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Anti-Rassismus zum zweiten – Von Verantwortung und Haltung

Das ist doch schon mal was. Selbstbewusst nennt sich kaum einer mehr Rassist. Das kommt gleich hinter dem Nazi. Das ist eine sehr klare Einsicht, die wir aus den öffentlichen Debatten nach dem Abbruch des Spiels zwischen dem MSV und dem VfL Osnabrück gewinnen können. Jeder betonte, er sei gegen Rassismus. Da müssten also viele Türen in Deutschland offen stehen, in die alle vom Rassismus betroffenen Menschen gehen könnten. Dann ließen sich lange Gespräche führen über Erfahrungen der Diskrimierung und der rassistischen Ächtung. Es könnten besondere Empfindlichkeiten ausgesprochen werden, die entstehen, wenn sich jemand sein Leben lang benachteiligt fühlt.

Die Menschen könnten sich gegenseitig zuhören. Gegenseitig! Vielleicht empfinden die einen ja tatsächlich manchmal auch etwas als rassistisch, was die anderen nicht rassistisch meinten. Mit diesem letzten Satz bewege ich mich tief in die Rassismusdebatte hinein. Denn ich kenne die Forderungen der von Rassismus Betroffenen, dass ihnen endlich zugehört werde. Dass endlich sie sprechen, Weiße hätten lange genug geredet. Allerdings habe ich von privaten Unterhaltungen gesprochen. Eine Debatte in der Öffentlichkeit erfolgt nach anderen Regeln. In der Öffentlichkeit spielen sofort soziale Regeln eine Rolle. Wenn in der Öffentlichkeit darüber diskutiert wird, wie was gemeint gewesen sein sollte, führt das schnell zu den Fallstricken von Deutungshoheit und der ihr zugrunde liegenden Macht. Man entkommt dem strukturellen Rassismus dann nicht mehr.

Damit sind wir zurück bei dem, was uns seit Sonntag beschäftigt. Auch weil kaum einer mehr sich mit dem Rassisten als Ehrentitel schmücken will, drängen viele MSV-Fans darauf, die Wahrheit des Geschehens sei eine ganz andere gewesen. Sie nehmen Augenzeugen ernst, die bestätigen, nicht der Spieler Aaron Opoku sei mit der Beschimpfung „Affe“ gemeint gewesen, sondern sein weißer Mitspieler, der den Eckstoß ausführen wollte. Affenlaute habe es zudem nicht gegeben. Haben die Verantwortlichen des MSV sich also vorschnell zerknirscht gezeigt und den Rassismus voreilig verurteilt?

Die eindeutige Antwort lautet: Nein! Denn die Aussage der Spielleitung hatte für alle Verantwortlichen das entscheidende Gewicht. Laut Presse teilte der Schiedsrichter mit, sein Linienrichter habe Affenlaute gehört. Im Nachhinein (!) erst konzentriert sich die Schilderung des Geschehens auf die Tribüne. Während der entscheidenden Minuten waren das Schiedsrichtergespann und die Spieler die Akteure des Geschehens. Der Schiedsrichter bricht das Spiel ab. Dadurch hat er den rassistischen Vorfall zu einem Tatbestand gemacht. Der rassistische Vorfall war in diesem Moment als Fakt in der Welt. Daran war nichts zu ändern. Auf diesen Fakt musste der MSV kurz nach dem Spielabbruch reagieren. Dazu mussten sich Martin Haltermann und Ingo Wald verhalten. Das haben sie gut gemacht. Die Aufklärung nun kann nicht Sache des Vereins sein. Das muss die Aufgabe der Polizei sein.

Lassen wir das Sportliche mal außen vor und schauen auf den Ruf des MSV. Der MSV und seine Fans wurden von den überregionalen Medien als vorbildhaft wahrgenommen. Es gibt keine Kollektivschuld. Direkt nach dem Spiel betonte der Geschäftsführer des VfL Osnabrück Michael Welling, es ginge nicht um den MSV oder VfL, es ginge um eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Der MSV wird keineswegs auf besondere Weise mit dem Rassismus in Verbindung gebracht.

Ist denn der MSV jetzt einer Ungerechtigkeit ausgesetzt gewesen? Ich finde das nicht und zwar deshalb, weil der betreffende Zuschauer anscheinend sehr viel dazu beigetragen hat, einem möglichen Missverständnis Vorschub zu leisten. Dieses Missverständnis scheint der betreffende Zuschauer billigend in Kauf genommen zu haben. Um den Vorwurf des Rassismus als gerechtfertigt zu erachten, scheint dieser Zuschauer einige Anstrengungen unternommen zu haben. Warum sonst soll sich Leroy Kwadwo, ein Spieler der eigenen Mannschaft, ebenfalls beschimpft gefühlt haben? Warum erschrak der Zuschauer nicht, als Aaron Opoku sich offensichtlich gemeint gefühlt hat? Und jetzt kommt mir keiner mit dem normalen rauen Umgangston im Stadion. Ihr wolllt alle keine Rassisten sein. Dann müsst ihr ernst nehmen, wenn sich jemand rassistisch behandelt fühlt. Und ihr müsst dazu beitragen, dass derjenige eurer Aussage vertraut, ich will dich nicht rassistisch behandeln.

Wenn ich die Bilder des Spiels sehe, herrscht dort an der Ecke doch die Atmosphäre eines Kreisligaspiels. Da lassen sich die einzelnen Sätze gut verstehen. Da lässt sich ein Missverständnis ausräumen. Wenn ich das will. Wenn ich klar haben möchte, Florian Kleinhansl habe ich gemeint, dann sage ich das, so wütend ich auch noch bin. Der betreffende Zuschauer scheint dazu nicht in der Lage gewesen zu sein. Es bleibt die Verantwortung für das Geschehen bei ihm hängen.

