Vor zehn Tagen verabschiedete ich mich in den Urlaub in der Hoffnung, nach der Pause über die abgeschlossene Personalplanung beim MSV Duisburg schreiben zu können. Diesen Faden des Fußballalltags sofort aufzunehmen ist mir nach dem Geschehen am vorletzten Samstag bei der Loveparade unmöglich. Auch wenn ich weiß, dass inzwischen unzählige Worte schon geschrieben sind, und in Duisburg sich sicherlich eine erste Ruhe nach der Katastrophe eingestellt hat, kann ich nicht einfach zur Tagesordnung übergehen in einem Blog, in dem Duisburg auch als Stadt selbst hin und wieder Thema ist.
Nach Katastrophen hilft es den Menschen in unserer durchrationalisierten Gegenwart, die Frage nach Ursachen und Schuld zu stellen. Antworten auf diese Frage suggerieren, wir Menschen haben dieses Leben eigentlich immer im Griff, und es sind immer nur Fehler einzelner, die unsere umfassende Sicherheit im Leben verhindern. Das stimmt natürlich nicht. Wir verdrängen die stets vorhandenen Gefahren in unserem Leben und wenn wir einem Unglück als Vollendung einer Gefahr begegnen, kehren die verdrängten Ängste zurück. Sie verwandeln sich in ungerichtete Aggression und sobald sich jemand als Projektionsfläche für diese Aggression anbietet, wird diese Aggression ausgelebt. Gebt uns einen Sündenbock! Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland sei Dank, war der schnell gefunden.
Adolf Sauerland war nach den ersten Nachrichten von der Katastrophe völlig überfordert und hat nicht die Größe besessen, so zu handeln, wie es sich in so einem Moment der Fassungslosigkeit und wortlos machenden Entsetzens geziemt. Ungeachtet seiner ebenfalls vorhandenen politischen Verantwortung hat er mit dem Verweis auf die Schuld der Opfer an der Katastrophe jegliche Integrität verspielt, um weiterhin Oberbürgermeister der Stadt Duisburg sein zu können. Ärgerlich ist allerdings die Berichterstattung über seine Person. Sie diente zeitweilig allein der Sensationslust eines vom Schrecken faszierten Publikums. Im Gelsenkirchen Blog gibt es dazu einen Text, der für mich das Thema „Ursache, Schuld und Verantwortung“ klug beleuchtet.
Darüber hinaus sind so viele der von den Medien zu Duisburg erzählten Geschichten an der Wirklichkeit vorbei konstruiert, indem die Motivlage um die Loveparade sehr vereinfacht wird. Ich denke, ohne Kulturhauptstadt Ruhr.2010 hätte es die Loveparade in Duisburg nicht gegeben. Fritz Pleitgen bekennt sich zu einer moralischen Schuld, weil die Loveparade in das Programm der Kulturhauptstadt hatte integriert werden sollen. Weitaus mehr in der Verantwortung sehe ich Dieter Gorny mit seinen in den Zeitungen des WAZ-Konzerns strategisch verbreiteten, drängenden Worten, als der Widerstand in Duisburg gegen die Durchführung der Loveparade noch groß war. Er befürchtete eine „Blamage“ für das gesamte Ruhrgebiet, wenn die Loveparade ausfiele. Dagegen gab es in Duisburg selbst keineswegs durchweg die Hoffnung auf einen bleibenden Imagegewinn, wie es als Motivation für die Durchführung so oft hieß. Es gab Stimmen – auch auf Verwaltungsebene und in der Politik- die allenfalls den Wert des punktuellen Ereignisses sahen.
Aber Wahrheit ist nur ein Kriterium für die Berichterstattung von Medien über das Geschehen in Duisburg. Ein anderes Kriterium ist schnelle Verständlichkeit und der eingeräumte Platz für die Berichterstattung – egal in welcher medialen Verbreitungsform. Da wird sich dann auf Duisburg konzentriert. Alte Bilder der Lebenswelt im Ruhrgebiet werden zur Illustration der Berichterstattung genommen und komplexe Prozesse des städtischen Wandels werden auf den einzigen Begriff des Imagegewinns gebracht.
