Am Montag habe ich ein Interview mit Gerard Mortier gelesen. Reinhard Brembeck hatte mit ihm für die Süddeutsche Zeitung anlässlich seines 70. Geburtstags gesprochen. Mortier ist Theater- und Opernintendant. Er machte die Ruhrtriennale als Gründungsintendant von 2002 bis 2004 zum Kulturfestival von überregionaler Bedeutung und war bis vor kurzem Opernintendant in Madrid. Diese letzte Station seiner beruflichen Laufbahn regte ihn beim Kommentar zum gegenwärtigen Zustand an den europäischen Opernhäusern zu einem Vergleich an, über den wir nachdenken können – Gerard Mortier:
Wir befinden uns in einer unglaublichen Wertekrise. Es wird erst dann wieder revolutionär zugehen, wenn die Politiker einsehen, dass das Theater eine unglaubliche gesellschaftliche Rolle spielen kann, um diese Kriese, die keine Finanzkrise ist, zu bewältigen. Bis jetzt hat man das in Spanien nicht gesehen, Spanien ist ein typisches Beispiel: Die Spanier benutzen Kultur zum Einschläfern. Das ist Sandmännchen-Kultur wie im Fußball, denn dann gucken die Leute nicht auf ihre Probleme.
Mal davon abgesehen, dass er begrifflich beim Ort für seine Kritik etwas diffus bleibt, geht es uns hier um den alten Vorwurf, Fußball sei das zeitgenössische Narkotikum für die Gesellschaft. Aus Mortier spricht dagegen das Selbstbewusstsein der klassischen Kultur, das schon immer davon abgesehen hat, ob das kritische Potential von Kulturangeboten durch das Publikum überhaupt angenommen wurde. Dass gerade die meisten Besucher von Oper und klassischem Konzert sich beim Suchen nach Unterhaltung vom Fußballzuschauer Mortierscher Prägung nicht sonderlich unterscheiden, lässt sich als Ergebnis von Zuschauerbefragungen über die Jahre hinweg wiederfinden.
Deshalb geht mir nochmals die auch hier geführte Diskussion über die Politik in der Kurve durch den Kopf. Es ist für mich eine offene Frage, ob nicht inzwischen auch rund um den Fußball so etwas wie gesellschaftskritische Gedanken des Hochkulturbetriebs einen Ort gefunden hat. Natürlich ist der Fußball selbst ohne Aussage, interesselose Kunst, um mal in den Kulturbegriffen zu bleiben. Aber drumherum gibt es seit einiger Zeit etwas mehr als Sandmännchen-Kultur. Oder liege ich falsch? Es ist an euch.
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