Im Blick auf den Fortschritt zu einer humaneren Gesellschaft lässt sich aus dem Geschehen vom Sonntag weiterhin viel lernen. Für mich ist nicht die zentrale Botschaft dieses Sonntags, im Duisburger Stadion lassen wir keinen Rassismus zu. Das ist die selbstverständliche Haltung, die ich von Zebrafans und vom MSV erwarte. Für mich lautet die zentrale Botschaft, nehmt in eurem Alltag euer Bekenntnis zum Anti-Rassismus ernst. Hört nicht auf oder beginnt, einem Mann wie Aaron Opoku zuzuhören. Gebt ihm das Gefühl, er gehört zu euch. Verhelft ihm dazu, dass er sich nicht als erster gemeint fühlt, wenn er eine solche Beschimpfung wie am Sonntag hört. Verhelft ihm dazu, dass er seinen Kumpel Florian angrinst und ihm zuflüstert, der Typ hat recht, du kannst keine Ecken. Und danach kann Leo Weinkauf mit der leicht abgefangen Ecke durch einen weitem Abwurf den Konter zum Führungstor einleiten.

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Erwin Kostedde und Gerald Asamoah über Rassismus im ZEIT-Magazin gibt Anlass zur Erinnerung

In der Saison 1967/68 spielte Erwin Kostedde beim MSV Duisburg. Er war aus der Regionalliga von Preußen Münster gekommen und hatte dort als Mittelstürmer überzeugt. In Münster war der 1946 geborene Sohn einer Deutschen und eines afroamerikanischen US-Soldaten auch aufgewachsen. In seinem ersten Jahr in der Bundesliga scheint er beim MSV seine Leistungen in Münster nicht bestätigt haben zu können. In 19 Spielen erzielte er fünf Tore. Nach seiner Karriere erzählte Erwin Kostedde mehrmals, ihm sei sein Erfolg zu Kopf gestiegen. Er habe die Nächte zum Tag gemacht. Seine Einstellung habe nicht mehr gestimmt. Deshalb sei es zum Konflikt mit dem Trainer Gyula Lorant gekommen.

Erst nach seinem Wechsel zu Standard Lüttich nahm die Karriere wirklich Fahrt auf. Er wurde einer der erfolgreichsten deutschen Mittelstürmer seiner Zeit. Allerdings entwickelte sich seine Karriere nahezu zeitgleich mit der von Gerd Müller, der noch ein wenig erfolgreicher war. Nach dem Rücktritt von Gerd Müller aus der Nationalmannschaft wurde er 1974 der erste farbige deutsche Nationalspieler. Da spielte er bei Kickers Offenbach. Seinerzeit war er auch mir als jungem MSV-Fan ein Begriff für Torgefahr, ohne dass ich ihn mit meinem Verein verbunden hätte. Niemand in meinem Umfeld erzählte über seine MSV-Zeit. Davon erfuhr ich erst sehr viel später, als ich mich mehr für die Geschichte des deutschen Fußballs interessierte.

Anlass für die kurze Erinnerung ist ein eindrucksvolles Gespräch im ZEIT-Magazin, das Stephan Lebert und Stefan Willecke mit Erwin Kostedde und Gerald Asamoah geführt haben. Im Kern geht es um den erlebten Rassismus von beiden im Fußball und Alltag. Zu lesen ist das Interview nur für Abonennten. Man kann sich das Gespräch aber anhören. Unterhalb des Vorspanns auf der Seite gibt es ein leicht übersehbares Icon „Anhören“. Computergeneriert strengt das Hören auf Dauer zwar etwas an, doch ist das ein nicht gering zu schätzender Service.

Für Kostedde bedeutete Rassismus auch 1990 eines Raubüberfalls verdächtigt zu werden. Ein „Schalke-Fan“, so betont Erwin Kostedde, war Zeuge des Überfalls und meinte, ihn als Täter identitifizieren zu können. Dabei war anscheinend das einzige, was der Zeuge wirklich erkannt hatte: der Täter war farbig gewesen. Bei der Gegenüberstellung wurde ihm nur Erwin Kostedde gezeigt. Da war der Zeuge sich dann erst einmal sicher. Ein halbes Jahr U-Haft führte zum psychischen Zusammenbruch von Erwin Kostedde.

Erwin Kostedde und Gerald Asamoah gehören zwei unterschiedlichen Fußballergenerationen an. Im Gespräch wird klar erkennbar, wie sich daraus auch verschiedene Möglichkeiten ergeben, Erfahrungen des Rassismus zu bewältigen. In einem für die Gesellschaft insgesamt bedeutsamer gewordenen Fußball hat Gerald Asamoah mehr Unterstützung erhalten als Erwin Kostedde.

Zurück zum Fußballer Erwin Kostedde. Im folgenden Clip ist das Spiel von Kickers Offenbach gegen Bayern München am ersten Spieltag der Bundesligasaison 1974/75 zu sehen. Erwin Kostedde erzielt zwei Tore und ist mit Siggi Held laut Kommentator der „Starspieler“ der Offenbacher. Ein schönes Zeitdokument nicht nur wegen der wehenden Haare bei fast allen Spielern. Klaus Wunder machte zudem sein erstes Spiel für Bayern München. Er war gerade vom MSV zu den Bayern für eine Rekordablösesumme gewechselt. Der Kommentator merkte allerdings an, er habe mehr verteidigen müssen als stürmen zu können. Wobei das Verteidigen damals eine sehr gemächliche Betätigung war.

