gewalttätige und extremistische Personen gibt. Die Behörden haben in den vergangenen Jahren nach ihren Angaben uns gegenüber keinen bedeutsamen Anstieg festgestellt. Eine belegbar politisch rechtsextrem oder linksextrem motivierte Straftat habe es – das ist Stand der aktuellen Ermittlungen – dabei nicht gegeben.

Nach einigen der oben genannten Vorfälle konnte der MSV Duisburg mit Hilfe der Polizei Personalien feststellen. Es kam zu folgenden Reaktionen:
• Nach den Vorkommnissen vom Pokalspiel gegen den Halleschen FC wurden gegen einwandfrei ermittelte Täter mehrere Stadionverbote ausgesprochen.
• Eine Person, die „Heil“ an den Ruf „Sieg“ angehängt hat, wurde ebenfalls mit bundesweitem Stadionverbot belegt. Allerdings hat die Staatsanwaltschaft ein weiteres eingeleitetes Strafverfahren eingestellt.
• Drei Personen, die an der Auseinandersetzung nach dem Spiel gegen Saarbrücken beteiligt waren, sind mit bundesweiten Stadionverboten belegt worden.
• Nach dem Spiel in Dortmund hat der MSV insgesamt 28 zeitlich begrenzte Hausverbote ausgesprochen. Die Entscheidungen über bundesweite Stadionverbote werden durch den DFB und Borussia Dortmund getroffen. Die Auswertungen aus Heidenheim liegen uns noch nicht vor.

Folgende Maßnahmen – basierend u.a. auf den Beratungen mit Experten der Koordinationsstelle der Fanprojekte (KOS) und der Kompetenzgruppe ‚Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit‘ (KoFaS), dem DFB und anderen Vereinen – hat der MSV Duisburg ergriffen, um Gewalt und Extremismus noch effektiver bekämpfen zu können:
• der Ordnungsdienst wurde über die vorgeschriebenen Maßnahmen hinaus erneut geschult und sensibilisiert
• der regelmäßige Dialog mit Fanvertretern aus den verschiedensten Gruppen und Fanclubs wurde weiter intensiviert
• die Arbeit mit den Fanclubs zum Thema „Für Integration, Respekt und Toleranz“ wird in Kooperation mit dem Fanprojekt Duisburg weiter fortgeführt
• Gespräche zwischen Verein und Polizei bzw. Staatsschutz haben stattgefunden.

Darüber hinaus sind weitere Aktivitäten geplant:
• Kooperation mit dem Institut für Präventionsforschung und Sicherheitsmanagement (Klaus Stüllenberg/Münster – erfahren auch im Sportbereich). Hier soll ein externer Anbieter unvoreingenommen die Rolle des Vermittlers übernehmen.
• Weitere gemeinsame Aktionen mit dem Fanprojekt Duisburg – nächster geplanter Programmpunkt ist im April 2014 eine Lesung „Sexismus im Fußball“ • Gründung eines Fangremiums – bestehend aus Fanclub- und Gruppierungsvertretern, von Fans gewählt. Regelmäßige Treffen in diesem Kreis als Fixpunkt
• Kooperation mit der mobilen Beratung NRW gegen Rechtsextremismus (gehört zum Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes NRW / kostenloses Angebot)

Wir möchten betonen, dass wir hinter den Zielen, die wir in unserem Leitbild definieren, stehen:
• Als Zebrafamilie, mit all unserer Vielfalt, sind wir weit über die Grenzen unserer Stadt hinaus bekannt.
• Wir halten zusammen, insbesondere in schweren Zeiten.
• Integration wird von uns gelebt. Respekt und Toleranz prägen unseren Umgang miteinander.

Und auch in unserer Stadionordnung für die Heimspiele in der Schauinsland-Reisen-Arena heißt es: „Den Besuchern des Stadions ist das Mitführen folgender Gegenstände untersagt: rassistisches, fremdenfeindliches und rechtsradikales Propagandamaterial … Verboten ist den Besuchern weiterhin: rassistische, fremdenfeindliche oder rechtsradikale Parolen zu äußern oder zu verbreiten.“

Unser Wunsch ist es, künftig mit allen, die sich offen und ehrlich zum MSV bekennen, noch intensiver für unsere Ziele zu arbeiten. Das heißt im Gegenzug: wir werden uns gegen das Auftreten von Gruppierungen, die nicht bereit sind, sich diesen Zielen anzuschließen, sondern den Namen unseres Traditionsvereins nutzen wollen, um ihr oft unfassbares Gedankengut zu verbreiten, mit allen uns zu Verfügung stehenden Möglichkeiten wehren!

Wir wissen aber auch, dass diese Möglichkeiten für einen Fußballverein nicht grenzenlos sind, vor allem auch außerhalb unserer Arena.

Bei den Landtagswahlen haben 2012 die Parteien „pro NRW“ und „NPD“ 3,45% aller Zweitstimmen in Duisburg erhalten. Da das Stadion ein Spiegelbild unserer Gesellschaft ist, können wir nicht ausschließen, dass es im Stadion oder in sozialen Netzwerken eben auch Menschen gibt, die mit dem rechten Gedankengut sympathisieren.

