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Gastbeitrag: Klaus Hansen überfällt die „Postsaisonale Melancholie“

In gewisser Weise geht es heute schon wieder um eine Debatte – nämlich die, wie sich der Fußball als Unterhaltungsbranche entwickelt und was dabei verloren geht. Nachdem sich Klaus Hansen über den Aufstieg des MSV gefreut hatte, wurde er wehmütig und hat die Gründe dafür im Fußball der Gegenwart gefunden. Dabei hatte er zunächst nur über die Spielweise des MSV nachgedacht. Allerdings muss ich hinzufügen, Klaus Hansen hatte das letzte versöhnliche Spiel gegen Zwickau noch nicht gesehen, als er den Text geschrieben hatte. Der Sozialwissenschaftler Klaus Hansen kommt seit der ersten Bundesliga-Saison zu den Spielen des MSV. Mehrmals waren in diesen Räumen hier schon Gastbeiträge von ihm zu lesen.

Postsaisonale Melancholie

Paul Auster sagt, dass es im Sport „Gewinner und Verlierer gibt“; aber das ist banal. Nicht banal und geradezu tiefgründig ist seine Feststellung: Im Sport gibt es „viel mehr Verlierer als Sieger“. Eine Erkenntnis, die selbst auf höchster Erfolgsstufe gilt: Bayern München hat 27mal die die Deutsche Fußballmeisterschaft errungen – 83mal aber nicht. Real Madrid hat 11mal das europäische Championat gewonnen – 51mal aber nicht. Brasilien ist 5mal Weltmeister geworden – 15mal aber nicht.

Was Paul Auster nicht wissen kann, weil er Amerikaner ist und die großen amerikanischen Sportarten kein Unentschieden kennen, ist die Tatsache, dass nicht verloren haben muss, wer nicht gewonnen hat. Der genossenschaftlichen Punkteteilung sei Dank! (Leider durch die 3-Punkte-Regelung verwässert.) Das Remis erlaubt es sogar, dem Nichtverlieren Priorität vor dem Gewinnen einzuräumen.  Dazu passt natürlich die Zielsetzung für die kommende Saison in der 2. Liga: nicht absteigen!

Ans Gewinnen denkt in Meiderich schon lange keiner mehr. – Wie kann ein Verein ohne Titel, dem der Glauben abhanden gekommen ist, je auch nur einen Titel von Belang erringen zu können, vor seinen Fans, zumal den nachkommenden, bestehen? Indem er ohne Unterlassung für Spannung sorgt. Schon seit Jahren ist der Abstiegskampf in der Bundesliga spannender als der Meisterschaftskampf, und darum interessanter.

Sorgt für Spannung, Zebras, und überwindet den „Beamtenfußball“ dieser Saison, geht Risiko ein, macht Dinge, für die euch der liebe Gott nicht vorgesehen hat! Und wenn es nach unten geht, aber spannend, bleiben auch die Fans bei der Stange. Denn mit eben dieser Spannung kann es auch wieder nach oben gehen. – Dies schreibt ein Herzensfan, der alle ökonomischen Belange des modernen Fußballs hier einmal außen vor lässt.

Aber wir alten Fans, die wir zwischen 60 und 70 sind, kommen alle aus dem Amateurfußball, der uns geprägt hat. Vielleicht ist es gut, dass wir aussterben. Denn der Berufsfußball kann mit uns und wir mit ihm wenig anfangen. Die neuen Fußballfans sind von ESC-Fans nicht mehr zu unterscheiden. Die neuen Stadion-Sprecher – siehe RB Leipzig – sind von glamourösen Show-Moderatoren des Unterhaltungsfernsehens auch nicht mehr zu unterschieden. Das geht alles in eine Richtung, die nicht mehr meine Richtung ist. Das Schlimme ist die Ausweglosigkeit. Ich gehe zu einem Spiel letzten Kreisklasse Rhein-Erft, wo man nicht mehr absteigen kann, weil es darunter nichts mehr gibt. Aber auch da tragen die Spieler Trikots mit Sponsoren-Namen auf der Brust; selbst da bedankt man sich vor dem Anpfiff über Megaphon beim edlen Spender, „der für das heutige Spiel den Ball zur Verfügung gestellt hat.“ Der Fußball als Werberahmenprogramm ist nicht mehr mein Fußball.