Halbzeitpausengespräch – Marseille.73 von Dominique Manotti

Mit großer Wucht trifft der zuletzt veröffentlichte Roman von Dominique Manotti über die Wirklichkeit von Marseille im Jahr 1973 auf die deutsche Gegenwart. Oft begnügen sich historische Kriminalromane mit Kulissenschieberei zum unterhaltenden Zeitvertreib. Dominique Manotti dagegen schreibt Texte der Aufklärung mit der Nebenwirkung Unterhaltung. Marseille.73 heißt ihr Roman, der auch ein Krimi ist, vor allem aber eine genaue Erzählung über die Arbeit im Polizeiapparat und die widerstreitenden, zum Teil politisch motivierten Kräfte bei der Aufklärung von rassistischen Verbrechen.

Elf Jahre nach der Unabhängigkeit Algeriens sind eingewanderte Algerier immer wieder Opfer von Gewalttaten. Südfranzösische Unternehmen nehmen die billigen Arbeitskräfte zwar gerne, doch durch ein Gesetzesvorhaben in Paris wird deren Aufenthaltsstatus prekär. Nationalisten und Rechtsextremisten fühlen sich dadurch in ihrem rassistischen Denken bestätigt. Sie handeln immer radikaler, was nichts anderes bedeutet als gewaltvoller. Algerische Migranten werden ermordet.  Ermittelt wird, wenn überhaupt, wenig. Für die Öffentlichkeit bleiben die Taten Auseinandersetzungen im Einwanderermilieu. Weil mit Kommissar Daquin ein Ortsfremder seine Arbeit in Marseille aufnimmt, wird die eingespielte Abwicklung gestört.

Das französische Original hat einen schön bebilderten Clip zur Werbung erhalten, in dem die Geschichte von Dominique Manotti kurz vorgestellt wird. Der Argument Verlag hat ihn mit Untertiteln versehen. Voilá!
Da die Einbindung nicht funktioniert, hier der Link.

Dominique Manotti nutzt eine Momentaufnahme aus der französischen Geschichte quasi-dokumentarisch, um mit ihr vor allem einen Blick auf das System Polizei zu werfen, das Rassismus begünstigt. Sie macht verständlich, warum Ermittlungen nicht vorurteilsfrei erfolgen, selbst wenn nur wenige Polizisten im rechtsextremen Milieu zu Hause sind. Da geht es dann auch um den Ruf der Polizei, um Korpsdenken, um Macht im Apparat und um Politik. Für deutsche Leser wirkt trotz aller Unterschiede zwischen politischen Hintergründen und dem Aufbau der Polizeiinstitutionen beider Länder dieser Blick angesichts der Erinnerung an die Ermittlungen bei den NSU-Morden erhellend und beklemmend. 

Um das rassistische Geschehen genau schildern zu können, verzweigt sich die Geschichte in viele Bereiche der Marseiller Gesellschaft. Dominique Manotti nutzt dazu ein großes Personal und verwebt viele, oft kurz bleibende Handlungsfäden. Dennoch schafft sie einen Sog der Spannung, wenn auch die Lektüre manchmal ein Nachblättern von Namen erforderte. Ihre karge, pointierte Sprache schafft das nötige besondere Tempo für einen solch komplex angelegten Roman. Ihre Figuren werden selbst in kurzen Skizzen lebendig.  In diesen Räumen konnte man Dominique Manotti schon mit ihrem Fußball-Roman Abpfiff kennenlernen. Wer das verpasste, sollte mit Marseille.73 nun den Anfang machen, um eine Quasi-Dokumentaristin und Sprachkünstlerin der französischen Romanliteratur zu entdecken. 

 

Dominique Manotti

Marseille.73

Aus dem Französischen von Iris Konopik.
Gebunden, 400 Seiten. Ariadne 1247.
ISBN 978-3-86754-247-0

€ 23,00

Nach dem Spiel ist vor dem Engagement

Als am Dienstagabend in Hochfeld zum Ball der Solidarität geladen war, verstanden das viele in Duisburg als eine Netzwerk-Veranstaltung von Vereinen und Organisationen, die sich für soziale und kulturelle Belange in Duisburg einsetzen. Ich hatte mir einen anderen Blickwinkel, eine andere Wirkung erhofft. Sei es drum. Öffentliche Resonanz hat der Ball gefunden. Funkes WAZ/NRZ verstärken diese Resonanz mit einem Bericht. Vielleicht lässt sich beim nächsten Mal diese andere Wirkung, die Aufmerksamkeit der Stadtöffentlichkeit und damit der Einfluss auf städtische Identität, besser erreichen.

Beim Ball waren auch wir Anhänger des MSV vertreten. „Mehr als Fußball“ lag aus als Beispiel, wie gemeinschaftlich durch das Crowdfunding die Erinnerung an kulturelles und identitätsstiftendes Stadtgeschehen ermöglicht wurde. Denn erst dadurch dass aufgeschrieben wurde, was im Sommer 2013 geschah, wird das Wirken der Bürger Duisburgs Teil der Erinnerungskultur dieser Stadt. Im Grunde war das Crowdfunding für das Buch eine Verlängerung der Fanaktionen des Sommers 2013.

Anwesend war zudem die Fan-Initiative Zebras stehen auf, die sich für ein Stadion ohne Rassismus und Diskriminierung einsetzt. Auch für diese Fans ist der MSV eben mehr als Fußball. Diese Anhänger machen im direkten Gespräch Basisarbeit in Sachen politischer Bildung. Fahrten werden organisiert zu geschichtsträchtigen Orten der deutschen Vergangenheit. Im direkten Erleben lassen sich die Auswirkungen von politischem Handeln tiefergehend erfahren. In diesem Jahr wird sich in Amsterdam auf die Spuren jüdischen Lebens begeben.