Wir möchten aber auch betonen: Der Großteil unserer Fans verhält sich einwandfrei. Gerade im letzten Sommer haben die Fans aus Duisburg sehr eindrucksvoll bewiesen, mit welch friedlichen Aktionen sie „Streifen gezeigt“ haben.

Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass wir auf Hilfe angewiesen sind. Wer extremistisches oder gewalttätiges Verhalten wahrnimmt, ist aufgefordert, seine Wahrnehmungen umgehend mitzuteilen. Nur so können wir Ermittlungen einleiten, die dann auch zu Sanktionen führen.

Keine Politik wird manchmal doch zur Politik

Wir wünschen uns das Leben so einfach wie möglich, und stets kommt uns dieses Leben schon kurz nach dem Wünschen dazwischen. Ich zum Beispiel will seit Jahren beim MSV Duisburg im Stadion eigentlich nur über Fußball reden. Aber was ist? Ständig beschäftigen mich so sportferne Dinge wie ein Schuldenschnitt und seit kurzer Zeit auch noch  die gewaltvoll gewordene Auseinandersetzung in der eigenen Kurve, um deren Deutung in der Duisburger Fanszene verständlicher Weise mehr gerungen wurde als in der Öffentlichkeit. Für Fußballdeutschland steht der Überfall der „Division Duisburg“ auf die „Kohorte“ in einer Reihe mit einigen Versuchen der rechten Szene, in den Fankurven Einfluss zu gewinnen.

Im Stadion nervt dieses Fußballferne. So verstehe ich die vielen Anhänger des MSV Duisburg, die sich etwa ein besseres, politikfreies Leben im Stadion erhoffen. Aber mit diesen Politik genannten Themen  ist es wie mit dem Aufräumen und Putzen. Man kann es sich einige Zeit sparen, aber irgendwann kommt der Zeitpunkt, da musst du dich drum kümmern. Sonst hast du bald ein Zuhause, in dem sich nicht mehr jeder wohl fühlen kann.

„Keine Politik in der Kurve“  ist deshalb allenfalls ein hoffnungsvolles Ziel, das nur erreicht werden kann über eine Haltung, bei der viele schnell die Augen verdrehen und sie politisch nennen. Das ist paradox, aber unvermeidlich. Denn was heißt Politik im Stadion überhaupt? Wird etwa der vom DFB unterstützte Anti-Rassismus in seiner unverbindlichen Spruchband-Botschaft genau dann zur nervigen Politik, wenn konkret rassistische Gruppen Rassisten genannt werden? Oder ist es nicht gerade Politik, wenn eine einzelne Fangruppe bestimmen will, welches Spruchband im Stadion eine politische Botschaft darstellt. Es ist ganz schön kompliziert mit der Losung „Keine Politik in der Kurve“.

Rechtextremistische Gruppen – und davon rede ich heute nur, weil dieses „die anderen haben aber auch“ mich zu sehr an Kindergarten und Schule erinnert, rechtsextremistische Gruppen, also, haben ein großes Interesse an einer vermeintlich politikfreien Zone, dem Stadion. Wo sonst können Mitglieder extremistischer Zusammenschlüsse in breiter Öffentlichkeit sich wirksam fühlen? Bei der Frage, was in der Kurve geschieht, geht es schließlich um Macht. So können extremistische Gruppen ausprobieren, wieviel Durchsetzungskraft sie besitzen, wie weit sie beim Einsatz für die eigene Meinung gehen können. Und das muss sogar nicht unbedingt mit politischen Inhalten verbunden sein. In dem Fall verschwimmen also die vermeintlich so klar getrennten Sphären von Stadionwelt und restlichem Leben. Dann muss man letztlich fragen, welches Interesse sich hinter der Losung „Keine Politik in der Kurve“ verbirgt? Was in Duisburg anscheinend bei einer Art rundem Tisch der Fangruppen geschah, sind zumindest vorpolitische Prozesse, und dementsprechend können die Aktivitäten einer dieser Gruppen von jetzt auf gleich in Politik umschlagen. Nur deshalb  kann die Fanszene Duisburgs auch darüber streiten, was dieser Vorfall nach dem Spiel gegen Saarbrücken überhaupt gewesen ist.

Der Fußball ist in dem Fall Zauberstab. Weil die Mitglieder der „Division Duisburg“natürlich auch als Fußballfans im Stadion sind und sie sich auf dem Terrain des Fußballs über Regeln streiten, lässt sich trefflich jeglicher politischer Hintergrund zum Verschwinden bringen. Unschuldig wird von normalen Zuständen im Stadion gesprochen, wo immer mal wieder Konflikte mit harter Hand gelöst werden. Stimmt, ja. Es stimmt aber nur AUCH! Politik ist in dem Moment untrennbar mit dem Fußball verknüpft. Schließlich geht es um die Deutungshoheit über diesen Begriff. Eine Gruppe möchte bestimmen, was Politik im Stadion bedeutet.

