Wer heute als junger Leser in einer Buchhandlung vor den Kriminalromanen als Hardcover im Stapeltitel steht, wird aus dem Staunen nicht mehr herauskommen, wenn er von den alten Zeiten dieser Genreliteratur hört. Lange Jahre war das Schreiben eines Kriminalromans schon die erste wichtige literarische Aussage eines Autors.
Schon indem sich ein Romanautor der Genreliteratur zuwendete und sie als Belletristik, also „Schöne Literatur“, ernst nahm, wendete er sich gegen den Common Sense des etablierten Literaturbetriebs und damit auch gegen das Bürgertum. Das war dann ästhetische und gesellschaftskritische Aussage zugleich. Alleine durch die Stigmatisierung als minderwertige Konfektionsware der Unterhaltungsliteratur besaß der Kriminalroman subversive Kraft, die Schriftsteller für sich nutzen wollten. Wer heute auf die subversive Kraft des Kriminalromans blickt, wird also schnell zum Literaturhistoriker.
In Spanien nutzte der 1939 geborene und 2003 gestorbene Manuel Vázquez Montalbán das erste Mal während der letzten Jahre der Franco-Diktatur diese subversive Kraft. Er war einer der erfolgreichsten und vielseitigsten Schriftsteller Spaniens. Mit seinen von 1972 an erscheinenden Kriminalromanen um Pepe Carvalho tastete er sich bald schon an die Grenzen des Genres heran, um sie in seinen letzten Romanen zu überschreiten. In dem 2001 ins Deutsche übersetzt erschienen Roman „Quintett in Buenos Aires“ etwa erinnern nur noch einzelne Handlungssequenzen und natürlich Pepe Carvalho mit seiner literarischen Biografie als Privatdetektiv an die Wirklichkeit eines Kriminalromans.
Das war in dem 1988 erschienenen Roman El delantero centro fue asesinado al atardecer noch anders. In dem zwei Jahre später in Deutschland unter dem Titel Schuss aus dem Hinterhalt erschienenen Roman handelt der Privatdetektiv Pepe Carvalho als klassischer Ermittler. Allerdings beschränkt sich das Geschehen nicht auf die Aufdeckung eines Verbrechens im Milieu des Fußballs. Montalban geht es um den Blick auf die spanische Gesellschaft seiner Zeit, auf die Folgen für seine Heimatstadt Barcelona durch das Streben nach Reichtum und die Versuche von Funktionären mit dem Fußball Interessen außerhalb des Sports zu verfolgen.
Carvalho wird vom größten Fußballverein Barcelonas engagiert, weil dessen englischer Stürmer John Mortimer Erpresserbriefe erhält. Auch das ist ein klassisches Motiv im Kriminalroman: Carvalho merkt bald, großes Interesse an seinen Ermittlungen besteht gar nicht. Er wurde als symbolhafte Beruhigung engagiert.
Verwoben ist dieser Handlungsfaden mit einer Fußballgeschichte voller vermeintlicher Romantik. Ein alternder, ehemals guter Stürmer wird von seinem jetzt viertklassigen Heimatverein als letzter Hoffnungsbote zum Ende seiner Karriere hin noch einmal verpflichtet, um den endgültigen sportlichen und wirtschaftlichen Niedergang des Vereins abzuwenden. Doch auch beim niederklassigen Centellas FC ist natürlich nicht alles so, wie es zunächst scheint.
Montalban entfaltet zum einen eine Geschichte rund um die Bodenspekulationen, die sich in Barcelona vor den Olympischen Spielen in Barcelona 1992 ereignet hatten. Zum anderen wirft er einen Blick auf die Heldenverehrung von Fußballern und die Bedeutung des Sports als Sinnersatz in der säkularisierten Gegenwart. Das ist zeitlose Romankunst – sowohl durch die sprachliche Kraft des Erzählten als auch durch die in Teilen immer gültigen Wertungen und Gedanken über den Fußball.
Manuel Vázquez Montalbán: Schuss aus dem Hinterhalt. Aus dem Spanischen von Bernhard Straub. Rowohlt Verlag, Reinbeck 1990, 236 Seiten.
Wieder veröffentlicht: Piper Verlag, München 2007.
Mit neuem Titel wieder veröffentlicht: Carvalho und der tote Mittelstürmer. Aus dem Spanischen übersetzt und neu bearbeitet von Bernhard Straub. Wagenbach, Berlin 2014.
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