Ich kann mir gut vorstellen, dass die Verleger von Deutschlands Tageszeitungen aus Sorge um die verkaufte Auflage ihrer Zeitung allmählich zu ungewöhnlichen Marketing-Maßnahmen greifen, um die weiterhin vorhandene Relevanz ihres Mediums der Öffentlichkeit zu verdeutlichen. Möglicherweise hat Alfred Neven DuMont, Verleger des Kölner Stadt-Anzeiger, selbst dafür gesorgt, dass die A3 hinter dem Hildener Kreuz wegen Bauarbeiten am Samstagmittag nur einspurig befahrbar war. Schließlich widmete sich seine Zeitung am selben Tag als Aufmacherthema dem Verkehrskollaps in NRW. Samstagmittag, ein zehn Kilometer langer Stau, völliger Stillstand auf der A3 anderthalb Stunden vor dem Anpfiff des Spiels vom MSV Duisburg gegen die SpVgg Fürth kurz hinter der Ausfahrt Langenfeld, und die Zukunft der Regionalzeitung scheint wieder etwas gesicherter, denn der Kölner Stadt-Anzeiger berichtet „kritisch“ und kennt die Hintergründe. Wir aber kennen die Ausweichstrecken und kommen etwa drei Minuten nach dem Anpfiff im Stadion an.
So brauchte ich mich nicht vor dem Fürther Abseitstor erschrecken, sondern konnte mich in Ruhe erst einmal orientieren. Erwartungsgemäß spielte Branimir Bajic wieder für Daniel Reiche. Dass Manuel Schäffler nicht spielte, war ebenfalls möglich gewesen, wenn auch der ihn ersetzende Filip Trojan sich offensichtlich auf einer anderen Position wohler fühlt als als Stürmer. Aber wieso spielte Benjamin Kern als rechter Außenverteidiger und Julian Koch im Mittelfeld für Ivica Grlic? Die Frage ging an den Nebenmann, und ich erfuhr, dass Grlic keineswegs verletzt war, sondern aus taktischen Gründen auf der Bank saß. Wenn das klappte, so dachte ich, war es ein Beweis mehr für die Qualität des MSV Duisburg in dieser Saison. Die Mannschaft erwiese sich als variabler in der Spielanlage, wenn sie auf einen Spieler verzichten könnte, der zu den ersten Erfolgen dieser Saison entscheidend beigetragen hat. Was von Milan Sasic geplant war, gelang tatsächlich, allerdings nur in der ersten Halbzeit.
Die Mannschaft des MSV Duisburg wirkte schnell leicht überlegen und schien das Spiel im Griff zu haben. Torgefahr ergab sich einmal recht früh durch Stefan Maierhofer und schließlich nach einem von Benjamin Kern geschossenen Freistoß durch einen Kopfball von Goran Sukalo. Den Ball hatte ich schon im Tor gesehen, doch der Fürther Torwart Max Grün zeigte einen glänzenden Reflex und lenkte den Ball noch über die Latte. Während ich noch zum Freund sagte, allmählich schießen sie sich ein, flog der von Filip Trojan getretene Eckball schon in den Strafraum und erneut kam Goran Sukalo zum Kopfball. Dieses Mal hatte Max Grün keine Chance zur Abwehr. Der MSV Duisburg führte 1:0. Ich konnte mich immer wieder an gelungenen Einzelaktionen freuen, sah den erneut beeindruckenden Auftritt von Julian Koch und zwei weitere große Chancen, ein Kopfball durch Koch knapp über das Tor und ein ungemein harter Schuss aus etwa achtzehn Metern durch Olcay Sahan. Erneut zeigte Max Grün seine Klasse und verhinderte ein weiteres Tor des MSV.
Kurz vor der Halbzeitpause blitzte mit einem Mal die Torgefahr der Fürther auf. Die MSV-Abwehr wurde mit einem steilen Pass überspielt, doch David Yeldell konnte den schwachen Schuss des Fürther Stürmers aufnehmen. Dieser Angriff war eine Art Vorausblick auf die zweite Halbzeit. Dass der MSV Duisburg die Führung in dieser zweiten Halbzeit behaupten konnte, war weniger der guten Abwehrleistung zu verdanken als der Abschlussschwäche der Fürther. Zwei sehr, sehr große Fürther Chancen endeten als Schüsse über das Tor. Neben diesen sehr, sehr großen Chancen gab es noch eine Reihe von großen Chancen. Die Mannschaft des MSV Duisburg hatte sich zu weit zurückgezogen und konnte keinen Gegendruck entwickeln, als die Fürther Angriffe erst einmal ins Rollen gekommen waren. Auch David Yelldell erwies sich in dieser Phase als Torwart der guten Reflexe.
