Jüngst trat in Duisburg eine Faninitiative unterschiedlich ausgerichteter Fanclubs und -vereinigungen an die Öffentlichkeit. Ziel der Initiative „Es lebe de.r V.erein“ ist die Stärkung des Vereinsgedanken beim MSV Duisburg. Im Selbstverständnis der Initiative klingt die Sorge an, Investoren könnten beim MSV mehr Macht erhalten als es die Vereinsmitglieder wünschen.
Im Pressespiegel der Initiative findet sich ein gutes Interview, das Tim Zeiger vom Fanradio Zebra.fm mit einem der Initiatoren in der Halbzeitpause des Spiels gegen den TSV 1860 München, am 6. März, geführt hat. In dem Interview wird deutlich, auch wenn die Kapitalerhöhung von Capelli ein Anlass war, die Initiative zu gründen, so gibt es kein Misstrauen gegenüber dem Investor. Ein anderer Anlass war zudem der Wunsch, angesichts von Corona den MSV durch Banner- und Plakataktion auf eine gute Weise in der Öffentlichkeit präsent zu halten.
So begrüßenswert das Engagement von Fußballfans für das Kulturgut Fußball ist, so hart konfrontiert mich die Initative mit den Widersprüchen, vor denen wir Fußballfans normalerweise unsere Augen verschließen. Täten wir es als Fans eines Drittligisten nicht, wir könnten nicht mehr ins Stadion gehen und auf Erfolg hoffen. Wir müssten konsequenterweise auch den Abstieg in die Regionalliga als mögliche Folgen eines Wettbewerbs akzeptieren. Wir müssten den Stadionbesuch unabhängig vom sportlichen Erfolg unseres Vereins als erfüllend erleben. Noch einmal betont, ich mache das nicht, aber ich möchte heute versuchen, so wahrhaftig wie möglich auf das System Fußball zu schauen. Auch ich bin Mitglied unterschiedlicher Fanvereinigungen, von denen sich eine der Initiative angeschlossen hat, die anderen nicht. Somit bin ich geradezu ein idealtypischer Repräsentant all der Widersprüche, die sich bei eindeutigen Positionierungen im Fußball der Gegenwart ergeben.
Das letzte Jahr mit Corona hat bewiesen, Profifußball funktioniert als Unterhaltungsangebot im TV. Natürlich müssten mittelfristig Budgets der Fußballunternehmen angepasst werden – Einnahmen fallen ja weg – , aber so lange TV-Sender bezahlen, wird Fußball als Unterhaltungsangebot der Freizeitindustrie produziert. Weltweit sind Fans der europäischen Vereine schon immer daran gewöhnt, ihren Sport nur im Fernsehen wahrzunehmen. Fußball unterscheidet sich in dieser Perspektive nicht vom Tatort, vom Rosamunde-Pilcher-Film, den Trash-Dokus der Privaten oder dem Netflix-Angebot. Corona wirkt auch an dieser Stelle wie ein Brennglas zum Erkennen des Wirklichen und all die Bemerkungen der momentan im Stadion weilenden Beteiligten des Fußballs, wie wichtig Fans im Stadion sind, gehören zur Folklore. Fans im Stadion wird es irgendwann wieder geben, klar. Was sich nur ganz deutlich zeigt, Fußball funktioniert als Unterhaltungsangeobt komplett ohne Fans vor Ort. Fußball könnte produziert werden wie ein hochwertiger Kinofilm und es gäbe Kunden, die für diesen Fußball Geld bezahlen werden. Dass dieser Gedanke vielen „Fußball-Unternehmern“ nicht fremd ist, zeigen die Bemühungen um die Einführung eines geschlossenen europäischen Wettbewerbs der Großvereine. Sprich: Gehört man zur DFL-Welt kann der Fußball unabhängig vom Vereinsgedanken funktionieren.
