Was wie der typische Parkplatz von einem der vielen Toys-Dingenskirchens Deutschlands aussieht, ist in Wirklicheit der inoffizielle Autobahnhof nahe der A3, Abfahrt Köln-Dellbrück. Die Disponenten der privaten Zebraverkehrsbetriebe hatten am Sonntag eine Verbindung von Bergheim nach Erfurt eingerichtet mit Zwischenstopp an diesem Zu- und Umsteigeplatz. Die wollte ich um etwa 8.30 Uhr nehmen. Der MSV Duisburg spielte bei Rot-Weiß Erfurt. Aber sonntags auf diesem menschenleeren Platz im Nirgendwo an der Bergisch-Gladbacher Straße einen Tag lang ein Fahrrad abzustellen, schien mir kein guter Gedanke. Präsentationsfläche und Mitnahmemarkt klangen mir ununterbrochen im Ohr.
So rollte ich auf der Suche nach einem einigermaßen sicheren Abstellplatz auf dem benachbarten REWE-Parkplatz ein. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich drei junge Männer an einem Auto und im selben Moment wurde ich mit „allez, allez MSV“ begrüßt, und, klar, fragt einer mit Wurzeln im Pott sofort trocken, ob ich meine, mit dem Fahrrad noch bis zum Anpfiff nach Erfurt zu kommen? Das klang nach Heimat. Wenn wir Anhänger des MSV Duisburg uns mit einer zweiten Direktverbindung Köln-Erfurt schon frühmorgens auf der Schäl Sick als Massenbewegung fühlen konnten, ließ das noch sehr viel mehr heimatliche Begegnungen in Erfurt erwarten, Wenig später hatte ich meinen Abstellplatz gefunden, die Fahrt konnte beginnen und all die Autos mit Zebrafans, denen wir auf dem Weg begegneten, steigerte die Vorfreude auf das Spiel.
Keine Frage, der Verkehrsstrom nach Erfurt zeigte, zur Rückkehr in die Zweite Liga war nicht nur die Mannschaft entschlossen. Anspannung spürte ich nicht. Seit einiger Zeit bin ich mir vor den Spielen sicher, das Vorhaben Aufstieg wird gelingen. Seit einiger Zeit bange ich aber auch um diese Sicherheit in den Spielen selbst immer wieder. Ich hoffte, auf eine schnelle sichere Führung, damit meine Nerven dieses Mal geschont blieben. Der MSV tat mir zunächst den Gefallen. Welch druckvolle erste Minuten zeigte die Mannschaft. Sie wollte dieses frühe Tor auch. Den Erfurtern blieb kaum Zeit, sich mit Ball und Spiel vertraut zu machen. Sie stopften Löcher und das meist vergebens. Eine Großchance vergab Kevin Scheidhauer mit einem halbgaren Schuss weit über das Tor. Kurz danach kam er er erneut zum Abschluss. Der Ball war sehr viel schwieriger zu nehmen, kam dafür aber auch genau aufs Tor. Der Erfurter Torwart klärte. Das 1:0 schien eine Frage der Zeit zu sein. Kingsley Onuegbu erzielte dann dieses Tor schon in der elften Minute und machte es zu einer Art persönlicher Leistungsschau. Der halbhohe Pass kam in seinen Lauf. Die perfekte Annahme, zusammen mit dem gleichzeitig an ihm abprallenden und niedersinkenden Abwehrspieler plus Torschuss bei leichter Verdrehung des Körpers gegen die eigentliche Laufrichtung, all das zusammen wirkte wie die Essenz seines Spiels. Großartig.
Weil die Erfurter alles in allem in der Offensive vollkommen harmlos blieben, selbst wenn sie das Mittelfeld einmal schnell überspielt bekamen, machte ich mir keine Sorgen. Einen steilen Pass allerdings brachten sie an den Strafraum. Der Erfurter Spieler kam ins Straucheln. Steffen Bohl war bei ihm und konnte nicht verhindern, dass dieses Straucheln zum Rutschen in den Strafraum wurde. Der Schiedsrichter überlegte einige Zeit, welche Zusammenhänge es gab und musste irgendetwas entscheiden. Da nahm er der Einfachheit halber den Elfmeter. So ungefähr sah der Verlauf dieser Spielszene aus. Beunruhigt hat mich dieser Elfmeter nicht. Wenn der Ausgleich fiele, war es für mich nur eine Frage der Zeit, bis der MSV erneut in Führung ginge. Es kam aber noch besser. Michael Ratajczak hielt den zentral geschossenen Ball. Der MSV führte weiter. Nun konnte die Mannschaft ohne Druck das zweite Tor nachlegen, so dachte ich. Doch weit gefehlt.