Doch diese Fan-Initiative ist nicht die einzige Gruppierung, deren Interesse für den MSV Duisburg nicht auf den Fußball beschränkt ist. Für die Mitglieder der Zebraherde ist der MSV seit jeher auch Kultur. Denn in dieser Zebraherde wurde sich besonders für die Belange des Vereins  MSV Duisburg eingesetzt. So gab es dort ein starkes Gegengewicht zu den kommerziellen Notwendigkeiten des Unterhaltungsbetriebs Fußball. Verbunden damit war auch zugleich die Pflege des kulturellen Gedächtnisses vom MSV Duisburg. Seit einiger Zeit übernimmt diese Gruppe außerdem eine Patenschaft für ein soziales Projekt für Waisenkinder in Tansania.

Die Zebrakids ermöglichen durch ihre Arbeit Kindern aus sozial schwierigen Lebensverhältnissen den Stadionbesuch. Für die Rainbow Zebras habe ich nur bei Facebook eine Seite gefunden. Sie setzen sich gegen Homophobie ein und jede Form von Diskriminierung. Ihre Anliegen sind mit denen von Zebras stehen auf in Teilen sicher deckungsgleich. Eine Fan-Initiative, die erst jüngst zusammen gefunden hat, setzt sich für die Eröffnung eines MSV-Museums ein.

Andere Fangruppierungen verstehen sich zwar nicht als Zusammenschluss mit einem besonderen sozialen oder kulturellen Anliegen, doch ich weiß, wie oft sich das Augenmerk in so vielen dieser Gemeinschaften auf soziale Bedürftigkeit richtet. Die Erlöse von Fanaktionen fließen dann in soziale Projekte. Oft soll davon kein Aufheben gemacht werden. Manchmal aber ist es notwendig daran zu erinnern, welche Kraft des sozialen Zusammenhalts an vielen Orten rund um den MSV Duisburg wirkt.

Gerne poste ich hier, was öffentlich werden soll. Oder wenn bei den  erwähnten Initiativen etwas hinzugefügt werden soll, ab in die Kommentare. Hinweis per Kontakt genügt aber auch.

Halbzeitpausengespräch: Heinrich Heine kannte Deutschland im Jahr 2015

Den in Köln aufgewachsenen Lutz Görner zieht es nach 15 Jahren in Weimar wieder zurück in seine Heimatstadt. Das habe ich heute morgen im Kölner Stadt-Anzeiger gelesen. Was mich an seine Heine-Rezitationen erinnerte. Heinrich Heines literarisches Werk wurde in Deutschland bis Anfang der 1980er Jahre immer wieder herabgesetzt, weil er sich auch als politischer Schriftsteller verstand, als politischer Lyriker gar. Der romantische Dichter Heine wurde gegen den politischen Schriftsteller ausgespielt. Ein rechts-konservatives Milieu der deutschen Gesellschaft wollte von solchen Werken nichts wissen, die eine konkrete politische Entwicklung kommentieren.

Wer sich Heines Gedicht „Die Wahlesel“ anhört oder es liest, wird sofort verstehen warum. Auch in der Gegenwart wirkt es als satirischer Kommentar zu nationalistischem Populismus jedweder Art. Die Zeiten haben sich geändert, nationalistischer Populismus ist derselbe geblieben.

Das Gedicht ist im Nachlass erschienen. Das genaue Entstehungsjahr habe ich auf die Schnelle nicht herausbekommen. Wahrscheinlich wird es Ende der 1840er Jahre entstanden sein, als Kommentar zu Debatten in der Frankfurter Paulskirche, wo ab Mai 1848 die Nationalversammlung tagte.

Ich poste es in zwei Rezitationsfassungen von Lutz Görner. Nehmt euch die kurze Zeit und hört euch wenigstens eine dieser ausdrucksstarken Auftritte an. Bei dem älteren Bühnenauftritt überraschte mich die Reife der Rezitationsstimme schon des jungen Lutz Görner. Mir war das nicht bewusst, auch wenn ich ich ihn bereits Mitte der 1980er Jahre im Kölner Schauspielhaus gesehen habe. Er war es, der mir zum ersten Mal die Gedicht-Rezitation als ein bereicherndes Kulturerleben nahe brachte.

In der anderen Fassung ist Lutz Görner einige Jahre älter und nicht minder ausdrucksstark. Die Wahlesel, ab Minute 4.17

Und wer das Gedicht nochmal nachlesen möchte, bitte schön:

Die Freiheit hat man satt am End,
Und die Republik der Tiere
Begehrte, dass ein einzger Regent
Sie absolut regiere.

Jedwede Tiergattung versammelte sich,
Wahlzettel wurden geschrieben.
Parteisucht wütete fürchterlich,
Intrigen wurden getrieben.

Das Komitee der Esel ward
Von Alt-Langohren regieret.
Sie hatten die Köpfe mit einer Kokard,
Die schwarz-rot-gold, verzieret.

Es gab eine kleine Pferdepartei,
Doch wagte sie nicht zu stimmen.
Sie hatte Angst vor dem Geschrei
Der Alt-Langohren, der grimmen.

Als einer jedoch die Kandidatur
Des Rosses empfahl, mit Zeter
Ein Alt-Langohr in die Rede ihm fuhr,
Und schrie: Du bist ein Verräter!

