Posts Tagged 'Fanszene'

Mein zweites Derby am Samstag

Wenn durch die gegenwärtigen politischen Strukturen die Idee eines geeinten Europas nicht mehr für alle Europäer lebendig gehalten werden kann, müssen vorsichtshalber andere Maßnahmen zur Sicherung des europäischen Einheitsgedankens her. Kluge Heiratspolitik meiner Duisburg-Paderborner Großfamilie stärkt in diesem Jahr  schon mal die bilateralen Beziehungen zwischen Spanien und Deutschland.

Weil die mit der Hochzeit verbundenen Feierlichkeiten am Sonntag in La Orotava auf Teneriffa stattfinden, bin ich am Samstag beim Derby des MSV in Bochum allenfalls im Netz dabei. Live, vor Ort in Santa Cruz kann ich 9 Stunden später mit einem weiteren Derby mal wieder ausprobieren, wie sich ein anderes Leben anfühlt. Als Fan des CD Tenerife will ich dann selbst ein so unbedeutendes Spiel wie im Copa Mahou vor der Saison gegen UD Las Palmas gewinnen. Copa Mahou ist so was wie der Telekom-Cup der Kanarischen Inseln. Mit Mahou lässt sich aber nicht telefonieren oder Internet-Gedöns veranstalten. Mahou lässt sich nur trinken. Meinen local brewer in Teneriffa unterstütze ich damit aber nicht. Als lokalpatriotischer Teneriffaner trinke ich trotz Copa nämlich Dorada.

Die Copa Mahou beginnt sogleich mit dem Finale, das allerdings wird in Hin- und Rückspiel ausgetragen. In diesem Jahr ist es besonders wichtig, das Ding zu holen, weil der CD Tenerife nicht mehr in derselben Liga mit UD Las Palmas spielt. Las Palmas ist in die Primera División aufgestiegen, während wir in Santa Cruz weiter zweitklassig sind. Manchmal erinner ich mich mit Wehmut an die guten Zeiten der 1990er unter Jupp Heynkes und Ewald Lienen.

Ein wenig tröstete es nach der letzten Saison, dass wir das Heimspielderby gewonnen hatten.

Ob es übermorgen vor der Saison genauso erwartungsvoll zugeht wie letztes Jahr, bezweifel ich allerdings. Ein paar Eindrücke von der Ankunft am Stadion und von der Atmosphäre im Stadion selbst kann ich euch noch geben.

Auswärts haben wir übrigens 1:1-Unentschieden gespielt. Mit so einem Ergebnis wäre ich beim Derby des Vereins meines wirklichen Lebens ganz zufrieden, auch wenn ich natürlich immer nur das Beste hoffe.

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Always look on the bright side of life

Das Leben ist zu kurz, und ich bin zu alt, um mir für längere Zeit die Laune verderben zu lassen. Vielleicht bin ich aber auch nur zu genervt von all dem, was ich im Stadion gesehen habe. Schneller Abstand muss her. Spruchbänder auf der Gegengerade, mit denen gegen die MSV-Erklärung Stimmung gemacht wird, überfliege ich und habe sie währenddessen bereits wieder vergessen. Hauereien von Duisburger Fans untereinander entwickeln sich zum Rahmenprogramm eines MSV-Spiels? Passen sich halt einige der Leistung der Mannschaft an. Alles nur ein großer Plumpaquatsch. Ich bin zu alt für schlechte Gefühle wegen zu vieler Nasen auf den Rängen, die sich selbst wichtiger nehmen als den Fußball vom MSV.

Ich bin zu alt für schlechte Gefühle, nur weil ich zudem noch ein Fußballspiel gesehen habe, bei dem sich die Spieler beider Seiten besser auf ein anderes Wettkampfziel als Tore geeinigt hätten. Wieviel unterhaltsamer wäre es gewesen, den Sieger anhand der Fehlerzahl im Spiel zu ermitteln. Wir hätten ein spannendes Basketballergebnis bejubeln können. Dazu noch B-Noten verteilt für Fehler von besonderer Komik und ausdrucksstarker Schönheit, schon ließe sich das 1:1-Unentschieden zwischen dem MSV Duisburg und Holstein Kiel in ein herausragendes Ergebnis der Saison verwandeln. Zu meinem großen Glück entstehen solche Bilder von einer freundlichen Welt beim MSV Duisburg wie selbstverständlich in mir und bringen meine gute Laune zurück. Ich brauche außerdem nur noch die Freunde auf dem Stehplatz um mich herum, den Rest mache ich nach der gemeinsam erlittenen Enttäuschung alleine.

