Eine Arbeitsstelle umfasst manchmal sehr unterschiedliche Tätigkeitsfelder. Nach einem samstäglichen Besuch der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel vermute ich, dort ist ein Teil der Angestellten verpflichtet, Besuchergruppen durch die Bibliotheksräume zu führen, auch wenn die Anstellung wahrscheinlich vor allem der intensiven Beschäftigung mit Texten und Büchern zu verdanken ist. Texte und Bücher haben für Menschen den großen Vorteil, wenig Ansprüche an soziale Fertigkeiten zu stellen. Selbst wenn so ein Buch aus dem 17. Jahrhundert stammt, verbringt es auf ein paar Regalzentimetern Platz ohne besondere Zuwendung die ruhigeren Stunden seines Lebens und wenn es denn einmal Auslauf erhält, verlangt so ein Buch nicht mehr als ein paar Baumwollhandschuhe an des Lesers Händen und ein wenig feinmotorisches Geschick beim Umblättern, damit es ihm dauerhaft wohl ergeht. Damit mag sich jene uns durch die Bibliotheksräume führende Wissenschaftlerin vom Samstag auskennen, von Menschen – vielleicht nur in Gruppen – schien sie Schlimmeres gewohnt zu sein.
Jemandem zuzuhören, der den Eindruck macht, er müsse ständig einen Fluchtimpuls unterdrücken, ist ungemein anstrengend. Ich bange dann mit ihm, will ihn beruhigen und bin ich nicht erfolgreich, überträgt sich so ein Fluchtimpuls leicht auf mich. Deshalb musste ich es am Samstag immer wieder riskieren unhöflich zu wirken. Ich hielt ein wenig Abstand von der Führung und lenkte mich zwischendurch mit forschenden Blicken auf die imposanten Bücherreihen ab. Dort versuchte ich die von Herzog August dem Jüngeren höchstselbst vorgenommenen Inhaltsangaben auf den Lederrücken der Folianten zu entziffern und weil das meist ohne erhellendes Ergebnis blieb, schweiften die Gedanken ab zu einem anderen Arbeitnehmer, der die unterschiedlichen Anforderungen seines Berufs im Moment sehr erfolgreich bewältigt. Knapp eine Stunde zuvor hatte ich Marco Röhlings begeisterte Stimme gehört, sofort nachdem ich das Fenster mit dem Webradio von Radio DU geöffnet hatte. In der vierten Spielminute wieder ein Freistoßtor durch Ivica Grlic! In Osnabrück traf er von links, in Duisburg von der rechten Seite. Und es war immer besser geworden. Kurz bevor ich das Webradio gegen die Überraschungstour beim Familientreffen eintauschen musste, fielen die zwei Tore von Stefan Maierhofer in der 17. und 19. Minute. Das Gegentor im Anschluss bestätigte dann Marco Röhlings mahnende Worte zum Abwehrverhalten. So gut wie in Osnabrück war die Defensive dieses Mal anscheinend nicht. Deshalb hatte ich die Herzog-August-Bibliothek auch nicht in der Gewissheit betreten, einen sicheren Heimsieg erwarten zu können.
In Duisburg ist noch vieles möglich, dachte ich und hoffte bei meinen Alleingängen vor den Regalen zur Ablenkung in der als so reichhaltig angepriesenen Bibliothek auf ein frühes Werk der Sportliteratur zu stoßen. In den Regalen entdeckte ich nur Theologisches neben Historischem, und die Lesetipps der Woche waren auch keine Sportheldengeschichten sondern in Vitrinen ausgestellte biographische Werke über lokale Berühmtheiten der damals bedeutenden Universität Helmstedt.
Sport spielte also nur als Fußballfantasie in meinem Kopf eine Rolle und dann wieder beim Schwager zu Hause, als ich sofort im Netz das Endergebnis las. Ein auf den ersten Blick sicherer Sieg erwies sich dann beim Nachlesen und auch in der heutigen Nachberichterstattung mit unsicherer Abwehr erspielt. Zur guten Duisburger Angriffsleistung gesellte sich die Ingolstädter Abschlussschwäche und so kann der Donaukurier titeln: „Naiver FC 04 schenkt Duisburg den Sieg„. In Duisburg macht man sich verständlicher Weise um die Naivität des Gegners wenig Gedanken, sondern wir genießen allesamt den Moment. Der MSV Duisburg führt die Zweitligatabelle an. Es macht Freude, sich diese Tabelle anzusehen. Sie gibt keine Auskunft über den weiteren Verlauf der Saison, aber wie viel leichter wird es für die Spieler mit einen zufriedenen Gefühl auf den Platz zu gehen und sich weiter zu entwickeln. Arminia Bielefeld und der MSV Duisburg standen in der letzten Saison vor ähnlichen Schwierigkeiten und traten im Verlauf der Saison immer wieder mit ähnlichen, schlechten Leistungen auf. Auch in Bielefeld wird versucht, etwas Neues aufzubauen. Wenn der Blick dorthin geht, wo die Last von zwei Niederlagen zu tragen ist, beruhigt die Momentaufnahme der Tabelle noch mehr.
In der Sportschau war zu erfahren, dass Ivica Grlic die Fahrt von Stefan Maierhofer zur österreichischen Nationalmannschaft organisiert hat und auch als Team-Manager seine Aufgaben sehr gut erledigt. Stefan Maierhofer wird ihm also nicht nur für gut herein gegebene Eckbälle danken, sondern auch für reibungslose Reisen nach Wien. In Österreich scheint er übrigens gerade gerne als Symbol für die Qualität der Fußballnation genommen zu werden. Nicht weil er zwei Tore gemacht hat, muss ich hinzufügen und denke, es gibt ja die Geschichten von jenen Spielern, die in einem einzigen sportlichen Biotop erfolgreich werden. Wartet nur ab, ihr österreichischen Sportjournalisten!
1 Antwort to “Eine Momentaufnahme, die zufrieden macht”