Roman, so steht es im Titel des jüngsten Buches von Ralph Hammerthaler. Muss man von diesem Buch mehr wissen als den Titel? Wenn man sich für Subkulturen im Fußball interessiert, wahrscheinlich nicht. Wenn man sehr konkrete Vortellungen von in Romanen erzählten handlungsreichen Geschichten hat vielleicht doch. Meint Roman in dem Fall doch weniger eine in sich geschlossene Erzählung mit langem Spannungsbogen als eine biografische Skizze zur Hauptfigur, die aus vielen kleinen, gleichgewichtigen Szenen besteht.
In Duisburg könnte das Buch durch zusätzliches Wissen weitere Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Til ist nämlich Anhänger des MSV. Er lebt in Meiderich, arbeitet in Düsseldorf und spielte als Torwart ambitioniert in der Jugend der Zebras, ohne sich beim Übergang in den Seniorenbereich durchsetzen zu können. Auch der Umweg über die Amateure beim MSV blieb verschlossen. Stattdessen ging er zu Adler Osterfeld in der Verbandsliga. Sein Ehrgeiz war dahin. Der verlagerte sich schließlich zu dem einen speziellen Kampfsport. Eine Schlägerei in einer Diskothek führte ihn über die Türsteherszene in die in Teilen identische Hooliganszene. So ein daneben recht normales Leben mit geregeltem Berufsalltag und Freundin, kennt die Welt aus vielen Hooligan-Biografien Westdeutschlands.
Ralph Hammerthaler gibt einen tiefen biografischen Einblick in den Werdegang eines Mannes von etwa 40 Jahren aus dem Ruhrgebiet. Er erzählt von Zufällen auf dem Lebensweg, von Hoffnungen und Sehnsüchten, von Konflikten mit der Ursprungsfamilie, vom dennoch vorhandenen, zwiespältigen Zusammenhalt dort. Vor allem erzählt er immer wieder von der Anerkennung und dem intensiven Gefühl der Zugehörigkeit, die die Hooliganszene diesem Mann bot und bietet. Von Geborgenheit zu sprechen, verbietet sich eigentlich angesichts der erlittenen Verletzungen durch Kämpfe und der schließlich eintretenden größten Gefahr, der Til begegnet. Nicht zuletzt auch, weil in der gezeigten Männerwelt offen angesprochene Gefühle nur in begrenzten Ausschnitten erlaubt sind. Dennoch kam mir dieses Wort in den Sinn.
Das liegt auch an Ralph Hammerthalers literarischen Fähigkeiten. Er macht Menschen in ihrem sehr indivuellen Alltag verstehbar und hält deren grundlegende Bedürfnisse durch den erzählerischen Zusammenhang wach. Die Romanfigur Til kennen seine Leser schon aus seinem Ruhrgebietsroman „Die fünfte Nacht“. Dort trat er als Nebenfigur auf. Er gehörte zu einem durch eine feindliche Liebe verbundenen Bruderpaar, das der Held des Romans, ein Straßenbahnfahrer der DVG, während seiner Fahrten kennenlernte. Auch in diesem in großen Teilen in Oberhausen spielenden Roman fängt Ralph Hammerthaler ganz unspektakulär den Alltag des westlichen Ruhrgebiets ein. Weil er in diesem Roman sehr viel mehr Personen näher betrachtet, wird die Geschichte eine Art gesellschaftliche Panoptikum. Nicht die Biografien seiner Figuren interessieren ihn hier besonders, sondern deren Zusammenwirken als Stadtgesellschaft. Nicht die Vergangenheit ist wichtig in diesem Roman, sondern die Gegenwart des Ruhrgebiets.
Straßenbahnfahrer sind selten Hauptfiguren in einem Roman der Gegenwart. Schon diese Besonderheit macht neugierig auf das Buch. Einige Wochen aus seinem sehr alltäglichen Leben reichen für eine eindrucksvolle Erzählung. Dazu braucht es keine Handlung voller Wendungen. Denn Ralph Hammerthaler erfasst und beschreibt die Menschen dieses westlichen Ruhrgebiets sehr genau und mit viel Sympathie für jedes einzelne geschilderte Leben.
Das Schicksal des Ruhrgebiets brachte es mit sich, dass immer wieder von überall her aus Deutschland Menschen für einige Zeit in diese Städtelandschaft reisten, um sich eine Meinung zu erlauben. Manche glaubten dann, wahrhaftige Geschichten über die hier lebenden Menschen schreiben zu können. Meist hatten sie die Menschen nicht verstanden, geschweige denn ein Gespür für ihre Sprache entwickelt.
Dem in Berlin lebenden und in Bayern aufgewachsenen Ralph Hammerthaler dagegen gelingt beides auf beeindruckende Weise. Man hört das Ruhrgebiet in den Dialogen sprechen. Man sieht seine Figuren lebendig vor sich. Noch im kleinen Detail ihres Alltags nimmt Ralph Hammerthaler seine Figuren ernst. „Die fünfte Nacht“ lässt seine literarische Qualität deutlicher erkennen als sein „Kurzer Roman über Hooligan Til“. Auch wenn ein Leserkommentar bei Amazon zum „Til“ bestätigt, so begegne er „Til“ seit Jahren. Denn hinter allen Figuren in Ralph Hammerthalers zwei Ruhrgebiets-Romanen verbergen sich wirkliche Menschen. Er leiht sich ihre Geschichten aus, um etwas eigenes zu erzählen. Ralph Hammerthalter schreibt besondere Geschichten über Menschen, die im Kulturbetrieb meist wenig Aufmerksamkeit erhalten.

Ralph Hammerthaler
Kurzer Roman über Hooligan Til
Quintus Verlag
Hardcover
119 Seiten
20,00 €

Ralph Hammerthaler
Die fünfte Nacht
Quintus Verlag
Hardcover
304 Seiten
24,00 €
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