Warum soll ich eine schlechte Mannschaftsleistung noch einmal genauer mit unterhaltsamen Worte beschreiben? Als ich noch sehr viel öfter Literaturkritiken schrieb, waren Verrisse eine meiner leichtesten Übungen. Doch gleichzeitig hielt ich jedes Wort über einen schlechten Roman für ein Wort zu viel. Schließlich braucht kein einziger schlechter Roman Aufmerksamkeit der Leser, die zudem ein Affront war gegenüber der Vielzahl der ungenannten guten Romane. Ich hingegen brauchte das Geld. Es war die Zeit ohne Internet und mit beschränktem Raum in den Medien. Ihr seht, welch komplizierte berufsethischen Fragen die Literaturkritik einfach glatt bügelt.

Beim Fußball liegen die Dinge für mich einfacher. Da hilft das Verschweigen schlechter Leistungen sogar dem Gegenstand meiner Kritik. Und weil der Gegenstand meiner Kritik gleichzeitig der meiner Zuneigung ist, kann ich nichts falsch machen. Meine unausgesprochen bleibenden harschen Urteile stabilisieren vielleicht die Zuschauerzahlen. Das sind Gedanken, an denen man sich freuen kann! Irgendwie muss es ja weitergehen. Was hilft es, das einmal mehr im Verlauf immer zufälliger wirkende Spiel vom MSV Duisburg gegen Holstein Kiel zu beschreiben? Warum sollte ich noch einmal daran erinnern, dass sich die erste vage Torchance aus dem Spiel heraus für den MSV in der 60. Minute ergab? Die Standards mussten es bringen und konnten es nur in engen Grenzen. Was soll man über den Kieler Rafael „Alle-auf-die-elf“ Kazior sich aufregen? Wäre er kein mäßiger Fußballer geworden, hätte er sich wohl als mäßig talentierter Schauspieler durchgeschlagen. Aber vielleicht sollten wir ihm geradezu danken,  sich als Ventil für Duisburger Frust geopfert zu haben. Komm gerne wieder, Rafael Sündenbock!

Mein Spaß am Basketballergebnis verschwände auch wieder, weil ich ja auf die guten Ansätze in der ersten Halbzeit hinweisen müsste, auf vereinzelt gelungene Kombinationen, bei denen nur der letzte oder auch schon vorletzte Pass misslang. Ich hätte den etwas stärkeren Kingsley Onuegbu erwähnen müssen, dem endlich einmal wieder die Bälle nicht allesamt versprangen. Dessen neue Schuhe schienen seine Klebekraft bei der Ballannahme auch hier in guten Ansätzen zurück gebracht zu haben. Aber gleich wie der Kieler Trainer Karsten Neitzel auf der Pressekonferenz von einem guten Spiel zu sprechen?

Als ich das gerade hörte, musste ich erstmal tief durchatmen. Wird Holstein Kiel demnächst von der NSA aufgekauft? Ist die Datenüberwachung der Kieler so weit fortgeschritten, dass sie in die Zukunft schauen können? Heute habe ich erst begonnen, meinen anderen Blick aufs Spiel niederzuschreiben, gestern schon wusste Karsten Neitzel davon? Mir gibt das zu denken. Verständlich, dass Karsten Baumann gegen so eine deutliche Wertung keine großen Einwände hat, nachdem er sich im Stadion laute „Baumann raus“-Rufe gefallen lassen musste. Mir missfällt auch die mangelnde Entwicklung der Mannschaft, und ich hätte gerne mehr Erklärung von Karsten Baumann, was da schief läuft. Dann könnte ich darauf vertrauen, dass er eine Vorstellung davon hat, wie er die Mannschaft weiter bringt. Bis jetzt ist an der Spielweise der Mannschaft das nicht deutlich zu erkennen. Aber ich finde auch, bis zum Ende der Saison wäre angesichts der Lage im letzten Sommer etwas mehr Demut auf den Rängen angebracht.

Vielleicht sind Karsten Neitzel, Karsten Baumann und ich ohnehin Brüder im Geiste. Wahrscheinlich heiße ich sogar in Wirklichkeit Karsten-Kees Jaratz, denn wir drei always look on the bright side of life. So lässt sich einem Spiel wie vom MSV Duisburg gegen Holstein Kiel viel Gutes abgewinnen. Ich kann nur jedem raten, das mal auszuprobieren, ist in jedem Lebensalter möglich, wie man dank Eric Idles Auftritten über die Jahre hinweg sieht.

Juves ambitionierter Fannachwuchs – Darauf: Die schönsten Fußballtorten der Welt – Folge XVIII

Mit freundlicher Unterstützung von „111 Fußballorte im Ruhrgebiet, die man gesehen haben musspräsentiert der Zebrastreifenblog in loser Reihe die schönsten Fußballtorten der Welt.

