Das ist doch schon mal was. Selbstbewusst nennt sich kaum einer mehr Rassist. Das kommt gleich hinter dem Nazi. Das ist eine sehr klare Einsicht, die wir aus den öffentlichen Debatten nach dem Abbruch des Spiels zwischen dem MSV und dem VfL Osnabrück gewinnen können. Jeder betonte, er sei gegen Rassismus. Da müssten also viele Türen in Deutschland offen stehen, in die alle vom Rassismus betroffenen Menschen gehen könnten. Dann ließen sich lange Gespräche führen über Erfahrungen der Diskrimierung und der rassistischen Ächtung. Es könnten besondere Empfindlichkeiten ausgesprochen werden, die entstehen, wenn sich jemand sein Leben lang benachteiligt fühlt.
Die Menschen könnten sich gegenseitig zuhören. Gegenseitig! Vielleicht empfinden die einen ja tatsächlich manchmal auch etwas als rassistisch, was die anderen nicht rassistisch meinten. Mit diesem letzten Satz bewege ich mich tief in die Rassismusdebatte hinein. Denn ich kenne die Forderungen der von Rassismus Betroffenen, dass ihnen endlich zugehört werde. Dass endlich sie sprechen, Weiße hätten lange genug geredet. Allerdings habe ich von privaten Unterhaltungen gesprochen. Eine Debatte in der Öffentlichkeit erfolgt nach anderen Regeln. In der Öffentlichkeit spielen sofort soziale Regeln eine Rolle. Wenn in der Öffentlichkeit darüber diskutiert wird, wie was gemeint gewesen sein sollte, führt das schnell zu den Fallstricken von Deutungshoheit und der ihr zugrunde liegenden Macht. Man entkommt dem strukturellen Rassismus dann nicht mehr.
Damit sind wir zurück bei dem, was uns seit Sonntag beschäftigt. Auch weil kaum einer mehr sich mit dem Rassisten als Ehrentitel schmücken will, drängen viele MSV-Fans darauf, die Wahrheit des Geschehens sei eine ganz andere gewesen. Sie nehmen Augenzeugen ernst, die bestätigen, nicht der Spieler Aaron Opoku sei mit der Beschimpfung „Affe“ gemeint gewesen, sondern sein weißer Mitspieler, der den Eckstoß ausführen wollte. Affenlaute habe es zudem nicht gegeben. Haben die Verantwortlichen des MSV sich also vorschnell zerknirscht gezeigt und den Rassismus voreilig verurteilt?
Die eindeutige Antwort lautet: Nein! Denn die Aussage der Spielleitung hatte für alle Verantwortlichen das entscheidende Gewicht. Laut Presse teilte der Schiedsrichter mit, sein Linienrichter habe Affenlaute gehört. Im Nachhinein (!) erst konzentriert sich die Schilderung des Geschehens auf die Tribüne. Während der entscheidenden Minuten waren das Schiedsrichtergespann und die Spieler die Akteure des Geschehens. Der Schiedsrichter bricht das Spiel ab. Dadurch hat er den rassistischen Vorfall zu einem Tatbestand gemacht. Der rassistische Vorfall war in diesem Moment als Fakt in der Welt. Daran war nichts zu ändern. Auf diesen Fakt musste der MSV kurz nach dem Spielabbruch reagieren. Dazu mussten sich Martin Haltermann und Ingo Wald verhalten. Das haben sie gut gemacht. Die Aufklärung nun kann nicht Sache des Vereins sein. Das muss die Aufgabe der Polizei sein.
Lassen wir das Sportliche mal außen vor und schauen auf den Ruf des MSV. Der MSV und seine Fans wurden von den überregionalen Medien als vorbildhaft wahrgenommen. Es gibt keine Kollektivschuld. Direkt nach dem Spiel betonte der Geschäftsführer des VfL Osnabrück Michael Welling, es ginge nicht um den MSV oder VfL, es ginge um eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Der MSV wird keineswegs auf besondere Weise mit dem Rassismus in Verbindung gebracht.
Ist denn der MSV jetzt einer Ungerechtigkeit ausgesetzt gewesen? Ich finde das nicht und zwar deshalb, weil der betreffende Zuschauer anscheinend sehr viel dazu beigetragen hat, einem möglichen Missverständnis Vorschub zu leisten. Dieses Missverständnis scheint der betreffende Zuschauer billigend in Kauf genommen zu haben. Um den Vorwurf des Rassismus als gerechtfertigt zu erachten, scheint dieser Zuschauer einige Anstrengungen unternommen zu haben. Warum sonst soll sich Leroy Kwadwo, ein Spieler der eigenen Mannschaft, ebenfalls beschimpft gefühlt haben? Warum erschrak der Zuschauer nicht, als Aaron Opoku sich offensichtlich gemeint gefühlt hat? Und jetzt kommt mir keiner mit dem normalen rauen Umgangston im Stadion. Ihr wolllt alle keine Rassisten sein. Dann müsst ihr ernst nehmen, wenn sich jemand rassistisch behandelt fühlt. Und ihr müsst dazu beitragen, dass derjenige eurer Aussage vertraut, ich will dich nicht rassistisch behandeln.
Wenn ich die Bilder des Spiels sehe, herrscht dort an der Ecke doch die Atmosphäre eines Kreisligaspiels. Da lassen sich die einzelnen Sätze gut verstehen. Da lässt sich ein Missverständnis ausräumen. Wenn ich das will. Wenn ich klar haben möchte, Florian Kleinhansl habe ich gemeint, dann sage ich das, so wütend ich auch noch bin. Der betreffende Zuschauer scheint dazu nicht in der Lage gewesen zu sein. Es bleibt die Verantwortung für das Geschehen bei ihm hängen.
Im Blick auf den Fortschritt zu einer humaneren Gesellschaft lässt sich aus dem Geschehen vom Sonntag weiterhin viel lernen. Für mich ist nicht die zentrale Botschaft dieses Sonntags, im Duisburger Stadion lassen wir keinen Rassismus zu. Das ist die selbstverständliche Haltung, die ich von Zebrafans und vom MSV erwarte. Für mich lautet die zentrale Botschaft, nehmt in eurem Alltag euer Bekenntnis zum Anti-Rassismus ernst. Hört nicht auf oder beginnt, einem Mann wie Aaron Opoku zuzuhören. Gebt ihm das Gefühl, er gehört zu euch. Verhelft ihm dazu, dass er sich nicht als erster gemeint fühlt, wenn er eine solche Beschimpfung wie am Sonntag hört. Verhelft ihm dazu, dass er seinen Kumpel Florian angrinst und ihm zuflüstert, der Typ hat recht, du kannst keine Ecken. Und danach kann Leo Weinkauf mit der leicht abgefangen Ecke durch einen weitem Abwurf den Konter zum Führungstor einleiten.
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