Anfang der Woche fragte Luis Reichert, der im Blog 1848 Einwürfe über den VfL Bochum schreibt, ob wir so was wie einen gemeinsamen Interview-Vorbericht über das Spiel vom MSV Duisburg gegen den VfL Bochum machen sollten. Schnell merkte ich, für das dazu notwendige Gespräch hatte ich meinen Kopf zu voll. Ich hätte wahrscheinlich den Eindruck eines Standard-Talkgasts abgegeben, der sich nicht wirklich für seinen Gesprächspartner interessiert und immer nur die eigenen Statements raushaut. Die Folge: So einem Typen stellt man am besten Fragen und so was nennt sich Interview. Einen Vorbericht zum Spiel aus VfL-Sicht hat Luis schon gestern geschrieben – auch im Blog 18:48 gibt es übrigens kurz und knackig VfL-gefärbte Fakten.
Für die Klickfaulen folgen meine Worte in der Rolle als Fremdenführer und MSV-Welt-Deuter schon auf dieser Seite. Lasst euch aber nicht abhalten, gegebenenfalls dann doch zu seinem Kommentarfeld zu surfen, wo diese Worte nach anderer Meinung und Wissen ergänzt werden können.
Luis Reichert: Wenn der MSV und der VfL am Freitag aufeinander treffen, dann kann man mit etwas gutem Willen von einem Revier-Derby sprechen. Ist dies auch für Dich ein besonderes Spiel?
Kees Jaratz: Zunächst muss ich mich zu einer Befindlichkeit bekennen, die sicherlich viele Fußballfans für eine Art Mangel halten. Ich kenne keine Derby-Gefühle. Für mich geht es immer mit der gleichen Intensität um die drei Punkte, egal woher der Gegner kommt. Letzte Saison habe ich mich sogar mit einem Text geoutet, als mir an einem Spieltag die Medienhysterie zum Thema Derby zu viel wurde. Trotzdem sehe ich natürlich mit den Augen des Beobachters, dass manche Begegnungen eine besondere Tradition haben. Wenn der MSV Duisburg und der VfL Bochum gegeneinander spielen, kann ich das aber nicht erkennen. Komischerweise. Denn eigentlich sind das ja die beiden Vereine, die von der Struktur her im Ruhrgebiet am ähnlichsten sind. Aber anscheinend führt das nicht zu der Rivalität, wie wir sie aus der Etage drüber kennen. Ich glaube, da ist der Ruhri einfach zu sehr an sein lokales Erleben gebunden. Da liegen in Duisburg etwa Rot-Weiß Oberhausen und Fortuna Düsseldorf viel näher, um bei jemandem so etwas wie ein Derby-Gefühl zu entfachen. Bochum und Duisburg bieten einander einfach zu wenig Reibungsfläche – trotz geteilter Ruhrpottidentität. Wenn ich was aus Bochum mitbekomme, scheint es mir dort im umgekehrten Verhältnis zum MSV genauso zu sein.
L.R.: Hast Du besondere Erinnerungen an ein Spiel des MSV gegen den VfL?
K.J.: Doch, solch eine Erinnerung gibt es, aber die hat nichts mit dem Fußball selbst zu tun sondern mit einer unangenehmen Begegnung nach einem Spiel mit VfL-Fans. In den 70ern war das Risiko bei Auswärtsspielen für jeden mitreisenden Fan in Fan-Klamotten größer als heute. So waren wir als Jugendliche immer vorsichtig, in welcher Gegend man seinen Fanschal offen trug und wo nicht. Im blau-weißen Bochum schien das kein Problem zu sein, doch wurde gerade dort das einzige Mal einem von uns gemeinsam fahrenden Fans der MSV-Schal geklaut. Von Muttern selbst gestrickt war der. Ohne die heute vorhandenen, hineingewebten Vereinsnamen natürlich. Doch der Freund war nach dem Spiel zu schnell beim Auto seines älteren Bruders, und das Kennzeichen verriet die Herkunft. Dann kam der Griff aus einem Pulk heraus an den Hals und schon war der Schal weg. Ich weiß nicht mal mehr, wie das Spiel ausgegangen ist.
L.R.: Der VfL hat ein überaus enttäuschendes Jahr hinter sich. Hinzu kamen Querelen im Umfeld. Wie beurteilst Du als MSV-Fan die Situation in Bochum?
