Halbzeitpausengespräch – Duisburg-Trilogie von Fakir Baykurt endlich übersetzt

Eva Lacour und Hartwig Mau

2011 erschien „Halbes Brot“, der erste übersetzte Roman von dreien, in denen Fakir Baykurt (1929 – 1999) in den 1980er Jahren von der Lebenswelt Duisburgs erzählte. Am Dienstag nun wurden mit „Vater Rhein“ und „Hochöfen“, die zwei weiteren seiner in Duisburg spielenden Romane, in der Stadtbibliothek Duisburg im Rahmen einer Lesung durch die Übersetzerin Eva Lacour und den Übersetzer Hartwig Mau vorgestellt.

Der in der Provinz Burdur aufgewachsene Fakir Baykurt war schon in der Türkei als Schriftssteller erfolgreich gewesen, als er 1979 mit einem Stipendium nach Deutschland kam. Er schrieb realistische Romane über die bäuerliche Wirklichkeit seine Heimatlandes und erhielt Literaturpreise. Sein literarischer Stil wurde durch die mündlichen Erzähltradtionen der Landbevölkerung bestimmt. Sein realistischer Blick auf Menschen und Verhältnisse machte seine Literatur zur Sozialkritik.

Wahrscheinlich führte auch der Militärputsch in der Türkei 1980 dazu, dass der politisch engagierte Fakir Baykurt in Deutschland blieb. Statt mit dem bäuerlichen Leben beschäftigte er sich nun dauerhaft mit der Wirklichkeit der Migranten als Industriearbeiter. Doch Fakir Baykurt blickte über das Migranten-Milieu hinaus. Mit seinem Personal erzählte er allgemeine Geschichten über die Ruhrgebietswelt mit ihren Menschen aus verschiedenen Herkünften. Er nahm die Erzählhaltung jener deutschen Autorinnen und Autoren der Gegenwart vorweg, deren Großeltern oder Eltern aus der Türkei gekommen waren. Fakir Baykurt empfand sich als zugehörig zur deutschen Gesellschaft. Er beschrieb nicht von außen, sondern erzählte aus ihrem Inneren heraus. Institutionen und öffentliche Personen Duisburgs in den 80ern tauchen ebenso auf wie historische Erklärungen für Teilgeschehen der Romane. Für Fakir Baykurt war das migrantische Milieu Teil der Stadtgesellschaft. Es gehörte dazu. Seine Romane zeigen mit einem sozialkritischen Realismus ein Ruhrgebiet, das es in den 1980er Jahren im Literaturbetrieb schwer hatte. Diese Literatur, auch von deutschen Autoren geschrieben, wurde von der Kritik kaum wahrgenommen, geschweige denn öffentlich wertgeschätzt. Der bundesweite Erfolg Max von der Grüns in den Jahren davor war nur die Ausnahme von der Regel.

Wer heute die drei Romane von Fakir Baykurt liest, lernt Duisburger Wirklichkeit detailreich kennen. Diese Stadt steht aber stellvertretend für sämtliche Großstädte Deutschlands mit migrantischer Kultur. Fakir Baykurt erzählt von Rassismus ebenso wie von der Umweltverschmutzung durch die Industrie und den schlechten Arbeitsbedingungen dort. Er erzählt aber auch von gelingenden Begegnungen zwischen den Kulturen, von Irrtümern und Annäherungen. Fakir Baykurt muss bei aller Kritik an den Verhältnissen seiner Gegenwart ein optimistischer Mensch gewesen sein. In seinen Geschichten folgen Figuren oft einem kulturübergreifenden Humanismus. Gelingendes Zusammenleben in Verschiedenheit gibt es in seinen Romanen, ohne dass er ein träumerischer Idealist gewesen wäre. Er kennt hemmende Befindlichkeiten ebenso wie die um des lieben Friedens Willen verschwiegenen Vorurteile.

Die „Duisburg-Trilogie“ von Fakir Baykurt – das lässt sich leicht merken, um in Buchhandlungen danach zu fragen. Die Trilogie kostet nur 50 Euro. Dem Verlag Dialog-Edition sei viel Nachfrage gewünscht. Das große Publikum am Dienstag bei der Veranstaltung vom Verein für Literatur Duisburg bewies, wie tief Fakir Baykurt sowohl in die türkische Comunitiy als auch in die Mehrheitsgesellschaft Duisburgs hinein gewirkt hat. Seine Romane gehören in den Kanon einer Literatur des Ruhrgebiets.

6 Kommentare

  1. Schöner Text! Ich kannte Fakir Baykurt sehr flüchtig. Er war/ist eine Ikone der intellektuellen Deutschtürken vor allem in Duisburg und war dort auch allgemein hochverehrt. Ich glaube, in Homberg gibt’s doch auch einen Fakir-Baykurt-Platz?

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    • Bedankt. Ich hoffe sehr, neue Leserinnen und Leser werden neugierig. Und den Platz gibt es, ja. Auch in der Türkei ist er weiter hoch angesehen. Das erzählte am Dienstag jemand in der Bibliothek, und im Netz bin ich auf eine Gedenkfeier für ihn in seinem Geburtsort gestoßen. In diesem Jahr.

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      • Interessant!

        Übrigens: Die Duisburg-Trilogie schreit doch in Zeiten des HÖRENS von Büchern nach einer „Audioverbuchung“, nicht? Ich kann mir das sehr gut vorstellen: VERSCHIEDENE markante Stimmen, darunter vielleicht auch Wegbegleiter (konkret fällt mir da sogar einer ein), sind abwechselnd zu hören; dazu immer mal wieder atmosphärische Klang-Oasen (Industrie-Sounds, Rheinplätschern, Saz-Geklimpere, vielleicht auch mal’n Beat usw.) – fänd ich super!

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      • Über den Verleger Tayfun Demir möchte ich demnächst Mal ein Porträt schreiben. Willich ihn natürlich auch sprechen. Dann gebe ich das direkt mal weiter.

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  2. Tayfun Demir aus der Stadtbibliothek? Dann nenn ihn doch vielleicht als den einen Namen, den ich im Sinn hab, Mevlüt Asar; ein Duisburger Lehrer und Literat – möglicherweise sogar ein Übersetzer von Baykurt, auf jeden Fall aber ein Freund und Wegbegleiter. Demir wird den auf jeden Fall kennen.
    Aus dieser Riege – türkischstämmig, in irgendeiner Weise literarisch oder sonstwie künstlerisch unterwegs und mit guter Lesestimme – gibt es in Duisburg & Umgebung natürlich noch einige mehr. Möglicherweise ja sogar von Baykurt SELBST brauchbare Aufnahmen; schließlich hat er in den 90ern Lesungen gemacht und dabei sicherlich auch aus jenen drei Büchern gelesen – und in der Zeit konnten ja technisch hochwertige Mitschnitte gemacht werden.
    Mehr Ideen bei Bedarf.

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