Wem es nach ein wenig argumentativer Unterfütterung durch die Theorie verlangt, dem sei Paul Watzlawicks kommunikationstheoretisches Diktum noch ans Herz gelegt, man könne niemals nicht kommunizieren. Sobald jemand einem anderen gegenüber steht, beginnt Kommunikation, selbst wenn der eine schweigt. Daraus lässt sich eine Einsicht zur Forderung „Keine Politik in der Kurve“ ableiten. Sobald diese Forderung als Teil einer Diskussion zwischen Gruppen erhoben wird, die sich in Teilen auch politisch definieren, ist diese Forderung selbst ein politisches Statement und das Aushandeln, wie dem Rechnung getragen wird, ist auch eine politische Diskussion. Man entkommt der politischen Stellungnahme in dem Fall nicht.

Vor ein paar Wochen schon fand Michael Welling, der Präsident von Rot-Weiss Essen, in einem Interview im Reviersport zu solch einer Entwicklung in der Kurve die passenden Worte:

Kommen wir mal zum Nicht-Sportlichen. Für die Allermeisten kam der Vorfall beim Fanprojekt am Mittwoch doch ziemlich überraschend, da sich in der Kurve bislang niemand abgezeichnet hat, dass Rot-Weiss Essen ein Problem mit rechten Fans hat. Zumindest dem Fanprojekt waren die Leute aber bekannt, oder?
Wenn das Fanprojekt die nicht kennen würde, würde es seine Arbeit nicht machen. Es ist tatsächlich so, dass die sich durch pure körperliche Präsenz als Chef der Kurve positionieren. Das ist ja auch im Grunde das, was am Mittwoch passiert ist. Das ist nicht akzeptabel, das ist doch völlig klar. Da geht es im ersten Schritt tatsächlich gar nicht darum, was da für ein Film gezeigt wird, was der Rahmen ist, wer Veranstalter ist, wer nicht Veranstalter ist. Es ist einfach nicht zu respektieren, dass irgendwelche selbsternannten Leute definieren, was hier passiert und mit körperlicher Präsenz ihre Auffassung durchdrücken wollen. Das ist nicht akzeptabel.

Und etwas später noch einmal Michael Welling:

Was hier die neue Dimension ist: Dass sich einzelne Leute positionieren, um sich so massiv durch Präsenz zu positionieren, das ist nicht zu akzeptieren. Dabei ist es dann ehrlicherweise auch egal, ob diese Leute aus einem linken oder einem rechten extremen Spektrum kommen. Es geht nicht, dass sich Leute als Sheriffs der Kurve positionieren und glauben, weil sie größere Arme haben, andere einzuschüchtern.

Letztlich braucht jedes Engagement gegen Rassismus, Intoleranz und Gewalt die Unterstützung des Vereins MSV Duisburg. Deshalb war das erste Interview nach dem Überfall mit Sicherheits-Manager Michael Meier und Fanbeauftragtem Christian Ellmann nicht mehr als ein hilfloser Versuch mit dem Lippenbekenntnis, der MSV sei „keine Kuschelecke für Neonazis“, der Geschichte Herr zu werden. Die Losung „Keine Politik“ wurde als Fallstrick überhaupt nicht wahrgenommen. Einmal mehr ist es erst Jürgen Marbach gewesen, der das Problem in seinem Ausmaß erkannte. Nicht nur dass er den Verein mit deutlichen Worten gegen Rechtsextremismus positionierte, er erkannte zudem, dass Michael Meier und Christian Ellmann, die Deutungshoheit für das Geschehen den Gewalttätern in Teilen überlassen hatten. Bei Spiegel online korrigierte er die naiven Aussagen der Mitarbeiter des MSV Duisburg. Wichtiger aber noch ist die dort in Aussicht gestellte Absicht, Hilfe durch Wissenschaft in Anspruch nehmen zu wollen.

Denn wie im Alltag der Saison mit dem Konflikt in der Kurve weiter umgegangen werden soll, bleibt eine offene Frage. Absichtserklärungen geben dabei nur die Richtschnur für das Handeln. Im Grunde geht es um die Haltung der schweigenden Mehrheit im Stadion. Es geht um alle, die immer wieder genervt sind von Auseinandersetzungen, die zunächst nichts mit eigentlichem Support und Fußball zu tun haben. Es geht um die paradoxe Einsicht, um die Politik aus der Kurve zu halten, ist die Losung „Keine Politik in der Kurve“ in ihrem politischen Kern zu benennen. Es geht um die öffentliche Meinung, in der der Einsatz gegen Rassismus, Gewalt und Intoleranz ihren selbstverständlichen Platz finden können muss.

Wer ist der Schreck vom Niederrhein? Nur der MSV!

Berlin? Berlin? Fahren wir nach Berlin? Welch guten Fußball spielt der MSV Duisburg, wenn es der Mannschaft gelingt, tatsächlich nur an das eine Spiel zu denken. Drei, vier Wochen war die Leichtigkeit des Spiels verloren gegangen. Drei, vier Wochen waren die Blicke vielleicht zu sehr auf die Zukunft gerichtet? Drei, vier Wochen hatte die Aussicht auf ein Saisonende mit einem überraschenden Erfolg vielleicht die Mannschaft gehemmt? Gestern Abend war die Leichtigkeit wieder da. Gestern Abend sahen wir, warum der MSV Duisburg in der Zweitliga-Tabelle mit 30 Punkten auf dem fünften Platz steht. Die Mannschaft war sich ihres schnellen Kombinationsspiels wieder sicher. Die Spielanlage war wieder variabel. Und schon hob Stefan Maierhofer nicht mehr viel zu oft den Arm für das gewünschte Anspiel.

