Chaos, Platzsturm und Skandalspiel – Wörter schaffen Wirklichkeit

Zwar habe ich vorgestern gemerkt, dass das Wort  „Polizei“ im Zusammenhang mit einem Fußballspiel die Klickzahlen hier genauso steigert wie die „nackte Spielerfrau“ und „schwule Fußballspieler“, dennoch hatte ich deshalb nicht unbedingt vor, den Zebrastreifenblog in Zukunft grundsätzlich thematisch breiter aufzustellen. So sagt man wohl als Medienmanager, der ich als Mann für alles  in diesen Räumen ja auch bin. Und nun muss ich mich zwei Tage später doch schon wieder mit der Polizei beschäftigen, außerdem mit der Berichterstattung über das Halbfinale des Niederrheinpokals Rot Weiss Essen gegen den MSV Duisburg und mit der Wirklichkeit dieses Spiels, die nicht einfach da ist, um wahrgenommen zu werden. Diese Wirklichkeit wird gemacht von vielen Beteiligten, und natürlich haben auch wir Zuschauer, die Fußballer und der Schiedsrichter mit daran gearbeitet, etwas zu schaffen, was in der deutschen Öffentlichkeit nun als Chaos- und Skandalspiel wahrgenommen wird. Von „Tumulten“ ist heute in einem Print-Kommentar der Süddeutschen Zeitung die Rede und weiterhin wird vom drohenden Platzsturm gesprochen.

Diese Wirklichkeit ist nun in der Welt. Sie wird dieses Spiel wahrscheinlich auch in Zukunft weiterhin beschreiben, entgegen des Eindrucks von Zuschauern vor Ort, entgegen des späteren offiziellen Statements des Polizeipressesprechers wie er in der Reviersport weitergegeben wird. „Ausschreitungen“ hält er für das falsche Wort, mit dem die Vorkommnisse im Stadion beschrieben werden können. Nun kann man einwenden, das sei die Folge des Polizeieinsatzes, nachdem das Tor geöffnet wurde. Dennoch fehlt mir weiterhin der Beleg, dass in der Westkurve eine Masse Menschen hätten durch dieses geöffnete Tor stürmen wollen. Ab wann lässt sich von Chaos und Platzsturm sprechen? Wenn zehn schwarz gekleidete und vermummte Fans auf einer Treppe stehen? Zwanzig? Dreißig? Waren es so viele? Nach meinem Eindruck hatten die meisten Fans dort in der Westkurve Interesse am Spiel und zwar an dem Platz, an dem sie sich gerade befanden.

Nicht dass ein falscher Eindruck entsteht, ich halte das schnelle Eingreifen der Polizei für richtig. Dass Medien aber von einem Skandalspiel sprechen können, liegt am Präventionskonzept, dem die Polizei anschließend anscheinend gefolgt ist. Innerhalb kürzester Zeit wurde aus dem Stadion ein Hochsicherheitstrakt. Erst diese Bilder bedienten nahe liegende Deutungsreflexe der öffentlichen Wahrnehmung. So ein Polizeiaufgebot muss nämlich einen Sinn haben. Und dieser Sinn kann nur ein drohender Platzsturm gewesen sein. Wir Menschen mögen keine komplizierten Beschreibungen der Wirklichkeit. Wir möchten das Leben einfach. Dummerweise ist das Leben nicht einfach.

Die schnelle Berichterstattung über ein Abendspiel verhindert natürlich komplexe Geschichten, bei denen verschiedene Beschreibungen der Wirklichkeit gegenüber gestellt werden müssen. Da bleibt nur der Augenschein. Und noch eins, über das Geschehen als automatisch ablaufende Gewaltprävention zu berichten, ist langweilig. Was sind das für Geschichten, in denen Polizei-Hundertschaften vor Stadienrängen stehen und der Grund dafür ist vor allem die Vorgeschichte des Spiels, nämlich die Sorge vor Gewalt und nicht aktuell wahrnehmbare Bedrohungen. So etwas braucht Erklärung, Raum für Berichterstattung. So etwas braucht aber auch den Willen von allen Beteiligten, komplizierte Situationen geduldig aufzuklären.

Ob aber dieser Wille vorhanden ist bei den Beteiligten? Auch den Fans? Schließlich soll hier kein Fehlverhalten der Fans von MSV und RWE schön geredet werden. Mit eindeutigen Frontverläufen lässt sich aber bequem leben auf beiden Seiten. Im Grunde ist dieses Spiel von Rot-Weiss Essen gegen den MSV Duisburg ein idealtypisches Fußballspiel, um für sämtliche gegenwärtigen Diskussionen rund um die Sicherheitslage im Fußball Beispiele zu geben. Wir sehen, die Pyro-Debatte endet nicht.  Wir haben ein Fußballspiel als selbstverständlichen möglichen Anlass, um Gewalt auszuleben. Wir haben ein Beispiel für reibungslose Polizeiarbeit, deren Ausmaß aber überdimensioniert wirkt. Wir haben eine gefährliche Situation im Stadion, die sich in der Wahrnehmung vor Ort unterscheidet von der öffentlichen Wahrnehmung, die durch die Berichterstattung in den Medien bestimmt wird. Wer ernsthaft am Verhältnis von Fans zum professionellen Fußball interessiert ist, kann bei der Betrachtung dieses einen Fußballspiels viel lernen. Alle anderen werden sagen, es wird immer schlimmer.

 

 

 

 

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