Zu meiner Zeit – Teil 2 –
von Manfred Wiegandt
Der Platz an der Stolzestraße war ein kleiner Ascheplatz. Wenn man richtig Fußball spielen wollte, musste man etwas weiter, an die Borkhofer Straße, gehen, zum „Acker 17“. Später musste der Platz dort dem inzwischen wieder abgerissenen Meidericher Hallenbad weichen; heute gehört der Bereich zum Vereinsgelände des MSV. Das war ein Fußballplatz mit richtigen Dimensionen und richtigen Toren. Dennoch spielten dort meist viele Kinder in verschiedenen Spielen und steckten sich Tore mit Stöcken oder Kleidungsstücken ab. Der große Vorteil hier war, dass es kein Hartplatz, sondern so etwas wie Rasen-, besser (abgetretener) Grasplatz war. Ich erinnere mich noch genau, dass in dem Bereich hinter dem zur Straße gelegenen Tor große Brennnessel-Flächen waren, aus denen der Ball häufig herausgeholt werden musste. Als ich kleiner war, ging ich seltener dorthin. Es war weiter weg von zu Hause, und ich hatte kein geeignetes Fahrrad. Obwohl – in der Grundschule bis in die ersten Jahre des Gymnasiums war bei uns das Rollerfahren noch „in“. Wir waren mit unseren Rollern, deren Reifen knallhart aufgepumpt waren, oft schneller als jeder gleichaltrige Fahrradfahrer. Ich weiß noch, wie ich mit meinem eineinhalb Jahre jüngeren Bruder – ich kann höchstens acht oder neun gewesen sein – auf Pantoffeln an der damaligen Straßenbahnlinie 9 entlang durch die Ruhraue und durch Duissern in die Duisburger Innenstadt rollerte und dann über Ruhrort und das Hafengebiet am Meidericher Stadtpark vorbei zurück kam. Unserer Mutter hatten wir zum Glück nichts davon gesagt. War ohnehin eine ganze spontane Idee gewesen. Wir wagten uns damals auch deshalb nicht oft zum Acker 17, weil wir dabei an der Ecke Gerrickstraße/Borkhofer Straße vorbei mussten. Dort gab es einige berüchtigte Häuser innerhalb eines Häuserblocks, den man durch einen Torbogen erreichte. Lief man auf dem Weg zum Acker 17 an dieser Ecke den falschen Jungen in die Arme, konnte man sich auf eine Abreibung gefasst machen. Vieles war dabei auch mehr Gerücht als Wahrheit, denn ich hatte zwei Klassenkameraden dort, mit denen ich befreundet war und mit denen ich – natürlich – Fußball spielte. Verkloppt wurde ich dabei nie.
Das ist für mich so charakteristisch für die damalige Zeit: wie uns der Fußball in jeder Hinsicht geprägt hat. In meinen Erinnerungen war das Bolzen die Hauptfreizeitbeschäftigung, quasi überall, wo man es tun konnte – und manchmal gar nicht durfte. Im Meidericher Stadtpark z.B. wurden wir regelmäßig vom Parkwächter, der auf einem Fahrrad mit einem Schäferhund patroullierte, von den Wiesen vertrieben. Aber auf „Rasen“ zu spielen, lockte uns so sehr, dass wir immer wieder kamen. Fußball war immer da, auch in der Schule. In den Freistunden veranstalteten wir auf dem Handballplatz vor der Turnhalle immer Klassenspiele. Ich spielte auch in der Schulmannschaft, zusammen mit einigen weit besseren Schülern, zum Beispiel mit Uwe Hansel, der von der A-Jugend des MSV unter Quinkert zu Uerdingen wechselte und dort einige BL-Spiele und eine ganze reihe Zweitligaspiele absolvierte. Da ich ausgerechnet am letzten Tag des Jahres geboren war und die Altersgrenzen für Schulmannschaften sich anders als im Vereinssport nach dem Geburtsjahr richteten, schied ich immer ein Jahr zu früh aus der entsprechenden Mannschaft aus. Auf dem jährlichen Schulsportfest, das damals noch im Schwelgern-Stadion in Hamborn statt fand, war der Höhepunkt jedes Mal das abschließende Spiel Lehrer gegen Schüler des Abiturjahrgangs.