Diese Nachricht vom Anfang des Dezembers ist in den Räumen hier noch gar nicht ausreichend gewürdigt worden. Juventus Turin hatte zum Heimspiel gegen Udinese Calcio 12.200 Kinder zwischen 6 und 13 Jahren in die Kurven des Stadions eingeladen. Eigentlich hätten diese Stadionblöcke leer bleiben sollen als Strafe für diskriminierende Schmähgesänge der Juve-Fans beim Spiel gegen den SSC Neapel. Das Sportgericht hielt die Einladung aber für eine ansprechende Idee.

Derart große Aufmerksamkeit hatte der talentierte U14-Fannachwuchs noch nie bekommen. Beim rhythmischen Sprechgesang erwiesen sich die Kinder ebenso wie beim situationsbedingten Anfeuern als hoffnungsvolle Nachwuchskräfte. Nur das aggressive Pöbeln gegen Gästefans und  das beleidigende Beschimpfen einzelner Spieler des Gegners braucht noch weitere Trainingsarbeit. Nur 5000 Euro Strafe musste Juventus Turin nach dem Spiel gegen Udinese Calcio zahlen für eine kümmerliche Beleidung des Gäste-Torwarts.

Da sei mehr drin gewesen, so war es von etablierten Kräfte der Kurve kurz nach dem Spiel zu erfahren. Dennoch scheint Juventus Turin  mit der guten Tat, die Nachwuchsarbeit für Fans revolutioniert zu haben. Gesonderte Spiele für U14-Fans seien eine gute Sache, war die einhellige Meinung von Juve-Ultras. So ließen sich Talente besser erkennen und allmählich an die erwachsene Kurve ranführen. Juventus Turin hält sich unterdessen bedeckt. Aus gut informierten Kreisen ist aber zu hören, in den Gremien werde schon intensiv beraten, wie ein Fluch der guten Tat wieder aufzuheben sei.

Bis zur endgültigen Klärung dieser Frage sollen Fußballtorten friedensstiftend und antidiskriminierend wirken.

Keine Politik wird manchmal doch zur Politik

Wir wünschen uns das Leben so einfach wie möglich, und stets kommt uns dieses Leben schon kurz nach dem Wünschen dazwischen. Ich zum Beispiel will seit Jahren beim MSV Duisburg im Stadion eigentlich nur über Fußball reden. Aber was ist? Ständig beschäftigen mich so sportferne Dinge wie ein Schuldenschnitt und seit kurzer Zeit auch noch  die gewaltvoll gewordene Auseinandersetzung in der eigenen Kurve, um deren Deutung in der Duisburger Fanszene verständlicher Weise mehr gerungen wurde als in der Öffentlichkeit. Für Fußballdeutschland steht der Überfall der „Division Duisburg“ auf die „Kohorte“ in einer Reihe mit einigen Versuchen der rechten Szene, in den Fankurven Einfluss zu gewinnen.

Im Stadion nervt dieses Fußballferne. So verstehe ich die vielen Anhänger des MSV Duisburg, die sich etwa ein besseres, politikfreies Leben im Stadion erhoffen. Aber mit diesen Politik genannten Themen  ist es wie mit dem Aufräumen und Putzen. Man kann es sich einige Zeit sparen, aber irgendwann kommt der Zeitpunkt, da musst du dich drum kümmern. Sonst hast du bald ein Zuhause, in dem sich nicht mehr jeder wohl fühlen kann.

„Keine Politik in der Kurve“  ist deshalb allenfalls ein hoffnungsvolles Ziel, das nur erreicht werden kann über eine Haltung, bei der viele schnell die Augen verdrehen und sie politisch nennen. Das ist paradox, aber unvermeidlich. Denn was heißt Politik im Stadion überhaupt? Wird etwa der vom DFB unterstützte Anti-Rassismus in seiner unverbindlichen Spruchband-Botschaft genau dann zur nervigen Politik, wenn konkret rassistische Gruppen Rassisten genannt werden? Oder ist es nicht gerade Politik, wenn eine einzelne Fangruppe bestimmen will, welches Spruchband im Stadion eine politische Botschaft darstellt. Es ist ganz schön kompliziert mit der Losung „Keine Politik in der Kurve“.