Du bist ein Verräter, es fließt in dir
Kein Tropfen vom Eselsblute.
Du bist kein Esel, ich glaube schier,
Dich warf eine welsche Stute.

Du stammst vom Zebra vielleicht, die Haut
Sie ist gestreift zebräisch.
Auch deiner Stimme näselnder Laut
Klingt ziemlich ägyptisch-hebräisch.

Und wärst du kein Fremdling, so bist du doch nur
Verstandesesel, ein kalter.
Du kennst nicht die Tiefen der Eselsnatur,
Dir klingt nicht ihr mystischer Psalter.

Ich aber versenkte die Seele ganz
In jenes süße Gedösel.
Ich bin ein Esel, an meinem Schwanz
Ist jedes Haar ein Esel.

Ich bin kein Römling, ich bin kein Slaw.
Ein deutscher Esel bin ich,
Gleich meinen Vätern. Sie waren so brav,
So pflanzenwüchsig, so sinnig.

Sie spielten nicht mit Galanterei
Frivole Lasterspiele.
Sie trabten täglich, frisch-fromm-fröhlich-frei,
Mit ihren Säcken zur Mühle.

Die Väter sind nicht tot! Im Grab
Nur ihre Häute liegen,
Die sterblichen Hüllen. Vom Himmel herab
Schaun sie auf uns mit Vergnügen.

Verklärte Esel im Gloria-Licht!
Wir wollen Euch immer gleichen
Und niemals von dem Pfad der Pflicht
Auch nur einen Fingerbreit weichen.

O welche Wonne, ein Esel zu sein!
Ein Enkel von solchen Langohren!
Ich möcht es von allen Dächern schrein:
Ich bin als ein Esel geboren.

Der große Esel, der mich erzeugt,
Er war von deutschem Stamme.
Mit deutscher Eselsmilch gesäugt
Hat mich die Mutter, die Mamme.

Ich bin ein Esel, und werde getreu,
Wie meine Väter, die Alten,
An der alten, lieben Eselei,
Am Eseltume halten.

Und weil ich ein Esel, so rate ich Euch,
Den Esel zum König zu wählen.
Wir stiften das große Eselreich,
Wo nur die Esel befehlen.

Wir alle sind Esel! I-A! I-A!
Wir sind keine Pferdeknechte.
Fort mit den Rossen! Es lebe, hurra!
Der König vom Eselsgeschlechte!

So sprach der Patriot. Im Saal
Die Esel Beifall rufen.
Sie waren alle national,
Und stampften mit ihren Hufen.

Sie haben des Redners Haupt geschmückt
Mit einem Eichenkranze.
Er dankte stumm, und hochbeglückt
Wedelt er mit dem Schwanze.

Fangewalt und Extremismus – Eine Grundsatzerklärung vom MSV Duisburg

Auch wenn der MSV Duisburg die Erklärung zum „Vorgehen gegen Gewalt und Extremismus“ selbstverständlich auf seiner Seite veröffentlicht hat, möchte ich sie in diesen Räumen im gesamten Wortlaut ebenfalls online stellen.  Der MSV Duisburg ist grundsätzlich geworden, und das verdient starken Beifall und größt mögliche Verbreitung. Solch grundsätzliche Erklärung braucht mehr Worte, als wir sie sonst vom MSV Duisburg zu lesen bekommen, auch weil Fangewalt und Extremismus komplexe soziale Geschehen sind. Entsprechend vielfältig können sie beschrieben werden, vor allem aber entsprechend vielfältig sind die Mittel, mit denen auf Fangewalt und Extremismus reagiert werden kann.

Mir gefällt an dieser Erklärung sehr, wie sich der Verein auf die zurückliegenden Vorfälle in und um die Stadien bezieht. Auf diese Weise wird die Erklärung zu mehr als einer selbstverständlichen aber auch harmlosen Bekundung, zu den Guten in dieser Gesellschaft gehören zu wollen. Der MSV Duisburg zeigt auf diese Weise, es gibt Regeln und der Verein ist gewillt auf die Einhaltung der Regeln zu achten. Bislang mäanderte die Auseinandersetzung zum Extremismus zwischen Fans mit den häufig selben Argumenten hin und her. Nun zeigt sich der Verein als die Instanz, die entscheiden wird, was geht und was nicht geht. Er überlässt die Extremismus-Debatte nicht allein den Fans.

Für die Trennschärfe bei solchen Entscheidungen sucht der MSV Duisburg Unterstützung von vielen Institutionen, die sich mit dem Extremismus in unserer Gesellschaft beschäftigen. Zudem werden etwa mit der Koordinatiosstelle der Fanprojekte auch solche Institutionen mit eingebunden, die sich als Interessenvertreter der Fanszene verstehen. Nicht zu vergessen die Absicht, den Dialog mit den Fans vor Ort aus den unterschiedlichen Gruppierungen zu intensivieren. Miteinander Sprechen ist immer die erste Wahl bei Schwierigkeiten.

Nicht zuletzt ordnet der Verein die Vorfälle ein und setzt sie ins Verhältnis zu extremistischen Tendenzen in Duisburg außerhalb des Fußballs. Was zugleich überleitet zu der Verantwortung, die jeder Zuschauer als Bürger dieser Gesellschaft übernehmen kann. Alles richtig gemacht, MSV Duisburg! Nun heißt es, die Absichten bei den Anforderungen des Saison-Alltags nicht aus den Augen verlieren.

