Posts Tagged 'SV Sandhausen'

Wir empfehlen bei Spielausfall…

Wenn Dauerregen Rasen durchweicht, ist das Leben unberechenbar. Freitags machen Fußballer mit Zweitligagehältern aus unteren Ligen die Spielfläche unbespielbar. Samstags wird das anstehende Spiel der Zebras schon früh abgesagt. Daraufhin sehen wir Ticketverkäufer im Zebra-Shop im Gespräch mit enttäuschten MSV-Fans.

Wir wissen nicht, was die freundlichen Ticketverkäufer in dem Fall empfehlen, aber wir im Zebrastreifenblog empfehlen bei Spielausfall und Aufregungsmangel am Wochenende: Weg mit der alten Fußballergepflogenheit des Abstiegskampfs, wir schauen nur auf uns. Fiebert mit den Gegnern der Abstiegskonkurrenten des MSV mit und erlebt Niederlagentrauer und Siegesfreude so, als sei es ein Spiel des eigenen Vereins gewesen.

Schimpft auf dämliche Hamburger, die früh 2:0 führen und am Ende gegen Darmstadt dennoch 3:2 verlieren. Seid entsetzt über die Leistung vom FC St. Pauli, der in Sandhausen 4:0 verliert und der den Abstiegskonkurrenten der Zebras über die Maßen stärkt. Sorgt euch sofort auch vor dem nächsten Spieltag, weil die Paulianer im nächsten Spiel gegen die Zebras wahrscheinlich alles daran setzen werden, sich zu rehabilitieren und den Anschluss an die Spitze nicht vollends zu verlieren.

Seid einigermaßen zufrieden mit dem Unentschieden von Magdeburg in Dresden. Für Magdeburg wird das erst ein wirklichker Erfolg, wenn Siege dem folgen. Gleichzeitig eröffnet das Unentschieden aber auch die Hoffnung, Dresden könnte trotz Trainerwechsel wieder an alte Misserfolge anknüpfen und in den weiteren Wochen den Abstiegskandidatenkreis endlich erweitern.

Aber durchlebt auch am Sonntag ein Wechselbad der Gefühle mit dem SC Paderborn, der gegen Ingolstadt zunächst lange Zeit 0:1 zurückliegt, ehe innerhalb kurzer Zeit Ausgleich und Führung fallen. Jubelt beim entscheidenden dritten Tor in Paderborn mit und freut euch riesig über die Niederlage der Ingolstädter, die damit auf dem letzten Platz der Tabelle bleiben.

Und früher gab es statt Spielausfälle andere Probleme, bei denen statt Ticketverkäufer Tankwarte, Lebensmittelhändler und hier Luis Trenker Hilfe wussten, aber von einem Schmerzmittelanbieter regelmäßig unterbrochen wurden.

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In Sandhausen kann Betteln taktisches Mittel sein

Das Martinsbrauchtum hat in Sandhausen nie Fuß fassen können. Bislang haben Historiker nicht klären können, warum die Verehrung des Heiligen St. Martin in Sandhausen auf solch großen Widerstand stieß. Niemals gab es Fackelzüge auf den Straßen, Weckmänner in den Bäckereien, Legionärskostüme und rote Mäntel, die geteilt wurden. Sandhausener Kinder sind seit Generationen neidisch auf ihre Freunde in den Nachbarortschaften. Vielleicht liegt es daran, dass Sandhausen seit dem frühen Mittelalter als Gemeinde des Geizes bekannt ist. Schon immer zogen die Bettler nach kurzem Aufenthalt nur weiter.

Hätten wir Anhänger des MSV Duisburg all das früher gewusst, wären uns unangenehme 10 bis 15 Minuten am Freitag erspart geblieben. Wir hätten uns in den Schlussminuten des Spiels vom MSV in Sandhausen nicht vor einer Niederlage gesorgt. Zudem hätte Thorsten Lieberknecht die taktische Marschroute bei der Pressekonferenz vor dem Spiel sehr viel konkreter benennen können. Der Match-Plan ist hervorragend aufgegangen.