Rechtextremistische Gruppen – und davon rede ich heute nur, weil dieses „die anderen haben aber auch“ mich zu sehr an Kindergarten und Schule erinnert, rechtsextremistische Gruppen, also, haben ein großes Interesse an einer vermeintlich politikfreien Zone, dem Stadion. Wo sonst können Mitglieder extremistischer Zusammenschlüsse in breiter Öffentlichkeit sich wirksam fühlen? Bei der Frage, was in der Kurve geschieht, geht es schließlich um Macht. So können extremistische Gruppen ausprobieren, wieviel Durchsetzungskraft sie besitzen, wie weit sie beim Einsatz für die eigene Meinung gehen können. Und das muss sogar nicht unbedingt mit politischen Inhalten verbunden sein. In dem Fall verschwimmen also die vermeintlich so klar getrennten Sphären von Stadionwelt und restlichem Leben. Dann muss man letztlich fragen, welches Interesse sich hinter der Losung „Keine Politik in der Kurve“ verbirgt? Was in Duisburg anscheinend bei einer Art rundem Tisch der Fangruppen geschah, sind zumindest vorpolitische Prozesse, und dementsprechend können die Aktivitäten einer dieser Gruppen von jetzt auf gleich in Politik umschlagen. Nur deshalb  kann die Fanszene Duisburgs auch darüber streiten, was dieser Vorfall nach dem Spiel gegen Saarbrücken überhaupt gewesen ist.

Der Fußball ist in dem Fall Zauberstab. Weil die Mitglieder der „Division Duisburg“natürlich auch als Fußballfans im Stadion sind und sie sich auf dem Terrain des Fußballs über Regeln streiten, lässt sich trefflich jeglicher politischer Hintergrund zum Verschwinden bringen. Unschuldig wird von normalen Zuständen im Stadion gesprochen, wo immer mal wieder Konflikte mit harter Hand gelöst werden. Stimmt, ja. Es stimmt aber nur AUCH! Politik ist in dem Moment untrennbar mit dem Fußball verknüpft. Schließlich geht es um die Deutungshoheit über diesen Begriff. Eine Gruppe möchte bestimmen, was Politik im Stadion bedeutet.

Wem es nach ein wenig argumentativer Unterfütterung durch die Theorie verlangt, dem sei Paul Watzlawicks kommunikationstheoretisches Diktum noch ans Herz gelegt, man könne niemals nicht kommunizieren. Sobald jemand einem anderen gegenüber steht, beginnt Kommunikation, selbst wenn der eine schweigt. Daraus lässt sich eine Einsicht zur Forderung „Keine Politik in der Kurve“ ableiten. Sobald diese Forderung als Teil einer Diskussion zwischen Gruppen erhoben wird, die sich in Teilen auch politisch definieren, ist diese Forderung selbst ein politisches Statement und das Aushandeln, wie dem Rechnung getragen wird, ist auch eine politische Diskussion. Man entkommt der politischen Stellungnahme in dem Fall nicht.

Vor ein paar Wochen schon fand Michael Welling, der Präsident von Rot-Weiss Essen, in einem Interview im Reviersport zu solch einer Entwicklung in der Kurve die passenden Worte:

Kommen wir mal zum Nicht-Sportlichen. Für die Allermeisten kam der Vorfall beim Fanprojekt am Mittwoch doch ziemlich überraschend, da sich in der Kurve bislang niemand abgezeichnet hat, dass Rot-Weiss Essen ein Problem mit rechten Fans hat. Zumindest dem Fanprojekt waren die Leute aber bekannt, oder?
Wenn das Fanprojekt die nicht kennen würde, würde es seine Arbeit nicht machen. Es ist tatsächlich so, dass die sich durch pure körperliche Präsenz als Chef der Kurve positionieren. Das ist ja auch im Grunde das, was am Mittwoch passiert ist. Das ist nicht akzeptabel, das ist doch völlig klar. Da geht es im ersten Schritt tatsächlich gar nicht darum, was da für ein Film gezeigt wird, was der Rahmen ist, wer Veranstalter ist, wer nicht Veranstalter ist. Es ist einfach nicht zu respektieren, dass irgendwelche selbsternannten Leute definieren, was hier passiert und mit körperlicher Präsenz ihre Auffassung durchdrücken wollen. Das ist nicht akzeptabel.

Und etwas später noch einmal Michael Welling:

Was hier die neue Dimension ist: Dass sich einzelne Leute positionieren, um sich so massiv durch Präsenz zu positionieren, das ist nicht zu akzeptieren. Dabei ist es dann ehrlicherweise auch egal, ob diese Leute aus einem linken oder einem rechten extremen Spektrum kommen. Es geht nicht, dass sich Leute als Sheriffs der Kurve positionieren und glauben, weil sie größere Arme haben, andere einzuschüchtern.