Die Erklärung des MSV Duisburg zum Vorgehen gegen Gewalt und Extremismus im Wortlaut:

Der MSV Duisburg nimmt die intensive Arbeit der vergangenen Wochen und Monate innerhalb des Vereins zum Anlass, zu informieren, wie und in welcher Form der Verein gegen Gewalt und extremistische Ausschreitungen vorgeht. Wir möchten Ihnen aber auch aufzeigen, was wir als Fußballklub nicht leisten können.

Der MSV Duisburg betont dabei erneut, dass bei uns Integration, Toleranz und Respekt gelebt werden.
In den letzten Monaten gab es rund um Liga- und Pokalspiele Vorfälle, die wir nicht tolerieren können und wollen.
• Während des DFB-Pokalspiels im Sommer 2012 beim Halleschen FC fielen mehrere Personen auf, die offensichtlich rechtsextrem motiviert waren. Unter anderem wurde eine Fahne mit der Aufschrift „Good night left side“ für einen kurzen Moment gezeigt.
• Nach dem Spiel gegen Regensburg im August 2013 skandierten die Fans ein lautstarkes „Sieg“ in Richtung Mannschaft, welches durch zwei Personen um den Ausruf „Heil“ verlängert wurde.
• Nach dem Spiel gegen den 1.FC Saarbrücken im Herbst 2013 kam es am Fancontainer auf dem Parkplatz vor der Schauinsland-Reisen-Arena zu einer handfesten Auseinandersetzung zwischen verschiedenen MSV Gruppierungen.
• Während des Spiels in Heidenheim im Dezember 2013 kam es zu einer handfesten Auseinandersetzung im Fanblock, als ein Transparent ausgerollt wurde.
• Rund um das Auswärtsspiel bei Borussia Dortmund II im Februar 2014 gab es verschieden gewalttätige Vorfälle, sowohl im Bahnhof in Essen auf dem Hinweg als auch im Gästeblock während der Begegnung, an der Bahnhaltestelle in Dortmund und bei der Rückkehr im Hauptbahnhof Duisburg.

Auf Basis des regelmäßigen Austauschs u.a. mit der Polizei und dem Staatsschutz, gehen wir davon aus, dass es unter den größtenteils aufgeschlossenen und friedlichen Fans, die regelmäßig die Spiele der Zebras besuchen, auch einige wenige gewalttätige und extremistische Personen gibt. Die Behörden haben in den vergangenen Jahren nach ihren Angaben uns gegenüber keinen bedeutsamen Anstieg festgestellt. Eine belegbar politisch rechtsextrem oder linksextrem motivierte Straftat habe es – das ist Stand der aktuellen Ermittlungen – dabei nicht gegeben.

Nach einigen der oben genannten Vorfälle konnte der MSV Duisburg mit Hilfe der Polizei Personalien feststellen. Es kam zu folgenden Reaktionen:
• Nach den Vorkommnissen vom Pokalspiel gegen den Halleschen FC wurden gegen einwandfrei ermittelte Täter mehrere Stadionverbote ausgesprochen.
• Eine Person, die „Heil“ an den Ruf „Sieg“ angehängt hat, wurde ebenfalls mit bundesweitem Stadionverbot belegt. Allerdings hat die Staatsanwaltschaft ein weiteres eingeleitetes Strafverfahren eingestellt.
• Drei Personen, die an der Auseinandersetzung nach dem Spiel gegen Saarbrücken beteiligt waren, sind mit bundesweiten Stadionverboten belegt worden.
• Nach dem Spiel in Dortmund hat der MSV insgesamt 28 zeitlich begrenzte Hausverbote ausgesprochen. Die Entscheidungen über bundesweite Stadionverbote werden durch den DFB und Borussia Dortmund getroffen. Die Auswertungen aus Heidenheim liegen uns noch nicht vor.

Folgende Maßnahmen – basierend u.a. auf den Beratungen mit Experten der Koordinationsstelle der Fanprojekte (KOS) und der Kompetenzgruppe ‚Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit‘ (KoFaS), dem DFB und anderen Vereinen – hat der MSV Duisburg ergriffen, um Gewalt und Extremismus noch effektiver bekämpfen zu können:
• der Ordnungsdienst wurde über die vorgeschriebenen Maßnahmen hinaus erneut geschult und sensibilisiert
• der regelmäßige Dialog mit Fanvertretern aus den verschiedensten Gruppen und Fanclubs wurde weiter intensiviert
• die Arbeit mit den Fanclubs zum Thema „Für Integration, Respekt und Toleranz“ wird in Kooperation mit dem Fanprojekt Duisburg weiter fortgeführt
• Gespräche zwischen Verein und Polizei bzw. Staatsschutz haben stattgefunden.

Darüber hinaus sind weitere Aktivitäten geplant:
• Kooperation mit dem Institut für Präventionsforschung und Sicherheitsmanagement (Klaus Stüllenberg/Münster – erfahren auch im Sportbereich). Hier soll ein externer Anbieter unvoreingenommen die Rolle des Vermittlers übernehmen.
• Weitere gemeinsame Aktionen mit dem Fanprojekt Duisburg – nächster geplanter Programmpunkt ist im April 2014 eine Lesung „Sexismus im Fußball“ • Gründung eines Fangremiums – bestehend aus Fanclub- und Gruppierungsvertretern, von Fans gewählt. Regelmäßige Treffen in diesem Kreis als Fixpunkt
• Kooperation mit der mobilen Beratung NRW gegen Rechtsextremismus (gehört zum Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes NRW / kostenloses Angebot)

Wir möchten betonen, dass wir hinter den Zielen, die wir in unserem Leitbild definieren, stehen:
• Als Zebrafamilie, mit all unserer Vielfalt, sind wir weit über die Grenzen unserer Stadt hinaus bekannt.
• Wir halten zusammen, insbesondere in schweren Zeiten.
• Integration wird von uns gelebt. Respekt und Toleranz prägen unseren Umgang miteinander.