Zunächst versuchten die Zebras die Spielkontrolle zu übernehmen. Sandhausen fühlte sich zumindest unter Druck gesetzt, denn die Mannschaft sicherte das eigene Tor mit nahezu allen Spielern, ohne selbst viel zu risikieren. Druck verwandelte sich für den MSV in Ballkontrolle mit bekannter Gefahr des Ballverlusts im Mittelfeld bei aufgerückter Defensive. Die Gefahr durch das Sandhausener Umschaltspiel verringerte sich durch schwache Abschlüsse in Tornähe. Tornähe bedeutete meist schon die Zone außerhalb des Strafraums. So standen sich zwei Mannschaften ohne wirkliche Torchancen gegenüber.

Zu Beginn der zweiten Halbzeit ergab sich zunächst ein ähnliches Bild, doch da mit zunehmder Spieldauer die Möglichkeit eines Glückstores für Sandhausen gegeben war, gingen die Zebras auf Nummer sicher und probierten die Vorwärtsverteidigung. Torsten Lieberknecht kommentierte nach dem Spiel die Taktik, seine Mannschaft hätte am Ende um ein Tor gebettelt. Nur wer die Lokalgeschichte Sandhausens nicht kennt, wird das als Kritik verstehen. Der SV Sandhausen als Verein aus einem Ort des Geizes wollte mit der Bettelei nichts zu tun haben. Stattdessen wurde höhnend ein Schuss an die Latte gesetzt, so wie die Sandhausener den Bettlern Kronkorken in ihre Sammelbecher schmeißen. Auch der SV Sandhausen gab aus alter Tradition am Ort nichts. Die Bettelei-Taktik war aufgegangen. Von Bielefeld sind keine Brauchtumsbesonderheiten bekannt. Dort sollte sich der MSV wieder darauf besinnen, den Erfolg mit anderen fußballerischen Mitteln zu suchen.

Vorteil Zebras!

Wenn ich Uwe Koschinat, den Trainer des SV Sandhausen, bei der Pressekonferenz seines Vereins höre, muss ich mich zügeln, nicht zu optimistisch für das Spiel der Zebras heute Abend zu werden. Er bewertet erfreulich offen seine bislang mögliche Arbeit und dabei hören wir implizit etwas, was seinen noch nicht lang zurück liegenden Arbeitsbeginn in Sandhausen deutlich von dem Thorsten Lieberknechts in Duisburg unterscheidet.

Ab Minute 3.00 etwa ordnet Uwe Koschinat die längere Zusammenarbeit mit der Mannschaft außerhalb einer englischen Woche folgendermaßen ein: Sie sei gut gewesen, „wenn du noch immer in einer Phase bist, in der du, glaube ich, als Trainer nicht auf allzu viele Basics setzen kannst, weil du noch nicht lange genug da bist.“ Danach spricht er tatsächlich das individualtaktische Verteidigerverhalten gegen die großen Stürmer des MSV an. Wir sehen also einen Trainer, dem Grundlagen des Fußballs in seiner Mannschaft fehlen.

Thorsten Lieberknecht brauchte nicht bei Null anfangen. Vielmehr betonte er nachdrücklich, welch intakte Mannschaft er übernommen hat. Das habe ich nicht nur auf den Teamgeist bezogen verstanden. Ich habe ihn so verstanden, dass er auch das taktische Verhalten der Spieler mitgemeint hat. Wir sehen also einen Vorteil des MSV gegenüber dem SV Sandhausen. Ich hoffe auf nicht gefestigtes individualtaktisches Defensivverhalten beim SV Sandhausen. Ich hoffe, der Vorteil wird sich im Ergebnis ausdrücken.