Letztlich braucht jedes Engagement gegen Rassismus, Intoleranz und Gewalt die Unterstützung des Vereins MSV Duisburg. Deshalb war das erste Interview nach dem Überfall mit Sicherheits-Manager Michael Meier und Fanbeauftragtem Christian Ellmann nicht mehr als ein hilfloser Versuch mit dem Lippenbekenntnis, der MSV sei „keine Kuschelecke für Neonazis“, der Geschichte Herr zu werden. Die Losung „Keine Politik“ wurde als Fallstrick überhaupt nicht wahrgenommen. Einmal mehr ist es erst Jürgen Marbach gewesen, der das Problem in seinem Ausmaß erkannte. Nicht nur dass er den Verein mit deutlichen Worten gegen Rechtsextremismus positionierte, er erkannte zudem, dass Michael Meier und Christian Ellmann, die Deutungshoheit für das Geschehen den Gewalttätern in Teilen überlassen hatten. Bei Spiegel online korrigierte er die naiven Aussagen der Mitarbeiter des MSV Duisburg. Wichtiger aber noch ist die dort in Aussicht gestellte Absicht, Hilfe durch Wissenschaft in Anspruch nehmen zu wollen.

Denn wie im Alltag der Saison mit dem Konflikt in der Kurve weiter umgegangen werden soll, bleibt eine offene Frage. Absichtserklärungen geben dabei nur die Richtschnur für das Handeln. Im Grunde geht es um die Haltung der schweigenden Mehrheit im Stadion. Es geht um alle, die immer wieder genervt sind von Auseinandersetzungen, die zunächst nichts mit eigentlichem Support und Fußball zu tun haben. Es geht um die paradoxe Einsicht, um die Politik aus der Kurve zu halten, ist die Losung „Keine Politik in der Kurve“ in ihrem politischen Kern zu benennen. Es geht um die öffentliche Meinung, in der der Einsatz gegen Rassismus, Gewalt und Intoleranz ihren selbstverständlichen Platz finden können muss.

Darauf kann Duisburg stolz sein – Überregional erzählt

Ob Wolfgang seine Meinung nun ändert? Nachdem, was der Fußball in Duisburg bewegt hat. Ich kenne Wolfgang nicht näher. Im Grunde kenne ich nur seinen Namen und seine Botschaft, die er vor einiger Zeit im Kleinanzeigenteil der  Süddeutschen Zeitung unter der Rubrik „Verschiedenes“ als flammenden und zugleich gereimten Appell veröffentlichte:

Bleibt zu Hause

Fußball, Terror
Bombenleger
das sind alles Welterreger
Sport und Spiele
sind nichts wert
über alle
kommt das Schwert
Bleibt zu Hause
werdet still
Unser Gott tut
was ER will.

Dass wir tatsächlich SEINEM Handeln derart willenlos ausgeliefert sind, ist zum einen nicht meine Meinung, zum anderen wirkt Wolfgang  mir bei aller möglichen Kritik an der öffentlichen Aufmerksamkeit für den Fußball in seiner rhetorischen Figur der Reihung  zu Beginn seiner Worte etwas überreizt. Wahrscheinlich denke nicht nur ich so.

Stellt euch vor, alle Anhänger des MSV Duisburg hätten seine Stimme erhört. Gerade die Unterlassung des Handelns wäre das moralisch Verwerfliche gewesen, weil es das Gute in Duisburg nicht zum Ausdruck gebracht hätte. Gerade weil die Anhänger des MSV Duisburg nicht zu Hause blieben und handelten, zeigten sie was Sport und Spiel wert sein können. Es geschah etwas Gutes und zwar nicht allein auf den Fußball, im speziellen den MSV Duisburg, hin bezogen. Was geschah, wirkte auf das Selbstbild Duisburgs. Es zeigte Duisburg, was möglich ist.

Wären die Anhänger des MSV Duisburg zu Hause geblieben, hätte ich zudem nicht die Gelegenheit erhalten, über dieses vorbildhafte Geschehen für die Süddeutsche Zeitung in einem Interview zu erzählen. Das ist die Pointe an der Geschichte. Wolfgang hatte Mittwoch als Leser der Süddeutschen Zeitung eine Möglichkeit, sein überreiztes Urteil zu korrigieren. Es ist doch immer wieder gut, nicht darauf zu warten, dass ER es für einen richtet.

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Man kann das Geschehen der letzten Wochen übrigens auch in einem anderen, düsteren Ton erzählen wie bei Jungle World geschehen. Darüber darf man sich nicht ärgern. Vielmehr gilt es jene Geschichte, die der Stimmung in Duisburg viel mehr entspricht, einfach öfter weiter zu erzählen. Mit jener freundlichen Entschlossenheit und Energie, wie sie in den letzten Wochen in Duisburg vor dem Stadion zu spüren war.