Und auch in unserer Stadionordnung für die Heimspiele in der Schauinsland-Reisen-Arena heißt es: „Den Besuchern des Stadions ist das Mitführen folgender Gegenstände untersagt: rassistisches, fremdenfeindliches und rechtsradikales Propagandamaterial … Verboten ist den Besuchern weiterhin: rassistische, fremdenfeindliche oder rechtsradikale Parolen zu äußern oder zu verbreiten.“

Unser Wunsch ist es, künftig mit allen, die sich offen und ehrlich zum MSV bekennen, noch intensiver für unsere Ziele zu arbeiten. Das heißt im Gegenzug: wir werden uns gegen das Auftreten von Gruppierungen, die nicht bereit sind, sich diesen Zielen anzuschließen, sondern den Namen unseres Traditionsvereins nutzen wollen, um ihr oft unfassbares Gedankengut zu verbreiten, mit allen uns zu Verfügung stehenden Möglichkeiten wehren!

Wir wissen aber auch, dass diese Möglichkeiten für einen Fußballverein nicht grenzenlos sind, vor allem auch außerhalb unserer Arena.

Bei den Landtagswahlen haben 2012 die Parteien „pro NRW“ und „NPD“ 3,45% aller Zweitstimmen in Duisburg erhalten. Da das Stadion ein Spiegelbild unserer Gesellschaft ist, können wir nicht ausschließen, dass es im Stadion oder in sozialen Netzwerken eben auch Menschen gibt, die mit dem rechten Gedankengut sympathisieren.

Wir möchten aber auch betonen: Der Großteil unserer Fans verhält sich einwandfrei. Gerade im letzten Sommer haben die Fans aus Duisburg sehr eindrucksvoll bewiesen, mit welch friedlichen Aktionen sie „Streifen gezeigt“ haben.

Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass wir auf Hilfe angewiesen sind. Wer extremistisches oder gewalttätiges Verhalten wahrnimmt, ist aufgefordert, seine Wahrnehmungen umgehend mitzuteilen. Nur so können wir Ermittlungen einleiten, die dann auch zu Sanktionen führen.

Keine Politik wird manchmal doch zur Politik

Wir wünschen uns das Leben so einfach wie möglich, und stets kommt uns dieses Leben schon kurz nach dem Wünschen dazwischen. Ich zum Beispiel will seit Jahren beim MSV Duisburg im Stadion eigentlich nur über Fußball reden. Aber was ist? Ständig beschäftigen mich so sportferne Dinge wie ein Schuldenschnitt und seit kurzer Zeit auch noch  die gewaltvoll gewordene Auseinandersetzung in der eigenen Kurve, um deren Deutung in der Duisburger Fanszene verständlicher Weise mehr gerungen wurde als in der Öffentlichkeit. Für Fußballdeutschland steht der Überfall der „Division Duisburg“ auf die „Kohorte“ in einer Reihe mit einigen Versuchen der rechten Szene, in den Fankurven Einfluss zu gewinnen.

Im Stadion nervt dieses Fußballferne. So verstehe ich die vielen Anhänger des MSV Duisburg, die sich etwa ein besseres, politikfreies Leben im Stadion erhoffen. Aber mit diesen Politik genannten Themen  ist es wie mit dem Aufräumen und Putzen. Man kann es sich einige Zeit sparen, aber irgendwann kommt der Zeitpunkt, da musst du dich drum kümmern. Sonst hast du bald ein Zuhause, in dem sich nicht mehr jeder wohl fühlen kann.

„Keine Politik in der Kurve“  ist deshalb allenfalls ein hoffnungsvolles Ziel, das nur erreicht werden kann über eine Haltung, bei der viele schnell die Augen verdrehen und sie politisch nennen. Das ist paradox, aber unvermeidlich. Denn was heißt Politik im Stadion überhaupt? Wird etwa der vom DFB unterstützte Anti-Rassismus in seiner unverbindlichen Spruchband-Botschaft genau dann zur nervigen Politik, wenn konkret rassistische Gruppen Rassisten genannt werden? Oder ist es nicht gerade Politik, wenn eine einzelne Fangruppe bestimmen will, welches Spruchband im Stadion eine politische Botschaft darstellt. Es ist ganz schön kompliziert mit der Losung „Keine Politik in der Kurve“.

Rechtextremistische Gruppen – und davon rede ich heute nur, weil dieses „die anderen haben aber auch“ mich zu sehr an Kindergarten und Schule erinnert, rechtsextremistische Gruppen, also, haben ein großes Interesse an einer vermeintlich politikfreien Zone, dem Stadion. Wo sonst können Mitglieder extremistischer Zusammenschlüsse in breiter Öffentlichkeit sich wirksam fühlen? Bei der Frage, was in der Kurve geschieht, geht es schließlich um Macht. So können extremistische Gruppen ausprobieren, wieviel Durchsetzungskraft sie besitzen, wie weit sie beim Einsatz für die eigene Meinung gehen können. Und das muss sogar nicht unbedingt mit politischen Inhalten verbunden sein. In dem Fall verschwimmen also die vermeintlich so klar getrennten Sphären von Stadionwelt und restlichem Leben. Dann muss man letztlich fragen, welches Interesse sich hinter der Losung „Keine Politik in der Kurve“ verbirgt? Was in Duisburg anscheinend bei einer Art rundem Tisch der Fangruppen geschah, sind zumindest vorpolitische Prozesse, und dementsprechend können die Aktivitäten einer dieser Gruppen von jetzt auf gleich in Politik umschlagen. Nur deshalb  kann die Fanszene Duisburgs auch darüber streiten, was dieser Vorfall nach dem Spiel gegen Saarbrücken überhaupt gewesen ist.