 

 

 

Wenn ein Witz sehr ernst wird

Ihr kennt das vielleicht, Menschen in der Runde sehen peinlich betroffen zur Seite, während man selbst noch über den eigenen trockenen Kommentar grinst. Ich hatte einen Witz über Ilia Gruevs Worte im Vorbericht zum Spiel gegen den SV Sandhausen gemacht. Dabei tat ich Ilia Gruev unrecht. Was er im Vorbericht zum Spiel gegen den SV Sandhausen sagte, besaß nicht einen Hauch unfreiwilliger Komik.  „Wenn man […] alleine ins gegnerische Tor geht, dann haben wir auch da schon Möglichkeiten, Tor zu erzielen.“ Das waren seine Worte und ohne Frage, sprach er die Wahrheit über das derzeitige Leistungsvermögen seiner Mannschaft. Ilia Gruev war tatsächlich der Realist, als den ich ihn schmunzelnd bezeichnet hatte. Denn eigentlich hatte ich gehofft, ganz leer muss das Tor nicht sein, damit die Zebras 1:0 in Führung gehen können.

Das Sandhausener Tor hätte aber ganz leer sein müssen. Nicht, weil der Sandhausener Torwart in der zweiten Halbzeit den 2:0-Auswärtsaussieg seiner Mannschaft mit drei unfassbaraden Reaktionen rettete. Und auch nicht, weil Cauly Souza kurz nach seiner Einwechslung zur Halbzeitpause den Innenpfosten traf und der Ball wieder ins Feld zurück sprang. Nein, nicht wegen dieser großen Chancen, die dennoch zu keinem Tor führten. Nein, das Tor muss leer sein, weil die Mannschaft bei der jetzigen Spielweise zweifellos immer Glück braucht, um ein Tor zu erzielen. Ohne den Zufall gelingt nichts. Ein leeres Tor würde den Zufall wahrscheinlicher machen.

Wenn ich in der ersten Halbzeit gar keine Hoffnung auf ein Ausgleichstor hatte, gab mir die Mannschaft in der zweiten Halbzeit zumindest das Gefühl, ich dürfe an glückliche Fügung glauben. Ich fühlte mich wie beim Lotto spielen. Drei Richtige, das war der Einwurf im gegnerischen Feld. Vier Richtige, das war die Ecke. Fünf Richtige, das wäre der Ausgleich gewesen. Und von den sechs Richtigen, dem Sieg gar, davon konnte ich nur träumen. Das wusste ich. Ich kenne übrigens niemanden, der schon fünf Richtige hatte. Das scheint trotz besserer Chancen also auch nicht so häufig vorzukommen.

Wie ermüdend war es mit anzusehen, wie der Ball immer wieder hoch nach vorne flog und die Sandhausener Defensive genauso regelmäßig diesen ersten hohen Ball klärte. Den zweiten Ball klärte sie vorsichtshalber auch. Kamen die Zebras ausnahmsweise in Ballbesitz, brauchten die Sandhausener eben etwas länger, um den Angriff des MSV zu unterbrechen. Zumindest wurde der Weg zum Tor in der zweiten Halbzeit gesucht. Und wenn das Glück dann einzutreffen schien, gab es doch noch den Sandhausener Torwart.

Zu Beginn des Spiels bauten die Zebras etwa zehn Minuten Druck auf. In der Zeit versuchten die Sandhausener mit allen Mitteln das Spiel zu beruhigen. Jede Spielunterbrechung wurde zur kleinen Pause. Abschläge wurden nicht sofort ausgeführt. Der Torwart suchte  vorher noch das intime Gespräch mit einem seiner Defensivspieler. Sie schienen sich zu mögen, trotz Feldspielerunachtsamkeit. Mich hat das geärgert. Aber das Mittel war erfolgreich. Nach zehn Minuten war die Angriffskraft der Zebras eingehegt und heruntergezögert.

Darauf hin brachen die Zebras die Krafterhaltungsgesetze. Je vorsichtiger das Spiel nach vorne wurde, desto unsicherer wurde die Defensive. Auf den Flügeln wurde überlaufen, wie es der Gegner wollte. Die ungebrauchte Offensivkraft verwandelte sich also nicht in eine zusätzliche Kraft der Abwehr. Die Naturgesetze sagen uns, sie muss über der Arena in den Raum verschwunden sein, als thermische Energie wahrscheinlich. Vielleicht bescherte uns der 1:0-Rückstand den warmen Nachmittag. Gut, dass die Sandhausener nicht ihre drei, vier Großchancen allesamt verwandelten, sonst hätten wir am späten Nachmittag unter der Hitze des Hochsommers gelitten.