Natürlich muss man auch sagen, dass der 1. FC Köln bei weitem nicht so gut gespielt hat wie am letzten Freitag der VfL Bochum. Diese Mannschaft des 1. FC Köln wirkt in allen Teilen verunsichert. Gestern besaß sie eine Verteidigung, in der immer wieder unglaubliche Fehler passierten. Ich kann den Ärger der Kölner Zuschauer verstehen. Wenn es denn wenigstens Fehler in der Bedrängnis wären. Aber die Ecke, die zum Tor von Stefan Maierhofer in der 3. Minute führte, war ein Geschenk des 1. FC Köln. Das soll jetzt aber nicht heißen, der Sieg des MSV Duisburg sei alleine durch die schlechte Leistung der Kölner ermöglicht worden. Nein, das gute Spiel des  MSV Duisburg hat selbstverständlich auch den 1. FC Köln so schlecht aussehen lassen.

Der Warnhinweis für auswärtige Zuschaer im Block N14 war im Übrigen   keineswegs übertrieben. In dem Block lebt die Hooligan-Tradition der 90er munter weiter. Was uns bewog, in der Halbzeitpause per Schalausweis die Grenzkontrolle zum Nachbarblock zu überwinden und dort im Schutz der Zebraherde erst wirklich auf das zweite Tor des MSV Duisburg zum Sieg zu hoffen. In der ersten Halbzeit war ich  jedenfalls angesichts der weiteren Chancen des MSV Duisburg in große Gewissenskonflikte gekommen. Ob der Sicherheitsdienst so schnell bei uns gewesen wäre, um uns bei einem weiteren Treffer gegen den FC zu schützen, schien mir eine offene Frage zu sein. Schon der frühe Führungstreffer durch Stefan Maierhofer in der 3. Minute war für die Reihe vor uns nicht nur ein Ärgernis sondern eine Provokation, die wir mit verursachten. Dabei konnten wir uns gar nicht mal übermäßig freuen, weil wir eben erst unseren Platz eingenommen hatten. Die Anreise aus dem rechtsrheinischen Köln war gestern ein Glücksspiel, weil sich „Personen in den Gleisanlagen“ der Hohenzollernbrücke aufgehalten hatten und der S-Bahn-Verkehr Richtung Deutz über vierzig Minuten eingestellt war.

Der Anpfiff mit zehnminütiger Verspätung kam uns also zugute. Die Aggression im Stadion war allerdings nicht nur in unserem Erste-Halbzeit-Block spürbar. Es schien so, als wollten Anhänger des FC nahezu überall ihre sehr schlechte Laune mal so richtig rauslassen. Für viele dieser Menschen war es geradezu ein segensreiches Geschenk, dass so viele Duisburger Zuschauer ins Stadion gekommen waren. Da hatten sie wenigstens ein weiteres Feindbild. Unter den Kölner Zuschauern war aber so viel Hass in der Luft, dass er nicht mal an Duisburger Zuschauern und durch Spielerbeschimpfung abgearbeitet werden konnte. Ununterbrochen wurden auch Feinde in den eigenen Reihen entdeckt, und weil es kostenaufwändig ist, Plexiglaswände um jeden Einzelplatz der Kölner zu ziehen, kam es immer mal wieder zu irgendwelchen Rangeleien. Die Arbeit beim Ordnungsdienst des Kölner Stadions scheint mir im Moment keine einfache zu sein.

Natürlich kenne ich in Duisburg Zuschauer ähnlichen Zuschnitts, doch habe ich den Eindruck, es gibt im Kölner Stadion mehr Menschen, die große Lust am sichtbaren Ausleben ihrer Aggression verspüren. Da ist nichts mehr vom gemütlichen Kölner-Sein vorhanden. Da lässt sich eine dunkle Seite der Stadt erkennen, über die sonst wenig Worte verloren wird.

Zurück zum Spiel. Dass es ab der 75. Minute noch einmal spannend wurde, lag einmal mehr an der Chancenverwertung des MSV Duisburg. Welch große Chancen erspielte sich diese Mannschaft. Doch Srdjan Baljak fehlt im Moment jegliche Sicherheit beim Abschluss, und Olcay Sahans Torgefährlichkeit ist nun auch keine beständige. Beim Pfostentreffer gelingt ihm der Schuss noch gut, wenige Minute später war so ein Schuss mal wieder mehr eine Rückgabe zum Torwart. Aber ich habe gelernt damit zu leben, schließlich spielte er gestern wieder ansonsten sehr gut. Julian Kochs Tor zum 2:0 hat für mich alle Zutaten einer für ihn typischen Spielaktionen. Dieser dynamische Antritt, das Vorantreiben des Balls und das sofortige Nachgehen, wenn dieser Ball für den ersten Moment verloren scheint. Großartig! Einmal mehr.