K.J.: Eigentlich habe ich die Interna beim VfL zu wenig verfolgt, um mir ein Urteil zu erlauben. An der Oberfläche sieht es für mich jedenfalls so aus, als hätten der VfL Bochum und der MSV Duisburg vor ähnlichen Problemen gestanden. Die Entfremdung zwischen Vereinsführung und Fans hatte immer weiter zugenommen, weil die Patriarchen in der Vereinsführung zu selbstgewiss waren. Da fehlte Demut gegenüber allem, was diesen Fußball auch als Kultur ausmacht. So etwas wird nur durch sportlichen Erfolg verdeckt. Wenn der dann nicht vorhanden ist, wird grelles Licht auf diese Haltung geworfen. Natürlich gibt es darüber hinaus große Unterschiede, Walter Hellmich war ja nicht eine solch lange Zeit in verantwortlicher Position wie Werner Altegoer. Walter Hellmichs persönliche Interessen bei allem seinem Einsatz waren auch deutlich erkennbar.
L.R.: In einer großen überregionalen Zeitung hieß es kürzlich sinngemäß, dass der MSV-Präsident Hellmich als Messias gekommen sei und nun als Buhmann gehe. Was ist da bei Euch passiert?
K.J.: Diese Entwicklung hat vielfältige Gründe, Kern des Ganzen ist meiner Meinung nach der Versuch Walter Hellmichs, sein Erfolgsmodell als Unternehmer eins zu eins in den Fußball zu transportieren. Die Grundlage dieses Erfolgsmodells scheint mir zu sein: persönliche Verlässlichkeit, der Aufbau von Beziehungen und die grundsätzliche Einbindung des Chefs in wichtige Entscheidungen. Das führte im Moment der Krise des MSV Duisburg kurz nach 2000 tatsächlich zum Erfolg. In Krisen braucht es solche Eigenschaften, Gespräche führen, Menschen begeistern, zupacken und machen. Da wird dann ein Stadion gebaut, über das zwanzig Jahre nur geredet wurde. Sobald das Tagesgeschäft aber in ruhigem Fahrwassern war, wurden andere Dinge notwendig. Da hätte vor allem sportliche Kompetenz in den Verein geholt werden müssen. Das unterblieb. Es entstand sogar der Eindruck, Walter Hellmich selbst mischt bei Verpflichtungen kräftig mit. Hinzu kam, dass Walter Hellmich die eigenen Interessen in dieser Zeit natürlich nicht vergaß und auf diese Weise wirtschaftliche Entscheidungen im Verein immer aus zwei Perspektiven beurteilt werden können. Oft erhält der Verdacht Nahrung, eine Entscheidung hätte ohne die Berücksichtigung der Interessen von Walter Hellmich günstiger für den MSV Duisburg sein können. Schlecht beraten war er auch darin, der lauter werdenden Kritik nicht argumentativ zu begegnen, sondern sie als anmaßend darzustellen. Das wirkte arrogant, und spätestens dann ist man nach einiger Zeit der Buhmann.
L.R.: Der MSV spielt jetzt schon das dritte Jahr im Unterhaus. Wie sehr leidest Du, insbesondere als Dauerkarteninhaber, unter grenzwertigen Anstoßzeiten und überschaubarer Spielkultur?
K.J.: Die Anstoßzeiten samstags und sonntags sind tatsächlich das, was mich am meisten in der 2. Liga ärgert. Die Anstoßzeiten passen nicht zu meinem sonstigen Tagesablauf. Alles was ich vorher machen muss, geschieht in Hetze. Montagsspiele kommen immer zu spät. Sie wirken auf mich wie so ein Nachklapp zum Eigentlichen. Wenn überhaupt, kann ich mich mit dem frühen Freitagstermin anfreunden. An der Spielkultur habe ich in dieser Saison gar nicht so viel auszusetzen, nachdem es gerade beim MSV in den letzten beiden Jahren eher mäßig war. Aber ich meine sogar eine Entwicklung auch bei den anderen Vereinen zu sehen. Das Fußballspiel in fast allen Vereinen der zweiten Liga hat sich in den letzten zwei Jahren erheblich verbessert.
L.R.: Der MSV hat vor allem zu Hause überzeugt. Trotzdem halten sich die Zuschauerzahlen in Grenzen. Woran liegt das?
