Ein Dokumentarfilmer braucht normalerweise viel Zeit, um jene Bilder zusammen zu bekommen, die das Thema seines Films mit allen gewünschten Facetten zeigen. Ein Dokumentarfilmer aber, der am MSV Duisburg der Gegenwart interessiert ist, wäre am Samstagnachmittag freudestrahlend nach Hause gefahren. An einem einzigen Nachmittag hätte er seine Arbeit erledigt gehabt, wenn er das so schwankende Leistungsvermögen der Zebras hätte bebildern wollen. Am Samstag im Heimspiel gegen den 1. FC Saarbrücken war die bisherige Saison im Schnelldurchlauf zu sehen. Das 3:3-Unentschieden war das folgerichtige Ergebnis.
Da die meisten von uns aber gerade an keinem Dokumentarfilm über den MSV Duisburg der Gegenwart arbeiten, ärger ich mich wie so viele von uns über den unfassbaren Leistungsabfall der Mannschaft in der zweiten Halbzeit. Sicher, schon in der ersten Hälfte hatte Saarbrücken große Konterchancen, die Michael Ratajczak mit hervorragenden Reaktionen im eins gegen eins zunichte machte. Die Diskussion über solche Art Chancen war aber schon in den Tagen zuvor mit dem Beispiel Nationalmannschaft geführt worden. Das Spiel nach vorne klappte hervorragend, meist gelang das Pressing und das frühe Wiedererobern des Balles. Schöne Kombinationen schlossen sich an. Natürlich liegt das eigene Spielfeld bei so frühem gemeinschaftlichen Agieren in der Häfte des Gegners weit offen. Das Risiko aber schien beherrschbar. Chance um Chance wurde sich erspielt. Zwei Tore von Kingsley Onuegbu waren das Ergebnis. Das erste fiel nach schöner Vorarbeit durch Michael Gardawski, der einen langen Pass von Branimir Bajic erhalten hatte. Die Vorarbeit für das zweite Tor machte Sascha Dum nach schnellem Umschaltspiel. Die Saarbrücker Mannschaft schien hilflos zu sein und übernervös. Die Spieler machten Fehler auf Fehler, und die Zebras zu wenig Tore für die vielen Chancen. Kurz und knapp, die Mannschaft vom MSV war in der ersten Hälfte auf eine Weise überlegen, dass ich entspannt wie schon lange nicht mehr der zweiten Hälfte entgegen sah.
Mit den ersten Pässen auf dem Feld nach Wiederanpfiff wurde diese Entspannung weggeweht. Anscheinend war die Mannschaft in der ersten Halbzeit zu überlegen gewesen. Da standen nun zu viele Spieler in blau-weißen Trikots auf dem Platz, die davon überrascht wurden, dass die Saarbrücker in der zweiten Halbzeit weiter Fußball spielen wollten. Sie waren nicht darauf eingestellt, weiterhin um freie Bälle kämpfen zu müssen. Sie konnten ihre Einstellung zum Spiel zunächst nicht ändern. Jeder, der selbst schon einmal Wettkampfsport erlebt hat, kennt dieses Gefühl, ein Ziel ist erreicht. Die innere Anspannung fällt ab, und wenn dann jemand kommt und dir sagt, es geht noch weiter, wird jeder Schritt, der eben noch so leicht fiel, fast schon zur Qual. Die Spieler des MSV Duisburg glaubten vielleicht nicht, das Ziel sei erreicht, sie dachten zumindest aber, zwei Drittel Strecke wären längst geschafft. Die Ansage der Saarbrücker war dagegen, die Hälfte liegt noch vor euch. Was der Wirktlichkeit eher entsprach.
In der Kabine sollen sich die Spieler des MSV sogar der Gefahr zu früher Sicherheit bewusst gewesen sein. Das berichtete der sichtlich missmutige Karsten Baumann auf der Pressekonferenz. Doch Worte sind das eine, Taten das andere. Und so wurden die Saarbrücker vor ihren beiden schnellen Toren nach Wiederanpfiff nur noch halbherzig angegriffen. Die sichere Führung war verloren und alles begann wieder von vorne. Dennoch kämpfte sich die Mannschaft wieder ins Spiel zurück, versuchte sie ansatzweise an die aus der ersten Hälfte bekannten Qualitäten anzuknüpfen. Die Spieler waren noch einmal zur Anstrengung bereit, auch wenn der Druck auf die Saarbrücker Defensive nicht sonderlich groß wurde. Viele Torchancen gab es nicht mehr. Dennoch gelang Kevin Wolze die erneute Führung. Doch die Mannschaft spielte defensiv nicht sicher genug, um diese Führung konsequent zu verteidigen. Die Saarbrücker hatten ihre Chance gesehen und glaubten weiterhin an diese Chance. Dagegen fürchteten sich die Spieler des MSV Duisburg vor dem nächsten Fehler. Gute Voraussetzungen für den nochmaligen Ausgleich des 1. FC Saarbrücken.
Ich vermute deshalb in diesem Spiel das Wirken des Unsicherheitserhaltungsatzes. Nach diesem fußballphysikalischen Gesetz bleibt die Gesamtunsicherheit während eines Fußballspiels konstant. Die Saarbrücker Spieler hatten einen Teil der eigenen Unsicherheit auf die Spieler des MSV Duisburg übertragen. Momentan rätselt die gesamte Forschungsgruppe MSV Duisburg – Trainer, Spieler wie Zuschauer – noch über die zugrunde liegenden Mechanismen.
Die Pressekonferenz nach dem Spiel sowie die Stimmen nach dem Spiel von Kevin Wolze und Sascha Dum.
Neueste Kommentare