Dann wäre in der zweiten Halbzeit auch der Versuch des MSV unterblieben, den Ausgleich zu erzielen. Es gab diesen Versuch, und wie gesagt, er bestand aus unkontrolliertem Spiel. Wenig Kontrolle bedeutet viel Zufall, und damit brauchte die Mannschaft neben ihrem Spiel das Glück. Dieses Glück war ihr nicht gegönnt.

Wer über das Spiel in feinerer Analyse sprechen will, kann ja in den Kommentaren erzählen, welch alternative Taktik er gewählt hätte und wie er Leistungen einzelner Spieler gesehen hat. Ich habe keine Lust mir weitere Gedanken über das Spiel zu machen. Ich bin nur froh, dass ich meinen Tabellenrechner habe, denn dort ist der MSV im Soll. Der in Berlin von mir nicht erwartete Punkt lässt sich gut verrechen mit dem von mir erwarteten und nicht gewonnenen Punkt gegen Sandhausen. Morgen gibt es dann das Komplettpaket Soll und Haben. Wir steigen nicht ab. Dieser Leistungseinbruch des MSV mit und nach dem Spiel gegen Kiel bleibt dennoch ein Rätsel.

Todsicher muss die Torchance für die Zebras sein

Der Vorbericht des MSV zum Spiel gegen den SV Sandhausen bestätigt meine Tabellenrechner-Prognose. Wahrscheinlich werden wir ein torloses Unentschieden sehen. Natürlich gehen die Spieler optimistischer in die Begegnung. Deshalb antwortet Lukas Fröde auch auf die Frage: „Warum klappt’s am Samstag mit den Toren?“, die Zebras wollten vor heimischem Publikum „richtig Druck“ entwickeln und vorne gebe es „sehr gute Stürmer“, die immer für „das ein oder andere Tor“ gut seien.

Ein Trainer steht allerdings vor der Aufgabe, dem Optimismus eine realistische Färbung zu geben. Deshalb sieht Ilia Gruev, für ein Tor gegen Sandhausen brauchen seine Spieler am besten die todsichere Chance: „Wenn man […] alleine ins gegnerische Tor geht, dann haben wir auch da schon Möglichkeiten, Tor zu erzielen.“ Als Zweckpessimist muss ich zudem hoffen, die Zebras schaffen es, auf ihrem Weg ins gegnerische Tor den Ball nicht zu vergessen.

Bis morgen schmunzel ich noch etwas über die Prise Komik in Ilia Gruevs realistischem Optimismus, den er ab 1.30 hören lässt.

 

Mittwochs ist vor dem Spiel gegen den SV Sandhausen die Welt nicht ganz in Ordnung

Haben wir in Duisburg, also der MSV, eigentlich mal irgendwas aus Sandhausen zurückbekommen für unseren Anteil daran, dass der SV Sandhausen sich in den letzten fünf Jahren als etablierter Zweitligist betrachten kann? Mir fällt als Gegenleistung für unseren Zwangsabstieg 2013 nichts ein. Die meisten von euch wissen das, nur unser Zwangsabstieg verhinderte den direkten Wiederabstieg des Aufsteigers Sandhausen. Seitdem klappt es ganz gut mit der Zweiten Liga und Sandhausen.

Aber in den gegenwärtigen Zeiten der Weltverschwörungstheorien könnten Fans von abstiegsbedrohten Traditionsvereinen wie etwa Kaiserslautern natürlich gleich über Abhängigkeiten hinter den Kulissen nachdenken. Ominöse Strohmänner besprechen Gefälligkeiten und solche Dinge. Die Bilanz lässt schließlich manchen Verdacht zu. In fünf Spielen gab es vier Siege und ein Unentschieden für den MSV. Das ist doch nicht normal.  Ist das ohne Gefälligkeit erklärbar?  Wahrscheinlich war es sogar so, dass die zwei Siege des MSV in der Saison 2012/2013 schon eine verdeckte Vorleistung für den Zwangsabstieg war. Logisch ist das nicht, aber heute darf man doch nichts mehr glauben, oder sagen wir, man darf alles glauben, was so in die Welt hinein posaunt wird.