Band der Solidarität, 8.6.2013, im Bewegtbild – Eine Sammlung von bislang einem Clip

Die Reportage bei Duisburg365.de beginnt mit Bildern vom Rathaus und (Wahrnehmung! Ich hatte nur das Bild von OB Sören Link gesehen und Rathaus abgehakt. Rathaus kommt aber gar nicht vor) einem Interview mit Organisator Hajo Schneider. Danach geht es zu der Stelle der Menschenkette auf der Düsseldorfer Straße, an der sich Oberbürgermeister Sören Link zusammen mit Bernard Dietz und MSV-Präsident Udo Kirmse eingereiht hat. Sören Link gibt ebenfalls ein Interview. Welches Gruppenbild  sich dann vor dem Eckfrisör anschließt, wird mir nicht klar. Auf jeden Fall zeigt es die Stimmung nach Auflösung der Menschenkette.

Eins geht mir nach den Worten von Sören Link noch durch den Kopf. Man müsste ihm wahrscheinlich sagen, dass bei der DFL das Argument Tradition wenig Resonanz findet. Im Gegenteil. Neulich wirkte Andreas Rettig sehr genervt, als er in einem Interview – ich weiß nicht mehr wo – auf diesen Gegensatz zwischen Tradition und aufstrebenden Projektvereinen angesprochen wurde. Wenn man strategisch denkt, sollte man die Tradition also mal schnell vergessen und tatsächlich nur auf die Gegenwart verweisen, auf alles, was der MSV Duisburg bei den Menschen heute bewegt. Das reicht vollkommen.

Weitere Clips baue ich gerne ein. Weist mich auf andere Bewegtbilder hin.

Halle, MSV und Rechtextreme – Argumente für Öffentlichkeit

Einen Sinn für PR und öffentlich wirksamen Effekt haben sie ja gehabt, die anscheinend ganz in weiß gekleideten, martialisch aussehenden Männer mit sehr eigenen Vorstellungen davon, was Fangesang bedeutet im Gästeblock des MSV Duisburg beim Pokalspiel in Halle. Während eines Auswärtsspiels im weiter entfernten Osten ist die Chance groß, mit wenig stimmlichen Aufwand  mit antisemitischem und rassistischem Schmähgesang wahrgenommen zu werden. So weit also geschehen am letzten Samstag, und nach langer Zeit stehen der Verein und viele seiner Fans vor der Frage, findet rechtsextremistisches Gedankengut zunehmend Anklang in der Duisburger Fankurve und wie darauf reagieren?

Diese Frage stellt sich unabhängig von den Möglichkeiten der Strafverfolgung, einer jener Männer verstieß ohne Zweifel gegen ein Gesetz. Das wird vom Staatsschutz verfolgt, so weit, so gut. Allem nicht verbotenen zu begegnen wird da schon schwieriger. Die dringlichste Forderung heißt da für mich, Öffentlichkeit herstellen. Das betone ich, weil sich mancher Anhänger des MSV Duisburg in den letzten Tagen um das Image seines Vereins sorgte. Sie wollten dieses Thema nicht so groß beredet haben, hielten es für eine Lappalie. Der Ruf der Zebras nehme deshalb schaden, weil so eine Lappalie zur rechtsextremistischen Gefahr dramatisiert werde.

Dabei ist es gerade umgekehrt. Es wirkt vorbildhaft, dass möglichst viele Anhänger des MSV Duisburg sich öffentlich dazu äußern. Es wirkt vorbildhaft, dass sich Fans gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus positionieren. Es geht nicht darum jemanden aus dieser Gruppe weiß gekleideter Männer zu überzeugen. Es geht darum, zu zeigen, in Duisburg werden Anzeichen für rechtextremistisches Gedankengut in der Kurve ernst genommen. Im MSVportal wird über Reaktionen diskutiert, der MSV Duisburg reagiert auf seiner Seite. Mir fehlt jetzt nur noch ein Statement  vor dem Spiel gegen Dynamo Dresden. All das ist inzwischen unabhängig davon nötig, wie groß der Vorfall in Halle tatsächlich gewesen ist, und zwar deshalb weil jede Gesellschaft mit ihrer besonderen Geschichte eigene Empfindlichkeiten und Tabus entwickelt. Wenn diese berührt werden, hilft es nicht, so zu tun, als sei nichts gewesen.

