Vor einiger Zeit habe ich begonnen, die Erinnerungen von FIFA-Schiedsrichter Gerd Hennig zu sichten. “Vom Straßenfußballer zum FIFA-Schiedsrichter” hat Gerd Hennig diese Erinnerungen genannt, die ich nach und nach bearbeite und hier in loser Folge veröffentliche.
Heute geht es um Einsätze von Gerd Hennig bei internationalen Fußballspielen.
Vom Straßenfußballer zum FIFA-Schiedsrichter – Folge 8
Von Gerd Hennig
Herausgegeben und bearbeitet von Kees Jaratz
Nachdem ich mich bei den Schiedsrichterbeobachtern des aus den drei Landesverbänden Westfalen, Mittelrhein und Niederrhein bestehenden Regionalverbandes West zur vollen Zufriedenheit bewährt hatte, wurde ich dem DFB gemeldet. Ich kam auf die Liste der Schiedsrichter, die auch für internationale Aufgaben vorgesehen waren. In dieser Zeit hatte ich am Niederrhein auch noch regelmäßige Einsätze in der Verbandsliga, in den drei Landesligen bis hinab zur Bezirksklasse. So war ein wöchentliches Programm mit Spielleitungen und gleichzeitigem, mehrmaligen Training in der Woche gewährleistet.
Die internationalen Berufungen wurden vom DFB bestimmt. Sie führten mich zunächst an die Linie vorrangig zusammen mit den damals unumstrittenen „Internationalen“ Walter Eschweiler (Euskirchen), Günter Baumgärtel (Hagen) sowie Jochen Weyland (Oberhausen), die die Spiele leiteten. Reichlich Erfahrung sammelte ich in den Stadien europäischer Spitzenclubs wie dem CF Barcelona, Celtic Glasgow, Manchester City, Juventus Turin, AS St. Etienne, Olympique Lyon oder Steua Bukarest, um nur die bekanntesten Vereine zu nennen. Auch bei Ararat im fernen Eriwan wurde ich eingesetzt.
Besonders eindrücklich blieben mir die zwei Begegnungen in Barcelona in Erinnerung. Beide Male war ich im Team mit Walter Eschweiler bei Begegnungen vor ausverkauftem Haus. Einmal spielte Barcelona im Supercup gegen Nottingham Forest. Das andere Mal war es das Europapokal-Rückspiel gegen den RSC Anderlecht. Das Hinspiel hatten die Spanier 3:0 verloren. Nun aber mit der Publikumsunterstützung entschieden sie dieses Rückspiel noch 5:3 im Elfmeterschießen für sich. Die Macht der Massen gab sicherlich den Ausschlag. Jeder Belgier wurde beim Gang von der Mitte zum Strafstoßpunkt gnadenlos ausgepfiffen. Die Hausherren hingegen gingen dem Ausführungsort enthusiastisch gefeiert entgegen. Die damals vom bekannten Frank Goethals trainierten Belgier hatten keine Chance.
Neben den Aufgaben als Linienrichter kann ich auch auf eigene Spielleitungen zuückblicken. Meinen ersten internationalen Einsatz als Schiedsrichter hatte ich beim Nordland-Turnier der Skandinavier. Der DFB war dort ebenfalls stets mit einer Junioren-Auswahl vertreten. 1962 wurde das Turnier von Schweden in Uddevalla, in der Nähe von Göteborg ausgerichtet. Neben dem Gastgeber Schweden waren noch Dänemark, Norwegen, Island und natürlich die als Gast geladene DFB-Auswahl am Start.
Während einer Woche fanden in kleinen idyllisch gelegenen Spielorten rund um Göteborg die Spiele statt, zu denen jeder Teilnehmer auch einen Schiedsrichter stellte. Ich erinnere mich, mit mir waren auch Bertil Andersen vom Ausrichter Schweden, Jorgen Mortensen aus Dänemark, Per Arne Larsgard aus Norwegen und Arnthor Oskarsson aus Island im Einsatz. Am Abend trafen wir uns dann regelmäßig wechselweise auf einem unserer Zimmer, um im gemütlichen Plausch untereinander das Erlebte zu diskutieren. Wir sprachen Englisch, eine der drei FIFA-Sprachen, was lediglich für mich von Bedeutung war, da die Nordländer unter sich sprachlich wenig Probleme hatten und sich landesgemäß beim „skol“ bestens verstanden.
Danach wurde ich als Schiedsrichter zunächst in Griechenland, dann auch in der Türkei eingesetzt. Zu allen bedeutsamen, auf dem Totoschein stehenden Spielen der heimischen Liga forderten die dortigen Verbände damals Referees aus anderen europäischen Staaten an, um Spielmanipulationen auszuschließen. Es hatte starke Verdachtsmomente für Ergebnisabsprachen seinerzeit gegeben. Der DFB entsandte fast an jedem Wochenende seine Kandidaten in diese Länder. Zunächst ging es dann nach Athen und Istanbul, wo die jeweiligen Unparteiischen am Abend vor dem Spiel in einem von den Verbänden gut abgeschirmten Hotel zu den entsprechenden Begegnungen eingeteilt wurden. So brachten mich meine sechs Ansetzungen in der Region zweimal direkt nach Athen beziehungsweise Piräus, zweimal nach Saloniki sowie je einmal nach Katarine, in der Nähe von Saloniki und nach Trikkala, was sich in der Landesmitte zwischen Athen und Saloniki befindet und nur mit dem Taxi erreichbar war.