K.J.: Eine schwierige Frage, die auch unter den MSV-Fans heiß diskutiert wird. Zum einen hat der Verein selbst lange Zeit nicht gerade viel dafür getan, Zuschauer an sich zu binden. Zum anderen kommen Zuschauer in Duisburg schon seit den 70er Jahren weniger wegen des Vereins als wegen des Erfolgs. Gegenüber dem VfL zum Beispiel gibt es über die Jahre hinweg ein geringeres Stammpublikum. Ich denke, da spielen dann auch innerstädtische Fragen eine Rolle, Dinge, die nicht direkt mit dem Fußball zu tun haben.
L.R.: Die schönste Szene der letzten Wochen war für mich der Jubel der MSV-Spieler in Berlin mit Milan Sasic, dessen Mutter zuvor verstorben war. Sasic heftet gleichzeitig das Image an, ein „harter Hund“ zu sein. Wie ist Deine Meinung zum Trainer?
K.J.: In der letzten Saison drohte dieses Image vom „harten Hund“ sich selbstständig zu machen. Anscheinend gab es Konflikte auf allen Vereinsebenen vom Platzwart bis hin zum Spieler. Dann gab es nach einem Vorfall zwischen Milan Sasic und dem Fahrer des Mannschaftsbusses eine Pressekonferenz, in der Milan Sasic versuchte, sich zu erklären und Fehler einräumte. Ich denke, das ist tatsächlich auch eine Wende für Sasic gewesen. Er wurde sich der Wirkung seiner Art bewusster und für die Menschen, die mit ihm zusammen arbeiten, war das ein Zeichen, dass sie bei aller Hierarchie ernst genommen werden.
Sasic ist ein Mann offener Worte und hat sehr klare Vorstellungen davon, was er für den Erfolg einer Mannschaft für notwendig hält. Gleichzeitig wirkt er sehr loyal gegenüber den Menschen, die ihm den Rahmen für seine Arbeit vorgeben. Der Aufbau einer Mannschaft gelingt ihm anscheinend gut, seine Persönlichkeit macht es ihm aber wahrscheinlich schwierig, in einem vorhandenen Gefüge alle Interessen ausgleichend zu moderieren. So hat er nun, mit der Vorgabe Neuaufbau, die Mannschaft zu einer Einheit geformt. Im Moment zeigt sich ja ein kleines Tief der Mannschaft, und es muss sich noch erweisen, welchen Einfluss er nun auf die Spielanlage der Mannschaft nehmen kann.
L.R.: Welcher MSV-Spieler kann auf dem Platz den Unterschied machen bzw. hat das Potenzial für höhere Aufgaben?
K.J.: Da gibt es keinen Zweifel: Julian Koch, von Borussia Dortmund ausgeliehen, ist mit seinen 20 Jahren der Spieler mit dem größten Potenzial. Sowohl als rechter Außenverteidiger als auch im defensiven Mittelfeld einsetzbar, ist er technisch versiert, besitzt ein starkes Stellungsspiel und verleiht dem Spiel des MSV mit seinen Vorstößen immer sehr große Dynamik. Den Unterschied machen können aber auch andere Spieler, je nach Spiellage. Die großen Spieler Stefan Maierhofer etwa oder Goran Sukalo, immer für ein Kopfballtor aus dem Nichts gut.
L.R.: Wie geht das Spiel am Freitag aus?
K.J.: Ich hoffe auf einen Sieg mit zwei Toren Vorsprung, wenn das Spiel des MSV nicht mehr wie in Paderborn fast ausschließlich mit langen Bällen über Stefan Maierhofer versucht wird.
L.R.: Und wer steigt am Ende der Saison auf?
K.J.: Ich denke, Hertha BSC wird dann doch den Aufstieg genauso schaffen, wie Schalke nicht absteigt. Augsburg hat die Krise ja schon hinter sich, die
werden mit dabei sein. Und wenn ich an den MSV denke, bin ich sehr zufrieden, was die Perspektive angeht, aber dieses weitere entscheidende
Wort bleibt wie zu Saisonbeginn unaussprechlich. Da bin ich bislang ganz gut mit ausgekommen. Hoffen aufs Unaussprechliche werde ich dennoch. Den VfL sehe ich als den MSV der letzten Saison: immer mal wieder an den Aufstiegsplätzen schnuppern, aber die Bürde des misslungenen Saisonauftakts wird sich als zu groß erweisen, um den Sprung auf die Aufstiegsplätze noch zu schaffen.
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