Ronny Blaschke hat für sein Buch „Angriff von Rechtsausßen“ den Bielefelder Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer interviewt, der sich während seiner gesamten Karriere mit Rechtsextremismus  – unter anderem im Fußball – beschäftigt hat. Eine seiner Antworten gibt mir und uns ein Argument für diese gesuchte Öffentlichkeit, für das Bereden des Geschehenen, aber auch ganz dringlich für Präventionsarbeit durch den Verein mit seinem Fanbeauftragten:

Wir haben in den Kurven zwar homogene Gruppen, aber wir haben auch eine Hierarchie. Diese Hierarchie wird formal nicht festgelegt, sondern sie entsteht schleichend. Wer entwickelt sich zum Meinungsführer? Wer zum Sympathieträger? Wer hat die schönste Freundin? Über solche Mechanismen laufen Hierarchisierungen ab. In diesem Raum können rechtsextreme Einstellungsmuster leicht reproduziert werden, gegenteilige Meinungen werden unterdrückt. … das Stadion ist das einzige Setting, wo die Abwertung schwacher Gruppen massiv und lautstark nach außen in die Öffentlichkeit getragen werden kann, etwa durch Fangesänge und Symbole.

Es entsteht ein Grundkonsens, der Abwertung im Stadion akzeptiert?

Richtig, jede Art von Normalisierung ist gefährlich, denn alles, was als normal gilt und worübr sich niemand mehr aufregt, kann man nicht problematisieren. Wenn ein Normalitätsstandard das Bewusstsein der Fans erreicht hat, dann befinden sie sich schnell in dem Glauben, sie seien mit diesen Einstellungsmustern Teil einer Mehrheit und nicht einer Minderheit.

Für Rechtsextremisten gibt es an dieser Stelle die entsprechenden Anknüpfungspunkte. Und es wird immer wieder irgendwo versucht, die Hoheit über die Kurve zu erlangen. Es geht dann für jüngere Fans schnell nicht mehr um rationales Handeln, es geht um Gruppenzugehörigkeit, dabei sein wollen, Anerkennung und irgendwann auch nochmal um den Fußball. Deshalb ist beides richtig, öffentlich zu sagen, was da in Halle geschehen ist, will ich beim MSV Duisburg nicht sehen. Gleichzeitig sind auch der Verein und die Sicherheitskräfte gefragt. Notwendig ist aber auch auf Seiten des Vereins das Reden mit jungen Fans, die nach Orientierung suchen. Da braucht es den Einsatz vom Verein! Da braucht es wahrscheinlich mehr als einen Fanbeauftragten.

Und noch eins: Weil im Detail der diskutierten Reaktionen die Meinungen auseinander gehen bei allem Konsens über die zu ächtende extremistische Haltung. Die Kleidungsfrage steht da häufig umstritten im Zentrum, und dabei erweist sich das Private durchaus schnell als politisch. Wir Individuen unterliegen Gruppenzuschreibungen beim Auftreten in der Öffentlichkeit, und wer die bei Rechtsextremen beliebte Modemarke Thor Steinar trägt, muss viel erklären, ehe man ihm glaubt, dass allein der modische Geschmack der Entscheidung zugrundeliegt. Und Ausschlusskriterien nach Kleidung gibt es doch längst. Nicht alles, was sich anziehen lässt, ist im Stadion gerne gesehen. In der Fan-Kurve ist manches sogar schon jetzt verboten. Ich kann noch so sehr beteuern, dass allein der Schnitt des Schalke-Trikots die Schönheit meines Körpers besonders betont. Glauben werden mir nur die wenigsten.

Beugt ihr den Rumpf tiefer, wenn man euch beschimpft?

Ihr kennt die gymnastische Übung der Rumpfbeuge: Bei gestreckten Beinen soll der Rumpf so tief wie möglich gebeugt werden. Ihr wisst auch, das können einige Menschen gut, andere Menschen können das weniger gut. Mancheiner kommt mit der gesamten Handfläche auf den Boden, ein anderer schafft es mit den Fingerspitzen, und noch ein anderer kann sich gerade mal bis zur mittleren Höhe seines Schienbeins beugen. Letzteres ist besonders ärgerlich, wenn, sagen wir mal bei so TV-Spielshows wie seinerzeit Spiel ohne Grenzen, einer der so lustigen Wettbewerbe durch die Grundfähigkeit der Rumpfbeuge entschieden wird.

Dann sähe man diesen Rumpfbeuger bei seinen kläglichen Versuchen und bekäme vielleicht sogar den Eindruck, dass er sich nicht genug bemüht. Jeder Millimeter tiefer könnte über Sieg oder  Niederlage entscheiden. Hat der überhaupt richtig trainiert? Wer war dafür zuständig, den aufzustellen. Den muss doch nur jemand mal so richtig rannehmen, dann geht das auch. Denkt das jemand? Schon mal Rumpfbeugen gemacht? Schon mal versucht tiefer zu kommen, als es der ziehende Schmerz in der Beinmuskulatur einem anrät? Es gibt Menschen, die schaffen es mit den Ellbogen auf den Boden zu kommen. Daran sollten sich die Versager ein Beispiel nehmen!