Ich muss mich zügeln, sonst heißt es gleich wieder, im Fußball habe Politik nichts zu suchen. Ihr wisst, meine Meinung ist das nicht. Trotz solcher grundsätzlichen Sätze gibt es nämlich sehr klar benennbare Ereignisse, in denen sich das Politische in einem Stadion sehr deutlich zeigt. Das Spiel gegen Sandhausen gehört zu diesen Ereignissen allerdings nicht. Ich weiß auch nicht, wie ich darauf jetzt gekommen bin.  Vielleicht weil ich entsetzt darüber bin, dass CSU-Kollege Dobrindt höchst erfreut dem ungarischen Autokraten Orban zu seinem Wahlsieg gratuliert, noch sehr viel freundlicher als sein Kollege Seehofer. Er bezeichnet ihn und seine Partei tatsächlich als „bürgerlich-konservativ“. Ihm ist ein Politiker ein Freund, der die Unabhängigkeit von Medien, Wissenschaft und Gerichten einschränkt, wo es eben nur geht. Das macht einem doch Gedanken.

Nun habe ich nur solche zu Sorgen gewordenen Gedanken im Kopf, und schon komme ich von Hölzken aufs Stöcksken, obwohl ich eigentlich nur den sympathischen Clip zum hundertjährigen Jubiläum vom SV Sandhausen posten wollte. Er versammelt schöne Bilder aus der Vereinsvergangenheit, die uns zeigen, was Sport ausmacht. Die Geschichten von glorreichen Siegen und dem vollkommenen Glück danach gibt es für jeden Verein. In Sandhausen werden sie erzählt über die Amateurmeisterschaft und zwei Pokalsiege gegen Borussia Dortmund und dem VfB Stuttgart – vor allem ab Minute 3.10 etwa. Auf welchem Rasen damals noch Fußball gespielt wurde. Großartig.

 

Spieltagslyrik: Der Stoppelkamp

Der Stoppelkamp

Wo Sand aus jedem Boden wächst,
verhungert Mensch und Tier.
Ertrag auf Binnendüne: Null.
Sandhausen heißt das hier.

Der Lichtblick ist ein Stoppelkamp,
dort gibt es Grün fürs Vieh und Beeren.
So können Gäste in Sandhausen
den Stoppelkamp zufrieden ehren.

Pyrotechnik ist Körperverletzung

Pyrotechnik mag kein Verbrechen sein, Pyrotechnik, Unterkategorie geworfener Böller, ist aber eine Körperverletzung. Als juristischer Laie sage ich, das war vorsätzliche Körperverletzung, als nach dem Spiel des MSV in Sandhausen zwischen den Anhängern auf dem etwa zwei Meter breiten Weg zum Parkplatz ein Böller unauffällig fallen gelassen wurde.

Das Ding explodierte zwischen den MSV-Fans, die das Spiel beredeten, die sich fürs Finale  gegen Leipzig Mut zusprachen. Das Ding explodierte, erschreckte fast alle in der Nähe und danach standen zwei Männer mit schmerzverzerrtem Gesicht an dem Zaun, der diesen zwei Meter breiten Weg auf der einen Seite begrenzte. Sie mussten sich anlehnen, wirkten wie im Schock, hielten sich ein Ohr und konnten nicht mehr weitergehen. Vom Böllerwerfer keine Spur. Natürlich hat ihn niemand in der vom Böller betroffenen Gruppe MSV-Fans gesehen. Natürlich war er längst weiter gegangen. Unauffällig, feige, heimtückisch, aber wahrscheinlich bester Laune. Jemand, der sich wahrscheinlich auch dem MSV verbunden fühlt. Noch wahrscheinlicher fühlt er vor allem sich selbst verbunden.