Vielleicht war die Erleichterung der Spieler über den gehaltenen Elfmeter zu groß? Vielleicht war kurz die Sorge aufgeblitzt trotz Überlegenheit könne doch etwas schief gehen? Aus der Sorge ergab sich vielleicht Vorsicht? Der MSV ließ die Erfurter jedenfalls mehr ins Spiel kommen. Passte die Erfurter den Ball im Mittelfeld quer, wurde einen Moment früher als in der Anfangsphase beim Anlaufen abgedreht. Eigene Pässe wurden überhastet aus gefährlichen Zonen gespielt. Es gab Momente des Spiels, in denen ein oder zwei Minuten von beiden Mannschaften Fehler auf Fehler geschahen, und Ballkontrolle die Eigenschaft einer anderen Sportart zu sein schien.
Da war es also wieder geschehen. Die Mannschaft und ich hatten unsere Sicherheit im Spiel verloren. Bei mir führt das inzwischen zu einer übersteigerten Bedrohungswahrnehmung. Je länger das Spielgeschehen offen wirkt, desto gefährlicher nehme ich jede Bewegung Richtung Tor des MSV Duisburg wahr. Gelangt ein Ball gar in den Strafraum falle ich in Schockstarre, die sich in Übersprunghandlungen löst. Meine Stadionnachbarn haben blaue Flecken auf den Rücken, anderen habe ich die Schultern mit meinem Angstsschweiß getränkt. Ein Lob den geduldigen Menschen, die mich durch ein Spiel begleiten.
Nach der Halbzeitpause kämpfte der MSV sehr darum, das Spiel wieder an sich zu reißen. Mit aller Kraft wollte die Mannschaft verhindern, dass die Erfurter noch druckvoller wurden. Das Spiel wirkte wahrscheinlich gerade wegen dieser Anstrengung nicht richtig flüssig, Der Mannschaft war es aber gelungen, die Ballkontrolle wieder zum Wort der Fußballersprache zu machen. Erneut ließen sich aber einzelne Pässe in die Schnittstellen der Defensive nicht verhindern. Michael Ratajczak stellte zwei Mal im eins gegen eins die Erfurter Stürmer und verhinderte den Ausgleich. Branimir Bajic klärte immer wieder souverän. Auch der MSV hatte seine Chancen. Kevin Wolze hob einen Freistoß knapp außerhalb des Strafraus gefühlvoll über die Mauer. Der Ball ging an die Latte. Ein Kopfball von Steffen Bohl wurde auf der Linie geklärt. Meine Nervosität wuchs. So dringlich hoffte ich auf das erlösende zweite Tor.
Der King leitete dieses Tor ein. Wahrscheinlich wird der Erfurter Defensivmann niemals mehr glauben, er könne an seiner rechten Außenlinie in Ruhe den Ball nach vorne bringen, nur weil ein potientiell anlaufender Stürmer sich gerade in der Mitte befindet. Kühl wollte er sein, seine Automatismen abrufen. Doch dann kam der King. Wenn er als erster Mann der Defensive sprintet, sieht das nicht sehr schnell aus. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er einem Defensivspieler den Ball abjagen soll. Er soll den aufbauende Spieler irritieren, ihn zwingen, unpräzise abzuspielen. Doch offensichtlich hatte der Erfurter Spieler den King unterschätzt. Weniger sein Tempo als seinen Einsatzwillen. Er scheint nicht geglaubt zu haben, der King könne ernst machen. Mit einem Mal stocherte der ihm schon zwischen den Beinen herum, und der Ball war erobert. Der schnelle Pass auf den heransprintenden Martin Dausch folgte. Der trieb ihn weiter Richtung Strafraum. Die Flanke kam wunderbar auf den mitsprintenden Zlatko Janjic und weil der in Dresden die Generalprobe für dieses Tor vermasselte, klappte die Erfurter Premiere um so besser. Was für eine Erleichterung. Das war der Sieg. Daran bestand kein Zweifel. Die bestmögliche Grundlage für das Endspiel um Platz 2 am nächsten Samstag war geschafft. Meinen Stehplatzkumpeln rate ich schon jetzt zu Schulterpolstern und Rückenpanzern.
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