In Duisburg gehören wir momentan nicht dazu, und wir reden von ganz anderen finanziellen Dimensionen. Waren es vier Millionen Euro, die uns in Duisburg Gedanken machen? Das ist eine lächerlich kleine Summe Geld, um im Fußball wirklich erfolgreich sein zu können. Gleichzeitig verschafft diese Summe vielleicht mehr Einfluss des Investors, als es Vereinsmitglieder wünschen. Das wissen wir nicht, weil wir nicht detailliert wissen, welches Ziel die Investition hat. Soll heißen, es gibt im deutschen Fußball eine sehr viel spezifischere, auf den jeweiligen Verein bezogene Interessenlage des Investors als in anderen Ländern, die Beteiligungen über die 50 Prozent hinaus ermöglichen. Dort ist die Investorenhoffnung auf Gewinn sehr viel offensichtlicher und damit auch die Macht über Unternehmensentscheidungen. Um diese Macht und den Einfluss geht es Fußballanhängern in Deutschland aber immer wieder. Bei Vereinen der unteren Ligen mehr als bei den Großen. In diesen unteren Ligen verweilen jene Klubs mit einer besseren Vergangenheit, die die Erfolgsträume von Fans der Gegenwart befeuern und manchmal eben auch die Ziele von Investoren.
Das führt zum grundsätzlichen Widerspruch in uns Fans, wenn wir um die Kultur des Fußballs besorgt sind, um dieses ideelle Bild unseres Vereins, der uns ein Leben lang begleitet. Wir gehen zum Fußball ja doch auch mit einem inneren Bild davon, wo der Platz unseres Vereins in dieser Fußballwelt ist. Ich selbst kenne den MSV noch als unabsteigbaren Bundesligisten. Gerade müssen wir uns sorgen, dass wir den Anschluss an die Zweite Liga nicht verlieren. Hinter der Sorge vor dem Einfluss von Investoren steckt doch immer auch die Sorge, sie könnten die richtigen Entscheidungen für den sportlichen Erfolg verhindern und damit die Existenz des Vereins gefährden. Der Widerspruch zwischen der Hoffnung auf Erfolg sowie den dazu nötigen finanziellen Mitteln und dem Versuch die Vereinskultur im modernen Fußball zu bewahren ist unauflösbar.
Versuche, einen Ausgleich herzustellen zwischen dem demokratischen Vereinsgedanken und den nach betriebswirtschaftlichen Prinzipien arbeitenden Fußballunternehmen, führen in den immerselben Widerspruch. Wir in Duisburg sind ja nicht die einzigen Fußballanhänger in Deutschland, die dieses Thema Mitbestimmung beschäftigt. In ganz Deutschland wurden dazu schon Lösungen gefunden, und spätestens bei sportlichem Misserfolg wird der grundsätzliche Widerspruch offenbar. Das hat überhaupt nichts mit dem emotionalen Fußball zu tun sondern allein mit der zweigleisigen Organisation des Sports. Entweder gibt es eine enge Zusammenarbeit von Vereinsführung und Unternehmen, so dass die Vereinsmitglieder die Kontrolle der Unternehmensmitarbeiter vermissen. Oder es gibt die Kontrolle, die das notwendige schnelle Arbeiten im Unternehmen behindert. Dieser Konfklikt ist nicht verhinderbar, er gehört zum System. Der VfB Stuttgart gab neulich dafür ein hervorragendes Beispiel ab, wo gerade der sportliche Erfolg die Unternehmensseite in Person von Thomas Hitzelsperger dazu ermutigte unabhängiger von der Vereinsführung in Person von Claus Vogt arbeiten zu wollen. Nun gibt es seit kurzem einen vermeintlichen Ausgleich – hier mit Klick zum Kommentar beim SWR, der ihn erhofft. Warten wir ab, wie lange das gut geht.
Faninitiativen wie „Es lebe de.r V.erein“ verfolgen in gewisser Weise einen utopischen Gedanken, weil sie von einem Anliegen getragen werden, das den Fußball der Gegenwart revolutionieren müsste. Chancengleichheit dürfte nicht mehr allein durch das individuelle Schicksal eines Vereins und seiner Gestaltungsmöglichkeiten hergestellt werden. Das ist die einzig wahrhaftige Lösung, die dem Anliegen der Fans gerecht wird. Denn die Wirklichkeit zu sehen heißt: die Anteile von Capelli sind auch ein Handelsgut. Das kam im oben angeführten Interview kurz zum Ausdruck. Stellen wir uns also einen Investor vor, der dieses Handelsgut für 25 Millionen Euro kaufen möchte. Viel zu viel Geld für diese Ware. Aber mancheiner hat Spielgeld und nutzt es als Risikokapital. Dann stellt sich auch für uns ganz persönlich die Frage, wann sind wir von wem käuflich? Nicht leicht zu beantworten, wenn der Blick von unten auf die Zweite Liga gerichtet ist.
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