Gerade eben hallte der Name Tönnies noch durch das Stadion, und die Kraft des Rufens aller auf den Rängen hatte das Leben wieder gegenwärtig gemacht. Dieses Leben forderte in den nächsten Momenten Leistung und Anstrengung. Dieses Leben war das Spiel des MSV gegen den VfL Osnabrück, auf dessen Anpfiff wir nun alle warteten. Die MSV-Hymne erklang, und schließlich kamen die Mannschaften auf das Spielfeld. Doch noch einmal wurde der normale Ablauf eines Spieltags mit einer Schweigeminute für Michael Tönnies unterbrochen. Die schon überwunden geglaubte Ergriffenheit kroch noch einmal heran. Dann begann das Spiel, und ehe ich mich versah, führte der VfL Osnabrück. Ich war auf keinen Fall schon richtig im Spiel angekommen. Ich hatte weder die Großchance des MSV kurz zuvor mit der entsprechenden Aufregung gesehen, noch ärgerte ich mich über den Rückstand.
Wie schon gestern in dem Text über die Trauerfeier für Michael Tönnies geschrieben, ich fühlte mich krank, gehörte womöglich eigentlich eher ins Bett und nahm alles nur gedämpft wahr. Aber wenn ich den Verlauf des Spiels sehe, klingt für mich noch etwas anderes plausibel. Vielleicht beschäftigten mich wie eben die Spieler des MSV die Momente vor dem Spiel noch, sodass es uns in unserer jeweiligen Leistung auf dem Stehplatz und Rasen beeinträchtigte. The show must go on, sagen die Bühnenkünstler und liefern ihr Unterhaltungsprogramm gegen alle Widrigkeiten ihrer Leben ab, wenn es sein muss. So ein Ligaspiel ist trotz aller Unterhaltungsaspekte dieses Fußballbetriebs etwas anderes, wenn eine kollektive Stimmung im Stadion entstanden ist, eine Stimmung, die so gar nichts mit der notwendigen Einstellung für einen Wettbewerb zu tun hat. Vielleicht kann so ein Spiel doch nicht so unbeeinträchtigt begonnen werden, weil eine Mannschaftsleistung im Sport mit ihren vielen Einflussgrößen eben sehr viel abhängiger von Stimmungen ist als ein stets gleiches Bühnenprogramm.
Die Mannschaft des MSV wirkte in der ersten Halbzeit häufig zu langsam im Kopf und nicht aggressiv genug im Kampf um die zweiten Bälle. Nicht die Grundhaltung war das Problem. Die Spieler setzten sich ein, gingen lange Wege und versuchten zum einen ein Kombinationsspiel, das oft über die Flügel kam. Zum anderen wurde immer wieder auch vergeblich der lange Ball auf Simon Brandstetter versucht, der Meter um Meter rannte und dabei oft im letzten Moment den entscheidenden Schritt in die falsche Richtung machte. Der Passgeber wird seinen Anteil daran haben. Der MSV versuchte die Spielkontrolle zu bewahren, so weit es ging, aber viel zu oft ging es nur sehr kurz. Systematisch sollte der Ball in den Strafraum gebracht werden. Zur Not musste es eben auch noch einmal hinten rum gehen. Torgefahr entstand so nicht. Die Zebras waren unterlegen, die Osnabrücker schneller im Kopf und beim Kombinationsspiel ballsicherer. Sprints in der Offensive waren meist nicht vergeblich. Bälle kamen dorthin, wo sie gut verarbeitet werden konnten. Die Chancen auf ein weiteres Tor für die Osnabrücker ergaben sich. Die Defensive des MSV hatte viel Arbeit. Der Halbzeitpfiff kam und vereinzelte Zuschauerpfiffe folgten. Für mich war das vollkommen übertrieben und ein Rückfall in alte Mäkelzeiten des Duisburger Publikums.
Zunächst sah es nach Wiederanpfiff nicht so aus, als hätte die Halbzeitpause die vorhandene Stimmung unterbrochen. Zwar war Kingsley Onuegbu eingewechselt worden, doch es war nicht erkennbar, wie die Zebras torgefährlich werden wollten. Immer noch gelangen die Kombinationen nicht präzise genug. Stattdessen schlug Fabian Schnellhardt einen Freistoß zielgenau in den Strafraum und Dustin Bomheuer köpfte zum Ausgleich. Mit diesem Ausgleich wirkte das Spiel des MSV befreit. Nun erst brachte die Offensivkraft des MSV die Osnabrücker Gelassenheit im Defensivspiel ins Wanken. Dennoch ist es bezeichnend für die Möglichkeiten dieses Tages, dass auch das Führungstor für den MSV aus einer recht statischen Situation heraus fiel. Kingsley Onuegbu nahm einen Einwurf mit dem Rücken zum Tor auf halblinker Position an der Strafraumgrenze an. Sich selbst den Ball vorlegen, drehen und der Schuss ins lange Eck ergaben eine einzige fließenden Bewegung, ein wunderbares Stürmertor, Lehrbuchmaterial. Der MSV drang auf das dritte Tor. Es gab die Chancen und sie wurden nicht genutzt.
Weil der MSV weiter offensiv spielte und überlegen blieb, schien mir der Sieg wahrscheinlich, sicher ist er natürlich nie. In der Nachspielzeit kamen die Osnabrücker noch einmal druckvoll vor das Tor der Zebras. Der Ausgleich fast mit dem Schlusspfiff hatte als Drohung in der Luft gehangen. Zu viel Hektik und Durcheinander war plötzlich in der Hälfte des MSV entstanden. Enttäuschend war dieser Ausgleich dennoch, eine Enttäuschung, die für mich nicht lange anhielt, weil mein Verstand mir ein paar Auswege anbot. Der Vorsprung von drei Punkten in der Tabelle etwa war unverändert geblieben. Was wir erleben mussten, hatten die Osnabrücker beim Hinspiel schon hinter sich. Und gerecht war dieses Unentschieden auch. Was mit der Trauerfeier höchst emotional begonnen hatte, endete mit einem sehr rationalen Umgang mit dem Ergebnis.
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