Ich versuche meinen Ton zu mäßigen. Sehr viel Verstand scheint der Böllerwerfer nicht mit ins Stadion zu bringen, und deshalb muss ich grundsätzlich werden, weil Pyrotechnik ja kein Verbrechen ist, wie die Verfechter des Rechts auf Pyrotechnik in den Stadien betonen. Das mag ja sein, dennoch haftet diese Pyrotechnik-Szene für genau diesen Böllerwurf nach dem Spiel mit. Es ist zum Räuber-und-Gendarm-Spiel geworden bei Auswärtsspielen herumzufackeln. Auch beim MSV, auch in Sandhausen, nach meinem Empfinden war ein großer Teil der mitgereisten Anhänger des MSV mit dem Abbrennen der Bengalos nicht einverstanden. Es wurde gepfiffen. Das ist das eine.

Denke ich an den Böllerwurf  nun, kommen mir so viele Sätze in den Sinn, in denen ich von verantwortungsvollem Gebrauch und solchen Dingen hörte. Soll ich irgendein Argument dieser Szene ernst nehmen, muss sie sich für die Gefahr und den Missbrauch dieser Pyrotechnik verantwortlich fühlen, so wie sie es immer behauptet.

Ihr haftet mit, ihr, die ihr Bengalos anzündet, ihr haftet mit für jeden dieser Idioten, die in der Menge Böller zünden, weil die ja unglaublich spaßig knallen. Seht mal zu, dass ihr solchen Idioten das Zeug aus den Fingern haut, ehe sie es anzünden. Dann können wir weiterreden.

Das durchdrehende Tollhaus neben dem Acker

In der 75. Minute des Spiels vom MSV Duisburg beim SV Sandhausen begann ein Teil dieses Körpers MSV für diese Saison abzusterben. Ich gehörte dazu. Das 2:0 für Sandhausen war gerade gefallen, und der Abstieg schien nach all der hochfliegenden Hoffnung der letzten Wochen doch wirklich zu werden. Ich lehnte an dem Gitterzaun des Stehplatzes, konnte mich nicht mehr rühren, war taub und blind geworden. War ich in dieser Lähmung angesteckt worden, drohte ich andere anzustecken? Einzelne Teile des Körpers hatten sich schon zwangsamputiert und gingen den Fußweg Richtung Parkplatzgrab, das sich zwischen mehreren Äckern der Sandhäuser Bauern befand.

Andere Teile des Körpers konzentrierten jede noch vorhandene Kraft, um die Vitalfunktion des MSV aufrecht zu erhalten. Auf den Rängen wurde immer noch angefeuert, aber der vielstimmige Chor war auseinander gefallen in einzelne kleine Inseln, wo Lebensenergie noch pumpte, und das herausgeschieene EM-ES-VAU wirkte wie ein verzweifeltes Aufbäumen gegen das nahe Ende. Das Zentralorgan dieses Körpers aber, die Mannschaft, schien vom nahen Ende nur insofern etwas mitzubekommen, als es immer stärker arbeitete und arbeite, um genau diesem Ende zu entgehen. Dieses Zentralorgan war weiter auf das Überleben ausgerichtet.

An welcher Stelle des Körpers MSV ich mich gerade befand, kann ich nicht sagen. Auf jeden Fall an einer Stelle, die nicht mehr zur Verarbeitung von Sinneseindrücken fähig war. Wie das Anschlusstor durch Nico Klotz in der 80. Minute fiel, kann ich nämlich aus der Erinnerung heraus nicht sagen. Für mich war es ein Geschenk des Lebens an das Leben. Der Körper MSV war von jetzt auf gleich in sämtlichen Zellen revitalisiert.