Ab der 75. Minute war der Mannschaft anzumerken, wie anstrengend das Spiel bis dahin gewesen ist. So viele Konter schnell zu laufen kostet Kraft, und deshalb ist es doch auf mittlere Frist sehr sinnvoll, noch ein Tor mehr aus so vielen Chancen zu machen. In dieser Spielphase drohte die Ordung in der Defensive immer wieder verloren zu gehen, zumal der ein und andere Fehler von Bruno Soares für Unruhe sorgte. Er soll den Ball nicht wegschlagen, sicher, aber manchmal kommen dann so Aussetzer und dann gibt er ihn einfach wieder weg. Das hat mich schon sehr nervös gemacht. Wahrscheinlich habe ich deshalb auch für etwa eine Minute gedacht, der von Lukas Podolski im Strafraum geschossene Freistoß sei ins Tor gegangen. Ich sah ein Netz sich ausbeulen, guckte auf den Boden und mir ging durch den Kopf, ob noch genug Kraft vorhanden sei, sich gegen den Ausgleich zu stemmen. Dann sah ich wieder nach oben und wunderte mich nur kurz, wieso David Yelldell den Ball schon wieder abschlug. So schnell war der Anstoß ausgeführt worden? Und der wurde in die eigene Hälfte zurückgespielt? Erst nach dem Abstoß fiel mein Blick auf die Anzeigetafel und die weiterhin bestehende 2:0-Führung. Anscheinend braucht nicht nur die Mannschaft die Winterpause, auch ich muss meine Kräfte erneuern, um mir im neuen Jahr mit der Konzentration des Saisonanfangs die Spiele anzusehen.

Als das Anschlusstor dann wirklich fiel, war ich deshalb gar nicht mehr beunruhigt. Ich bangte nicht um den Sieg. Ein irrationaler Moment. Mit Wahrscheinlichkeit hatte das alles nichts zu tun, sondern nur mit der Hoffnung, dass alles gut ausgeht und dem Gefühl, die Kölner Mannschaft war zu planlos. Allenfalls hätte sich ein zufälliger Ausgleich noch ergeben können. Großer Jubel beim Schlusspfiff, und genügend Plexiglasscheiben zwischen mir und den hasserfüllten Idioten, um ausgiebig in der Zebraherde die Mannschaft und uns selbst zu feiern. Heute nun schwinge ich immer noch ein wenig in der Stimmung bei allen letzten Weihnachtsvorbereitungen und bedauere den 1. FC Kaiserslautern. Ein unglückliches Viertelffinal-Los für die Mannschaft. Denn mit großer Wahrscheinlichkeit wird beim Nachholspiel im Januar nun nämlich TuS Koblenz weiterkommen. Im anderen Fall gäbe es ja für den MSV Duisburg in der nächsten Runde des DFB-Pokals ein Heimspiel, und wir kennen alle das eine der neueren Pokalgesetze. Auf dem Rasen des Duisburger Stadions herrscht striktes Pokalspielverbot, das andere heißt ja, zwei Zweitligavereine kommen in dieser Saison ins Finale.

Kees Jaratz antwortet auf Fragen aus der VfL-Welt

Anfang der Woche fragte Luis Reichert, der im Blog 1848 Einwürfe über den VfL Bochum schreibt, ob wir so was wie einen gemeinsamen Interview-Vorbericht über das Spiel vom MSV Duisburg gegen den VfL Bochum machen sollten. Schnell merkte ich, für das dazu notwendige Gespräch hatte ich meinen Kopf zu voll. Ich hätte wahrscheinlich den Eindruck eines Standard-Talkgasts abgegeben, der sich nicht wirklich für seinen Gesprächspartner interessiert und immer nur die eigenen Statements raushaut. Die Folge: So einem Typen stellt man am besten Fragen und so was nennt sich Interview. Einen Vorbericht zum Spiel aus VfL-Sicht hat Luis schon gestern geschrieben – auch im Blog 18:48 gibt es übrigens kurz und knackig VfL-gefärbte Fakten.

Für die Klickfaulen folgen meine Worte in der Rolle als Fremdenführer und MSV-Welt-Deuter schon auf dieser Seite. Lasst euch aber nicht abhalten, gegebenenfalls dann doch zu seinem Kommentarfeld zu surfen, wo diese Worte nach anderer Meinung und Wissen ergänzt werden können.

Luis Reichert: Wenn der MSV und der VfL am Freitag aufeinander treffen, dann kann man mit etwas gutem Willen von einem Revier-Derby sprechen. Ist dies auch für Dich ein besonderes Spiel?

Kees Jaratz: Zunächst muss ich mich zu einer Befindlichkeit bekennen, die sicherlich viele Fußballfans für eine Art Mangel halten. Ich kenne keine Derby-Gefühle. Für mich geht es immer mit der gleichen Intensität um die drei Punkte, egal woher der Gegner kommt. Letzte Saison habe ich mich sogar mit einem Text geoutet, als mir an einem Spieltag die Medienhysterie zum Thema Derby zu viel wurde. Trotzdem sehe ich natürlich mit den Augen des Beobachters, dass manche Begegnungen eine besondere Tradition haben. Wenn der MSV Duisburg und der VfL Bochum gegeneinander spielen, kann ich das aber nicht erkennen. Komischerweise. Denn eigentlich sind das ja die beiden Vereine, die von der Struktur her im Ruhrgebiet am ähnlichsten sind. Aber anscheinend führt das nicht zu der Rivalität, wie wir sie aus der Etage drüber kennen. Ich glaube, da ist der Ruhri einfach zu sehr an sein lokales Erleben gebunden. Da liegen in Duisburg etwa Rot-Weiß Oberhausen und Fortuna Düsseldorf viel näher, um bei jemandem so etwas wie ein Derby-Gefühl zu entfachen. Bochum und Duisburg bieten einander einfach zu wenig Reibungsfläche – trotz geteilter Ruhrpottidentität. Wenn ich was aus Bochum mitbekomme, scheint es mir dort im umgekehrten Verhältnis zum MSV genauso zu sein.

