Nur gut, dass wir Theaterleute solche Premierentage, wie sie der MSV Duisburg in der Zweiten Liga am Freitag erlebt hat, seit Jahren kennen. Wir wissen, irgendetwas kann immer richtig schief gehen. Denn jetzt erst ist es wirklich ernst, und läuft das Stück erstmal, geht es nur noch vorwärts, selbst wenn Text vergessen wird und Szenen mit falschen Läufen beginnen. Man muss sich dann durcharbeiten, alles geben, bis zum Ende. Dann werden auch die ganzen Freunde, Bekannte und überhaupt Menschen, die dem Haus wohlgesonnen sind, nicht nur freundlich Beifall klatschen. Dann werden sie begeistert sein. Dann werden sie alle Beteiligten feiern, egal welcher Fehler auch passiert ist.
Wir, Theaterleute wissen aber auch, wir müssen uns die Fehler ziemlich genau ansehen. Waren das Fehler aus Nervosität, oder gibt es ein grundsätzliches Problem bei der Aufführung? Müssen wir im laufenden Betrieb die Inszenierung noch verändern? Haben wir weiter viel Arbeit mit dem Stück? Das sind die Fragen, die wir uns stellen müssen. Gino Lettieri wird es nicht anders gehen.
Der MSV Duisburg hat am Freitag im Heimspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern mit 3:1 verloren. Die Heimspielpremiere fand vor einem begeisterten Publikum statt, das die Mannschaft nicht nur in den letzten 30 Minuten des Spiels weiter feierte. Die Stimmung hielt an auch nach der Niederlage. Wir alle wollten uns von dieser Niederlage die Freude über die Rückkehr in die Zweite Liga nicht verderben lassen. Viele von uns hatten schließlich auch mit einer Niederlage gerechnet. Viele von uns wären mit einem Unentschieden zufrieden gewesen.
Dennoch kühlte der Verlauf der ersten Halbzeit die Stimmung auf MSV-Seite zunächst deutlich herab. Die Art und Weise, wie die Tore fielen, ernüchterte sehr. Kevin Wolze verlor kurz vor der Mittellinie den Ball, als er im eins gegen eins seinen Gegenspieler umdribbeln wollte. Den sofort nach vorne ziehenden Kaiserslauterner konnte er nicht mehr aufhalten. Standardkonterabschluss mit dem Pass in die Mitte, das 1:0, 13. Minute. Das nächste Tor leitete Zlatko Janjic ein mit einem viel zu langsamen Rückpass, der zum perfekten Steilpass in den Lauf eines Kaiserslautenerner Spieler wird. Der verstolperte im Strafraum sogar zunächst, wurde dort nach rechts abgedrängt, den harten Schuss zurück Richtung Tor wollte Kevin Wolze grätschend klären. Doch er grätschte den Ball ins eigene Tor, das 2:0, 18. Minute. Ein weiter Ball aus der Kaiserslautener Hälfte, lange unterwegs in die Spitze, wurde gefährlich, weil er an der Strafraumgrenze genau in der Schnittstelle zwischen Branimir Bajic und Dustin Bomheuer landete und vom Schützen des ersten Tores, Kacper Przybylko aufgenommen werden konnte. Aus der Drehung schoss er den Ball perfekt ins lange Eck, das 3:0, 29. Minute.
Diese Tore waren schnelle, harte Niederschläge. In den jeweiligen Spielsituationen wirkte der MSV wie ein übergewichtiger Boxer des Federgewichts gegen einen athletischen, austrainierten Schwergewichtler. Dabei hatte man den Eindruck gewinnen können, sobald das Spiel über einen kürzeren Zeitraum im Fluss war, hielten Zebras einigermaßen mit. Sie konnten das Aufbauspiel der Kaiserslautern stören. Sie kamen sogar in den Strafraum. Präzise Torchancen ergaben sich daraus nicht, alleine Bröker-Kopfbälle aus nicht klar herausgespielten Situationen und aus Standardsituationen heraus machten leichte Hoffnung.