Das Stadion war in Duisburger Hand, und dieses Stadion peitschte nun die Spieler des MSV nach vorne. Waren es zwei oder drei Angriffe, die nach dem Anschlusstor aufeinander folgten? Der Rhyhtmus der Ränge und die Laufduelle auf dem Spielfeld befeuerten sich gegenseitig. Der Ball kam in die Nähe des Sandhäuser Strafraums, ohne dass es den Zebras gelang, vor das Tor zu kommen. Doch den nächsten Angriff konnten wir ja sofort erwarten. Ich weiß nicht mehr, ob es der eingewechselte Thomas Bröker war, der am linken Flügel vorbeizog, dabei mit seinem Gegenspieler im Laufduell immer wieder aufeinanderprallte, Arme hielten und dennoch schaffte er es diesen Gegenspieler zu überlaufen. Doch zu wenige Mitspieler lauerten in der Mitte. Der Rückpass kam doch, und mit letztem Einsatz erreichte – wer eigentlich? – den Ball, um sofort umgegrätscht zu werden. Führte diese Spielaktion zum Freistoß in der 83. Minute? Selbst das weiß ich nicht wirklich.

Der Verlauf der Saison macht es mir unmöglich, dieses Spiel in der Abfolge seiner bedeutsamen Ereignisse zu erinnern. Mir bleibt während des Spiels kein einziger Moment der Ruhe mehr, um irgendetwas, was ich gesehen habe, mal kurz in einen Zusammenhang zu bringen. Aus  der ersten Halbzeit ist der Pfostenschuss von Kingsley Onuegbu als große Möglichkeit zur Führung mir in Erinnerung. Der MSV war vorsichtig offensiv und ließ die bekannte Konterstärke der Sandhäuser kaum einmal zur Geltung kommen. Zwei Ausnahmen hat es gegeben. Doch die Abschlüsse der Sandhäuser per Kopfball und Schuss von der Strafraumgrenze gingen am Tor vorbei. Der MSV spielte noch nicht risikoreich genug, um wirklich torgefährlich zu werden. Dennoch hatte die Mannschaft das Spiel einigermaßen im Griff.

Das änderte sich etwa zehn Minuten nach Wiederanpfiff. Die Defensive stand nicht mehr so sicher. Sandhausen kam besser ins Spiel. Die zwei Sandhäuser Tore fielen allerdings jeweils nach Eckbällen. Was die Stimmung zusätzlich belastete, wirkte die Defensive in diesen beiden Situationen doch lethargisch und wenig präsent. Solche Eindrücke bleiben mir als vereinzelte Erinnerung. Das meiste steht nebeneinander, wirft mich hin und her, führt zu heillosem Entsetzen bei den Gegentoren oder wie in dieser 83. Minute zum zweiten Mal in dieser Saison nach dem Siegtor gegen 1860 München zu einem irrsinnigen, eskalierenden Jubel, der nicht aufhören wollte.

Zentral vor dem Tor, zwei, drei Meter außerhalb des Strafraums war der Freistoß gepfiffen worden. Giorgi Chanturia lief an, schoss und dann war der Ball drin, irgendwie abgelenkt, genau habe ich auch das nicht gesehen. Genau erinnere ich nur noch, wie wir auf den Rängen das Stadion in ein Tollhaus verwandelten. Die Bierbecher flogen. Zebras sprangen sich in die Arme, hüpften ununterbrochen, rissen ihre Arme immer wieder hoch. Verzerrte Gesichter. Ungläubiges Schreien. Eine Begeisterung wurde hinausgebrüllt in die Welt, getragen von der Kraft alles Lebendingen. Es war unfassbar laut. Der Jubel hielt an. Der Ausgleich brachte alle Möglichkeiten zu überleben wieder zurück.