In meinen Augen ist die Katastrophe selbst und die anschließende Berichterstattung über Duisburg ein einziger Beweis dafür, dass die Städte im Ruhrgebiet zusammenrücken müssen. Sollte die Umsiedlung der Loveparade nicht ein Ruhrgebietsprojekt sein? Hieß es nicht so, als an Stelle von Berlin ein neuer Veranstaltungsort gesucht wurde? Hier gibt es einen eindeutigen Beweis für den strukturellen Unterschied zwischen den Möglichkeiten der Ruhrmetropole oder wie auch immer man das nennen soll und den einzelnen Städten. Wer das Ruhrgebiet im Mund führt, muss auch Organisationsstrukturen schaffen, die dem entsprechen. Das Still-Leben Ruhrschnellweg war auch deshalb ein so großer Erfolg, weil das Ruhrgebiet als Ganzes gemeint war, und es nicht nur beim Lippenbekenntnis zur Einheit der Städtelandschaft blieb.
Wenn nun Trostlosigkeit als Klischee zur Beschreibung Duisburgs eine zeitlang wieder populär sein wird, liegt das an dem sinngebenden Erzählmuster für das Geschehen. Das Klischee zur Loveparade heißt jugendliche Lebensfreude. So lässt sich mit dem Gegensatzpaar eine Geschichte der Selbstüberschätzung erzählen. Diese Trostlosigkeit wird durch die Dramaturgie dieser populären Erzählung verlangt. Natürlich ist die Wirklichkeit umfassender.
Viele Duisburger fühlen ihre Stadt nicht angemessen beschrieben. Und wer sich in Duisburg mit den Funktionsweisen von Kommunikation in medialen Zusammenhängen auskennt, will, wie hier beim Hafenmeister, die eigenen professionellen Möglichkeiten nutzen, diesem öffentlichen Bild Duisburgs in den letzten Tagen etwas entgegenzusetzen. Es soll im Netz Raum geschaffen werden, das Geschehen zu verarbeiten. Skeptisch bin ich allerdings bei dem dort erkennbaren, verständlichen Wunsch, gegenüber den düsteren Bildern von Duisburg eine Öffentlichkeit auch für die andere Lebenswirklichkeit der Stadt zu schaffen. Ohne Anschluss an den Ruhrgebietsgedanken halte ich das Anliegen für einen Kampf gegen Windmühlenflügel. Hätte das gesamte Ruhrgebiet hinter der Loveparade gestanden, wäre die Geschichte vom vergeblichen Versuch, die Trostlosigkeit zu überwinden, schon nicht mehr so einfach zu erzählen gewesen. Mich wird das Spannungsverhältnis zwischen Stadtidentität und Ruhrgebiet weiter beschäftigen. An anderer Stelle.
Irgendwann kehren die Gedanken dann wieder in den Alltag zurück. Beim MSV Duisburg etwa sind die Personalplanungen doch noch nicht abgeschlossen. Auf den Mittelfeldspieler warten wir noch. Stefan Maierhofer lässt mich derweil manchmal an hohe und weite Pässe denken, auch wenn ich von Kennern seiner Spielweise zu lesen bekam, dass er eher ein spielerisch gutes Team braucht, um wirkungsvoll zu sein. Damit kann doch nur ein kontrollierter Ballvortrag gemeint sein? Nur noch eine Woche bis zum ersten Pflichtspiel, und in so vielen Vereinen fehlen noch die gewünschten Spieler für die kommende Spielzeit. Früher war das anders. Ich glaube, das habe ich neulich schon mal geschrieben. Auch dazu an anderer Stelle mehr.
Gefällt mir:
Gefällt mir Wird geladen …
Neueste Kommentare