Sind es also nur die berühmten individuellen Fehler gewesen, wegen denen das Spiel verloren ging? Wer darauf hofft, verkennt den Grund für diese Fehler. Die Fehler geschahen, weil der Handlungsdruck für die Zebras im Spiel so viel größer war als in der 3. Liga. Die Sitten in dieser 2. Liga sind eben andere. Es geht in Zukunft nicht darum, Fehler durch konzentriertes Spiel zu vermeiden. Die gesamte Mannschaft, also, alle Spieler, müssen sehr viel schneller im Kopf werden. Viel zu oft handelten die Spieler noch so, als ob sie Zeit hätten, darauf zu hoffen, dass der Ball ins Aus springt, wenn er knapp neben der Linie aufkommt; als ob sie Zeit hätten, einen Pass zu überlegen; als ob sie Zeit hätten, langsame Bälle über mehrere Meter zu spielen. Diese Zeit gibt es nicht mehr. Ehe der Ball ins Aus springt, holt ihn sich ein Kaiserslauterner Spieler und hat ihn schon mehrere Meter in die Hälfte des MSV getrieben, ehe der Duisburger an der Seitenlinie sich überhaupt in Richtung eigenes Tor bewegt. In jeden langsam gespielten Ball sprintet ein Gegner dazwischen.
Wie viel höher der Druck auf die Spieler des MSV ist, lässt sich gut an Martin Dauschs Spiel im Mittelfeld ablesen. Wieviel Raum hatte er in der 3. Liga, um sich den Ball so zurecht zu legen, dass er immer wieder plötzlich antreten konnte, um Richtung Tor des Gegners zu ziehen. Diesen Raum hat er nicht mehr. Kann er den Ball nicht sofort verarbeiten, kommt er nicht sauber gepasst oder verspringt er ihm, kann er ihn zwar immer noch behaupten, er hat aber keine Zeit mehr die Bewegung nach vorne zu machen, die wir von ihm kennen. Er kann nur noch zur Seite spielen oder zurück. Es wird in den kommenden Wochen weniger um einzelne Fehler gehen, sondern um die Balance zwischen Handlungsschnelligkeit und Sicherheit. Die hinzubekommen wird schwer, das ist aber natürlich machbar.
Für dieses Ziel war es auch gut, dass dem MSV noch ein Tor durch Branimir Bajic nach einem Eckball in der 81. Minute gelang. Viel geschah Anfang der zweiten Halbzeit zunächst nicht. Der MSV bemühte sich zwar aus einer etwas stärkeren Defensive heraus noch ein Tor zu erzielen, gute Chancen ergaben sich allerdings nur nach Standardsituationen. Die Kaiserslauterner hielten sich nun merklich zurück, und ab der 70. Minute ungefähr begannen die Bemühungen des MSV sogar Wirkung zu zeigen. Es wirkte ein wenig so, als hätten wir alle uns entschlossen ungeachtet des Ergebnisses noch einmal von vorne anzufangen. Das Publikum war wieder mächtig da. Das Spiel befand sich in einem Gleichgewicht der Kräfte und wenn man das alles zusammen nimmt, fiel das Bajic-Tor sogar als ein Restspielzeit-Führungstreffer. Das eine Ziel wurde damit erreicht. Die Hoffnung auf den erfolgreichen Verlauf der Zweitligasaison war im Spiel selbst, in der Niederlage wieder lebendig geworden.
Der 1. FC Kaiserslautern kann die Saison übrigens entspannt angehen. Einer von zwei direkten Aufstiegsplätzen ist schon mal belegt. Vor zwei Jahren hatte der MSV im ersten Spiel der neuen Liga einen ähnlichen Start in die Saison. Das Stadion war voll, zunächst sah es so aus, als könne die Mannschaft nach vorne gut mitspielen. Der Gegner aber konterte gnadenlos und bestrafte Ballverluste in der Vorwärtsbewegung. Dieser Gegner hieß 1. FC Heidenheim. Wer stieg damals nochmal auf?
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