Der Fußball ist in dem Fall Zauberstab. Weil die Mitglieder der „Division Duisburg“natürlich auch als Fußballfans im Stadion sind und sie sich auf dem Terrain des Fußballs über Regeln streiten, lässt sich trefflich jeglicher politischer Hintergrund zum Verschwinden bringen. Unschuldig wird von normalen Zuständen im Stadion gesprochen, wo immer mal wieder Konflikte mit harter Hand gelöst werden. Stimmt, ja. Es stimmt aber nur AUCH! Politik ist in dem Moment untrennbar mit dem Fußball verknüpft. Schließlich geht es um die Deutungshoheit über diesen Begriff. Eine Gruppe möchte bestimmen, was Politik im Stadion bedeutet.

Wem es nach ein wenig argumentativer Unterfütterung durch die Theorie verlangt, dem sei Paul Watzlawicks kommunikationstheoretisches Diktum noch ans Herz gelegt, man könne niemals nicht kommunizieren. Sobald jemand einem anderen gegenüber steht, beginnt Kommunikation, selbst wenn der eine schweigt. Daraus lässt sich eine Einsicht zur Forderung „Keine Politik in der Kurve“ ableiten. Sobald diese Forderung als Teil einer Diskussion zwischen Gruppen erhoben wird, die sich in Teilen auch politisch definieren, ist diese Forderung selbst ein politisches Statement und das Aushandeln, wie dem Rechnung getragen wird, ist auch eine politische Diskussion. Man entkommt der politischen Stellungnahme in dem Fall nicht.

Vor ein paar Wochen schon fand Michael Welling, der Präsident von Rot-Weiss Essen, in einem Interview im Reviersport zu solch einer Entwicklung in der Kurve die passenden Worte:

Kommen wir mal zum Nicht-Sportlichen. Für die Allermeisten kam der Vorfall beim Fanprojekt am Mittwoch doch ziemlich überraschend, da sich in der Kurve bislang niemand abgezeichnet hat, dass Rot-Weiss Essen ein Problem mit rechten Fans hat. Zumindest dem Fanprojekt waren die Leute aber bekannt, oder?
Wenn das Fanprojekt die nicht kennen würde, würde es seine Arbeit nicht machen. Es ist tatsächlich so, dass die sich durch pure körperliche Präsenz als Chef der Kurve positionieren. Das ist ja auch im Grunde das, was am Mittwoch passiert ist. Das ist nicht akzeptabel, das ist doch völlig klar. Da geht es im ersten Schritt tatsächlich gar nicht darum, was da für ein Film gezeigt wird, was der Rahmen ist, wer Veranstalter ist, wer nicht Veranstalter ist. Es ist einfach nicht zu respektieren, dass irgendwelche selbsternannten Leute definieren, was hier passiert und mit körperlicher Präsenz ihre Auffassung durchdrücken wollen. Das ist nicht akzeptabel.

Und etwas später noch einmal Michael Welling:

Was hier die neue Dimension ist: Dass sich einzelne Leute positionieren, um sich so massiv durch Präsenz zu positionieren, das ist nicht zu akzeptieren. Dabei ist es dann ehrlicherweise auch egal, ob diese Leute aus einem linken oder einem rechten extremen Spektrum kommen. Es geht nicht, dass sich Leute als Sheriffs der Kurve positionieren und glauben, weil sie größere Arme haben, andere einzuschüchtern.

Letztlich braucht jedes Engagement gegen Rassismus, Intoleranz und Gewalt die Unterstützung des Vereins MSV Duisburg. Deshalb war das erste Interview nach dem Überfall mit Sicherheits-Manager Michael Meier und Fanbeauftragtem Christian Ellmann nicht mehr als ein hilfloser Versuch mit dem Lippenbekenntnis, der MSV sei „keine Kuschelecke für Neonazis“, der Geschichte Herr zu werden. Die Losung „Keine Politik“ wurde als Fallstrick überhaupt nicht wahrgenommen. Einmal mehr ist es erst Jürgen Marbach gewesen, der das Problem in seinem Ausmaß erkannte. Nicht nur dass er den Verein mit deutlichen Worten gegen Rechtsextremismus positionierte, er erkannte zudem, dass Michael Meier und Christian Ellmann, die Deutungshoheit für das Geschehen den Gewalttätern in Teilen überlassen hatten. Bei Spiegel online korrigierte er die naiven Aussagen der Mitarbeiter des MSV Duisburg. Wichtiger aber noch ist die dort in Aussicht gestellte Absicht, Hilfe durch Wissenschaft in Anspruch nehmen zu wollen.

Denn wie im Alltag der Saison mit dem Konflikt in der Kurve weiter umgegangen werden soll, bleibt eine offene Frage. Absichtserklärungen geben dabei nur die Richtschnur für das Handeln. Im Grunde geht es um die Haltung der schweigenden Mehrheit im Stadion. Es geht um alle, die immer wieder genervt sind von Auseinandersetzungen, die zunächst nichts mit eigentlichem Support und Fußball zu tun haben. Es geht um die paradoxe Einsicht, um die Politik aus der Kurve zu halten, ist die Losung „Keine Politik in der Kurve“ in ihrem politischen Kern zu benennen. Es geht um die öffentliche Meinung, in der der Einsatz gegen Rassismus, Gewalt und Intoleranz ihren selbstverständlichen Platz finden können muss.


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