Fußball ist schon ein komischer Sport. Mannschaften steigen auf jeden Fall immer ab. Egal wie gut sie spielen. Ich sage nicht, der MSV Duisburg spielt gut. Ich sage nur, es gibt Tatsachen, die sind unabänderbar. Ich sage nur, ein Mensch mit verkürzter Oberschenkelmuskalutar wird Mühe haben, den Boden zu erreichen, so sehr er sich auch anstrengt. Da nutzt es nichts, zu ihm hinzugehen und ihm den eigenen Ärger über dessen Versagen als Motivationshilfe zu zeigen. Ärgern darf man sich trotzdem. Das gehört zum Spiel. So lange ich sehe, der Mann versucht es, bleibe ich auf seiner Seite, obwohl ich mich beim Wettbewerb ärger und das auch kund tue.

Nicht nur die Mannschaft vom MSV Duisburg ist hilflos, auch wir Zuschauer sind es. Das ist nicht zu übersehen. Tina hat gestern die Frage aufgeworfen, „Was tun?“ und damit auf Fan-Aktivitäten im Netz Bezug genommen. Irgendwas soll geschehen, damit die Mannschaft besser spielt. Aber was? Ärger ist bei allem der Motor.

Das Netz wirkt oft als Verstärker von Stimmungen. Da befeuern sich Menschen, weil sie im Social-Media-Austausch die  Intensität einer Gruppe erleben, und noch ist es nie absehbar, was diese Stimmung mit der Offline-Welt zu tun hat. Da gibt es unterschiedliche Formen der Beziehung. Soziologen haben das bestimmt auch schon mit einer Nomenklatur im Griff. Es ist also erstmal nur eine Vermutung, ob die Stimmung gekippt ist. Wenn das als Tatsache im Print-Medium steht, hängt sich bei Der Westen Dirk Retzlaff damit weit aus dem Fenster. So sicher ist das nicht, andererseits trägt so ein Artikel wiederum zur Stimmung bei.

Ich jedenfalls habe bei keinem Spieler das Gefühl, er strenge sich zu wenig an. Er wolle in Duisburg nun nur noch seine Zeit absitzen, um im Abstiegsfall eben irgendwo anders unterzukommen. Diese Mannschaft des MSV Duisburg stößt seit Beginn der Spielzeit immer wieder an ihre Grenzen. Das Problem sind unsere Erwartungen an diese Saison. Leistungsfördernd ist ein vom Zaun gebrochener Konflikt mit den Spielern jedenfalls nicht. Natürlich fühlt es sich besser an, bei Ärger mal so richtig loszuschimpfen. Und natürlich macht es das Leben einfacher, wenn es Schuldige für den eigenen Ärger gibt. Beim MSV Duisburg kommen in dieser Saison viele Dinge zusammen, die es mir schwer machen, besonders Schuldige hervorzuheben. Wie gesagt, Ärger bei vermeintlich Schuldigen abzulassen, das macht schlechte Stimmungen besser.  Macht man das, muss man aber auch sich selbst gegenüber ehrlich sein. Das bessere Gefühl hilft weder dem Verein noch der Mannschaft, es hilft niemand anderem als einem selbst. Was ja auch manchmal ganz wichtig ist.

Podcast-Zeit vor dem nächsten Heimsieg

Ein wenig Zeit braucht es im Moment immer, bis ein neuer Podcast entsteht und bis er dann nach der Aufnahme online geht. Letzte Woche Mittwoch haben Tina, André und ich es geschafft, uns zusammenzusetzen und das Mikro auf den Tisch zu stellen. Wir basteln weiter an der Form des Gesprächs und haben dieses Mal drei Themenschwerpunkte gesetzt: das Spiel gegen den SC Paderborn, Milan Sasic und die Stimmung unter den Fans. Die Technik fügt sich immer noch nicht ganz unserem Willen. Zwar könnt ihr nun Abschied nehmen vom charmanten Badezimmerhall, doch in den letzten zehn Minuten des Podcasts meldet sich der Laptop-Lüfter nachdrücklich zu Wort. Wie das in Talkshow-Runden so ist, gibt es manche Gäste, die die anderen nie ausreden lassen. Man muss die ignorieren und einfach weiterreden. Wir haben das versucht. Doch der Lüfter blieb hartnäckig. Beleidigt surrte er weiter und nun liegt er einem verdammt unangenehm in den Ohren. Um die Präsentationsform kümmern wir uns inzwischen auch noch.

Mit einem Klick weiter geht es zum Zebra-Talk 6.


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