L.R.: Hast Du besondere Erinnerungen an ein Spiel des MSV gegen den VfL?

K.J.: Doch, solch eine Erinnerung gibt es, aber die hat nichts mit dem Fußball selbst zu tun sondern mit einer unangenehmen Begegnung nach einem Spiel mit VfL-Fans. In den 70ern war das Risiko bei Auswärtsspielen für jeden mitreisenden Fan in Fan-Klamotten größer als heute. So waren wir als Jugendliche immer vorsichtig, in welcher Gegend man seinen Fanschal offen trug und wo nicht. Im blau-weißen Bochum schien das kein Problem zu sein, doch wurde gerade dort das einzige Mal einem von uns gemeinsam fahrenden Fans der MSV-Schal geklaut. Von Muttern selbst gestrickt war der. Ohne die heute vorhandenen, hineingewebten Vereinsnamen natürlich. Doch der Freund war nach dem Spiel zu schnell beim Auto seines älteren Bruders, und das Kennzeichen verriet die Herkunft. Dann kam der Griff aus einem Pulk heraus an den Hals und schon war der Schal weg. Ich weiß nicht mal mehr, wie das Spiel ausgegangen ist.

L.R.: Der VfL hat ein überaus enttäuschendes Jahr hinter sich. Hinzu kamen Querelen im Umfeld. Wie beurteilst Du als MSV-Fan die Situation in Bochum?

K.J.: Eigentlich habe ich die Interna beim VfL zu wenig verfolgt, um mir ein Urteil zu erlauben. An der Oberfläche sieht es für mich jedenfalls so aus, als hätten der VfL Bochum und der MSV Duisburg vor ähnlichen Problemen gestanden. Die Entfremdung zwischen Vereinsführung und Fans hatte immer weiter zugenommen, weil die Patriarchen in der Vereinsführung zu selbstgewiss waren. Da fehlte Demut gegenüber allem, was diesen Fußball auch als Kultur ausmacht. So etwas wird nur durch sportlichen Erfolg verdeckt. Wenn der dann nicht vorhanden ist, wird grelles Licht auf diese Haltung geworfen. Natürlich gibt es darüber hinaus große Unterschiede, Walter Hellmich war ja nicht eine solch lange Zeit in verantwortlicher Position wie Werner Altegoer. Walter Hellmichs persönliche Interessen bei allem seinem Einsatz waren auch deutlich erkennbar.

L.R.: In einer großen überregionalen Zeitung hieß es kürzlich sinngemäß, dass der MSV-Präsident Hellmich als Messias gekommen sei und nun als Buhmann gehe. Was ist da bei Euch passiert?

K.J.: Diese Entwicklung hat vielfältige Gründe, Kern des Ganzen ist meiner Meinung nach der Versuch Walter Hellmichs, sein Erfolgsmodell als Unternehmer eins zu eins in den Fußball zu transportieren. Die Grundlage dieses Erfolgsmodells scheint mir zu sein: persönliche Verlässlichkeit, der Aufbau von Beziehungen und die grundsätzliche Einbindung des Chefs in wichtige Entscheidungen. Das führte im Moment der Krise des MSV Duisburg kurz nach 2000 tatsächlich zum Erfolg. In Krisen braucht es solche Eigenschaften, Gespräche führen, Menschen begeistern, zupacken und machen. Da wird dann ein Stadion gebaut, über das zwanzig Jahre nur geredet wurde. Sobald das Tagesgeschäft aber in ruhigem Fahrwassern war, wurden andere Dinge notwendig. Da hätte vor allem sportliche Kompetenz in den Verein geholt werden müssen. Das unterblieb. Es entstand sogar der Eindruck, Walter Hellmich selbst mischt bei Verpflichtungen kräftig mit. Hinzu kam, dass Walter Hellmich die eigenen Interessen in dieser Zeit natürlich nicht vergaß und auf diese Weise wirtschaftliche Entscheidungen im Verein immer aus zwei Perspektiven beurteilt werden können. Oft erhält der Verdacht Nahrung, eine Entscheidung hätte ohne die Berücksichtigung der Interessen von Walter Hellmich günstiger für den MSV Duisburg sein können. Schlecht beraten war er auch darin, der lauter werdenden Kritik nicht argumentativ zu begegnen, sondern sie als anmaßend darzustellen. Das wirkte arrogant, und spätestens dann ist man nach einiger Zeit der Buhmann.

L.R.: Der MSV spielt jetzt schon das dritte Jahr im Unterhaus. Wie sehr leidest Du, insbesondere als Dauerkarteninhaber, unter grenzwertigen Anstoßzeiten und überschaubarer Spielkultur?