Schwer fällt es mir zu sagen, wann ich mich zum ersten Mal für Fußball zu interessieren begann. Es muss nach dem Umzug unserer Familie von Untermeiderich (St.-Vither-Straße) nach Mittelmeiderich in eine Neubauwohnung im sozialen Wohnungsbau auf der Bürgermeister-Pütz-Straße (an der Ecke gegenüber der Stolzeschule) gewesen sein. Ich war damals vier – genauer gesagt viereinhalb. Das war sehr wichtig, wie überhaupt jeder Tag, den man älter als ein anderes Kind war, enorme Bedeutung hatte. Wir hatten dort einen Innenhof, auf dem die Wäsche aufgehängt wurde und auf dem die etwa ein gutes Dutzend Kinder spielen konnten. Nicht viel freie Fläche, fast nur Beton, aber die Teppichstangen waren natürlich ideale Tore, wie auf allen Nachbarhöfen, auf denen man sich zum Bolzen herum trieb. Leider war das Fußballspielen verboten, wenn Wäsche hing, und das was sehr oft der Fall. Intensiver erinnere ich mich noch an das Fußballspielen auf einem kleinen Schulparkplatz auf der Stolzestraße, der nach Schulschluss meist frei war. Wir markierten an einer Wand mit Kreide ein Tor und spielten dann auf ein Tor bis zehn. Der Torwart warf den Ball immer unparteiisch über den Rücken ab. Ich war damals einer der Torschützenkönige und erzielte meist mehr als die Hälfte der zum Sieg erforderlichen Treffer. Wenn der Parkplatz ganz frei war, wurde dann auch richtig auf zwei Tore gespielt. Ein anderer verbotener Platz war ein Stück Rasenfläche neben der FINA-Tankstelle gegenüber unserem Haus. Der Tankwart war jedoch ein recht miesepetriger Typ, der uns regelmäßig vertrieb. Im Sommer allerdings, wenn die Tankstelle am Abend geschlossen war, wir Ferien hatten und es noch bis nach zehn Uhr hell war, konnten wir dort ohne diese Interventionen bis spät abends „auf Rasen“ bolzen. Das Allergrößte war für uns, wenn wir den heiligen Rasen an der Westender Straße betreten und dort auf die richtigen Tore mit Netzen schießen konnten. Das Vergnügen dauerte aber nie sehr lange, da der MSV-Platzwart sehr aufmerksam war und keinen Unbefugten auf dem grünen Teppich duldete. Oft genug haben wir auch den Profis beim Training zugesehen: da war man in unmittelbarer Nähe von Ruuudi Seliger, dem holländischen Friseur Kees Bregman oder auch Kuddel Jara oder Flieger Gerhard Heinze und wie sie alle hießen.
Unsere Ausrüstung war damals noch bei Weitem nicht so elegant wie bei den heutigen Jung-Fußballern. Ich weiß gar nicht, wie alt ich war, als ich meine ersten Fußballschuhe bekam. Ich weiß nur, dass sie „Adidas Argentina“ hießen; der populärste Schuh war damals wohl „Adidas Uwe“. Später trug ich dann meist Puma-Schuhe, weil ich sie bequemer fand. Vielleicht auch, weil der MSV und Gladbach mit Puma ausgerüstet waren. Wir spielten meist auf Hartplätzen und daher wären Nockenschuhe oder auch nur einfache Sportschuhe eigentlich das Beste gewesen. Stattdessen war aber jeder bestrebt, Schuhe mit Schraubstollen zu bekommen. Das machte einen mehr professionellen Eindruck. Richtige Trikots hatten wir in der Regel auch nicht. Es war sogar recht schwierig für jemanden, der nicht im Verein spielte, einfach ein Trikot seiner Wahl zu kaufen. Eigentlich war das einzige Trikot, das man sah, das Zebratrikot. Dann raunten die anderen Jungen gleich: „Der spielt im Verein.“ Und man hatte gleich mächtig Respekt. Ein Freund von mir tauchte eines Tages auf dem Bolzplatz mit einem gelb-schwarzen Trikot auf und wir waren alle beeindruckt, einen Dortmund-Fan zu sehen. Doch dann offenbarte er, dass dies ein Trikot von Hamborn 07 sei, was ihm den Spott aller Anderen eintrug, obwohl Hamborn 07 damals noch in der Regionalliga West und damit zweitklassig war. Als Torhüter wollte man gerne Knieschoner haben, die auf den Hartplätzen sehr hilfreich waren. Ich glaube, dass ich aber nie welche bekam, obwohl ich als Pimpf gerne im Tor stand. Da mein Geburtstag Silvester und damit nur eine Woche nach Heilig Abend war, musste ich meine Fußball-Ausrüstungs-Wünsche auf das Ende des Jahres konzentrieren. Danach gab es nichts mehr. Ich ging dann meist zu dem kleinen Sportgeschäft Thielen auf der Bahnhofstraße in Meiderich. Der Sohn war in meiner Parallelklasse. Wichtig waren natürlich die Bälle, aber solche aus Leder waren teuer, und so haben wir anfangs meist mit irgendwelchen Plastikbällen gespielt, die dann natürlich regelmäßig, z.B. durch die Dornen hinter dem Tor, kaputt gingen. Ich hatte meinen ersten guten Lederball erst, als ich schon studierte. Mein kleiner Bruder besaß einmal einen Basketball, der zwar unheimlich aufstolzte, wie wir sagten, aber recht haltbar war. Eines Tages nahmen ihm zwei Zwillinge den Ball weg, und er kam nach Hause. Meine Mutter schickte mich los, den Ball von den Jungen zurück zu holen. Die Zwillinge waren zwar ein wenig jünger als ich, aber dafür einen Kopf größer. Zum Glück hatten sie noch mehr Schiss vor mir als ich vor ihnen und der Ball kam nach einer Weile zurück. Bald darauf nahmen einige junge Arbeiter meinem Bruder den Ball in ihrer Mittagspause weg und spielten so lange, bis er schließlich kaputt war.
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