Von diesen Reisen sind mir zwei Erlebnisse in besonderer Erinnerung geblieben. Nach einer Spielleitung in Athen saß auf dem Rückflug mit der Olympic Airways nach Düsseldorf via Paris eine gut aussehende Griechin an meiner Seite. Als wir ins Gespräch kamen, erfuhr ich, ihr Name war Naftali. Sie wollte ihren Mann in Paris besuchen, der beim Bodenpersonal auf dem Flughafen in Orly beschäftigt war. Dann offenbarte sie mir, dass sie unter Flugangst leide, besonders wenn sich irgendwelche Luftturbulenzen bemerkbar machen sollten. Es wurde tatsächlich ein unruhiger Flug, bei dem ich ihr tröstend die Hand hielt. Aus Dankbarbeit lud sie mich ein, bei einem erneuten Griechenland-Aufenthalt sie in Saloniki zu besuchen.
Schon bei meinem nächsten Trip nach Griechenland erhielt ich durch den Verbandsbeauftragten vor Ort die Order: „Morgen früh geht es mit dem Taxi zum Airport und und dann weiter mit deinen Linienrichtern nach Saloniki.“So bot sich die Gelegenheit, meine Fluggefährtin tatsächlich wiederzusehen. Auf dem Hinflug tat ich das meinen griechischen Gefährten kund. Sofort waren sie auch bereit, mir dabei zu helfen, zur angegebenen Adresse zu gelangen. Nach Spielschluss nahmen wir ein Taxi. Leider gab es den Straßennamen zweimal in der Stadt, und natürlich erreichten wir erst beim zweiten Versuch die richtige Straße.
Dort sah ich Naftali im ersten Stock eines schicken Hauses am Fenster stehen. Als ich aus dem Taxi stieg, erkannte sie mich sofort wieder und lud mich mit ausgebreiteten Armen nach oben ein. Meine beiden Linienrichter forderte ich daraufhin auf, zum Flughafen weiter zu fahren. Ich wollte mit einem anderen Taxi pünktlich nachkommen. Das aber stieß auf erheblichen Widerstand. Die vorher so hilfsbereiten Kollegen gönnten mir es nicht, mit ihrer Landsfrau alleine Zeit zu verbringen. Gemeinsam suchten wir die Wohnung auf und schauten uns zusammen bei Tee und Gebäck die Familienfotos der großen Familie an. Großzügig ließ man mich dabei direkt neben Naftali sitzen.
Mein letzter Spielauftrag bei den Griechen führte mich ins Landesinnere nach Trikkala. Am Spieltag traf ich mich morgens früh um sieben Uhr mit meinen beiden griechischen Linienrichtern und einem Verbandsvertreter morgens früh um sieben Uhr, um mit dem Taxi zum Spielort zu fahren. Auf der Fahrt ließen meine drei Griechen den Taxifahrer an jedem Bethäuschen rechts und links der Landstraße anhalten. Dann verschwanden sie für etwa zehn Minuten aus dem Wagen und ließen mich alleine zurück. So verlief der Tag zunächst für mich recht eintönig. Etwa auf der Mitte der Strecke steuerten wir verspätet eine spärliche Gaststätte an, um einen kleinen Imbiss einzunehmen und eine kurze Ruhepause zu verbringen. Meine Begleiter machten sich keine Sorgen wegen der Verspätung. Anstoßzeiten spielten in diesem Land anscheinend keine Rolle. Für mich fiel die Ruhepause weniger erquicklich aus, weil in dem mir zugedachten Doppelzimmer der Taxifahrer lag. Richtig zur Ruhe kam ich auf der schmalen Betthälfte neben ihm nicht.
Inzwischen hatte heftiger Regen eingesetzt, so dass wir nach unserer Weiterfahrt zwei Stunden später als vorgesehen in dem kleinen Städtchen zum Abstiegsderby von Trikkala gegen den Rivalen Niki Volos ankamen. Dort mussten wir aber feststellen, dass der rote Aschenplatz völlig unter Wasser stand. Der Spielausfall hätte eigentlich die völlig gerechtfertitgte Folge sein müssen. Seltsamerweise wollten beide Vereine und auch mein Verbandsbeauftragter das nicht einsehen. Händeringend baten sie mich darum, noch eine weitere Stunde zu warten. Der Platz trockne dank einer guten Drainage schnell auf. Wegen meiner weiten Anreise und den damit verbundenen hohen Kosten, ließ ich mich darauf ein. Tatsächlich konnte ich mit Stunden Verspätung zur Freude aller Beteiligten die Begegnung anpfeifen. Zur Zufriedenheit beider Mannschaften endete die Partie torlos.
Nach dem Spiel erlebte ich die nächste Überraschung. Da in unserer Umkleidekabine keine Duschen vorhanden waren, präsentierte man uns in der Mitte des Raumes eine mit Regenwasser gefüllte Zinkwanne. Um diese Wanne herum stellten sich beide Vereinsvertreter und die zu unserer Sicherheit anwesenden etwa 25 bis 30 Polizisten im Kreis auf. Zur Überbrückung der Zeit bot ich ihnen zwei Packungen meiner im Duty-Free-Shop erworbenen Zigaretten an. Bald vernebelte der Qualm dieser Zigaretten den kleinen Raum so sehr, dass wir unsere Kleidung an den Wänden nur noch mühsam wiederfanden.
Draußen war inzwischen die Dunkelheit hereingebrochen. Durch riesige Pfützen brachte uns unser Begleitschutz zu dem weit entfernt stehenden Taxi und verabschiedeten sich mit einer Verbeugung. Auf der etwa siebenstündigen Heimfahrt wurde erneut kein Beethäuschen ausgelassen. Nach Mitternacht kehrten wir endlich in unser Hotel zurück, wo uns mein schmunzelnder deutscher Kollege Walter Horstmann erst einmal zu einem verdienten Ouzo einlud. Dann konnte ich endlich die Nachtruhe antreten.
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