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Fundstück: Paul Auster über Sport und Verlieren

Neulich habe ich den Briefwechsel von Paul Auster und John M. Coetzee gelesen, zwei internationale Stars der Literatur, um mal in der spartenübergreifenden Schlgzeilensprache der Unterhaltungsbranchen zu bleiben. Auster schreibt als US-Amerikaner mit starken Wurzeln in der europäischen Literaturtradition, und Coetze ist Nobelpreisträger aus Südafrika. Die Nähe zu englischer Kultur liegt auf der Hand. Ihre Briefe wirken auf mich wie eine nette Plauderei. Manchmal tauchen Gedanken auf, die zu vertiefen sich lohnen. Das geschieht ohne große Systematik. Sie beschreiben Phänomene und versuchen sich und die Welt zu verstehen und zu ordnen. Plaudernd ergeben sich viele Worte in der Zeit zwischen Juli 2008 und August 2011.

Beide Schriftsteller interessieren sich sehr für Sport, sowohl aktiv als auch vor dem Fernsehen. Dadurch kommen sie auch auf ihre Sportleidenschaft zu sprechen. Paul Auster macht sich anlässlich der Fußball-WM 2010 ein paar Gedanken über die Bedeutung von Sport im Allgemeinen und Verlieren im Besonderen.

Im Sport gibt es Gewinner und Verlierer; was keiner gern sagen will (ist es zu offensichtlich?): Es gibt viel mehr Verlierer als Sieger. […] Sport lehrt uns mehr über das Verlieren als über das Siegen, weil einfach so viele von uns nicht gewinnen. Vor allem aber lehrt er, dass es okay ist zu verlieren. Verlieren ist nicht das Schlimmste auf der Welt, weil im Sport, anders als im Krieg, dem Verlierer nicht vom Sieger die Kehle durchgeschnitten wird.

Man denke an den außerordentlich interessanten Moment im Leben eines kleinen Jungen, wenn er vom Sport als Spiel, bei dem ihn die Erwachesen oder älteren Jungen die ganze Zeit haben gewinnen lassen und ihm ganz allgemein das Gefühl verschaffen, dass er ein kleiner König ist, zum Echten übergeht, bei dem man, wenn man den Ball nicht trifft, ausscheidet […] Das versetzt der Psyche des Jungen einen Schock. Er möchte heulen, einen Wutanfall haben […] Er möchte die Realität seinem Ego unterwerfen. Aber damit erreicht er nichts. „Stell dich nicht so an, Kleiner!“ Aber auch: „Stell dich nicht so an, Kleiner – du bekommst eine neue Chance.“

Weil das die große Lehre des Sports ist. Man verliert die ganze Zeit, aber solange du im Spiel bleibst, gibt es immer ein Morgen, wieder eine Chance, sich hervorzutun.

Paul Auster, J.M. Coetzee: Von hier nach da. Briefe 2008 – 2011, Fischer Verlag 2014, S. 191f

Das können wir jetzt natürlich weiterdenken. Paul Auster spricht von der Erfahrung, selbst Sport zu treiben, ist aber angeregt worden durch sein so großes Interesse am professionellen Sport. Da scheinen die Widersprüche am Horizont auf. „Solange du im Spiel bleibst“. Darum geht´s.

Der MSV etwa bleibt zwar im Spiel, aber wir brauchen nicht weiter darüber zu reden, wie groß die „neue Chance“ tatsächlich ist, nicht nur für den MSV sondern für die meisten Vereine in dieser Unterhaltungsbranche Fußball. Wir glauben trotzdem an diese neue Chance. Wir haben schließlich dasselbe gelernt wie Paul Auster. Wir glauben trotzdem daran, dass der MSV nach einem Aufstieg mit einem Mini-Etat den Klassenerhalt in der 2. Liga schaffen wird.

Wenn ich allerdings an mein immer weniger vorhandenes Interess an Bundesliga, Champion League denke, so merke ich, der Widerspruch bohrt untergründig etwas in mir an, was der Unterhaltungsbranche Fußball die Grundlage seiner Existenz entzieht. Da bewegt sich was. Ich weiß noch nicht, wohin.


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