Während der Winterpause schien ich die bedrohliche Lage für den MSV von mir fern gehalten zu haben. Seit Ende November habe ich mit mir selbst und meiner Gesundheit genug zu tun. Aber das Verdrängte arbeitet weiter im Unbewussten. Jetzt träume ich schon vom MSV, und dieser Traum letzte Nacht war zwar kein Alptraum, gehörte aber doch zu diesen unangenehmen nächtlichen Bedrückungen, bei denen du eine diffuse, wenig konkrete Gefahr spürst. Eine Gefahr, die zudem zur Wirklichkeit des Erlebten nicht passt.
Solche Traumzeit verbringst du in Unruhe und Anspannung. Du weißt, es ist etwas zu erledigen und ein Ziel zu erreichen. Du weißt nicht, ob das gelingt. zumal dir nicht von Anfang klar ist, welchem Ziel du überhaupt folgst. Ich war unterwegs in mir unbekannten Straßen und wusste, zu einer bestimmten Zeit sollte ich an einem bestimmten Ort sein. Ich schritt voran, kannte aber als Träumender noch nicht die Handlung. Die begann ich zu ahnen, als ein Bus mit MSV-Fans an mir vorbeifuhr und auch auf dem Fahrradweg nebenan immer wieder Radfahrer im Trikot vorbeipreschten. Auf dem Bürgersteig weit vor mir sah ich dann auch Fans im Trikot, und da fiel mir ein, ich musste (!) ins Stadion. Dieses Muss bedeutete, gelänge es mir nicht, würde ich etwas Entscheidendes verpassen. Was genau blieb unkonkret.
Ich beschleunigte meinen Schritt, hatte unterdessen gleichzeitig plötzlich auch ein Fahrrad dabei. Ich stieg auf und fuhr innerhalb kurzer Zeit zum Stadion. Von meinem Gefühl her fuhr ich zur Arena. Den riesigen Fahrradparkplatz – etwa dort wo sich eigentlich die Jugendherberge befindet – hatte ich noch nie gesehen. Hunderte Fahrräder standen dort in einem wilden Durcheinander. Kurz zweifelte ich, mein Fahrrad jemals wiederzufinden und schloss es dennoch in großer Eile irgendwo ab. Schon beim Weggehen hatte ich den Überblick verloren, wo es stand. Ein weiteres unangenehmes Gefühl. Ich hastete Richtung Stadion, das sich im Gegensatz zur Wirklichkeit wie eine Burg auf einer ummauerten Anhöhe befand. Der direkte Weg führte steil nach oben über eine gepflasterte Wand, die hin und wieder ein paar Vorsprünge bot. Niemand versuchte natürlich an dieser Steilwand hoch zu rennen. Außer mir und ein paar Jugendlichen. Ich nahm Anlauf, machte einen Versuch, kam aber längst nicht zum ersten Vorsprung. Diese Steilwand würde ich nicht schaffen. Auch nur zwei der Jugendlichen waren erfolgreich.
Genervt ging ich noch einmal zurück Richtung Fahrradparkplatz, wo mir an dessen Rand überhaupt erst klar wurde, dass mein Ziel das Spiel des MSV gegen Havelse war. Ich problematisierte es nicht weiter, dass ich mich in Duisburg befand, während das Spiel in Havelse stattfand. Andere Fans gingen schließlich auch ins Stadion. Allerdings waren wir alle anscheinend auch zu spät, denn aus dem Transistorradio eines neben mir stehenden Fans hörte ich eine Reporterstimme den Namen Bouhaddouz rufen in diesem bekannten Ton, in dem Reporter eine vergegebene Chance kommentieren. Ich beeilte mich also doch ins Stadion zu kommen und ging zu dem Serpentinenweg, auf dem fast alle nach oben liefen. Er war so schmal, dass alle einzeln nacheinander laufen mussten.
Ich war sehr erleichtert, als ich in diesem Moment aufwachte und merkte, bis zum Spiel vom MSV gegen Havelse ist noch was Zeit. Der Traum allerdings erzählt symbolhaft die Lage des MSV momentan. Träume darf man natürlich nicht eins zu eins deuten. Aber in mir als Handelnder in diesem Traum handelt auch ein Ivo Grlic, da handeln die Spieler, da handel ich auch stellvetretend für alle sich sorgenden und diskutierenden Fans. Dieses Handeln folgt einem inneren Drang ohne Kenntnis des konkreten Ziels. Es ist oft reaktiv, folgt spontanen Eingebungen und hat häufig etwas Desorientiertes. Handelnde sind zu spät und müssen sich sehr anstrengen, um hoch zu kommen. Abkürzungen durch direkte, unkonventionelle Wege gibt es für kaum jemanden. Wer nicht weiß, wieso der MSV in der zweiten Saison nacheinander in der Dritten Liga gegen den Abstieg spielt, sollte in Zukunft meinen Traum lesen.
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