Meidericher SV, 100 Jahre Ruhrgebiet und die Leiden von RWE-Fans

Noch immer bin ich nicht ganz in der Gegenwart dieser Saison angekommen, geschweige denn, dass ich eines der zwei Punktespiele bislang habe sehen können. Die Spielergebnisse des MSV bewegen mich zwar, aber die hoffentlich bald vorübergehende Normalität des hygienischen Stadionbesuchs fühlt sich weiter unwirklich an. Ich schaffe meinen eigenen freiberuflichen Alltag und mein nahes privates Leben unter den besonderen Corona-Bedingungen hinzubekommen. Dafür braucht es mehr Planung als in früheren Zeiten. Es gibt weiter mehr Ungewissheit und weniger Möglichkeiten zu Lesungen und Auftritten. Da bleibt weiter nicht viel Raum, mich an einen Fußball unter Corona-Bedingungen zu gewöhnen.

Statt der Gegenwart bringt deshalb die Vergangenheit, mir den Fußball sehr viel häufiger nahe. Ich beschäftige mich für zwei Projekte mit dem Fußball als Kulturphänomen, und dann gibt es noch die Zufallsbegegnungen wie neulich bei der Ausstellung „100 Jahre Ruhrgebiet – Die andere Metropole“ im Ruhrmuseum auf Zeche Zollverein. In der überschaubaren Ausstellung wird das Ruhrgebiet in sieben Segmenten vorgestellt, eines davon nennt sich „Sport- und Veranstaltungsmetropole“. Lassen wir mal die Metropole als wieder einmal viel zu großes Wort für die Gegebenheiten des Ruhrgebiets beiseite.

Beiseite lassen, das möchte ich gerade, aber dieser kleine Ausstellungs-Nebenraum mit ein paar Plakaten, gröhlt mir gerade noch einmal lachend ins Ohr. „Metropole“, höre ich und dieses irre Lachen. Egal, in dem Metropolen-Tempel der Konzerte und des Sports, der Gruga-Halle, fand jedenfalls im Januar 1964 ein wahrhaftiges Metropolen-Ereignis statt, an dem der Meidericher SV teilnahm. Das Teilnehmerfeld mit den anderen hochkarätigen Vereinen der Metropole muss die Fußballfans in aller Welt begeistert haben. Mir ist das Ergebnis dieses Turniers nicht bekannt. Sehr viel älter als ich, muss man nicht sein, um sich daran zu erinnern. Vielleicht liest ja jemand mit, der dort war, und was erzählen kann.

Die traditionsbewussten Anhängern von Rot-Weiss Essen drehen wahrscheinlich am Rad beim Blick auf das Plakat. Selbst in der Heimatstadt des Vereins hielt es die Gruga-Verwaltung 1964 schon mehr mit der Rechtschreibung als mit der Vereinstradition. Wer einem RWE-Fan das  Doppel-S im Farbwort nimmt, greift dessen Identität an. Mancheiner nimmt das gar als Beleidigung. Vielleicht liegt da der tiefe Grund für den Niedergang von RWE, diese Ignoranz der eigenen Stadt gegenüber den Werten bei RWE.

Deshalb schnell das Beruhigungsmittel für alle mitlesenden RWE-Fans: weiss weiss weiss weiss weiss. Zu Risiken und Nebenwirkungen der täglichen Doppel-S-Zufuhr fragen sie ihre Blogger und Vereinshistoriker. Offensichtlich hat es ein RWE-Fan in Essen schwer. Zeche Zollverein, der Ausstellungsort, liegt ja bekanntlich in besagtem Essen. Als ich die eine einordnende Texttafel zum Stadionbau in der Rubrik Sportereignisse las, hatte ich verzweifelte RWE-Fans wohl gerade verpasst. Es war Hand angelegt worden an die Kürzest-Geschichtsschreibung der Ausstellung. Die RWE-Geschichte der 60er fehlte RWE-Fans jedenfalls dort.

Ich kann die Enttäuschung dieser Fans verstehen. Wenn Bochum dort steht, obwohl der VfL erst 1971 in die Bundesliga aufstieg, kann RWE zurecht auf Gleichberechtigung pochen. Zwar war das in den 1960ern  vorhandene Georg-Melches-Stadion erst wenige Jahre zuvor gebaut worden, doch profitierte RWE damals von einem der modernsten Stadien seiner Zeit.

Geschichtsschreibung ist schwierig. Der Anfang des Textes passt wegen der sehr viel späteren Bundesligazugehörigkeit des VfL argumentativ nicht zum Ende. Da hätte dann RWE auch nicht mehr gestört.

Insgesamt hat mich die Ausstellung übrigens etwas enttäuscht, weil die Ausstellungsinhalte sich zu gut der Hälfte nicht von der Dauerausstellung unterschieden. Dieser Sportbereich findet sich in der Dauerausstellung ebenso in ähnlicher Form wie der andere Kulturbereich. Ich hätte eine engere thematische Bindung an den Regionalverband Ruhr und die Gemeinschaftsbemühungen besser gefunden. Schließlich ist das RVR-Jubiläum Anlass der Ausstellung. Andererseits erhalten Erinnerungen an eigene Lebensgeschichte Futter. Was natürlich auch einen Wert hat.

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