K.J.: Die Anstoßzeiten samstags und sonntags sind tatsächlich das, was mich am meisten in der 2. Liga ärgert. Die Anstoßzeiten passen nicht zu meinem sonstigen Tagesablauf. Alles was ich vorher machen muss, geschieht in Hetze. Montagsspiele kommen immer zu spät. Sie wirken auf mich wie so ein Nachklapp zum Eigentlichen. Wenn überhaupt, kann ich mich mit dem frühen Freitagstermin anfreunden. An der Spielkultur habe ich in dieser Saison gar nicht so viel auszusetzen, nachdem es gerade beim MSV in den letzten beiden Jahren eher mäßig war. Aber ich meine sogar eine Entwicklung auch bei den anderen Vereinen zu sehen. Das Fußballspiel in fast allen Vereinen der zweiten Liga hat sich in den letzten zwei Jahren erheblich verbessert.

L.R.: Der MSV hat vor allem zu Hause überzeugt. Trotzdem halten sich die Zuschauerzahlen in Grenzen. Woran liegt das?

K.J.: Eine schwierige Frage, die auch unter den MSV-Fans heiß diskutiert wird. Zum einen hat der Verein selbst lange Zeit nicht gerade viel dafür getan, Zuschauer an sich zu binden. Zum anderen kommen Zuschauer in Duisburg schon seit den 70er Jahren weniger wegen des Vereins als wegen des Erfolgs. Gegenüber dem VfL zum Beispiel gibt es über die Jahre hinweg ein geringeres Stammpublikum. Ich denke, da spielen dann auch innerstädtische Fragen eine Rolle, Dinge, die nicht direkt mit dem Fußball zu tun haben.

L.R.: Die schönste Szene der letzten Wochen war für mich der Jubel der MSV-Spieler in Berlin mit Milan Sasic, dessen Mutter zuvor verstorben war. Sasic heftet gleichzeitig das Image an, ein „harter Hund“ zu sein. Wie ist Deine Meinung zum Trainer?

K.J.: In der letzten Saison drohte dieses Image vom „harten Hund“ sich selbstständig zu machen. Anscheinend gab es Konflikte auf allen Vereinsebenen vom Platzwart bis hin zum Spieler. Dann gab es nach einem Vorfall zwischen Milan Sasic und dem Fahrer des Mannschaftsbusses eine Pressekonferenz, in der Milan Sasic versuchte, sich zu erklären und Fehler einräumte. Ich denke, das ist tatsächlich auch eine Wende für Sasic gewesen. Er wurde sich der Wirkung seiner Art bewusster und für die Menschen, die mit ihm zusammen arbeiten, war das ein Zeichen, dass sie bei aller Hierarchie ernst genommen werden.
Sasic ist ein Mann offener Worte und hat sehr klare Vorstellungen davon, was er für den Erfolg einer Mannschaft für notwendig hält. Gleichzeitig wirkt er sehr loyal gegenüber den Menschen, die ihm den Rahmen für seine Arbeit vorgeben. Der Aufbau einer Mannschaft gelingt ihm anscheinend gut, seine Persönlichkeit macht es ihm aber wahrscheinlich schwierig, in einem vorhandenen Gefüge alle Interessen ausgleichend zu moderieren. So hat er nun, mit der Vorgabe Neuaufbau, die Mannschaft  zu einer Einheit geformt. Im Moment zeigt sich ja ein kleines Tief der Mannschaft, und es muss sich noch erweisen, welchen Einfluss er nun auf die Spielanlage der Mannschaft nehmen kann.

L.R.: Welcher MSV-Spieler kann auf dem Platz den Unterschied machen bzw. hat das Potenzial für höhere Aufgaben?

K.J.: Da gibt es keinen Zweifel: Julian Koch, von Borussia Dortmund ausgeliehen, ist mit seinen 20 Jahren der Spieler mit dem größten Potenzial. Sowohl als rechter Außenverteidiger als auch im defensiven Mittelfeld einsetzbar, ist er technisch versiert, besitzt ein starkes Stellungsspiel und verleiht dem Spiel des MSV mit seinen Vorstößen immer sehr große Dynamik. Den Unterschied machen können aber auch andere Spieler, je nach Spiellage. Die großen Spieler Stefan Maierhofer etwa oder Goran Sukalo, immer für ein Kopfballtor aus dem Nichts gut.

L.R.: Wie geht das Spiel am Freitag aus?

K.J.: Ich hoffe auf einen Sieg mit zwei Toren Vorsprung, wenn das Spiel des MSV nicht mehr wie in Paderborn fast ausschließlich mit langen Bällen über Stefan Maierhofer versucht wird.

L.R.: Und wer steigt am Ende der Saison auf?

K.J.: Ich denke, Hertha BSC wird dann doch den Aufstieg genauso schaffen, wie Schalke nicht absteigt. Augsburg hat die Krise ja schon hinter sich, die
werden mit dabei sein. Und wenn ich an den MSV denke, bin ich sehr zufrieden, was die Perspektive angeht, aber dieses weitere entscheidende
Wort bleibt wie zu Saisonbeginn unaussprechlich. Da bin ich bislang ganz gut mit ausgekommen. Hoffen aufs Unaussprechliche werde ich dennoch. Den VfL sehe ich als den MSV der letzten Saison: immer mal wieder an den Aufstiegsplätzen schnuppern, aber die Bürde des misslungenen Saisonauftakts wird sich als zu groß erweisen, um den Sprung auf die Aufstiegsplätze noch zu schaffen.