Noch gab es sogar die Hoffnung auf den Sieg. Weiter nach vorne, weiter nach vorne, hieß die Devise nun für beide Mannschaften. Meine Angst blitzte auf, die Spieler könnten überdrehen in dieser kochenden Stimmung. Die Konter des SV Sandhausen drohten. Das Spiel wogte nun hin und her. Trotz des Drucks vom MSV kamen die Sandhäuser in diesen letzten Spielminuten zu den klareren Chancen. Waren es zwei oder drei Schockstarren, aus denen mich erst die Angriffe des MSV wieder herausrissen? Der Schlusspfiff hinterließ bei mir eine komische Stimmung zwischen Euphorie und Enttäschung. Wie konnte ich beides zusammen spüren? So gehen wir mit dem MSV durch diese Saison. Je größer die Hoffnung jeweils ist, desto tiefer kann die Enttäuschung treffen. So hoch waren wir gestiegen, so tief waren wir zwischendurch gefallen und nun sehen wir dem letzten Spieltag entgegen – und hoffen weiter.

Zebrastreifenblog demnächst mit sportpsychologischem Serviceangebot?

Seit ich gestern im Reviersport das Interview mit dem Sportpsychologen Jürgen Walter gelesen habe, denke ich mal wieder über einen Nebenerwerb nach. Sportpsychologe darf ich mich wahrscheinlich nicht nennen, aber dieser Markt rund um die Psyche bietet ja immer einige Notlösungen. Das muss nur passgenau auf die Ansprüche des Fußballs  hin formuliert werden. Achtsamkeitstrainer etwa hätte keine Chance, auch wenn der Trainer sportnah klingt und der Psychohyghiene-Markt seit einiger Zeit große Wachstumsraten beim Achtsamkeitstraining verzeichnet.

Auch vom reinen Motivationstrainer Daumscher Prägung scheint der Fußball nicht mehr so viel zu halten. Man möchte doch was Seriöses, Berater, die im beruflichen Werdegang durch eine wissenschaftlich fundierte Ausbildung abgesichert sind. Übrigens ist der Motivationstrainer ohnehin aus dem Fokus der Öffentlichkeit verschwunden. Das hängt mit dem wirtschaftlichen Aufstieg der Achtsamkeitstrainer eng zusammen. Diese Gesellschaft brauchte ein Gegenmittel zu all denen, die ab Ende der 90er für etwa ein Jahrzehnt erzählten, ihr könnt alles schaffen, wenn ihr nur die richtige Einstellung habt. Nun haben fast alle nach all ihren Motivationsseminaren die richtige Einstellung, und dennoch schaffen sie es nicht. Zumindest nicht ohne leidvolle Folgen für alles, was nicht der Beruf war, Gesundheit zum Beispiel.

Aber ich wollte ja eigentlich über meine Karriere als Sportpsychologe erzählen, der nur anders heißen wird. Meine Analysefähigkeiten stehen jedenfalls schon mal außer Frage. Mein Kollege in spe Jürgen Walter hat nämlich dasselbe festgestellt wie ich in der Rückrunde, die Mannschaft des MSV fand erst zu ihrem guten Spiel, wenn sie nichts mehr zu verlieren hatte; in Jürgen Walters Worten, „als dann alles ausweglos schien und die Spieler sich keine Gedanken mehr gemacht haben, haben sie plötzlich frei aufgespielt.“

Allerdings bin ich optimistischer als er. Er fragt sich noch, ob der Flow, in dem sich die Mannschaft nun befindet, in den letzten beiden Spielen anhielte. Die Mannschaft hätte sich an die Konkurrenz herangekämpft, sei nun wieder im Rennen und nun könnten die Spieler wieder ins Nachdenken kommen, eine Gefährdung ihrer Leistung. Ich bin optimistischer, weil das Spiel gegen Fortuna Düsseldorf schon jene Prüfung des Flows gewesen ist, die er erst in Sandhausen auf die Mannschaft zukommen sieht. Die Ausgangslage für die letzten fünf Mannschaften der Tabelle ändert sich nicht mehr an diesem vorletzten Spieltag. Eine Niederlage macht den Abstieg wahrscheinlich. Darüber braucht niemand großartig nachzudenken. Es geht wieder um alles. In dieser Situation zu bestehen, das macht der MSV im Moment verdammt gut. Ob der Flow dann langt, um zu gewinnen, ist schließlich noch  eine andere Frage. Dass der Flow anhält, dessen bin ich sicher.


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