Die Spieler des MSV Duisburg kämpften zwar aufopferungsvoll, doch ich fürchtete immer mehr, es könnte nicht reichen, die Führung über die Zeit zu bringen. Eine einzige Chance gab es in diesem Spielabschnitt für den MSV Duisburg. Doch Filip Trojan ist nicht der schussstarke Strafraumstürmer, den es in dieser Situation brauchte. Ab der fünfundsiebzigsten Minute herum keimte meine Hoffnung auf den Sieg wieder auf. Olcay Sahan verhinderte auf seiner Seite kurz nacheinander nicht nur mit eindrucksvollem Einsatz Angriffe der Fürther, sondern die gewonnenen Bälle konnten nun wieder durch kontrollierte Angriffe in die Fürther Hälfte gebracht werden. Schließlich die Erlösung: Goran Sukalo köpfte nach einer Ecke von Benjamin Kern sein zweites Tor. Was für eine Erleichterung! Im Bericht der Sportschau war stellvertretend für unser aller erleichtertes Seufzen nach dem Jubel Milan Sasic bei der gemeinsamen Freude mit Bruno Hübner zu sehen. Auch er seufzte erleichtert aus, auch er hatte offensichtlich um diese Führung gebangt.
In den letzten Minuten wurde deutlich, wie viel Kraft die Spieler des MSV Duisburg in diesem Spiel gelassen hatten. Diese Spieler gingen an ihre Reserven. Dennoch gab es Chancen auf ein drittes Tor. Olcay Sahan war in diesen Minuten weiter unermüdlich in seinem Vorwärtsdrang und in seinem Willen den verlorenen Ball zurück zu erobern. Eigentlich müssten allesamt erwähnt werden. Der eingewechselte Maurice Exslager etwa zeigte ein paar gelungene Aktionen und konnte nach einem Anspiel fast immer etwas Sinnvolles mit dem Ball anfangen.
Stefan Maierhofer will ich trotzdem noch gesondert erwähnen. Einen Spieler dieser Persönlichkeit habe ich beim MSV Duisburg lange vermisst. Dieser Mann verkörpert auf dem Spielfeld den bedingungslosen Siegeswillen. Er braucht anscheinend Reibereien und Aufregung für sein Spiel, ob das nun die Gegenspieler sind oder Balljungen, die den Ball zu schnell dem Gegner geben. So meine ich jedenfalls den leichten Rüffel verstanden zu haben, der da hinter die Bande ging. Eine Mannschaft braucht in solchen Spielen der Bedrängnis solche Typen. Mit seiner Präsenz auf dem Spielfeld entwickelt er nicht nur psychische Energie für das eigene Spiel, sondern die psychische Energie der Mannschaft wächst ebenfalls, was wiederum auf die Zuschauerränge überschlägt und von dort erneut zurückgegeben werden kann.
Dann tragen auch wir Zuschauer zur mannschaftlichen Stärke bei. Als die Führung des MSV Duisburg am gefährdesten schien, war von den Rängen dieses unterstützende „EM-ES-VAU-EM-ES-VAU“ zu hören. Wenn dieser Schlachtruf im ganzen Stadion laut wird, spüren wir, in dem Moment geht es um alles. Mit diesem Rufen soll in Duisburg seit jeher den Spielern zu allerletzter Kraft verholfen werden. Mit diesem Rufen lösen wir Zuschauer die Grenze zwischen uns und den Spielern auf. Wir verschmelzen mit ihnen und werden zu einem Körper. Das sind die Momente, in denen das Gefühl von uns vollends Besitz ergreift, ein Teil von Sieg oder Niederlage zu sein. Das sind die Momente, in denen wir unsere Mannschaft größer machen können und uns selbst natürlich auch, wenn wir aufgehen in diesem großen Ganzen MSV Duisburg. Deshalb ist Fußball mehr als ein Geschäft. Deshalb überlege ich, ob ich es nicht doch am nächsten Sonntag nach Aachen schaffe.
Und für die Zukunft noch der kurze Hinweis an alle autofernreisenden MSV-Fans: eine erste Orientierung zur Verkehrslag bietet im Netz die Seite Verkehrsinfo.nrw. Und wo wurde die Technik dieser Seite entwickelt? An der Universität Duisburg! Auch wenn ich das aus lokalpatriotischen Überlegungen für eine erwähnenswerte Sache halte, will ich nicht so weit gehen und behaupten, die regelmäßige Anreise von Zuschauern des MSV Duisburg über die A3 war der hauptsächliche Anlass für die Entwicklung dieser Software.
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