Das Schillernde des Fußballs – Reaktionen auf Fangewalt

In fragmentarischen Worten stehen die Gedanken hier schon etwas länger in den Entwürfen und nun bleibt vom Fragmentarischen wahrscheinlich etwas erhalten, sonst kriege ich das nie vom Tisch.

Neulich meldeten sich die Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) und der Sportsoziologe Gunter A. Pilz  mit einem Beitrag zur Diskussion um Fangewalt zu Wort. Das Medieninteresse hielt sich in Grenzen, wahrscheinlich einfach aus dem Grund, weil diese Stellungnahme mit dem Wunsch nach größerer Unterstützung von Präventionsarbeit mit Fans von der Seite erwartbar ist und weil niemand so richtig gegen eine solche Forderung sein kann. Es fehlt die Möglichkeit zur Skandalisierung, ganz anders als bei der Forderung des Polizeigewerkschaftsvorsitzenden Rainer Wendt zum gleichen Problem. Er wiederholt ja gerne bei entsprechender Fangewalt-Gelegenheit seit einiger Zeit, die Vereine sollten sich an den Kosten für Polizeieinsätze beteiligen. Reflexhaft poltern die Vertreter dieser Vereine zur Dankbarkeit der berichterstattenden Medien mit Worten des Widerspruchs los. Von so einem Spektakel lässt sich mit emotionsgeladenen Zitaten einfach und mehrmals  berichten.

Vielleicht hat Gunter A. Pilz deshalb sich auch aus öffentlichkeitswirksamen Gründen gegen diese Forderung von Seiten der Polizei gerichtet? Oder wird da in der Berichterstattung etwas verkürzt, was eigentlich anders gemeint war? Denn so genau verstehe ich nicht, wo sich bei der Finanzierung zweier unterschiedlicher Maßnahmen gegen Gewalt die Gegensätze befinden. Es sei denn, man streitet um dasselbe Geld. Das aber geschieht ja gerade nicht. Pilz wendet sich zunächst an die Politik und mit Seitenhieb an die Polizei, Wendt stellt seine Forderung an die Veranstalter, die Fußballvereine. Und dass tatsächlich noch die alte Gefechtslinie zwischen Repression und Prävention irgendwo gezogen wird, hätte ich nicht für möglich gehalten. Schließlich kann bei der öffentlichen Diskussion auf dem Nachbarfeld Jugendgewalt niemand mehr hinter die Erkenntnis zurück, dass das eine erst gemeinsam mit dem anderen Wirkungen nach sich zieht. Repression heißt das dort dann natürlich nicht, sondern Einhalten von Regeln, aber dort sind Gefechtslagen mit zugespitzten Sprachformeln auch schon überwunden. Auch in dem Fall scheint der Fußball der übrigen gesellschaftlichen Entwicklung etwas hinterher zu hinken.

Auf mich wirkt es so, als redeten die beiden Männer gar nicht über denselben Fußball. Gunter A. Pilz geht es um soziale Zusammenhänge und damit wahrscheinlich in Teilen auch um den kulturellen Überbau im Fußball. Wendt spricht den Fußball als Unterhaltungsindustrie an. Das Widersprüchliche des gegenwärtigen Fußballs hat Konsequenzen. Fußball ist eben weder ganz das eine noch ganz das andere, und so ergeben sich unterschiedliche Handlungsweisen je nachdem, was gerade in den Vordergrund gerückt wird.

Diese Widersprüche ziehen aber auch kuriose Bilder nach sich. Rainer Wendt etwa steht eigentlich in einer Reihe mit all jenen Fans, die der Polizei desöfteren Sorge bereiten. Er zieht nur andere Schlüsse. Einig ist er sich mit ihnen aber in seinem diffusen Gefühl des Unwohlsein gegenüber der Kommerzialisierung des Fußballs. Wie den Fans geht es ihm um ein Verantwortungsbewusstsein der Vereine, das nicht Schritt gehalten hat mit der wirtschaftlichen Entwicklung des Sports als Unterhaltungsindustrie. Wendt richtet dabei sein Augenmerk auf Sicherheit und die Fans auf traditionelle Werte des Fußballs.

Als das Fanprojekt Duisburg vor der letzten Saison in finanziellen Schwierigkeiten steckte, fragte ich mich, wie verwegen der Gedanke ist, die Spieler des MSV Duisburg hätten sich für die fehlende und in den Maßstäben des Fußballgeschäfts nicht allzu große Geldsumme von 30.000 Euro mit verantwortlich gefühlt. Andererseits wollen manche Fanprojekte aber auch um der eigenen Glaubwürdigkeit willen, Distanz zu dem Verein. Sie meinen damit, sie wollen Distanz zu dem Unternehmen, das nach anderen Richtlinien arbeitet als man selbst. Nähe wollen sie zur Idee des Vereins. Auch das ist ein unauflösbarer Widerspruch, weil das eine nicht ohne das andere zu haben ist.

An der Stelle versandet es. Ich hatte eine Beobachtung gemacht und meine Interpretation dieser Beobachtung festgehalten …

Es bleiben offene Anschlussstellen …

Schreiben kann ich dazu erst einmal nichts mehr.


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