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Akzente inoffiziell: Kees Jaratz hört am Nebentisch in Wolfsburg etwas zum Pott-Bild mit

In einem früheren Text in diesen Räumen hier habe ich mich an eine Auswärtsfahrt nach Wolfsburg erinnert, weil ich damals die sehr schöne Geschichte mitbekommen habe, wie ein Magdeburger zu DDR-Zeiten MSV-Fan wurde. „Zu wenig MSV-Fans? Gebt dem Verein die DDR zurück“, nannte ich das Ganze. Erinnert habe ich mich dabei auch an ein Gespräch zwischen jugendlichen Wolfsburger Fans, dem ich nach dem Spiel in einem Imbiss habe zuhören dürfen. Bilder zu Duis- und Wolfsburg spielen dabei eine Rolle. Heimatbilder eben.

Nach dem Spiel des MSV Duisburg bin ich damals in Wolfsburg geblieben, um mit dem Linienbus zum angeheirateten Neffen nach Braunschweig zu fahren. Ich ging vom Stadion aus zu Fuß Richtung Innenstadt und wartete bei einer Schale Pommes auf meinen Bus. Am Nebentisch saßen drei jugendliche Wolfsburger Fans. Sie hatten die Niederlage schon weggesteckt und unterhielten sich über ihre Fahrten zu Auswärtsspielen ins Ruhrgebiet. Sie waren sich einig, dort niemals leben zu können. So verödet war ihnen die Gegend zwischen Dortmund und Bochum vorgekommen. Fünfzehn Minuten vorher hatte ich beim Anblick von fünfzig Meter Fußgängerzone mit Sonnenstudio oder Spielhalle oder Jeans-Shop noch gedacht, das wirkt ja sogar noch trostloser als in Duisburg. Und in den 1990ern war die Königstraße sehr trostlos am Abend. Heimat kann überall sein.

 

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Zu wenig MSV-Fans? Gebt dem Verein die DDR zurück

Es war November, ein Freitagabend, und unser Bus aus Duisburg war trotz Megastau auf der A2 noch rechtzeitig vor dem Anpfiff in Wolfsburg angekommen. 1998 hatte das Wolfsburger Stadion auf der Gästefan-Seite noch eine richtige Kurve. Vielleicht hundert bis hundertfünfzig Duisburger Fans waren schon da. Begrüßung hier und Begrüßung dort. Doch noch geschafft! Und wie lange habt ihr gebraucht? Mann, was für eine Fahrt, und ich bekomme mit, wie einer der Busmitfahrer ganz selbstverständlich Einverständnis voraussetzt bei dem Blau-Weißen, auf den er gerade eingeredet hat. Der aber erwidert:  „Ich bin gar nicht aus Duisburg hier. Ich komm´ aus dem Osten. Aus Magdeburg.“ Sein Zungenschlag war eindeutig nicht Ruhrpott.

Danach hörte ich eine kuriose Geschichte des Fan-Werdens mit. Gleichzeitig erzählt diese Geschichte so viel Alltag aus der deutsch-deutschen Vergangenheit. So fern und für viele schon unvorstellbar klingt das, was da zum Nutzen des MSV Duisburg in Magdeburg geschah. Vielleicht liest dieser Mann selber mit oder jemand, der ihn kennt. Es wäre schön, seine besondere Geschichte in seinen eigenen Worten für das Fan-Gedächtnis geschrieben zu bekommen.

Dieser Mann in Wolfsburg war wahrscheinlich Ende 20, Anfang 30, denn seiner Erzählung nach war er Ende der 70er Jahre ein Kind oder ein Jugendlicher, jemand, der in der Deutschen Demokratischen Republik aufwuchs und sich für den Fußball in der BRD interessierte. Am meisten faszinierte ihn damals der Hamburger Sportverein, bei dem in der Saison 1978/79 der Engländer Kevin Keegan spielte. Der HSV wurde in dieser Saison das Maß der Dinge, und der Junge in Magdeburg wünschte sich nichts so sehr, wie noch mehr über diesen Verein zu erfahren. Zu seinem großen Glück gab es Verwandtschaft im Westen, die so manchen Wunsch im Osten erfüllen half. Etwas vom Lieblingsverein HSV zu besitzen, das war es gewesen für den Jungen. Der Wunsch des Jungen wurde weitergeleitet, und als die Verwandten aus dem Westen das nächste Mal in Magdeburg waren, durfte der Junge einige kostbare Mitbringsel auspacken. Was genau er dort dann auf dem Tisch liegen hatte, weiß ich nicht mehr. Ich stelle mir vor, es war das 1976 erschienene Buch „Die Zebras kommen“, dazu vielleicht ein Wimpel vom MSV, ein Trikot. Von Fanartikeln konnte man in den 70ern jedenfalls noch nicht sprechen. Der Onkel oder welcher männliche Verwandte auch immer hatte sich verhört. Aus dem HSV war der MSV geworden. Und der Junge im Osten nahm die Dinge mit einer weisen Gelassenheit, die normalerweise nur Menschen mit langer Lebenserfahrung  aufbringen. Mit ein wenig System-Abstand bleibt es eben gleich, mit welchem Verein aus dem Westen man als Fan den Sinn seines Fußball-Daseins findet. Und so häufig kamen die Verwandten aus dem Westen nun auch nicht.

Das Spiel endete mit einem 2:0-Sieg für den MSV Duisburg. Das 1:0 war ein Selbsttor des Wolfsburger Peter Kleeschätzky und das 2:0 erzielte Uwe Spies, der bei den Heimspielen in Duisburg ja immer einen schweren Stand beim Publikum hatte.  Nach dem Spiel bin ich in Wolfsburg geblieben, um mit dem Linienbus zum angeheirateten Neffen nach Braunschweig zu fahren. Ich ging vom Stadion aus zu Fuß Richtung Innenstadt und wartete bei einer Schale Pommes auf meinen Bus. Am Nebentisch saßen drei jugendliche Wolfsburger Fans. Sie hatten die Niederlage schon weggesteckt und unterhielten sich über ihre Fahrten zu Auswärtsspielen ins Ruhrgebiet. Sie waren sich einig, dort niemals leben zu können. So verödet war ihnen die Gegend zwischen Dortmund und Bochum vorgekommen. Fünfzehn Minuten vorher hatte ich beim Anblick von fünfzig Meter Fußgängerzone mit Sonnenstudio oder Spielhalle oder Jeans-Shop noch gedacht, das wirkt ja sogar noch trostloser als in Duisburg. Und in den 90ern war die Königstraße sehr trostlos am Abend. Heimat kann überall sein.


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